Gebäudeversicherung: Brandschaden durch Elektroherd und grobe
Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers
OLG Bremen, Urteil vom 12.05.2022
- 3 U 37/21 -
Kurze Inhaltsangabe:
Nach einem Brandschaden machte die Klägerin Leistungen aus ihrer Wohngebäudeversicherung geltend. Zu dem Feuer kam es in der Küche, da die Klägerin kurz vor Verlassen des Hauses versehentlich den
E-Herd nicht ausschaltete, sondern durch Betätigung des Drehknopfs einer anderen Platte diese auf die höchste Stufe stellte. In den Versicherungsbedingungen (§ 19 Ziffer 1 Abs. 3 VGB 2010) war
geregelt, dass bei grob fahrlässigen Herbeiführen des Schadens durch den Versicherungsnehmerin der Versicherer (hier die Beklagte) in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers
entsprechenden Verhältnis diesen kürzen könne.
Die Beklagte regulierte mit 75%. Die Klage der Klägerin, die in erster Instanz erfolgreich war, wurde auf die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Das OLG wies darauf hin, dass die Regelung in § 19 Ziffer 1 Abs. 3 VGB 2010 der Norm des § 81 Abs. 2 VVG entspräche, weshalb die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Versicherungsleistung zu
kürzen. Grobe Fahrlässigkeit setze einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt müsse
in einem ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden sein und dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jeden hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 10.05.2011 - VI ZR 196/10 -).
Wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchte, würde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders
schweren Maße verletzen und objektiv grob fahrlässig handeln. Dies sei hier anzunehmen, da die Klägerin die Herdplatte auf höchste Stufe eingeschaltet habe und für ca. 20 Minuten das Haus
verlassen habe, ohne zu prüfen, ob der Herda auisgeschaltet ist.
Subjektiv sei für eine grobe Fahrlässigkeit ein besonders hohes Maß an Vorwerfbarkeit erforderlich, die auch subjektiv eine unentschuldbare Pflichtwidrigkeit darstelle, bei der das in § 276 Abs.
2 BGB bestimmte Maß erheblich überschritten würde (BGH, Urteil vom 10.05.2011 - VI ZR 196/10 -). Das Berufungsgericht ging davon aus, dass auch subjektiv das Anschalten einer Herdplatte auf
höchster Stufe und Verlassen des Hauses für ca. 20 Minuten eine erhebliche Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt darstelle. Sie hätte sich keinesfalls auf ihre subjektiv geprägte Annahme
verlassen dürfen, den Herd ausgeschaltet zu haben. Offensichtlich habe sie den Drehknopf ohne Sichtkontakt betätigt, da sie ansonsten hätte feststellen müssen, dass sie den falschen Knopf
betätigt. Das Berufungsgericht stellte auf die besondere Gefährlichkeit eines in Betrieb befindlichen E-Herdes ab, weshalb der Klägerin die Pflicht oblegen habe, durch Blickkontakt
sicherzustellen, dass der Herd tatsächlich - wie beabsichtigt - ausgeschaltet war, zumal sie beabsichtigt habe, kurz darauf das Haus zu verlassen. Diese Vergewisserung sie auch einfach, schnell
und unproblematisch möglich (Blick auf Drehknöpfe, bei modernen Geräten auf das Display oder auf den farblichen Zustand der Ceranfelder).
Die Klägerin könne sich auch nicht auf ein Augenblicksversagen berufen. Dieses könne nur vorliegen, wenn der an sich objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auf einer kurzzeitigen bzw.
einmaligen und unbewussten Unaufmerksamkeit beruhen und zusätzliche Umstände hinzutreten würden, die das momentane Versagen in einem milderen Licht erscheinen ließen (BGH, Urteil vom 10.05.2011 -
VI ZR 196/10 -). Vorliegend habe sich die Klägerin vergriffen, da sie die benutzte Herdplatte habe ausschalten wollen, versehentlich aber statt dessen die dahinter liegende Platte auf die
höchste Stufe einschaltete. Besondere Umstände, die dies in einem milderen Licht erscheinen ließen (wie besondere Eile oder Ablenkung durch eine außergewöhnliche (Not-) Situation)
seien nicht ersichtlich.
Ebenso könne sich die Klägerin nicht auf die Rechtsprechung zur sog. Routinehandlung berufen, bei der die Handlung typischerweise unbewusst ausgeübt würde. Voraussetzung dafür sei, dass der
handelnde mit einer bestimmten Tätigkeit, die ständige Konzentration erfordere, dauernd beschäftigt sei, da ein einmaliger Ausrutscher in solchen Fällen jedem und damit auch dem ansonsten
sorgfältigen Versicherungsnehmer unterlaufen könne (BGH, Urteil vom 08.07.1992 - IV ZR 223/91 -). Weder handele es sich vorliegend um eine entsprechende routinemäßige Dauertätigkeit, noch sei
erkennbar, dass die Klägerin abgelenkt gewesen sei.
Damit sei die von der Beklagten vorgenommene Kürzung um 25% angemessen. (Anm.: Das Berufungsgericht hat damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass in einem solchen Fall nur 25% gekürzt werden
könnten, sondern nur bestätigt, dass die konkret vorgenommene Kürzung von 25% - jedenfalls - angemessen ist.)
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 24.11.2021 (6 O 358/21) aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Leistungen aus der Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in ihrem – selbstbewohnten - Wohnhaus.
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung (auch bei Feuer), der die Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) – Grundsicherung Standard zugrunde
liegen. § 19 Ziff.1 Absatz 3 lautet (Bl.9 d.A.):
„Führt der Versicherungsnehmer den Schaden grob fahrlässig herbei, so ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden
Verhältnis zu kürzen.“
Am 1.2.2020 kam es zu einem Brand in der Küche des Wohnhauses der Klägerin. Ursächlich für diesen Brand war, dass die Klägerin – kurz bevor sie das Haus verließ – den Elektroherd nicht
ausschaltete, sondern versehentlich den Drehknopf einer anderen Herdplatte betätigte und diese dadurch auf die höchste Stufe stellte.
Den verursachten Schaden hat die Beklagte zu 75% reguliert. Hinsichtlich der restlichen 8.962,48 € hat sie den Ausgleich im Hinblick auf eine ihrer Ansicht nach vorliegende grobe Fahrlässigkeit
der Klägerin verweigert.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf die angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat der auf den Restbetrag gerichteten Klage stattgegeben und ausgeführt, die Klägerin habe den Brand zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig verursacht. Es sei fahrlässig
gewesen, dass sich die Klägerin nach dem Betätigen des Reglers nicht noch einmal versicherte, den Herd auch tatsächlich ausgeschaltet zu haben. Andererseits liege hier kein „typischer so
genannter Herdplattenfall“ vor, in dem jemand nach Einleitung des Koch- oder Bratvorgangs das Koch- oder Bratgut bewusst oder unbewusst auf dem eingeschalteten Herd zurücklässt. Mit dem
(vermeintlichen) Ausschalten der vorderen Herdplatte sei der – die strengen Sorgfaltsanforderungen auslösende – Kochvorgang für die Klägerin aus ihrer Sicht abgeschlossen gewesen. Unter diesen
Umständen verletze das Verhalten der Klägerin die gebotene Sorgfaltspflicht nicht in ungewöhnlich hohem Maße und schlechthin unentschuldbarer Weise.
Mit der Berufung verweist die Beklagte auf die Bedeutung des Begriffs „grobe Fahrlässigkeit“. Es reiche aus, dass der Versicherungsnehmer ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle und nicht
beachte, was im konkreten Fall jedermann einleuchten müsse. Es werde ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des
Versicherungsfalls und die Vergrößerung des Schadens herbeizuführen. Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber dem versicherten Interesse müsse nicht in dem Verhalten zum Ausdruck
kommen. Sie verweist darauf, dass sie die grobe Fahrlässigkeit nur mit 25% bewertet habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen
Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, beim Ausstellen des Herdes unaufmerksam bzw. unkonzentriert gewesen zu sein und meint, es sei nicht erforderlich gewesen, zu überprüfen, ob der richtige Regler am Herd
ausgeschaltet worden sei.
II.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.
Die Berufung ist auch begründet.
Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag, weil sie den Schaden grob fahrlässig
verursacht hat. Aufgrund der Regelung in § 19 Ziff.1 Absatz 3 der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) – Grundsicherung Standard, die der Vorschrift des § 81
Abs.2 VVG entspricht, war die Beklagte deshalb berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in
ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055
Rn. 10 – beck-online)
Objektiv grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht
beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (st. Rspr. z.B. BGH Urteil vom 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 19 – beck-online).
Angesichts des unstreitigen Geschehens, die Klägerin schaltete eine Herdplatte auf höchster Stufe an und verließ das Haus für ca. 20 Minuten, liegt ein objektiver Sorgfaltsverstoß unzweifelhaft
vor.
Subjektiv ist für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ein besonders hohes Maß an Vorwerfbarkeit erforderlich, es muss sich um eine auch subjektiv unentschuldbare Pflichtwidrigkeit handeln, die
das in § 276 Abs.2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 – beck-online; BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed. 15.2.2022, VVG
§ 81 Rn. 38). Auf die dazu offensichtlich in der Literatur vereinzelt geführte Diskussion, ob nach der Aufgabe des „Alles oder Nichts-Prinzips“ auf die subjektive Vorwerfbarkeit verzichtet
werden sollte bzw. ob die Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit abgesenkt werden sollten (dazu Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 81 Rn. 48, zur Diskussion BeckOK
VVG/Klimke, 14. Ed. 15.2.2022, VVG § 81 Rn. 38.1/2) kommt es nach Ansicht des Senats nicht an, weil der Klägerin auch subjektiv ein besonderes Maß an Pflichtwidrigkeit und damit grobe
Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
Grundsätzlich ist auch subjektiv das Anschalten einer Herdplatte auf höchster Stufe bei gleichzeitigem Verlassen des Hauses für ca. 20 Minuten eine erhebliche Außerachtlassung der erforderlichen
Sorgfalt. Allerdings glaubte die Klägerin subjektiv, sämtliche Herdplatten ausgeschaltet zu haben. Allein auf diesen Eindruck durfte sie sich allerdings nicht verlassen. Offensichtlich hat sie
die Drehknöpfe ohne Sichtkontakt verstellt, denn sonst hätte sie nicht den falschen Schalter betätigt. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit eines in Betrieb befindlichen Elektroherdes oblag
der Klägerin die Pflicht, sich durch einen Blickkontakt zu vergewissern, dass der Herd auch tatsächlich – wie von ihr beabsichtigt – ausgeschaltet war. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sie
beabsichtigte, unmittelbar nach der Betätigung des Herdes das Haus zu verlassen. Eine solche Vergewisserung war auch einfach, schnell und unproblematisch möglich, entweder durch einen Blick auf
die Drehknöpfe (bei modernen Geräten auf das Display) oder auf den farblichen Zustand der Ceranfelder. Hätte die Klägerin eine solche Nachschau vorgenommen, hätte sie sofort festgestellt, dass
ein (weiteres) Kochfeld betätigt worden war.
Auch unter Berücksichtigung der Grundsätze des „Augenblicksversagens“ kann nicht zugunsten der Klägerin von einem geringeren Maß subjektiver Pflichtwidrigkeit ausgegangen werden. Ein solches
liegt vor, wenn ein an sich objektiv besonders schwerwiegender Sorgfaltsverstoß auf einer kurzzeitigen bzw. einmaligen und unbewussten Unaufmerksamkeit beruht und zusätzliche Umstände
hinzukommen, die das momentane Versagen in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 13; BGH, Urteil vom 29. 1. 2003 - IV ZR 173/01
NJW 2003, 1118, 1119; BGH, Urteil vom 8. 7. 1992 - IV ZR 223/91 NJW 1992, 2418 – alle beck-online).
Die Klägerin wollte die benutzte Herdplatte ausschalten und hat dabei versehentlich die dahinter befindliche Platte auf die höchste Stufe angeschaltet, sie hat sich also „vergriffen“. Es sind
jedoch keine besonderen Umstände zu erkennen, die dieses „momentane“ Versagen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Eine besondere Eile oder eine Ablenkung durch eine außergewöhnliche
(Not-)Situation ist nicht erkennbar.
Auch die Rechtsprechung zu sog. (typischerweise unbewusst ausgeübten) Routinehandlungen ist hier nicht anwendbar. Voraussetzung dafür ist, dass der Handelnde mit einer bestimmten Tätigkeit
dauernd beschäftig ist, die ständig Konzentration erfordert, weil ein einmaliger „Ausrutscher“ bei solchen Tätigkeiten jedem und damit auch einem ansonsten sorgfältigen Versicherungsnehmer
unterlaufen kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. 7. 1992 - IV ZR 223/91 NJW 1992, 2418; BGH, Urteil vom 8. 2. 1989 - IVa ZR 57/88 NJW 1989, 1354, 1355 – beck-online). Weder handelt es sich bei der
Bedienung des Herdes um eine routinemäßige Dauertätigkeit, die ständige Konzentration erfordert, noch ist erkennbar, dass die Klägerin durch äußere Umstände abgelenkt war. Im Gegenteil ist das
Abstellen des Herdes unmittelbar vor dem Verlassen des Hauses gerade eine besondere Konstellation und keine Routinehandlung.
Angesichts des Maßes des groben Verschuldens der Klägerin, die den Herd eigentlich ausschalten wollte, sich aber dessen nicht vergewisserte, hält der Senat die von der Beklagten vorgenommene
Kürzung der Versicherungsleistung um 25% für angemessen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs.1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Zif.10 S.1, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung
des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs.2 ZPO).