Versicherungsrecht


Kaskoversicherung: Kein Erstattungsanspruch bei Schaden infolge Überfahrens einer Fahrbahnschwelle

OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2020 - 7 U 57/20 -

Der Kläger überfuhr mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeug nach seinen Angaben eine Fahrbahnschwelle mit einer unterhalb der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit regulär unterhalb der erlaubten Geschwindigkeit gefahrenen, die er infolge von Schnee und Dunkelheit nicht gesehen habe. Es entstand ein Totalschaden an seinem Fahrzeug. Seine Klage gegen den Kaskoversicherer wurde abgewiesen, da der Schadensfall keinen Versicherungsschutz begründe.

 

Versichert seien durch einen Unfall verursachte Schäden. Dafür sei eine Einwirkung von außen notwendig. Die mechanische Gewalt auf das Fahrzeug dürfe also nicht durch ein Teil des Fahrzeugs selbst verursacht sein. Vorliegend sei von einem Betriebsschaden und damit einem nicht versicherten Schadensfall auszugehen. Er entstünde durch eine normale Abnutzung, durch Material oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder Teilen davon.

 

 

Das Überfahren der Fahrbahnschwelle stelle sich als ein Betriebsschaden dar. Es habe sich ein Risiko ausgewirkt, dem das Fahrzeug üblicherweise im Rahmen seiner vorgesehenen konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt sei. Ein Pkw, wie jener des Klägers sei bei dem gewöhnlichen Fahrbetrieb dem Risiko ausgesetzt, durch das Überfahren von absichtlich angebrachten Fahrbahnerhöhungen in Form von Fahrbahnschwellen einen Schaden zu erleiden. Diese Schäden würden nicht einem plötzlichen Ereignis von außen entspringen. Bei angepasster Geschwindigkeit würde es auch zu keinem Schaden kommen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer würde daher bei einer Schädigung des Fahrzeugs infolge Überfahrens einer Fahrbahnschwelle dies nicht als Unfall, sondern als Betriebsschaden ansehen. 

 

 

 

Tenor

 

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 22.01.2020, Az. 6 O 266/19, wird zurückgewiesen.

 

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ravensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Streitwert des Berufungsverfahrens: 9.110,00 €

 

Gründe

 

I.

 

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Vollkaskoversicherung.

 

Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2015) lauten auszugsweise wie folgt:

 

„A.2.2.2 Welche Ereignisse sind in der Vollkaskoversicherung versichert?

 

Versicherungsschutz besteht bei Beschädigung, Zerstörung, Verlust oder Totalschaden des Fahrzeugs einschließlich seiner mitversicherten Teile durch die nachfolgenden Ereignisse.

...

 

Unfall

 

A.2.2.2.2 Versichert sind Schäden am Fahrzeug durch Unfall. Ein Unfall ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.

 

Keine Unfallschäden sind deshalb insbesondere:

 

– Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einem Bremsvorgang haben, z. B. Schäden an der Bremsanlage oder an den Reifen.

 

– Schäden am Fahrzeug, die ausschließlich aufgrund eines Betriebsvorgangs eintreten, z. B. durch falsches Bedienen, falsches Betanken oder verrutschende Ladung oder durch eine sich während der Fahrt öffnende Motorhaube.

 

– Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einer Materialermüdung, Überbeanspruchung oder Abnutzung haben.

 

– Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug oder Anhänger ohne Einwirkung von außen, z. B. Rangierschäden am Zugfahrzeug durch den Anhänger.

 

– Verwindungsschäden.

 

Vorhersehbare Beschädigungen des Fahrzeugs, die üblicherweise im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs entstehen, gelten nicht als Unfallschaden. Beispiel: Schäden an der Ladeoberfläche eines Lkw durch Beladen durch Kies.“

 

Der Kläger behauptet, er sei mit dem bei der Beklagten versicherten PKW am 06.01.2017 auf einer asphaltierten Straße am Ortsanfang des Ortes G. in Island mit 30 bis 40 km/h bei einer unstreitig zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h über eine quer zur Fahrbahn angelegte Fahrbahnschwelle gefahren. Diese Fahrbahnschwelle sei für den Kläger aufgrund von Schneebedeckung und Dunkelheit nicht erkennbar gewesen.

 

Aufgrund dessen habe der PKW Totalschaden erlitten, ihm stehe aus der Vollkaskoversicherung unter Berücksichtigung des Restwerts des Fahrzeugs und der vertraglich vorgesehenen Selbstbeteiligung ein Betrag in Höhe von 9.110,00 € zu.

 

II.

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, nachdem die Klage ihrerseits vom Landgericht zutreffend mangels Begründetheit abgewiesen wurde. Der gegenständliche Sachverhalt vermag eine Eintrittspflicht der Beklagten aus der Vollkaskoversicherung des Klägers nicht zu begründen.

 

1.

 

Gemäß Ziffer A.2.2.2.2 der „Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2015)“ der Beklagten (nachfolgend AKB) sind Schäden am Fahrzeug durch Unfall versichert. Ein Unfall ist dort definiert als ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Danach gelten insbesondere nicht als Unfallschäden solche aufgrund eines Betriebsvorgangs.

 

a)

 

Die Bestimmungen in Ziffer A.2.2.2.2 AKB sind wirksam und insbesondere nicht intransparent. Der Ausschluss von Betriebsschäden aus dem Versicherungsschutz stellt eine rein erläuternde Einschränkung des Unfallbegriffs dar.

 

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es insofern ankommt, versteht diese Erläuterung dahin, dass Ursachen, die zwar von außen kommen, aber dem normalen Betriebsrisiko zuzuordnen sind, nicht als Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen gelten.

 

Ausweislich der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen mit den Beispielen wird für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass für die Annahme eines „Unfalls“ eine Einwirkung „von außen“ notwendig ist, dass der Gegenstand, von dem die auf das versicherte Fahrzeug wirkende mechanische Gewalt ausgehen muss, nicht Teil des Fahrzeugs selbst sein darf (vgl. Stiefel/Maier/Stadler, 19. Aufl. 2017, AKB 2015, Rn. 320).

 

Durch die beispielhafte, aber nicht abschließende („insbesondere“) Aufzählung in A.2.2.2.2 wird deutlich aufgezeigt, dass das Fehlen der erforderlichen Einwirkung von außen wesentlich für Betriebsschäden und damit für solche, die nicht unter Unfallschäden fallen, sind. Auch aus dem Umstand, dass einige Betriebsschäden ausdrücklich genannt sind (falsches Bedienen, falsches Betanken, verrutschende Ladung, eine sich während der Fahrt öffnende Motorhaube), kann ein verständiger Versicherungsnehmer nicht schließen, dass nur die genannten Ursachen als Betriebsschäden gelten sollen. Das ist bereits durch die einleitende Formulierung „z. B.“ ausgeschlossen. Dem Versicherungsnehmer wird dadurch vielmehr deutlich gemacht, dass es sich bei der Aufzählung um mögliche Varianten von Betriebsschäden handelt, dass dies aber nicht abschließend verstanden werden kann.

 

b)

 

Der Kläger, der als Versicherungsnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Unfalls trägt (OLG Braunschweig, Urteil vom 11.02.2019 – 11 U 74/17, BeckRS 2019, 13569 Rn. 28, beck-online), konnte diesen Nachweis nicht erbringen. Es ist vielmehr von einem Betriebsschaden auszugehen, mithin von einem Schaden, der durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entsteht (vgl. dazu OLG Hamm, Urteil vom 15.11.2013 – I-20 U 83/13, NJW-RR 2014, 812).

 

c)

 

Das Landgericht hat zu Recht in dem vom Kläger behaupteten schadensverursachenden Überfahren einer Fahrbahnschwelle am 06.01.2017 einen Betriebsschaden gesehen; es hat sich ein Risiko ausgewirkt, dem das Fahrzeug des Klägers nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb ausgesetzt war.

 

aa)

 

Ob ein Ereignis, das die wesentlichen Merkmale eines Unfalls aufweist, als Betriebsschaden oder als Unfallschaden anzusehen ist, hängt entscheidend von der konkreten Verwendung des Fahrzeugs ab.

 

Schäden, die durch Ereignisse und Umstände hervorgerufen werden, in denen sich Gefahren verwirklichen, denen das Fahrzeug im Rahmen seiner vorgesehenen konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt ist, die also nur eine Auswirkung des normalen Betriebsrisikos sind, das in Kauf genommen wird, sind Betriebsschäden (BGH, Urteil vom 23.10.1968 – IV ZR 515/68, Rn. 7, juris; BGH, Urteil vom 19.12.2012 – IV ZR 21/11, Rn. 12, juris; Senat, Urteil vom 22.02.2007 – 7 U 163/06, Rn. 23, juris).

 

bb)

 

Schäden aufgrund des Überfahrens einer Fahrbahnschwelle sind solche, die sich typischerweise im gewöhnlichen Fahrbetrieb auswirken. Ein PKW – wie vorliegend das Fahrzeug des Klägers – ist beim gewöhnlichen Fahrbetrieb dem Risiko ausgesetzt, durch das Überfahren von absichtlich angebrachten Fahrbahnerhöhungen in Form von Fahrbahnschwellen einen Schaden zu erleiden.

 

Schäden, die durch das Überfahren der Fahrbahnschwellen entstehen, entspringen keinem plötzlichen Ereignis von außen; dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Fahrbahnschwellen. Bei angepasster Fahrweise erfolgt keine schadensträchtige Einwirkung durch die Schwellen von außen auf das darüberfahrende Fahrzeug. Entsprechend wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Beschädigung eines Fahrzeugs infolge des Überfahrens einer Fahrbahnschwelle nicht als Unfall, sondern lediglich als Betriebsschaden ansehen.

 

cc)

 

Ohne Relevanz ist dabei, ob der Kläger wetter- und tageszeitenbedingt die Fahrbahnschwelle erkennen konnte, da ein etwaiges Verschulden des Fahrzeugführers bei der versicherungsvertraglichen Abgrenzung zwischen versichertem „Unfallschaden“ und nicht versichertem „Betriebsschaden“ nicht zu berücksichtigen ist (so auch OLG Nürnberg, Urteil vom 04.01.2017 – 8 U 934/16, Rn. 4, juris). Dies gilt auch für die Fahrgeschwindigkeit.

 

dd)

 

Anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 19.12.2012 (IV ZR 21/11, juris), dem die AKB 2005 zugrunde lagen. Im dort entschiedenen Fall war nicht ein PKW, sondern der (Wohn-)Anhänger eines Gespanns durch Spurrillen ins Schleudern gekommen, so dass in der Folge am PKW Schäden durch einen Aufprall des Anhängers entstanden. Darin liegt – bezogen auf den PKW – kein Betriebsschaden, sondern ein plötzlich von außen – durch den Anhänger – einwirkendes Ereignis auf den ziehenden PKW. Eine solche Einwirkung, die außerhalb des eigentlichen Betriebsvorgangs des PKW liegt, fehlt hier indes. Die Beschädigung ereignete sich vielmehr im Rahmen des gewöhnlichen Fahrvorgangs des klägerischen Fahrzeugs.

 

2.

 

Da dem Kläger kein Anspruch aus der Vollkaskoversicherung gegenüber der Beklagten gemäß Berufungsantrag Ziff. II. zusteht, kann er auch nicht Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren gemäß Berufungsantrag III. verlangen.

 

III.

 

1.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711,713 ZPO, nachdem die Beschwer des Klägers unterhalb der Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt.

 

2.

 

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.