Hausgeldansprüche können im Urkundenprozess geltend gemacht
werden
LG Frankfurt am Main, Beschluss
vom 11.12.2019 - 2-13 T 106/19 -
Kurze Inhaltsangabe mit Erläuterung
Im Streit waren Hausgeldansprüche der klagenden Wohnungseigentümer (Kläger). Nachdem dem beklagten Wohnungseigentümer die Klage zugestellt worden war, zahlte er. Die Kläger erklärten die
Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht hatte ihnen die Verfahrenskosten auferlegt mit der Begründung, die Klage sei unzulässig gewesen, da sie im Urkundenverfahren erhoben worden sei. Auf die
Beschwerde wurden die Kosten dem Beklagten auferlegt.
Damit musste sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob die Klage im Urkundenverfahren zulässig erhoben werden konnte. Dabei, so das Landgericht, käme es vorliegend auch nicht
darauf an, dass der Beklagte auf die Klage gar nicht erwidert habe und von daher die Forderung unstreitig gewesen sei, weshalb ein Urkundenbeweis nicht einmal erforderlich gewesen sei.
Einer entsprechenden Bewertung würde § 597 Abs. 2 ZPO entgegenstehen, wonach die nicht durch Urkunden bewiesenen Tatsachen im Falle einer Säumnissituation des Gegners entgegen § 331 Abs. 1 ZPO
nicht als zugestanden gelten würden, sondern die die Echtheit der Urkunden und die Übereinstimmung von Kopien und Originalen.
Entscheidend sei, ob das Protokoll der Eigentümerversammlung, auf der über den Wirtschaftsplan bzw. die Jahresabrechnung abgestimmt würde, auf deren Grundlage dann die Forderung geltend gemacht
würde, die Beschlussfassung beweise und damit also die anspruchsbegründenden Tatsachen iSv. § 592 ZPO bewiesen werden können. Diese in der Literatur unterschiedlich beantwortete Frage wurde vom
Landgericht pro Urkundenverfahren entschieden.
Das Protokoll der Eigentümerversammlung sei lediglich eine Privaturkunde (§ 416 ZPO). Dieser komme nur ein eingeschränkter Beweiswert dahingehend zu, dass die Unterzeichner derselben den Inhalt
für wahrheitsgemäß befinden. Der Urkundenbegriff in § 592 ZPO würde aber keine Unterscheidung zwischen Privaturkunde und öffentlicher Urkunden oder im Übrigen machen; vielmehr entspräche der
verwandte Urkundenbegriff in der Prozessordnung der der §§ 415ff BGB mit der Folge, dass er alle schriftlichen Beweisstücke umfasse. Deshalb müsse die Urkunde das den Anspruch begründende
Rechtsverhältnis selbst verbriefen. Ausreichend sei, dass nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung der geltend gemachte Anspruch durch die Urkunde bewiesen werden könne. Die Urkunde müsse
also positiv nur geeignet sein, das Bestehen des Anspruchs unmittelbar oder mittelbar (z.B. im Rahmen einer Indiztatsache) zu erbringen und dürfe negativ nicht einen unzulässigen Augenschein-,
Zeugen oder Sachverständigenbeweis durch Verschriftlichung ersetzen.
Hier käme dem Protokoll die Indizwirkung zu, dass Beschlüsse gefasst wurden, wie protokolliert. Ein abweichender Geschehensablauf müsse vom Gegner dargelegt und nahgewiesen werden.
Damit besteht eine vereinfachte und schnellere Möglichkeit, Ansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen nicht zahlende Wohnungseigentümer geltend zu machen, die sich entweder aus der
beschlossenen Jahresabrechnung oder dem beschlossenen Wirtschaftsplan ergeben. Zwar sind dem jeweiligen Gegner seine Rechte für das Nachverfahren (auf Antrag bei Anerkenntnis des Anspruchs im
Urkundenverfahren oder bei Klageabweisungsantrag) vorzubehalten, doch kann bereits aus dem Urteil im Urkundenverfahren vollstreckt werden.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf
die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des AG Hanau vom 18.10.2019 abgeändert. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2. Die
Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die
Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Mit der
Klage begehrte die klagende WEG rückständige Zahlungen auf Wirtschaftspläne im Urkundenverfahren. Nach Klagezustellung zahlte der Beklagte, woraufhin der Rechtsstreit für erledigt erklärt wurde.
Das Amtsgericht hat der Klägerin die Verfahrenskosten auferlegt, da die Klage im Urkundenverfahren unstatthaft gewesen sei. Hiergegen richtet die sofortige Beschwerde der Klägerin.
II.
Die
sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 91a Abs. 2, 569 ZPO statthaft und zulässig. Sie hat Erfolg.
In
Folge der übereinstimmenden Erledigungserklärung (§ 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO) war nur noch über die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 a
ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Grundlage der Entscheidung ist lediglich eine summarische Prüfung, bei der das
Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten bedeutsame Rechtsfragen zu entscheiden (vgl. nur BGH NJW-RR 2009, 422).
Bei
Anlegung dieser Maßstäbe entspricht es billigem Ermessen die Verfahrenskosten dem Beklagten aufzuerlegen.
Die
Kammer teilt die Auffassung nicht, dass die Klage im Urkundenverfahren unstatthaft war.
Dies
ergibt sich indes, entgegen der Auffassung der Beschwerde jedoch nicht bereits daraus, dass der Beklagte auf die Klage nicht erwidert hat und daher die Forderung unstreitig gewesen wäre
(§ 138 Abs. 3 ZPO), so dass es eines Urkundenbeweises nicht bedurft hätte (vgl. BGHZ 62, 286, 289), denn in der hier zum Zeitpunkt der
Erledigung vorliegenden Säumnissituation gelten wegen der Sonderregelung des § 597 Abs. 2 ZPO, die nicht durch Urkunden bewiesenen Tatsachen
entgegen § 331 Abs. 1 ZPO nicht als zugestanden (BGH NJW 1974, 1199), sondern nur die Echtheit der Urkunden und die Übereinstimmung einer Abschrift mit
dem Original (BeckOKZPO/Kratz, 34. Ed. 1.9.2019, ZPO § 597 Rn. 10; MüKoZPO/Braun § 597 Rn. 7).
Gleichwohl hätte
die Klage ohne das erledigende Ereignis im Urkundenverfahren Erfolg gehabt. Allerdings wird - worauf das Amtsgericht abgestellt hat - die Auffassung vertreten, Hausgeldansprüche könnten nicht im
Urkundenverfahren geltend gemacht werden, da das Protokoll die Beschlussfassung nicht beweise und damit die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht iSv § 592
ZPO bewiesen werden können (Greiner, Wohnungseigentumsrecht, 4. Aufl., § 9 Rn. 26; ders. ZWE 2015, 149, 154). Demgegenüber wird andererseits das
Urkundenverfahren für zulässig gehalten (Müller in Bärmann/Seuß, 11. Teil Rn .59; Elzer/BeckPFormB, Form. II. J. 1. Anm. 3; Schmid DWW 20017, 324).
Die
Kammer hält die zuletzt genannte Auffassung für richtig. Zutreffend ist, dass dem Protokoll der Eigentümerversammlung als Privaturkunde (§ 416 ZPO) nur ein Beweiswert
dahingehend zukommt, dass die Unterzeichner den Inhalt der Niederschrift für wahrheitsgemäß befinden (BayObLG ZWE 2002, 469). Dies steht allerdings dem Urkundenverfahren nicht entgegen. Denn der
Urkundenbegriff in § 592 entspricht dem der §§ 415 ff., umfasst also alle schriftlichen Beweisstücke (MüKoZPO/Braun § 592 Rn. 16). Demzufolge ist für die Statthaftigkeit des
Urkundenverfahrens nicht erforderlich, dass die Urkunde das den Anspruch begründende Rechtsverhältnis selbst verbrieft; die Urkunde braucht nicht Träger des geltend gemachten Rechtes zu sein.
Ausreichend ist vielmehr, dass der Anspruch durch Urkunden im Sinne des Urkundenbeweises (§§ 415 ff ZPO) nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) bewiesen werden kann. Es genügt daher jede Urkunde, die geeignet ist, dem Gericht gegenüber den Beweis für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs unmittelbar oder
mittelbar (z.B. durch den Beweis von Indiztatsachen) zu erbringen (BGH WM 1983, 22 mwN). Lediglich Urkunden, die einen im Urkundenverfahren unzulässigen Augenschein-,
Zeugen- oder Sachverständigenbeweis durch Verschriftlichung ersetzen, sind unzulässig (BGH NJW 2008, 523).
Demnach
ist das Urkundenverfahren hier statthaft, denn dem Versammlungsprotokoll kommt eine Indizwirkung dafür zu, dass die Beschlüsse wie protokolliert, gefasst worden sind. Nach der Rechtsprechung des
BGH ist insoweit im Grundsatz „von dem protokollierten Wortlaut der Beschlüsse auszugehen“ (BGH NZM 2010, 285). Dies entspricht der Beweiskraft von Privaturkunden, die dahin
geht, dass die Urkunden die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich haben (vgl. nur Zöller/Geimer § 416 Rn. 10 mwN). Demzufolge hat auch das Versammlungsprotokoll die
Vermutung für sich, dass die Niederschrift den Inhalt der Beschlüsse vollständig und richtig wiedergibt (Bärmann/Merle § 24 Rn. 127; Jennißen/Schultzky § 24 Rn. 146; ausf.
Becker ZWE 2016, 2). Dies führt nach den allgemeinen Regeln dazu, dass die Beweislast für einen abweichenden Geschehensablauf, der sich nicht aus der Urkunde ergibt,
demjenigen zukommt, der sich hierauf beruft (BGH NJW 1999, 1702). Dies entspricht auch der Beweislast im gerichtlichen Verfahren auf Protokollberichtigung.
Hinzu
kommt, dass die Gemeinschaft auch die Möglichkeit hat, einen Auszug aus der Beschlusssammlung im Urkundenverfahren vorzulegen. Die Beschlusssammlung, die zumindest teilweise Funktionen des
Grundbuchs hat (vgl. nur Riecke in Riecke/Schmid, § 24 Rn. 94 mwN), soll nach der gesetzgeberischen Intention einem Erwerber, den Wohnungseigentümern oder einem späteren Verwalter in
übersichtlicher Form Kenntnis von der aktuellen Beschlusslage und den damit zusammenhängenden Entscheidungen verschaffen (BT-Drucks. 16/887 S. 33). Auch insoweit kommt den dort enthaltenen
Beschlüssen die Vermutung zu, dass diese so wie in die Sammlung aufgenommen, gefasst worden sind, wobei die besondere Verantwortung des Verwalters hierfür in § 26
Abs. 1 S. 3 WEG ausdrücklich sanktioniert ist.
Damit
kommen dem Protokoll und ggf. dem Auszug aus der Beschlusssammlung eine hinreichende Indizwirkung zu, dass im Regelfall nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 286
ZPO) aus den Urkunden die Überzeugung des Gerichts erbracht werden kann. Dies genügt für die Statthaftigkeit des Urkundenverfahrens (BGH NJW 1985, 2953).
Da die
Klägerin sowohl Protokolle über die Beschlussfassungen der Wirtschaftspläne als auch über die Ermächtigung des Verwalters zur Prozessführung vorgelegt hat, wäre die Klage begründet gewesen, so
dass es billigem Ermessen entspricht, dem Beklagten die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Die
Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 91 ZPO.
Gründe
die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestehen nicht, da in Verfahren nach § 91a ZPO die Rechtsbeschwerde nicht zur Klärung von materiellen Fragen zugelassen
werden darf.