Öffentliches Baurecht


Nutzungsänderung von Eisdiele in Pizzeria ist baugenehmigungspflichtig

OVG Niedersachsen, Beschluss vom 22.11.2023 - 1 ME 123/23 -

Die Antragsstellerin betrieb in einem Wohn- und Geschäftshaus eine Pizzeria. Doch lag für diese Räume lediglich eine Baugenehmigung für eine Eisdiele aus 1983 vor. Mit Verfügung vom 10.08.2023 (ergangen, nachdem sich Nachbarn über von der Pizzeria ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen beschwerten) untersagte die Antragsgegnerin den weiteren Betrieb der Pizzeria und ordnete Sofortvollzug an. Begründet wurde diese Verfügung mit der ungenehmigten Nutzungsänderung und einer erforderlichen Prüfung im Baugenehmigungsverfahren mit Blick auf den Brandschutz. Die Antragsstellerin, die gegen die Verfügung Widerspruch einlegte, beantragte bei dem Verwaltungsgericht (VG) auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, der zurückgewiesen wurde. Die Beschwerde gegen die Entscheidung wurde abgewiesen.

 

Zutreffend sei das VG davon ausgegangen, dass der betrieb einer Pizzeria in als Eisdiele genehmigten Räumen eine Nutzungsänderung iSv. § 2 Abs. 13 NBauO darstelle. Würde die Variationsbreite einer erteilten Baugenehmigung überschritten, sodass sich die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher oder gefahrenabwehrrechtlicher Hinsicht neu stelle, sei von einer Nutzungsänderung auszugehen.

 

Die Genehmigung für einen Gastronomiebetrieb ereilte Baugenehmigung habe eine Variationsbreite, weshalb nicht jede Veränderung von betrieblichen Abläufen oder der Wechsel des Speiseangebots einer neuen Baugenehmigung. Diese Variationsbreite würde aber dann überschritten, wenn das öffentliche Baurecht an die bauliche Anlage in der neuen Nutzung andere oder weitergehende Anforderungen stelle, also z.B. bereits bestehende Problemlagen – etwa eine Immissionsproblematik – verschärft würde (so z.B. bejaht für eine Änderung von einer Cocktailbar in eine Shisha-Bar, VG Hannover, Beschluss vom 07.08.2023 - 4 B 3754/23 -).

 

Während der Betrieb einer Eisdiele typischerweise während der Tageszeit stattfände, würde eine Pizzeria gerade in den Abendstunden frequentiert. Damit würden andere Fragen des Immissionsschutzes der Nachbarschaft aufgeworfen. Hinzu käme, dass eine Pizzeria auf einen mit hohen Temperaturen betriebenen Backofen angewiesen seien, und damit fragen des Brandschutzes und der Abluftführung aufwerfen würde. Derartige Fragen würden sich bei dem Betrieb einer Eisdiele nicht in vergleichbarer Weise stellen, weshalb die Variationsbreite einer für eine Eisdiele erteilten Baugenehmigung verlassen würde. Alleine der Umstand, dass auch in einer Eisdiele warme Getränke, Waffeln und andere Backwaren auch angeboten werden könnten, ändere an dem grundsätzlichen Unterschied nichts. Es könne offen bleiben, ob die Gefahrenlage bei einer Pizzeria zwangsläufig höher sei als bei einer Eisdiele. Die erneute baurechtliche Prüfung sei schon durch die Andersartigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen ausgelöst, die durch die für eine Eisdiele erteilte Baugenehmigung nicht als bewältigt angesehen werden könnten.

 

Selbst wenn die gesetzlichen Anforderungen zu Brandschutz, Abluftanlage und Rauchmeldern eingehalten worden sein sollten und damit eine Genehmigungsfähigkeit bestehen sollte, würde dies nicht die formelle Baurechtswidrigkeit, die für sich eine Nutzungsuntersagung rechtfertige, nicht tangieren. Der Ausnahmefall einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit läge hier bereits im Hinblick auf eine aktenkundige Problematik der gegenwärtigen Abluftführung nicht vor.

 

 

Anmerkung: Die Baubehörde wurde auf die Nutzungsänderung wohl erst infolge von Beschwerden über Lärmbelästigungen aufmerksam. Die Frage der Lärmbelästigung durch Eisdielen und Pizzerien wurde auch vom OVG thematisiert. Allerdings kann dessen Annahme zu Änderungen des Immissionsschutzes für Nachbarn nicht tragen. Es kann nicht davon ausgegangen werden (und dies wird auch nicht vom OVG benannt), dass die Baugenehmigung für die Eisdiele unter der Auflage erteilt wurde, dass diese nur tagsüber, nicht auch abends geöffnet sein dürfe; je nach Lage in ländlichen oder städtischen Gebieten sind auch viele Eisdielen abends geöffnet. Da die Öffnungszeiten für Eisdielen nur über Ladenschlusszeiten u.ä., die für Pizzerien und Eisdielen gleich sind, läge hier mithin eine Abweichung für die baurechtliche Genehmigungsfähigkeit vom Grundsatz nicht vor, da es nicht darauf ankommen kann, ob die Genehmigungsbehörde von einer abendlichen Schließung (der Eisdiele) ausgeht, nicht erfolgen muss.

 

 

 

 Tenor

 

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 22. September 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.703,40 EUR festgesetzt.

 

Gründe

 

I.

 

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung.

 

Sie betreibt in einem Wohn- und Geschäftshaus unter der im Aktivrubrum genannten Anschrift eine Pizzeria. Für die entsprechenden Räume liegt eine Baugenehmigung aus dem Jahr 1983 zum Betrieb einer Eisdiele vor. Aufgrund von Nachbarbeschwerden über Lärmbelästigungen untersagte die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 10. August 2023 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den weiteren Betrieb der Pizzeria und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld an. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Antragstellerin eine ungenehmigte Nutzungsänderung vorgenommen habe, die insbesondere mit Blick auf den Brandschutz einer Prüfung in einem Baugenehmigungsverfahren bedürfe.

 

Den gegen diese Verfügung gerichteten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 22. September 2023 abgelehnt. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege die Interessen der Antragstellerin. Der Betrieb einer Pizzeria in Räumen, die als Eisdiele genehmigt seien, stelle eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Offensichtlich genehmigungsfähig sei diese neue Nutzung nicht; Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.

 

II.

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

 

Zu Recht und mit zutreffender Begründung sind Antragsgegnerin und Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Betrieb einer Pizzeria in als Eisdiele genehmigten Räumlichkeiten eine Nutzungsänderung i.S.v. § 2 Abs. 13 NBauO darstellt. Eine solche liegt vor, wenn die Variationsbreite einer erteilten Baugenehmigung überschritten wird, sodass sich die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher oder gefahrenabwehrrechtlicher Hinsicht neu stellt (vgl. Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, NdsVBl 2015, 304 = juris Rn. 12 f.). Eine für einen Gastronomiebetrieb erteilte Baugenehmigung weist insofern typischerweise eine gewisse Variationsbreite auf. Nicht jede Veränderung der betrieblichen Abläufe oder der gastronomischen Ausrichtung - etwa der Wechsel des Speisenangebots beispielsweise von deutscher zu französischer Küche - wirft die Genehmigungsfrage neu auf. Die Variationsbreite wird aber dann überschritten, wenn sich betriebliche Einrichtungen und Abläufe in einer Weise ändern, dass neu- oder andersartige baurechtliche Problemlagen zu bewältigen sind bzw. bereits bestehende Problemlagen - etwa eine Immissionsproblematik - verschärft werden (bejaht etwa für die Änderung einer Cocktailbar in eine Shisha-Bar VG Hannover, Beschl. v. 7.8.2023 - 4 B 3754/23 -, KommJur 2023, 329 = juris Rn. 59 f.; bestätigt durch Senatsbeschl. v. 22.11.2023 - 1 ME 109/23 -, n.v.). So liegt der Fall entgegen der Auffassung der Antragstellerin hier.

 

Während der Schwerpunkt des Betriebs bei einer Eisdiele typischerweise während der Tagzeit stattfindet, wird eine Pizzeria gerade in den Abendstunden frequentiert. Damit stellen sich andersartige Fragen des Immissionsschutzes der Nachbarschaft. Hinzu kommt, dass eine Pizzeria auf einen mit hohen Temperaturen betriebenen Pizzaofen angewiesen ist, der Fragen des Brandschutzes und - dies zeigt der vorliegende Fall anschaulich - der Abluftführung aufwirft. Solche Fragen stellen sich bei einer Eisdiele nicht in vergleichbarer Weise, sodass - wie Antragsgegnerin und Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt haben - die Variationsbreite einer für eine Eisdiele erteilte Baugenehmigung verlassen wird. Dass auch in einer Eisdiele warme Getränke, Waffeln und ggf. andere Backwaren angeboten werden, ändert an diesem grundsätzlichen Unterschied nichts. Die Gefahrenlage mag - das kann offen bleiben - bei einer Pizzeria nicht zwangsläufig höher sein als bei einer Eisdiele. Das Bedürfnis der erneuten baurechtlichen Prüfung wird indes schon durch die Andersartigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen ausgelöst, die aufgrund einer für eine Eisdiele erteilten Baugenehmigung nicht als bewältigt angesehen werden können.

 

Sollte die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen, die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich Brandschutz, Abluftanlage und Rauchmeldern würden eingehalten, geltend machen wollen, die von ihr ausgeübte Nutzung sei jedenfalls genehmigungsfähig, stellt dies die (formelle) Baurechtswidrigkeit, die eine Nutzungsuntersagung grundsätzlich rechtfertigt, nicht in Frage. Der Ausnahmefall der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit (vgl. zum Maßstab Senatsbeschl. v. 9.6.2020 - 1 ME 108/19 -, BauR 2020, 1444 = BRS 88 Nr. 90 = juris Rn. 19) ist mit dem Beschwerdevorbringen nicht ansatzweise dargetan und liegt schon angesichts der aktenkundigen Problematik der gegenwärtigen Abluftführung auch in der Sache nicht vor.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht den Überlegungen des Verwaltungsgerichts.