Handy: Benutzung/halten versus Umlagerung während
Freitelefonierens, § 23 Abs. 1a StVO
OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 18.04.2023 - 1 ORbs Ss 151/23 -
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße in Höhe von € 250,00, und zwar wegen vorschriftswidriger Benutzung eines elektronischen Geräts (Mobiltelefon) als Führer eines
Kraftfahrzeugs. Nach der eigenen „geständigen Einlassung“ des Betroffenen will er ein Mobiltelefon in der linken Hand gehalten haben und über die Freisprechanlage telefoniert haben. Als rechtlich
unerheblich sah das Amtsgericht die weitere Angabe des betroffenen an, er habe das Handy nur für eine Umlagerung in die Hand genommen und den Gesprächspartner aufgefordert, während der Umlagerung
das Gespräch nicht fortzuführen.
Die dagegen vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.
Die entscheidende Fragestellung lautete, ob nach der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO der Tatbestand auch dann erfüllt ist, wenn der Fahrzeugführer während des Betriebs des Fahrzeugs sein
Mobiltelefon aufnimmt, während er es über eine Freisprecheinrichtung nutzt. Oder bedarf es im Zusammenhang mit einer Nutzung einer Bedienfunktion ?
Es sei nicht mit dem Wortlaut von § 23 Abs. 1a StVO vereinbar, einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO anzunehmen, wenn das Gerät nur gehalten würde. Deshalb müsse eine über das Halten
hinausgehende Benutzung des Geräts erfolgen. § 23 Abs. 1a S. 1 Nr. 1 StVO bestimme, dass der Fahrzeugführer ein elektronisches Gerät, welches der Kommunikation, Information oder Organisation
diene oder dazu bestimmt sei, nur benutzen dürfe, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten würde. Das Aufnehmen / Halten des Geräts sei mithin nur im Zusammenhang mit dessen
Bedienung (Nutzung) untersagt. Eine Ortsveränderung des Geräts sei unter Berücksichtigung der Grenzen zulässiger richterlicher Interpretation dem Wortsinn des Begriffs „Benutzen“ nicht zu
entnehmen (Art. 103 Abs. 2 GG; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 - 2 BvR 2559/08 -). Die Begründung des Änderungsentwurfs für den heutigen § 23 Abs. 1a StVO bezieht sich auch darauf, dass statt
dem bisherigen Verbot nunmehr ein Gebot, unter welchen Voraussetzungen eine Gerätenutzung zulässig sei, aufgenommen worden sei (BR-Drs. 556/17 S. 25). Es wäre nicht einsichtig, eine
funktionsneutrale Tätigkeit wie das Umlegen des Gerätes anders zu bewerten als bei sonstigen im Fahrzeug mitgeführten Gegenständen, unabhängig auch davon, ob eine - von der Benutzung
entkoppelte - Verbindung zuvor beendet wurde oder über die Freisprecheinrichtung fortgeführt würde.
Allerdings weist das Oberlandesgericht unter Verweis auf den Beschluss des OLG Stuttgart vom 25.04.2016 4 Ss 212&16 -) auch darauf hin, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung eine
Regelungslücke habe schließen wollen, in denen das Gerät in der Hand gehalten würde, obwohl dies nicht notwendig sei, da das Gespräch über eine Freisprecheinrichtung geführt würde. Daher sei es
ausreichend für die Verwirklichung des § 23 Abs. 1a StVO, wenn Halten und Benutzung tatsächlich zusammenfallen würden, ohne dass das Halten für die Nutzung relevant sei. Allerdings: Es sei nicht
ersichtlich, dass die Absicht bestanden hätte, ein generelles Verbot des Aufnehmens oder Haltens elektronischer Geräte (ohne einen Zusammenhang mit der Bedienfunktion) einzuführen. Wäre es Ziels
Ziel des Verordnungsgebers gewesen, die Hände des Fahrzeugführers vollständig von fahrfremden Tätigkeiten freizuhalten (oder immer neue Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf Schutzbehauptungen
auszuräumen), wäre das spezifische Verbot für elektronische Geräte unverständlich. Die Begründung mache deutlich, dass der Verordnungsgeber gerade in der Kombination von Halten und Bedienen einer
Nutzungsfunktion eine erhöhte Gefährdung der Verkehrssicherheit gesehen hat, im Gegensatz zu andren fahrfremden Tätigkeiten (wie essen).
Das Amtsgericht würde zu klären haben, ob eine Umlegung oder ein Halten im Zusammenhang mit einer Bedienung vorgelegen habe. Abschließend wies das Oberlandesgericht noch darauf hin, dass eine den
Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllende Nutzung auch dann vorläge, wenn die Umlegung (auch) erfolge, um störungsfrei weitertelefonieren zu können.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 21. November 2022 wird zugelassen (Entscheidung des Einzelrichters).
2. Die Sache wird auf den Senat übertragen (Entscheidung des Einzelrichters).
3. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts
Villingen-Schwenningen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorschriftswidriger Benutzung eines elektronischen Gerätes (Mobiltelefon) als Führer eines Kraftfahrzeugs zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt.
Nach den auf der „geständigen Einlassung“ beruhenden Feststellungen führte der Betroffene am 02.05.2022 auf der L 181 in M. einen Personenkraftwagen und hielt während der Fahrt ein Mobiltelefon
in der linken Hand und telefonierte über die Freisprecheinrichtung. Die weitere Einlassung des Betroffenen, er habe das „Handy“ lediglich für eine Umlagerung in die Hand genommen und seinen
Gesprächspartner aufgefordert, das Gespräch über diesen Zeitraum nicht fortzuführen, hat das Amtsgericht im Hinblick auf die bestehende Gesprächsverbindung als rechtlich unerheblich angesehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der auf die Sachrüge gestützten und mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde. Er meint, dass auch weiterhin das Aufnehmen des
Mobiltelefons in Zusammenhang mit der Nutzung einer Bedienfunktion stehen müsse, um den Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO zu erfüllen.
II.
Das Rechtsmittel hat zumindest vorläufig Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die Frage, ob nach der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO der
Tatbestand auch dann erfüllt ist, wenn der Fahrzeugführer sein Mobiltelefon aufnimmt, während er dieses über eine Freisprecheinrichtung nutzt, er mit der Aufnahme aber allein den Zweck verfolgt,
das Gerät etwa zum Schutz vor Beschädigungen im Fahrzeug umzulagern, wurde bislang - soweit ersichtlich - obergerichtlich noch nicht tragend entschieden.
2. Aus den vorgenannten Gründen wurde die Sache gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG vom Einzelrichter auf den Senat übertragen.
3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen.
4. Allein durch das Aufnehmen oder Halten eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, während der Fahrt begeht der
Führer eines Kraftfahrzeuges keinen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO in der Fassung der Dreiundfünfzigsten Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober
2017 (BGBL. I 2017, 3549). Es muss vielmehr auch weiterhin über das bloße Halten hinaus eine Benutzung des elektronischen Geräts hinzukommen (OLG Celle, Beschl. v. 7.2.2019 - 3 Ss (OWi) 8/19; OLG
Brandenburg, Beschl. v. 18.2.2019 - (2 Z) 53 Ss-Owi 50/19; OLG Stuttgart Beschl. v. 3.1.2019 - 2 Rb 24 Ss 1269/18, BeckRS 2019, 1068; so auch König, in Hentschel/König/Dauer, StVO 47. Aufl.
§ 23 Rn. 32; Will, NZV 2019, 331). Der Auffassung, die einen Verstoß bereits dann annimmt, wenn das elektronische Gerät in der Hand gehalten wird (OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.7.2018 - 2 Ss
(OWi) 201/18 -, DAR 2018, 577) folgt der Senat nicht, da sie nicht mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar ist. Das OLG Oldenburg hat im Übrigen diese Auffassung zwischenzeitlich aufgegeben
(Beschl. v. 17.4.2019 – 2 Ss (OWi) 102/19, NStZ-RR 2019,288). Danach darf, wer ein Fahrzeug führt, ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu
dienen bestimmt ist, „nur benutzen, wenn (…) hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird (…)“. Die Vorschrift regelt also, unter welchen Bedingungen die Benutzung eines elektronischen
Geräts während der Fahrt erlaubt ist, und verbietet das Aufnehmen oder Halten des Geräts zu diesem Zweck („hierfür“). Fehlt es hingegen am Element der Benutzung, so unterfällt auch das Aufnehmen
oder Halten nicht dem Verbot. Deshalb kann nicht allein das Aufnehmen oder Halten des Geräts ein Benutzen im Sinne der Vorschrift ausmachen. Hinzukommen muss vielmehr irgendein Zusammenhang des
Aufnehmens oder Haltens mit einer der Bedienfunktionen des Gerätes, also mit seiner Bestimmung zur Kommunikation, Information oder Organisation (so zutr. OLG Celle, aaO).
5. Vom möglichen - die Grenze zulässiger richterlicher Interpretation bildenden (Göhler/Thoma, OWiG 18. Aufl. 2021 § 3 Rn. 6) - Wortsinn des Begriffs „Benutzen“ ist die bloße
Ortsveränderung des elektronischen Geräts nicht mehr gedeckt, weil eine solche Handlung keinen Bezug zur Funktionalität des Geräts aufweist. Auch innerhalb ihres möglichen Wortsinns dürfen mit
Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG einzelne Tatbestandsmerkmale nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen
mitverwirklicht werden (Verschleifung oder Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen; vgl. BVerfG NJW 2010, 3209, Rn. 79). Hierauf würde es aber hinauslaufen, wenn man jegliches Aufnehmen oder Halten
eines elektronischen Geräts mit dessen Benutzung gleichsetzte (OLG Celle, aaO, mwN). Dass dem Tatbestandsmerkmal der „Benutzung“ auch aus Sicht des Verordnungsgebers ein eigener Regelungsgehalt
zukommen sollte, zeigt die Begründung des Änderungsentwurfs. Hiernach enthält der neue Absatz 1a „statt dem bisherigen Verbot nunmehr ein Gebot, unter welchen Voraussetzungen eine
Gerätenutzung zulässig ist“ (BR-Drucks. 556/17, S. 25). Es wäre auch nicht einsichtig, eine funktionsneutrale Tätigkeit wie das Umlagern bei einem elektronischen Gerät anders zu bewerten als
bei sonstigen im Fahrzeug mitgeführten Gegenständen, und zwar unabhängig davon, ob während des - von dessen Benutzung entkoppelten - Umlagerns eines Mobiltelefons eine über das Gerät zuvor
hergestellte Verbindung beendet ist oder über die Freisprecheinrichtung fortgeführt wird.
6. Zwar wollte der Verordnungsgeber mit der Änderung der Vorschrift eine Regelungslücke in Fällen schließen, in denen das Gerät in der Hand gehalten wird, obwohl dies - weil das Gespräch
über die Freisprecheinrichtung geführt wird - nicht erforderlich wäre (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.4.2016 - 4 Ss 212/16, NStZ-RR 2016, 255), weshalb es nunmehr ausreicht, dass Benutzung
und Halten rein tatsächlich zusammentreffen, ohne dass das Halten des Geräts für die Benutzung erforderlich sein muss. Die Absicht, ein generelles Verbot des Aufnehmens oder Haltens
elektronischer Geräte ohne Zusammenhang mit einer der Bedienfunktionen einzuführen, ist der Entwurfsbegründung aber nicht zu entnehmen. Hätte der Verordnungsgeber zum Ziel gehabt, die Hände des
Fahrzeugführers vollständig von fahrfremden Tätigkeiten freizuhalten oder etwaige Beweisschwierigkeiten mit Blick auf die immer wieder neu auftauchenden Schutzbehauptungen Betroffener
auszuräumen, so wäre zudem nicht erklärlich, warum das Verbot auf elektronische Geräte beschränkt worden ist, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen oder zu dienen bestimmt
sind. Aus der Entwurfsbegründung ergibt sich vielmehr, dass der Verordnungsgeber gerade in der Kombination von Halten des elektronischen Geräts und Nutzung einer Bedienfunktion eine erhöhte
Gefährdung der Verkehrssicherheit sieht, die mit Blick auf das Übermaßverbot die Beschränkung - im Gegensatz zu anderen, als sozialadäquat angesehenen fahrfremden Tätigkeiten (z.B. essen) -
rechtfertigt (BR-Drucks. 556/17, S. 25 f.; OLG Celle aaO).
III.
Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind nicht erfüllt. Zwar gilt die Vorlagepflicht auch
im Zulassungsverfahren nach § 80 OWiG (vgl. BGHSt 23, 365, 366). Sie besteht aber nur, wenn die Rechtsauffassung, von der abgewichen werden soll, tragende Grundlage der früheren Entscheidung
des anderen Oberlandesgerichts war (KK/StPO-Hannich 8. Aufl. § 121 GVG Rn. 38 mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall. In der vom Oberlandesgericht Oldenburg entschiedenen Sache hatte das
Amtsgericht nämlich festgestellt, dass der Betroffene während der Fahrt ein Mobiltelefon in der Hand hielt und mehrere Sekunden auf das Display schaute. Damit lag über das bloße Halten hinaus ein
Zusammenhang mit einer Bedienfunktion des Mobiltelefons, mithin ein Benutzen vor (so auch OLG Celle, aaO). Auf der (vom OLG Oldenburg im Übrigen aufgegebenen) Ansicht, dass auch das Aufnehmen
oder Halten allein für den Verstoß ausgereicht hätte, beruht diese Entscheidung also nicht.
III. (IV.)
Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats kommt nicht in Betracht. Denn es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung
Feststellungen getroffen werden können, die eine rechtsfehlerfreie Verurteilung des Betroffenen tragen. Das Amtsgericht wird zu prüfen haben, ob das Halten des Mobilfunkgeräts durch den Betroffen
entsprechend seiner Einlassung tatsächlich in keinem Zusammenhang mit dessen Nutzung stand, er es vielmehr nur umlagern wollte. Die Wahrnehmung von Sprechbewegungen ist für den Nachweis eines
Nutzungszusammenhangs nicht zwingend erforderlich. Bereits aus der Art und Weise, wie bzw. mit welcher Hand und wie lange das Mobiltelefon gehalten wurde, können Rückschlüsse auf die
Plausibilität der Behauptung einer bloßen Umlagerung gezogen werden. Der erforderliche Nutzungszusammenhang besteht im Übrigen auch dann, wenn durch das Umlagern (auch) die störungsfreie
Weiterführung des Gesprächs über die Freisprecheinrichtung gewährleistet werden sollte.