Wohngeldforderungen gegen den Fiskus als gesetzlichen Erben
nach § 1936 BGB
BGH, Urteil vom 17.02.2017 - V ZR
147/16 -
Kurze Inhaltsangabe:
Ist ein gesetzlicher Erbe nicht vorhanden oder lässt sich ein solcher nicht feststellen, erbt das Land oder der Bund, § 1936 S. 1 BGB. Da bei einem
Wohnungseigentümer bei seinem Ableben in 2013 diese Voraussetzungen vorlagen, erbte das Bundesland, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Die Wohnungseigentümergemeinschaft
(Klägerin) nahm nun das Land auf Zahlung von Wohngeld für 2013 und 2014 in Anspruch. Obwohl das beklagte Land die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses erhoben hat, verurteilte das Amtsgericht
zur Zahlung. Das Landgericht hatte die Klage teilweise abgewiesen und dem beklagten Land die beschränkte Erbenhaftung vorbehalten. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision wandte sich die
Klägerin gegen diesen Vorbehalt.
Das Landgericht stützte sich auf § 780 Abs. 2 ZPO. Während nach § 780 Abs. 1 ZPO der Vorbehalt vom Beklagten zu erklären und im Urteil aufzunehmen ist, sieht § 780
Abs. 2 BGB für den Fall des § 1936 BGB vor, dass ein solcher Vorbehalt nicht erforderlich sei. Das Landgericht vertrat die Auffassung, der Erbe hafte nur dann persönlich, wenn ihm das Halten der
Wohnung als ein handeln bei der Verwaltung des Nachlasses zugerechnet werden könne. Dies sei hier nicht der Fall, wobei das Unterlassen der Vermietung der Wohnung zu keinem anderen Ergebnis
führe.
Die Revision wurde vom BGH als unzulässig verworfen. Auch bei einer vom Berufungsgericht zugelassenen Berufung müsse der Rechtsmittelführer beschwert sein, was hier
nicht der Fall sei, da sich die Klägerin ausdrücklich nur gegen den im Urteil aufgenommenen Vorbehalt wehre.
Durch den Vorbehalt sei der Klägerin nicht weniger zugesprochen worden, als sie begehrte. Dies deswegen, da der Vorbehalt keine über den darin liegenden Hinweis auf
die gesetzlichen Rechte des Beklagten hinausgehende Wirkung entfalte. Der Fiskus könne sich stets, unabhängig davon, ob der Vorbehalt im Urteil aufgenommen wurde oder nicht, gem. § 780 Abs. 2 ZPO
auf die beschränkte Erbenhaftung berufen. Damit bestünde vorliegend kein Unterschied, ob im Urteil ein Vorbehalt aufgenommen wurde oder nicht. Ob im Fall des § 780 Abs. 1 BGB etwas anderes gelten
würde, wurde in der Vergangenheit vom BGH teilweise bejaht, teilweise offengelassen und bedürfe auch hier keiner Entscheidung.
Auch sei das Landgericht entgegen der Annahme der Klägerin nicht veranlasst gewesen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die vom beklagten Land erhobene Einrede
der beschränkten Erbenhaftung (Dürftigkeitseinrede) vorlagen. Zwar hätte auch bereits im vorliegenden Verfahren geklärt werden können, ob gegenständlich die Voraussetzungen für eine beschränkte
Erbenhaftung vorliegen und eine solche überhaupt bei Wohngeldforderungen gegen den Fiskuserben in Betracht kämen, doch habe sich das Landgericht damit (zulässig) nicht befasst. Hätte es die Frage
geprüft und wäre zum Ergebnis gekommen, dass ein Vorbehalt nicht greifen würde, hätte es das beklagte Land zur Zahlung aus dem Nachlass verurteilen müssen.
Es sei kein Rechtsfehler, wenn das Prozessgericht die sachliche Aufklärung insoweit dem besonderen Verfahren nach § 785 ZPO überließe. Ob anderes dann gelten würde,
wenn Entscheidungsreife dazu bestünde, könne hier auf sich beruhen, da entsprechendes auch von der Klägerin nicht dargelegt worden sei.
Der im Urteil aufgenommene Vorbehalt entfalte auch keine Bindungswirkung iSv. § 318 ZPO, da über die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen nach §§ 785, 767 ZPO
in einem neuen Rechtsstreit durch das Prozessgericht erster Instanz zu entscheiden sei. Begnügt sich, wie hier, das Gericht in zulässiger Weise mit dem Ausspruch des Vorbehalts, kommt es auf die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen in diesem Erkenntnisverfahren nicht an. Ausführungen des Landgerichts dazu könnten von daher nicht tragend und damit nichts rechtsverbindlich
sein.
Aus den Gründen:
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 18. Mai 2016 wird auf Kosten der Klägerin als
unzulässig verworfen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Das beklagte Land wurde im Jahre 2013 nach Erbe eines verstorbenen
Wohnungseigentümers. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Wohngeld für die Jahre 2013 und 2014 in Anspruch. Der Beklagte hat die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses
erhoben.
Das Amtsgericht hat der Klage uneingeschränkt stattgegeben. Das Landgericht hat die Klage teilweise abgewiesen und dem Beklagten die
beschränkte Erbenhaftung vorbehalten. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen diesen Vorbehalt.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts war die beschränkte Erbenhaftung dem Beklagten trotz vorzubehalten. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs hafte der Erbe nur dann persönlich, wenn ihm das Halten der Wohnung als ein Handeln bei der Verwaltung des Nachlasses zugerechnet werden könne. Der Beklagte habe keine
Handlungen vorgenommen, die diese Zurechnung rechtfertigten. Dass er es unterlasse, Erträge aus der Vermietung der Wohnung zu erzielen, führe zu keinem anderen Ergebnis.
II.
Die Revision ist unzulässig und deswegen nach zu verwerfen.
1. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt ein zulässiges Rechtsmittel voraus, dass der Rechtsmittelführer
damit die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt (siehe etwa , mwN; , ). Dies gilt auch für die durch das Berufungsgericht zugelassene Revision (, ;
MüKoZPO/Krüger, 5. Aufl., § 542 Rn. 18; PG/Ackermann, ZPO, 8. Aufl., § 542 Rn. 4; Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 543 Rn. 6).
b) Die klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann beschwert, wenn diese von dem in der unteren Instanz
gestellten Antrag zu ihrem Nachteil abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (sog. formelle Beschwer; vgl. nur , mwN). So verhält es sich in der Regel, wenn
der Urteilstenor hinter dem gestellten Antrag zurückbleibt, wie es hier aufgrund des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung der Fall ist. Zwingend ist das aber nicht. Entscheidend ist
vielmehr, ob der rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung hinter dem Rechtsschutzbegehren der klagenden Partei zurückbleibt (vgl. , ).
2. Daran fehlt es.
a) Die Klägerin wendet sich mit der Revision ausdrücklich allein dagegen, dass dem beklagten Land in dem angefochtenen Urteil der
Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung zugebilligt wurde. Diese Beschränkung der Revision ist zulässig (vgl. , ).
b) Die Aufnahme des Vorbehalts in den Urteilstenor führt nicht dazu, dass der Klägerin weniger zugesprochen worden ist als beantragt.
Denn der Vorbehalt hatte keine über den Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Beklagten hinausgehende Wirkung. Der Fiskus kann sich stets, also unabhängig davon, ob ein Vorbehalt in das
Urteil aufgenommen wurde, auf die Einrede der beschränkten Erbenhaftung berufen (). Wird er - wie hier - zu einer Zahlung verurteilt, besteht insoweit kein Unterschied zwischen dem
rechtskraftfähigen Inhalt einer Entscheidung mit und ohne Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung. Ob die klagende Partei auch dann nicht formell beschwert ist, wenn die Aufnahme des
Vorbehalts Voraussetzung für die beschränkte Erbenhaftung ist (; so BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 - IX ZR 22/87, ; offengelassen dagegen in , ), bedarf hier keiner Entscheidung. Greift
der Kläger allein den Ausspruch des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung an, ist die Revision mangels Beschwer jedenfalls dann unzulässig, wenn der Vorbehalt nach entbehrlich
war.
c) Die Klägerin ist auch nicht dadurch beschwert, dass das Berufungsgericht die von dem beklagten Land erhobene Einrede nicht
sachlich geprüft und beschieden hat.
aa) Zwar hätten die Voraussetzungen für eine gegenständlich beschränkte Erbenhaftung einschließlich der Frage, inwieweit eine solche
bei Wohngeldforderungen gegen den Fiskuserben überhaupt in Betracht kommt, bereits im vorliegenden Verfahren geklärt werden können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Das Berufungsgericht hat
sich mit der Frage, ob die von dem beklagten Land erhobene Dürftigkeitseinrede nach berechtigt ist, nicht befasst. Hätte es die Frage entscheiden wollen und die Einrede zu Lasten der
Klägerin als begründet angesehen, hätte es den Beklagten zur Zahlung aus dem Nachlass verurteilen müssen (vgl. BayObLG, NJW-RR 2000, 306, 308; MüKoZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 780 Rn.
13; PG/Scheuch, ZPO, 8. Aufl., § 780 Rn. 13; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 780 Rn. 15).
bb) Das Berufungsgericht war zu einer Entscheidung über die Einrede aber nicht verpflichtet. Grundsätzlich steht es im Ermessen des
Prozessgerichts, ob es die Frage des Haftungsumfangs im Erkenntnisverfahren sachlich aufklärt und darüber entscheidet oder ob es sich mit dem Ausspruch des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung
begnügt und die sachliche Klärung insoweit dem besonderen Verfahren gemäß überlässt (vgl. , ; Urteil vom 13. Juli 1989 - , ; Urteil vom 9. März 1983 - , ; BayObLG, NJW-RR 2000,
306, 308; PG/Scheuch, ZPO, 8. Aufl., § 780 Rn. 13; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 780 Rn. 15). Ob das Prozessgericht ausnahmsweise verpflichtet ist, über die Haftungsbeschränkung sachlich
zu entscheiden, wenn der Rechtsstreit insoweit ebenfalls zur Entscheidung reif ist (so Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl., § 780 Rn. 5; Joachim, Die Haftung des Erben für
Nachlassverbindlichkeiten, 3. Aufl., Rn. 629; K. Schmidt, ; wohl auch KG, ), kann hier dahinstehen. Dass die Frage der Dürftigkeit i.S.v. in der Berufungsinstanz bereits zur
Entscheidung reif war, hat die Klägerin nicht dargelegt und ist auch nicht anzunehmen, da das angefochtene Urteil den hierzu gehaltenen Vortrag des beklagten Landes als streitig
darstellt.
d) Schließlich ergibt sich eine Beschwer entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht daraus, dass in den Entscheidungsgründen des
angefochtenen Urteils ausgeführt wird, es handele sich bei den streitgegenständlichen Wohngeldansprüchen um Nachlassverbindlichkeiten und nicht um Nachlasserbenschulden oder
Eigenverbindlichkeiten. Zwar hat die bislang höchstrichterlich nicht geklärte Frage, unter welchen Voraussetzungen nach dem Erbfall fällig werdende oder durch Beschluss der
Wohnungseigentümergemeinschaft begründete Wohngeldschulden (jedenfalls auch) als Eigenverbindlichkeiten des Fiskus als Erben anzusehen sind, wann ihm also das Halten der Wohnung als ein
Handeln bei der Verwaltung des Nachlasses zugerechnet werden kann, grundsätzliche Bedeutung (vgl. für andere Erben als den Fiskus: Senat, Urteil vom 5. Juli 2013 - , ff.). Durch
die Ausführungen des Berufungsgerichts zu dieser Frage könnte die Klägerin aber nur beschwert sein, wenn die Entscheidungsgründe insoweit Bindungswirkung für die sachliche Klärung des
Haftungsumfangs des Beklagten im Verfahren nach den , entfalten würden (vgl. , für den Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung nach ). Dies ist jedoch nicht der
Fall.
aa) Aus kann sich eine solche Bindungswirkung schon deswegen nicht ergeben, weil über die vorbehaltene beschränkte Erbenhaftung
nicht durch das Berufungsgericht, sondern nach den , in einem neuen Rechtsstreit durch das Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu entscheiden wäre.
bb) Die Bindungswirkung folgt auch nicht aus , denn die materielle Rechtskraft des angefochtenen Urteils erfasst nicht die
Ausführungen des Berufungsgerichts zur Einordnung der Wohngeldforderungen als Nachlassverbindlichkeiten. Begnügt sich das Gericht in zulässiger Weise mit dem Ausspruch des Vorbehalts, kommt
es im Erkenntnisverfahren nicht darauf an, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung erfüllt sind (, ). Folglich sind die diesbezüglichen Ausführungen in dem
angefochtenen Urteil nicht tragend. Dass sie von dessen materieller Rechtskraft nicht erfasst werden, folgt hier überdies daraus, dass der Vorbehalt nach entbehrlich war und lediglich
klarstellend ausgesprochen wurde.