Öffentliches Baurecht


Verwirkung des Klagerechts gegen eine Baugenehmigung

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2017 - 2 B 1483/17 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Antragsteller erhoben im Juni 2017 Klage gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verbunden mit dem Eilantrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung. Zugrunde lag dem eine dem beigeladenen am 10.03.2014 erteilte Baugenehmigung um Erweiterung seines Betriebs um einen Schweinemaststall mit 1440 Mastschweinen; mit dem Bau begann der Beigeladene im März 2017. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen Verwirkung des Klagerechts zurück; die dagegen von den Antragstellern eingelegte Beschwerde wurde vom OVG zurückgewiesen.

 

Die Verwirkung eines materiellen Abwehranspruchs setze, so das OVG, einen längeren Zeitraum voraus, währenddessen die Möglichkeit zur Klageerhebung bestanden hätte und dies dem Berechtigten bewusst gewesen sei.  Der positiven Kenntnis würde es gleich stehen, wenn der Berechtigte von ihm belastenden Maßnahmen zuverlässig Kenntnis haben müsste, so dass sie sich ihm aufdrängen müssten und es ihm möglich und zumutbar gewesen wäre, sich letzte Gewissheit hätte verschaffen können. Eine danach verspätete Klageerhebung würde gegen Treu und Glauben verstoßen, da der Berechtigte trotz ihm bekannter Umstände oder ihm zurechenbarer Möglichkeit zur Kenntniserlangung erst zu einem Zeitpunkt Klage erheben würde, zu dem der von der Baugenehmigung Begünstigte und die zuständige Behörde nicht mehr mit einer Klageerhebung rechnen müssten.

 

Vorliegend hätten die Antragsteller spätestens im Herbst 2015 zuverlässig Kenntnis von der Erteilung einer Baugenehmigung für den Beigeladenen erlangen können und müssen. Aus einem von ihnen selbst im Zusammenhang mit einem  eigenen Bauantrag beauftragten Gutachten vom 26.10.2015 hätten sie jedenfalls Kenntnis von einem geplanten Vorhaben des Beigeladenen nehmen können. Dieses Gutachten sei von ihnen für eine Sicherstellung der Genehmigungsfähigkeit des eigenen Vorhabens eingeholt worden. Denn nach den dortigen Grundlagen war das Vorhaben des beigeladenen als Vorbelastung im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen, wobei sich auch ergab, dass in dem Gutachten nicht vom beigeladenen benannte Daten, sondern Daten der Baugenehmigungsbehörde verarbeitet worden seien.  Selbst wenn man unter diesen Umständen annehmen wolle, dass die Antragsteller keine Kenntnis hatten, hätte sich ihnen deren Existenz in Ansehung der im Gutachten benannten exakten Tierplatzzahlen mit Zuordnung zu drei Geruchsquellen (von denen 2015 erst zwei existiert hätten) förmlich aufdrängen müssen. Jedenfalls hätte sie bei dieser Sachlage selbst aktiv werden müssen und sich über die rechtliche Situation informieren müssen, da die Angaben im Gutachten offensichtlich nicht nur den Ist-Bestand wiederspiegelt hätten.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.

 

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

 

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zu keiner Änderung der angefochtenen Entscheidung.

 

Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiter verfolgten Antrag der Antragsteller,

 

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 6. Juni 2017 (9 K 5319/17 - VG Minden) gegen die dem Beigeladenen von dem Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 10. März 2014 zur Errichtung eines Schweinemaststalles mit 1.440 Mastplätzen und von drei Futtersilos auf dem in M. gelegenen Grundstück Gemarkung B.      , Flur 3, Flurstück 59 (St.-K.        -Straße 40), anzuordnen,

 

im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei - ungeachtet bestehender Bedenken hinsichtlich der Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 1. - jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Antragsteller ihr Klagerecht gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verwirkt hätten. Sie hätten nicht unverzüglich nach Erkennen möglicher Beeinträchtigungen ihre Rechte geltend gemacht. Es spreche alles dafür, dass die Antragsteller nicht erst durch die Aufnahme der Bauarbeiten am 9. März 2017 veranlasst worden seien, Nachforschungen hinsichtlich einer zugrundeliegenden Baugenehmigung anzustellen, sondern dass sie bereits mit Kenntnis des Gutachtens zur Erweiterung der bestehenden Sauenanlage und dem Neubau des Ferkelaufzuchtstalls vom 26. Oktober 2015, das im Auftrag der Antragstellerin zu 1. erstellt worden sei, Kenntnis von der Baugenehmigung gewonnen hätten. In diesem Gutachten, das hinsichtlich der nachbarlichen, familienfremden  Betriebe maßgeblich auf Aussagen und Unterlagen des Antragsgegners beruhe, sei das streitgegenständliche Vorhaben bereits berücksichtigt. Auf Seite 9 heiße es unter der Überschrift: "Der nachbarliche Betrieb am Standort D "Sankt-K.        -Straße 40", dass an diesem Standort 2.939 Mastschweine in 3 Stallgebäuden gehalten würden. Auf Seite 31 des Gutachtens würden dann als Geruchsquellen am Standort "Sankt-K.        -Straße 40" drei eigenständige Bereiche mit 640, 859 und 1.440 Mastschweinen angegeben. Daher hätte bereits zum damaligen Zeitpunkt Anlass bestanden, gegen das streitgegenständliche Vorhaben vorzugehen, weshalb die Antragsteller ihr Klagerecht zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 6. Juni 2017 bereits verwirkt gehabt hätten.

 

Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, der Schluss des Verwaltungsgerichts aus den in ihrem eigenen Geruchsgutachten enthaltenen Angaben zum Betrieb des Beigeladenen auf ihre Kenntnis einer hierfür erteilten Baugenehmigung sei unzulässig. Denn auf eine damit allein in Zweifel gezogene positive Kenntnis kommt es jedenfalls im Ergebnis nicht an, da feststeht, dass die Antragsteller jedenfalls die erforderliche Kenntnis hätten haben müssen.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Gerichts setzt die prozessuale Verwirkung eines materiellen Abwehranspruchs einen längeren Zeitraum voraus, während dessen die Möglichkeit der Klageerhebung bestand und dies dem Berechtigten bewusst gewesen ist. Der positiven Kenntnis steht es dabei regelmäßig gleich, wenn der Berechtigte von der ihn belastenden Maßnahme zuverlässig Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm - zum Einen - deren Vorliegen hätte aufdrängen müssen und es ihm - zum Anderen - möglich und auch zumutbar war, sich über die getroffene Maßnahme letzte Gewissheit zu verschaffen. Die (verspätete) Klageerhebung muss gerade deshalb gegen Treu und Glauben verstoßen, weil der Berechtigte trotz vorhandener Kenntnis oder der ihm zuzurechnenden Möglichkeit der Kenntniserlangung erst zu einem Zeitpunkt Klage erhebt, zu dem die Behörde und der von der Baugenehmigung Begünstigte nicht mehr mit einer Klageerhebung rechnen mussten. Dies ist dann der Fall, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen Jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen hätte. Durch das Unterlassen wird eine tatsächliche Lage geschaffen, auf die sich die Behörde und der Begünstigte einstellen und sich in einer Weise hierauf einrichten dürfen, dass für sie eine (begründete) Klage mit nicht mehr zumutbaren Nachteilen verbunden wäre.

 

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. August 2000 - 4 A 11.99 -, juris Rn. 16, m. w. N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. August 2017 - 2 A 1804/16 - und vom 13. November 2014 - 2 B 1111/14 -, juris Rn. 22; Sächs. OVG, Beschluss vom 27. Oktober 2016 - 3 A 330/15 -, juris Rn. 5.

 

Hiervon ausgehend unterliegt es auch unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens keinen Zweifeln, dass die Antragsteller unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt spätestens im Herbst 2015 zuverlässige Kenntnis von der Erteilung einer Genehmigung zugunsten des Beigeladenen hätten erlangen können und müssen. Die Beschwerde räumt selbst ein, dass sich aus dem eigenen Gutachten vom 26. Oktober 2015 die Kenntnis über ein zumindest geplantes Vorhaben des Beigeladenen habe entnehmen lassen. Angesichts des von der Antragstellerin zu 1. erteilten Gutachtenauftrags (Seite 4 der gutachterlichen Stellungnahme), nämlich die Genehmigungsfähigkeit ihres eigenen Vorhabens sicherzustellen, dürfte zwar allein dies, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, mit hinreichender Sicherheit auf eine für das Vorhaben des Beigeladenen erteilte Genehmigung schließen lassen. Denn nur dann war dieses Vorhaben als Vorbelastung im Genehmigungsverfahren der Antragsteller zu berücksichtigen, zumal die Grundlage für diese Daten, wie dem Gutachten ebenfalls klar zu entnehmen ist, Angaben der Genehmigungsbehörde waren, nicht etwa Nachfragen bei dem Beigeladenen.

 

Selbst wenn man gleichwohl fingierte, dass die Antragsteller von der Genehmigung selbst keine Kenntnis genommen haben, musste sich ihnen deren Existenz nach den gesamten Umständen förmlich aufdrängen. Die Kombination exakter Tier(platz)zahlen mit Zuordnung zu drei Geruchsquellen, von denen im Jahre 2015 nur zwei tatsächlich existierten, und die Tatsache, dass diese Informationen von der Genehmigungsbehörde stammten und vom eigenen Gutachter für genehmigungserheblich im Hinblick auf das Vorhaben der Antragstellerin zu 1. gehalten wurde, ist dem Beginn von Bauarbeiten mindestens gleichwertig.

 

Zumindest steht außer Frage, dass die Antragsteller bei dieser Sachlage bei verständiger Würdigung der Sachlage gehalten waren, selbst aktiv zu werden, um sich über die bestehende rechtliche Situation zu informieren, wovon bereits das Verwaltungsgericht der Sache nach ausgegangen ist. Zumindest mit der Möglichkeit einer baurechtlichen Relevanz dieser vom Gutachter aufgenommenen, offensichtlich nicht nur den Ist-Bestand widerspiegelnden Angaben mussten die Antragsteller rechnen. Dass und warum sie dies nicht getan haben, begründet auch die Beschwerde nicht. Insbesondere erschließt sich daraus nicht, warum die Antragsteller nicht bei der Genehmigungsbehörde, mit der sie aufgrund des eigenen Vorhabens ohnehin in Kontakt standen, von sich aus um Akteneinsicht gebeten oder sich zumindest nach dem Bestehen einer Baugenehmigung erkundigt haben.

 

Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 22. August 2017 - 2 A 1804/16 -.

 

Dass hier neben dem Zeit- auch das Umstandsmoment der Verwirkung vom Verwaltungsgericht zu Recht als erfüllt angesehen worden ist, stellt die Beschwerde selbst nicht in Abrede. Dies liegt auch fern, da der Beigeladene erst nach Ablauf der für eine Verwirkung allenfalls anzunehmenden Zeitspanne von einem Jahr überhaupt mit der Verwirklichung seines Vorhabens - mit den sich daraus ergebenden finanziellen Folgen - begonnen hat.

 

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann im Rahmen des Beschwerdeverfahrens offenbleiben, was hinsichtlich der angefochtenen Baugenehmigung vom 10. März 2014 infolge der Anhörungsschreiben vom 29. Juni bzw. 3. Juli 2017 passiert ist.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO i. V. m. § 100 ZPO sowie §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil er im Beschwerdeverfahren einen Sachantrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

 

 

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.