Unfallversicherung: Fristablauf für Invaliditätsfeststellung
OLG Dresden, Hinweisbeschluss
vom 18.07.2024 - 4 U 266/24 –
Mancher wird froh sein, nach einem Unfall eine private Unfallversicherung zu haben. Doch auch hier sind „Spielregeln“ zu beachten, damit ein versicherungsvertraglicher Anspruch auch erfolgreich
geltend gemacht werden kann, wie ein Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO des OLG Dresden zeigt.
Der Entscheidung lag ein Antrag der versicherten Klägerin bei der beklagten privaten Unfallversicherung auf Feststellung des Invaliditätsgrades aufgrund eines Unfalls vom 24.05.2019 zugrunde. Dem
wurde von der Beklagten wegen Fristversäumung nicht stattgegeben. Die Klage wurde vom LG Leipzig (LG) abgewiesen. Das OLG wies die Klägerin in seinem Beschluss darauf hin, dass es gedenke deren
Berufung durch einstimmigen Beschluss wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Berufung zurückzuweisen.
Das LG habe die Klage zutreffend abgewiesen, da die Frist zur Invaliditätsfeststellung nach Z. 2.1.1.1. AUB 2000, demzufolge die Invalidität binnen 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt
schriftlich festgestellt werden müsse nicht eingehalten worden sei. Die Überlassung eines Krankenhausentlassungsberichts, der keine Angaben zur Invalidität enthalten habe, sei nicht ausreichend
gewesen.
Es handele sich bei der fristgerechten Feststellung um eine Anspruchsvoraussetzung (BGH, Urteil vom 22.05.2019 - IV ZR 73/18 -), welche dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen
Klärung seiner Einstandspflicht diene und selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden führe, wenn dem Versicherten an der Nichteinhaltung der Frist keine Schuld träfe (BGH, Urteil vom 07.03.2007 –
IV ZR 137/06 -). Die Beklagte könne sich auch auf die in ihren Versicherungsbedingungen berufen, da sie den Kläger gem. § 186 VVG auf die vertraglichen Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen
hingewiesen habe. Dort wurde dem Versicherten mitgeteilt, dass ein Anspruch auf Invaliditätsleistung bestünde, wenn innerhalb von einem Jahr nach dem Unfall die Invalidität eingetreten sei und
innerhalb von 15 Monaten von einem Arzt schriftlich festgestellt worden sei (Schreiben vom 27.05.2019), was sogar noch einmal mit Schreiben vom 11.06.2019 wiederholt worden sei mit der
Aufforderung, die Fristen, die bis zum 24.06.2020 laufen würden, zu beachten und bei Nichteinhaltung derselben kein Leistungsanspruch bestünde. Mit einem weiteren Schreiben vom 25.05.2020 wurde
der Kläger noch einmal entsprechend belehrt und diesem ein Formular (Ärztliche Bescheinigung zur Begründung eines Invaliditätsanspruchs) beigefügt, welches von einem Arzt ausgefüllt werden müsse,
und es wurde aufgeführt, welche Unterlagen vorgelegt werden müssten. Das vom Arzt ausgefüllte Formular wurde der Beklagten nach Fristablauf überlassen.
Die Berufung der Beklagten auf den Fristablauf sei auch nicht treuwidrig. Treuwidrig könnte dies dann sein, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der
Rechtsfolgen der Fristversäumung deutlich würde, er aber eine Belehrung gleichwohl unterlasse, wovon auszugehen sei, wenn der Invaliditätsanspruch rechtzeitig geltend machen würde, seine Angaben
bzw. vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahelegen, allerdings die ärztliche Feststellung der Invalidität noch fehlen würde (BGH, Urteil vom 30.11.2005 - IV ZR 154/04
-). Diese Voraussetzungen sah hier das OLG als nicht vorliegend an.
Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, ihr Schreiben vom 03.06.2020 sei nicht beantwortet worden. Darin habe sie der Beklagten einen OP-Termin am 08.06.2020 benannt und angefragt, ob
diese Information ausreichend sei; mangels einer Beantwortung habe sie dann den Krankenhausentlassungsbericht am 09.06.2020 übersandt. Allerdings habe die Beklagte mit dem Schreiben vom
08.06.2020 reagiert und die Klägerin darauf hingewiesen, dass der Invaliditätsanspruch unabhängig vom Behandlungsverlauf und dem Zeitpunkt der Operation geltend zu machen sei und zudem auf die
Erläuterungen in den vorangegangenen Schreiben verwiesen. Damit aber habe die Klägerin nicht davon ausgehen könne, dass die Überlassung des Entlassungsberichts ausreichend sei. Die Beklagte sei
nicht verpflichtet gewesen, noch einmal auf die Notwendigkeit der ärztlichen Feststellung hinzuweisen, nachdem der Entlassungsbericht keine Angaben zu einer Invalidität enthielt.
Festzuhalten bleibt: Im Rahmen der privaten Unfallversicherung sind für die Feststellung von Invalidität und daraus möglichen Leistungen Fristen
vorgegeben und ist eine bestimmte Form (nämlich die schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt) vorgesehen. Zeigt der Versicherungsnehmer der Versicherung einen Unfall an und
belehrt der Versicherer den Versicherungsnehmer gem. § 186 VVG über die Voraussetzungen und einzuhaltenden Fristen für einen möglichen Anspruch, geht ein Fristversäumung zu Lasten des
Versicherungsnehmers. Nur ausnahmsweise kann sich der Versicherungsnehmer auf eine Treuwidrigkeit und Rechtsmissbrauch berufen, wenn dem Versicherer deutlich wird, dass der Versicherungsnehmer
noch Belehrungsbedarf habe, so wenn er Unterlagen einreicht, die zwar auf eine Invalidität deuten, nicht aber die schriftliche Feststellung derselben durch einen Arzt beinhalten; in diesem Fall
muss der Versicherer noch einmal belehren, da ansonsten die Berufung auf den Fristablauf rechtsmissbräuchlich ist. Zu beachten ist auch, dass eine erst nach Fristablauf festgestellte Invalidität
keinen Anspruch gegen den Versicherer rechtfertigt.
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13.08.2024 wird aufgehoben.
4. Es ist beabsichtigt, den Streitwert auf 13.000 Eur festzusetzen.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der
Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Invaliditätsleistungen aus dem Unfallversicherungsvertrag mit der Beklagten zu. Zutreffend hat das
Landgericht angenommen, dass die Klägerin die Frist zur Invaliditätsfeststellung nach Ziffer 2.1.1.1. AUB 2000 versäumt hat. Danach muss die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall
von einem Arzt schriftlich festgestellt werden. Der Unfall ereignete sich am 24.05.2019, und bis zum Ablauf der Frist am 24.08.2020 hat die Klägerin unstreitig keine ärztliche Feststellung der
Invalidität vorgelegt. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichtes im Urteil vom 08.02.2024 wird Bezug genommen.
Bei der fristgerechten ärztlichen Feststellung der Invalidität handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung (vgl. BGH, Urteil vom 22.05.2019 - IV ZR 73/18 - juris; vgl. Senat, Beschluss vom
02.11.2020 - 4 U 1586/20 - juris). Das dient dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn
den Versicherungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft (vgl. BGH, Urteil vom 07.03.2007 - IV ZR 137/06 - juris; vgl. Senat a.a.O.)
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich die Beklagte auf die Frist in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen, denn sie hat auf die vertraglichen Anspruchs- und
Fälligkeitsvoraussetzungen gemäß § 186 VVG hingewiesen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Beklagte die Klägerin in ihren Schreiben vom 27.05.2019 (Anlage K4) klar und
unmissverständlich belehrt. Dort heißt es:
„Ein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn ... und die Invalidität
- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
- innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt worden ist. Versäumen Sie die Frist für die ärztliche Feststellung, besteht kein Anspruch auf
Invaliditätsleistung.“
Im Schreiben vom 11.06.2019 (Anlage K4) heißt es:
„Verbunden damit möchten wir Sie auf wichtige Fristen hinweisen. So muss eine etwaige Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein; vor Ablauf von weiteren 3 Monaten muss
diese ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein.
Bitte beachten Sie unbedingt die genannten Fristen, die bis zum 24.06.2020 laufen; werden sie nicht eingehalten, besteht kein Leistungsanspruch.“
Weiter wurde die Klägerin mit Schreiben vom 25.05.2020 (Anlage K6 und B1) wie folgt belehrt:
Bitte beachten Sie: Ihr Leistungsanspruch mit den ärztlichen Unterlagen muss spätestens bis zum 24.08.2020 bei uns eingegangen sein. Ansonsten erlöschen mögliche Invaliditätsansprüche unabhängig
vom medizinischen Verlauf durch Fristablauf. Eine Fristverlängerung ist aus versicherungsrechtlichen Gründen nicht möglich.
Mit letztgenanntem Schreiben wurde der Klägerin ein Formular (Ärztliche Bescheinigung zur Begründung eines Invaliditätsanspruches) übersandt, das von dem Arzt auszufüllen war. Entgegen der
Auffassung der Klägerin konnte sie diesen und den vorangegangenen Schreiben mit ausreichender Klarheit entnehmen, welche Unterlagen vorgelegt werden mussten. Ihr wurde schließlich ein vom Arzt
auszufüllendes Formular übersandt.
Die Berufung der Beklagten auf den Fristablauf ist auch nicht treuwidrig. Das Berufen des Versicherers auf den Ablauf der Frist zur ärztlichen Feststellung kann sich im Einzelfall als
rechtsmissbräuchlich erweisen. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird, er
aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2005 - IV ZR 154/04 - juris). Davon kann auszugehen sein, wenn der Versicherte Invaliditätsansprüche rechtzeitig
geltend macht, seine Angaben oder die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahe legen, die erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität aber noch fehlt
(vgl. BGH a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Soweit die Klägerin meint, ihre Frage im Schreiben vom 03.06.2020 (Anlage K7) sei nicht beantwortet worden und ihr sei nichts erläutert worden, trifft dies nicht zu. Sie hat der Beklagten
mitgeteilt, dass sie am 08.06.2020 einen OP Termin habe und gefragt, ob diese Information ausreichend sei. Weil die Beklagte nichts erläutert habe, habe sie den Entlassungsbericht vom 09.06.2020
übersandt. Die Beklagte hat jedoch mit Schreiben vom 08.06.2020 (Anlage K8) reagiert und mitgeteilt, dass der mögliche Invaliditätsanspruch unabhängig von Behandlungsverlauf und Zeitpunkt der
Operation zu verfolgen sei. Sie hat ausdrücklich auf ihre Erläuterungen im vorangegangenen Schreiben verwiesen. Unter diesen Umständen konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die
Übersendung des Entlassungsberichtes, der keine Angaben zu einer bestehenden Invalidität enthält, genügt. Die Beklagte war insbesondere nicht verpflichtet, ein weiteres Mal auf die Notwendigkeit
einer ärztlichen Feststellung der Invalidität binnen der Frist hinzuweisen. Den Schreiben der Beklagten sind im Übrigen weder widersprüchliche Begrifflichkeiten noch ein Durcheinander von
Belehrungen zu entnehmen.
Die Klägerin sollte die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen, die zwei Gerichtsgebühren erspart.