Zwangsvollstreckung / Zwangsversteigerung / Zwangsverwaltung


Wohnraum: Wann kann eine Räumungsfrist verlängert werden ? (2)

LG Berlin II, Beschluss vom 17.02.2024 - 67 T 108/23 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Wird ein Wohnraummietverhältnis gekündigt und der Mieter zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt, kann der Mieter einen Antrag auf Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist stellen, § 721 Abs. 1 ZPO. Auf Antrag kann diese Freist verlängert und verkürzt werden, § 571 Abs. 3 S. 1 ZPO. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren hatte der Vermieter gegen einen einem entsprechenden stattgebenden Beschluss über die Verlängerung der Räumungsfrist durch das Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Dieser gab das Landgericht als Beschwerdegericht statt.

 

Der Anspruch auf Verlängerung der Frist würde insbesondere dann bestehen, wenn die Suche nach Ersatzwohnraum während der ursprünglich gewährten Räumungsfrist trotz hinreichender Bemühungen des Mieters erfolglos war.

 

Vorliegend hatte der Kläger (Vermieter) auf den Verlängerungsantrag des Beklagten (Mieters) sowohl die von dem Mieter behaupteten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wie auch Bemühungen des Beklagten um Ersatzwohnraum bestritten. Da der Berliner Wohnungsraum „gerichtsbekannt angespannt sei, gab das Amtsgericht dem Verlängerungsantrag statt.

 

Das sei nicht frei von Verfahrensfehlern, da dem Mieter wie bei § 573 Abs. 2 BGB (Widerspruch des Mieters gegen eine Eigenbedarfskündigung, wenn diese für ihn und seine Familie angemessener Ersatzwohnraum nicht zu zumutbaren Bedingungen beschafft werden kann) die Darlegungs- und Beweislast zu den Voraussetzungen für die Verlängerung nach § 721 Abs. 3 obliege. Auch wenn keine für den Mieter unüberwindlichen Anforderungen daran gestellt werden dürften, müsse das Gericht bei gegenläufigen Sachvortrag die von den Parteien dazu angebotenen Beweise erheben. Nicht ausreichend sei ein Verweis auf eine angeblich gerichtsbekannte Lage am Wohnungsmarkt  (BGH, Urteil vom 22.05.2019 - VIII ZR 180/18 - zu § 574 Abs. 2 BGB,  was auch  für § 721 Abs. 3 ZPO gelte. Das habe das Amtsgericht nicht beachtet.

 

Das Amtsgericht werde bei der nunmehr nach § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessensabwägung unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags zu befinden haben, ob dem Beklagten bei hinreichender eine Anmietung von Ersatzwohnraum tatsächlich innerhalb der ursprünglichen Räumungsfrist unmöglich gewesen wäre und dabei abklären müssen, on sich der Beklagte tatsächlich in der ursprünglichen Räumungsfrist um Ersatzwohnraum  bemüht habe. Zu Recht habe der Kläger gerügt, dass der Beklagte keinerlei Unterlagen vorgelegt habe, wobei auch zu beachten sei, dass die Einreichung alleine von Bewerbungsunterlagen durch den Beklagten noch nicht den Beweis erbringen würde, dass diesen Unterlagen tatsächliche Bewerbungsbemühungen zugrunde liegen würden.

 

 

Anmerkung: Die Entscheidung des LG Berlin ist zu begrüßen. Häufig erfolgen die Fristverlängerungen bereits bei pauschalen Vortrag oder bei Vorlage nicht aussagekräftiger Unterlagen. Bewerbungsschreiben als solches reichen nicht, da nicht einmal sichergestellt ist, dass diese tatsächlich versandt wurden. Der Mieter kann Ablehnungsschreiben vorlegen oder sich auf das Zeugnis von potentiellen Vermietern beziehen, dass – und ggf. weshalb – diese den Mietinteressenten nicht berücksichtigten.

 

Aus den Gründen:

 

 Tenor

 

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Amtsgerichts Mitte vom 18. Dezember 2023 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

Die gemäß §§ 721 Abs. 6 Nr. 2, 567 ff. ZPO statthafte sofortige Beschwerde hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg.

 

Die Kammer hat von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückweisung gemäß § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch gemacht, da das Amtsgericht den Sachvortrag des Klägers, mit der dieser die tatsächlichen Voraussetzungen des beklagtenseits geltend gemachten Anspruchs auf Verlängerung der im Urteil gewährten Räumungsfrist in Abrede gestellt hatte, verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt hat.

 

Ein Anspruch auf Verlängerung einer gerichtlich gewährten Räumungsfrist kann gemäß § 721 Abs. 3 ZPO insbesondere dann bestehen, wenn die Suche nach Ersatzwohnraum während der gewährten Räumungsfrist - trotz hinreichender Bemühungen des Mieters - erfolgslos war (st. Rspr., vgl. nur Kammer, Beschl. v. 19. Oktober 2023 – 67 T 79/23, WuM 2024, 50, beckonline Tz. 3). Diese Voraussetzungen sind nach dem bisherigen Vortrag des Klägers nicht erfüllt.

 

Der Kläger hat nicht nur die angeblichen Bemühungen des Beklagten um Ersatzwohnraum, sondern auch dessen Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bestritten.

 

Das Amtsgericht hat gleichwohl eine Verlängerung der Räumungsfrist angeordnet, da der Berliner Wohnungsmarkt „gerichtsbekannt angespannt“ sei. Zudem habe der Beklagte seine Bemühungen um Ersatzwohnraum „unter Vorlage von Unterlagen dargelegt“.

 

Das ist nicht frei von Verfahrensfehlern, da den Mieter - nicht anders als bei § 574 Abs. 2 BGB - die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung nach § 721 Abs. 3 ZPO vorliegen (vgl. Kammer, Urt. v. 25. Januar 2024 - 67 S 264/22, juris Tz. 25 (zu § 574 Abs. 2 BGB). An die Beweisführung sind zwar keine für den Mieter unüberwindlichen Anforderungen zu stellen (vgl. Kammer, Urt. v. 25. Januar 2024, a.a.O. Tz. 26 ff. (zu § 574 Abs. 2 BGB)). Gleichwohl sind die Gerichte verpflichtet, im Falle gegenläufigen Sachvortrags die zwischen den Parteien streitigen Tatsachen im Rahmen einer Beweiserhebung aufzuklären und dazu die angebotenen Beweise zu erheben und zu würdigen. Der bloße tatrichterliche Pauschalverweis auf eine angeblich gerichtsbekannte Lage am Wohnungsmarkt reicht dazu weder bei § 574 Abs. 2 BGB noch bei § 721 Abs. 3 ZPO aus (vgl. BGH, Urt. v. 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, BeckRS 2019, 11772 Tz. 52 (zu § 574 Abs. 2 BGB)). Diesen Grundsätzen genügt die angefochtene Entscheidung nicht.

 

Bei der neuerlich im Rahmen des § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung wird das Amtsgericht den gesamten Vortrag des Klägers zu berücksichtigen und zu befinden haben, ob dem Beklagten bei hinreichender Suche tatsächlich die Anmietung von Ersatzwohnraum bis zum Ablauf der ursprünglichen Räumungsfrist unmöglich gewesen wäre. Dabei wird es zu klären haben, ob sich der Beklagte tatsächlich innerhalb der ursprünglich gewährten Räumungsfrist um Ersatzwohnraum beworben hat. Insoweit trägt der bisherige Verweis des Amtsgerichts auf angeblich eingereichte Unterlagen nicht. Denn der Beklagte hat – wie die Beschwerde zu Recht rügt - überhaupt keine Unterlagen eingereicht. Es kommt hinzu, dass mit der bloßen Einreichung von Bewerbungsunterlagen durch den Mieter noch nicht der Beweis geführt wäre, dass den Unterlagen auch tatsächliche Bewerbungsbemühungen des Mieters zu Grunde liegen.

 

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestanden nicht, § 574 Abs.2, Abs. 3 ZPO.