Versicherungsrecht


Leitungswasserschaden: Ansprüche auch bei Weiterentwicklung des Schadens nach Übergang der Versicherung auf einen neuen Eigentümer und nach Kündigung

OLG Hamm, Beschluss vom 20.07.2015 – 20 W 19/15 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Im Mai 2014 zeigte der Kläger der beklagten Versicherung einen Schaden an einem Heizungsrohr an.  Die Beklagte lehnte eine Regulierung mit der Begründung ab, der Schaden sei vor Beginn des Versicherungsverhältnisses eingetreten. Das Landgericht lehnte die vom Kläger begehrte Prozesskostenhilfe ab, da die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben könne. Auf die Beschwerde bewilligte das OLG Hamm die Prozesskostenhilfe.

 

 

Das OLG Hamm führt aus, dass es sich um einen Nässeschaden handelt, der sich durch ständig nachkommendes Wasser vergrößere. Der hier vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall dauere so lange an, wie Wasser bestimmungswidrig aus der Leitung austritt und versicherte Sachen zerstört oder beschädigt. Da dem Versicherungsnehmer nach § 27 Z. 2 VGB nur die Verpflichtung zur Mitteilung von Schäden trifft, die er kennt, gehe der durchschnittliche Versicherungsnehmer von einem durchgängigen Versicherungsschutz aus, die er nach Abschluss der neuen Versicherung entdeckt. Damit ist nicht entscheidend, ob der Schaden bereits vor Versicherungsbeginn entstand, sondern lediglich, ob noch bei Versicherungsbeginn Wasser bestimmungswidrig austrat. 

 

Die Entscheidung erging entgegen der Entscheidung OLG Celle, Urteil vom 10.05.2012 - 8 U 213/11 -.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold vom 07.04.2015 aufgehoben.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für ihre Anträge aus dem Schriftsatz vom 16.12.2014 gewährt. Ihr wird zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte Rechtsanwalt I aus N2 beigeordnet.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Wohngebäudeversicherung wegen eines im Mai 2014 angezeigten Leitungswasserschadens an ihrem Gebäude N-Weg in N2 in Anspruch.

Die Wohngebäudeversicherung bei der Beklagten bestand schon zugunsten der Voreigentümerin, Frau T, bei der Beklagten. Diese veräußerte das Gebäude mit notariellem Kaufvertrag vom 22.07.2010 an die Klägerin, die die Versicherung bei der Beklagten ab dem 21.09.2010 mit der Police … und unter Fortgeltung der VGB 2008 fortsetzte (Bl. 88 ff).

Nach Anzeige eines am 30.06.2012 eingetretenen ersten Leitungswasserschadens kündigte die Beklagte die Versicherung mit Wirkung zum 12.01.2013.

Im Mai 2014 zeigte die Klägerin den streitgegenständlichen zweiten Leitungswasserschaden an einem Heizungsrohr im Badezimmer an. Die Beklagte lehnte die Regulierung mit Schreiben vom 14.05.2014 ab, weil der Schaden vor Beginn des Vertrages eingetreten sei. Die Klägerin ließ darauf zwei Gutachten der Sachverständigen B erstellen, aus denen sich ergibt, dass der zweite Leitungswasserschaden vor mehreren Jahren eingetreten sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gutachten vom 12.08. (Bl. 16 ff) und 02.10.2014 (Bl. 44 ff) verwiesen. Die Beklagte blieb bei ihrer Leistungsablehnung.

Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, der Leitungswasserschaden sei in den Jahren 2007 bis 2008 und damit in der Zeit entstanden, in der die Beklagte als Gebäudeversicherer eintrittspflichtig gewesen sei. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, sie sei gem. § 95 VVG berechtigt, Ansprüche geltend zu machen, die sich aus dem Versicherungsverhältnis der Voreigentümerin ergeben.

Sie hat Prozesskostenhilfe beantragt für die Anträge,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Versicherungsvertrag … für den bei der Beklagten unter der VS-Nr. … geführten Versicherungsfall Deckung zu gewähren;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 597,74 Euro außergerichtliche Mahnkosten zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

das Prozesskostenhilfegesuch zurückzuweisen.

Sie hat nunmehr behauptet, der Schadenfall sei in unversicherter Zeit, nämlich nach Januar 2013 eingetreten.

Das Landgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen, weil die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass der Versicherungsfall in versicherter Zeit eingetreten sei. Versicherungsfall iSd § 3 der VGB sei der Bruch an einer Rohrleitung im Sinne der Erstschädigung. Dass eine solche erste Schädigung erst nach Übernahme der Versicherung durch die Klägerin eingetreten sei, behaupte diese selber nicht. Sie beziehe sich vielmehr auf das Gutachten der Sachverständigen B, wonach der Schaden in den Jahren 2007 bis 2008 eingetreten sei. Zu dieser Zeit sei die Klägerin indes noch nicht Versicherungsnehmerin gewesen, Ansprüche wegen eines in diesem Zeitraum eingetretenen Leitungswasserschaden stünden daher nur der Voreigentümerin zu.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Annahme, die Beklagte sei trotz lückenlosen Deckungsschutzes für das Gebäude im Ergebnis weder ihr noch der Voreigentümerin gegenüber leistungspflichtig, weil sich der genaue Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht feststellen lasse.

Selbst wenn der Versicherungsfall wie von der Sachverständigen B angenommen schon 2007 bis 2008 eingetreten sein sollte, könne die Klägerin gem. § 95 VG die daraus entstehenden Leistungsansprüche geltend machen. Dies ergebe sich auch aus § 3 des notariellen Kaufvertrages und aus dem Rechtsgedanken des § 285 BGB. Jedenfalls hafte die Beklagte gem. §§ 280 BGB, 6 VVG auf Schadensersatz, weil sie die Klägerin bei der Vertragsübernahme nicht auf Deckungslücken für Altfälle hingewiesen habe.

Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für den Antrag,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Versicherungsvertrag … für den bei der Beklagten unter der VS-Nr. … geführten Versicherungsfall Deckung zu gewähren;

hilfsweise,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Versicherungsvertrag … für den bei der Beklagten unter der VS-Nr. … geführten Versicherungsfall Deckung zu gewähren.

Zum Hilfsantrag legt die Klägerin eine Abtretungserklärung der Voreigentümerin vom 22.05.2015 (Bl. 145) vor.

Die Beklagte beantragt,

die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihren Vortrag in erster Instanz und meint, die Klägerin trage zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls widersprüchlich vor und könne jedenfalls nicht beweisen, dass der Versicherungsfall erst nach ihrem Eigentumserwerb eingetreten sei.

II.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur antragsgemäßen Gewährung von Prozesskostenhilfe für die angekündigten Anträge.

1. Die begehrte Prozesskostenhilfe kann der Klägerin nicht mit dem Argument versagt werden, dass sie den Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht hinreichend dargelegt habe. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt gem. § 114 ZPO voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Solche Erfolgsaussichten lassen sich nicht deshalb verneinen, weil der Schadenseintritt nicht hinreichend dargelegt sei.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Gewährung von Versicherungsschutz für den im Mai 2014 angezeigten Leitungswasserschaden an einem Heizungsrohr im Badezimmer, d. h. für die durch das ausgetretene Wasser entstandenen Schäden. Der Anspruch auf Entschädigung für Nässeschäden besteht gem. § 3 Ziffer 3 VGB unter anderem dann, wenn Leitungswasser aus Rohren der Wasserversorgung oder aus Einrichtungen der Warmwasser- oder Dampfheizung ausgetreten ist. Für die streitentscheidende Frage, ob ein solcher Schaden in versicherter Zeit eingetreten ist, findet sich in § 3 Ziffer 3 VGB keine Regelung. Der Zeitpunkt des Schadenseintritts bei Bruchschäden iSd § 3 Ziffer 1 und 2 VGB lässt sich nicht ohne weiteres auf den Nässeschaden nach § 3 Ziffer 3 VGB übertragen. Anders als ein nach § 3 Ziffer 1 und 2 VGB versicherter Rohrbruch stellen sich Nässeschäden iSd § 3 Ziffer 3 VGB schließlich nicht als punktuelle Ereignisse dar, sondern beruhen auf einem Geschehen, welches sich regelmäßig über einen oft längeren Zeitraum erstreckt und zu einem infolge nachlaufenden Wassers sich ständig vergrößernden Schaden führt. Entgegen der vom Landgericht (und etwa OLG Celle, r+s 2012, 493) vertretenen Ansicht lässt sich für den Zeitpunkt des Versicherungsfalls iSd § 3 Ziffer 3 VGB deshalb nicht allein darauf abstellen, wann die erste Rohrundichtigkeit im Sinne einer "Erstschädigung" eingetreten ist. Aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kann das Versicherungsversprechen für Nässeschäden vielmehr auch dahin ausgelegt werden, dass der Versicherungsfall "Nässeschaden" so lange andauert, wie Wasser bestimmungswidrig aus Leitungen austritt und versicherte Sachen zerstört oder beschädigt. Gerade im Fall eines Versicherungswechsels geht der durchschnittliche Versicherungsnehmer schließlich davon aus, dass er lückenlosen Versicherungsschutz für sämtliche Schäden erhält bzw. behält, die er unter Geltung der neuen Versicherung entdeckt. Schließlich treffen ihn die Anzeigepflichten aus § 27 Ziffer 2 VGB nur im Hinblick auf die Schäden, die ihm zur Kenntnis gelangt sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann deshalb annehmen, der neue Versicherer stehe für sämtliche Nässeschäden ein, die der Versicherungsnehmer in versicherter Zeit entdeckt (vgl. dazu Felsch, r+s 2014, 313, 324 f). Bei einem solchen Verständnis des Versicherungsfalls iSd § 3 Ziffer 3 VGB besteht Versicherungsschutz, solange (noch) Wasser aus der defekten Leitung austritt und zu Nässeschäden an versicherten Sachen führt.

Diese Auslegungsmöglichkeit genügt im vorliegenden Fall für die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren, weil das Wasser nach dem erstinstanzlich vorgelegten Gutachten der Sachverständigen B seit 2007/2008 aus dem defekten Heizungsrohr austrat und bis in die Versicherungszeit der Klägerin hinein Schäden verursachte.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass der Nässeschaden erst nach Beendigung des Versicherungsschutzes im Januar 2013 eingetreten sei, nimmt dies der beabsichtigten Klage angesichts des angetretenen Sachverständigenbeweises nicht ihre Erfolgsaussichten.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, inwieweit die Klägerin gem. § 95 VVG oder wegen der nun erklärten Abtretung die für die Voreigentümerin entstandenen Ansprüche geltend machen kann.

2. Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Feststellungsklage scheitern auch nicht daran, dass die Klägerin ihren Schaden nach dem vorgelegten Gutachten auch beziffern und im Wege der Leistungsklage geltend machen könnte. Solange der Versicherungsnehmer das bedingungsgemäße Sachverständigenverfahren verlangen kann, besteht ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Einstandspflicht dem Grunde nach, weil zu erwarten ist, dass mit einem solchen Sachverständigenverfahren ein weiterer Rechtsstreit im Ergebnis vermieden wird (BGH, VersR 1986, 675).

III.

Der Beschwerdewert entspricht dem Gebühreninteresse der Klägerin in erster Instanz. Kosten werden nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.