Steuerrecht - Abgabenordnung


Haftungsbescheid gegen Geschäftsführer für nach Insolvenzreife anfallende Vergnügungssteuer NRW

OVG Münster, Beschluss vom 15.11.2019 - 14 B 1443/19 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Antragsgegnerin erließ einen Haftungsbescheid gegen den Antragsteller wegen Steuerschulden aus Vergnügungssteuer (betrieb von Gelspielgeräten) der von dem Antragsteller als Geschäftsführer ehedem vertretenen GmbH. Vom Antragsteller wurde Widerspruch eingelegt und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Er machte geltend, er habe bereits einen Großteil der Steuerschulden der Gesellschaft aus privaten Mitteln gezahlt und der Antragsgegnerin sei die wirtschaftliche Situation der GmbH bekannt gewesen. Sein Antrag wurde vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Seine Beschwerde zum OVG hatte keinen Erfolg.

 

Das OVG verweist darauf, dem Antragsteller treffe eine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Erteilung erforderlicher Auskünfte, §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AO. Dieser sei er nicht genügend nachgekommen, wobei er sich nicht darauf berufen könne, die Unterlagen würden sich 8nun) beim Insolvenzverwalter befinden, da er jedenfalls in Grundzügen über fällige Forderungen und  liquide Mittel im Haftungszeitraum informiert sein müsse. Letztlich aber würde der Antragsteller mit seinem Vortrag sogar die Haftung wegen grober Verletzung der ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten nach §§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und d KAG iVm. §§ 69, 34 Abs. 1 AO bekräftigen, da er selbst in einem Schreiben an die Antragsgegnerin in 2018 ausführte, die GmbH sei schon 2013 nicht mehr in der Lage gewesen aus liquiden Mitteln Schulden zu zahlen (wobei er auf eine eigene Forderung der Gesellschaft aus 2012 in Höhe von € 58.000,00 verwies, die bis 2015 auf € 150.000,00 angewachsen sei), weshalb im Hinblick auf die hier streitbefangenen Steuerschulden für den Zeitraum ab April 2014 weiter anfallenden und ab Mai 2014 fälligen und unbeglichenen Steuerschulden  davon auszugehen sei, dass Zahlungsunfähigkeit vorlag. Es sei davon auszugehen, dass eine zur Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO allenfalls durch Gesellschafterdarlehen habe vermieden werden können, wobei spätestens ab Mai 2015 Zahlungsunfähigkeit hinzugekommen sei. Damit sei der Antragsteller weiterhin wirtschaftlich tätig geworden, obwohl für ihn erkennbar gewesen sei, dass er weitere Steuerschulden anhäufen würde.

 

Soweit steuerliche Literatur und die Entscheidung des BFH vom 28.11.2002 – VII R 41/01 – (ergangen zur Umsatzsteuer) eine Haftung nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO unbeschadet gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Regelungen, die eine steuerliche Haftung nicht begründen könnten, wegen des Weiterbetreibens von Geschäften negiert, obwohl diese eine Steuer auslösen könnten, könne dem nach den in Nordrhein-Westfalen entsprechend anwendbaren Haftungsvorschriften der AO für die Geldspielgerätesteuer nicht gelten. Vielmehr sei danach der Vertreter der juristischen Person (Geschäftsführer der GmbH) verpflichtet, Vorsorge für die Zahlung der erkennbar entstehenden Steuerschuld zu treffen. Dies schließe insbesondere die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrages (§§ 15a Abs. S. 1, 18 InsO) ein.

 

 

Im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter des Haftungsanspruchs würden nur die Steuern umfasst, die durch die Pflichtverletzung ausgefallen seien. Diese Pflichtverletzung müsse ursächlich sein. Bei einer Pflichtverletzung in Form der fehlenden Unterlassung weiterer steuerbegründender Geschäfte könne zwar zweifelhaft sein, , ob der Weiterbetrieb der Geschäfte mit den dann anfallenden Steuern wirtschaftlich einen Steuerschaden darstellen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.1994 - II ZR 292/91 -). Gegen den Weiterbetrieb von Geldspielgeräten  würde auch nach Insolvenzreife nichts sprechen, wenn der ein wirtschaftlich sinnvoller Weiterbetrieb erfolge und damit die Masse erhöht würde, wobei, wenn anders die Mittelvorsorgeverpflichtung für diese Steuern nicht gesichert werden könne, dies allerdings unter Insolvenzbedingungen erfolgen müsse, da in diesem Fall die Vergnügungssteuerschulden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1Nr. 1 2. Alt. InsO und nach § 55 InsO und vorab zu  befriedigen wären. Diese Mittelvorsorge sei vom Antragsteller unterlassen worden.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

 

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 13.286,28 Euro festgesetzt.

 

Gründe

 

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antrag,

 

die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 3888/19 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen den Haftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 2.3.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.8.2019 über die vom Verwaltungsgericht angeordnete aufschiebende Wirkung hinaus in voller Höhe anzuordnen,

 

hat auch im Beschwerdeverfahren keinen Erfolg. Dem Antrag ist nicht wegen der im Beschwerdeverfahren dargelegten, vom Senat alleine zu prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) stattzugeben. Sie begründen nämlich keine die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Bescheid aus den dargelegten Gründen rechtswidrig ist.

 

Der Antragsteller verweist darauf, er habe 2013 und 2014 einen Großteil der Steuern der steuerschuldenden GmbH aus privaten Mitteln bestritten, habe also nicht verkannt, dass Vergnügungssteuern zu zahlen gewesen seien. Die wirtschaftliche Situation der GmbH sei der Antragsgegnerin bekannt gewesen, mit der eine mündliche Vereinbarung zu den Barzahlungen durch ihn getroffen worden sei.

 

Mit diesem Vortrag wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe mindestens grob fahrlässig die fälligen Steuern nicht entrichtet, nicht erschüttert. Für die Feststellung, in welchem Umfang der Kläger die hier in Rede stehende Pflichtverletzung in Form der Nichtzahlung fällig gewordener Steuerforderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen hat, kommt es auf die Gesamthöhe der im Haftungszeitraum fälligen oder fällig gewordenen Forderungen und die in diesem Zeitraum getätigten Zahlungen an und darauf, dass liquide Mittel zu weiterer Begleichung der Forderungen nicht vorhanden waren.

 

Vgl. zur Berechnung der Haftungsquote BFH, Urteil vom 14.6.2016 - VII R 20/14 -, juris, Rn. 21 ff.

 

Über die im Haftungszeitraum fälligen oder fällig gewordenen Forderungen und die geleisteten Zahlungen sowie den Bestand an liquiden Mitteln im Haftungszeitraum muss er als Geschäftsführer jedenfalls in den Grundzügen informiert sein, auch wenn sich die Geschäftsunterlagen nun beim Insolvenzverwalter befinden. Dazu hat der Antragsteller nichts Substanzielles vorgetragen, und zwar schon nicht im Verwaltungsverfahren. Mit dem bloßen Verweis auf eine angeblich bekannte wirtschaftlich schwierige Situation der steuerschuldenden GmbH ist es nicht getan. Zu Recht hat daher das Verwaltungsgericht angenommen, der Antragsteller habe nicht ausreichend an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt und die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - KAG - i.V.m. §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO -).

 

Die Haftung des Antragstellers wegen grob fahrlässiger Verletzung der dem gesetzlichen Vertreter der steuerschuldenden GmbH auferlegten Pflichten (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und d KAG i.V.m. §§ 69, 34 Abs. 1 AO) wird im Übrigen durch seine Einlassung im gerichtlichen Verfahren nicht nur nicht überwiegend wahrscheinlich erschüttert, sondern eher bestätigt. Es liegt nahe, dass die GmbH schon 2013 nicht mehr in der Lage war, aus eigenen liquiden Mitteln ihre Schulden zu begleichen, so dass jedenfalls mit den ab April 2014 weiter angefallenen und ab Mai 2014 fälligen und unbeglichen gebliebenen Steuerschulden Zahlungsunfähigkeit vorzuliegen scheint. Dies wird durch das Schreiben des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 3.4.2018 gestützt. Dort führte er aus, er habe schon im Jahre 2012 eine Forderung von etwa 58.000 Euro gegen die Gesellschaft gehabt, die bis 2015 auf etwa 150.000 Euro angewachsen sei. Offensichtlich war eine zur Insolvenzantragspflicht führende Überschuldung der Gesellschaft (§ 15a Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung - InsO -) schon damals - wenn überhaupt - nur durch Gesellschafterdarlehen zu vermeiden (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO). Spätestens ab Mai 2014 kam wohl noch Zahlungsunfähigkeit hinzu. Angesichts dieser Lage spricht alles dafür, dass der Antragsteller die Steuerschuldnerin weiter wirtschaftlich tätig werden ließ und neue Steuerschulden anhäufte, obwohl erkennbar war, dass sie nicht mehr beglichen werden konnten.

 

Allerdings wird in der steuerrechtlichen Literatur zur Haftung nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vertreten, der gesetzliche Vertreter sei unbeschadet gesellschafts- und/oder insolvenzrechtlicher Regelungen, deren Verletzung eine steuerliche Haftung nicht begründen könne, nicht verpflichtet, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese eine Steuer auslösten, die voraussichtlich nicht beglichen werden könne.

 

Vgl. BFH, Urteil vom 28.11.2002 - VII R 41/01 -, juris, Rn. 15; Rüsken in, Klein: AO, 14. Aufl., § 69, Rn. 57 f; Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Loseblattsammlung (Stand: September 2019), § 69 AO, Rn. 14a.

 

Dem kann so pauschal jedenfalls nach den in Nordrhein-Westfalen entsprechend anwendbaren Haftungsvorschriften der Abgabenordnung für die Geldspielgerätesteuer nicht beigepflichtet werden. Den Vertreter einer steuerschuldenden juristischen Person trifft die Pflicht, Vorsorge zu treffen, dass erkennbar entstehende Steuerschulden im Zeitpunkt der Fälligkeit getilgt werden können (Mittelvorsorgepflicht).

 

Zur Mittelvorsorgepflicht vgl. BVerwG, Urteil vom 9.12.1988 - 8 C 13.87 -, juris, Rn. 20 f.; BFH, Urteil vom 20.5.2014 - VII R 12/12 -, juris, Rn. 11 ff.; Urteil vom 28.11.2002 - VII R 41/01 -, juris, Rn. 15 = BFHE 200, 482 (485); OVG NRW, Beschluss vom 21.8.2017 - 14 A 1009/15 -, NRWE, Rn. 20 ff. = juris, Rn. 20 ff; Beschluss vom 27.7.2016 - 14 A1007/16 -, NRWE, Rn. 7 f. = juris, Rn. 6 f.; Beschluss vom 25.11.2015 - 14 A 2279/15 -, NRWE, Rn. 7 f. = juris, Rn. 6 f.; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl., Rn. 92.

 

Das schließt erst recht ein, in dem Zeitpunkt, in dem wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) oder wegen drohender Zahlungsunfähigkeit hätte gestellt werden können (§ 18 InsO), die nötige Mittelvorsorge zu treffen, denn dann drängt sich akut die Frage auf, wie die anfallenden Steuern beglichen werden sollen.

 

Die volle Haftung des gesetzlichen Vertreters für derartige Steuerausfälle auch nach Bundesrecht unter dem Gesichtspunkt der Mittelvorsorgepflicht bejahend Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl., Rn. 89 f.; Urban, Je strafbarer, desto haftungsfreier? Zur steuerlichen Quotenhaftung des GmbH-Geschäftsführers nach §§ 69, 34 AO bei Konkursverschleppung, DStR 1997, 1145 (1148 ff.); Biletzki, Steuerrechtliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers nach Eintritt der Konkursreife, NJW 1997, 1548 f.

 

Allerdings hat der Haftungsanspruch Schadensersatzcharakter und umfasst daher nur die Steuern, die durch die Pflichtverletzung des Haftenden ausgefallen sind. Die Pflichtverletzung muss ursächlich für den eingetretenen Steuerausfall sein.

 

Vgl. Intemann in: Koenig, AO, 3. Aufl., § 69, Rn. 3 und 55.

 

Bestünde die Pflichtverletzung darin, die steuerbegründenden Geschäfte nicht unterlassen zu haben, wären die Steuern bei pflichtgemäßem Handeln gar nicht erst angefallen, so dass zweifelhaft ist, ob der Weiterbetrieb der Geschäfte mit dem Ausfall der dann anfallenden Steuern wirtschaftlich einen Steuerschaden bewirkt.

 

Das unterscheidet die Antragsgegnerin von - im Leistungsaustausch zur Insolvenzschuldnerin stehenden - Vertragsgläubigern, die gar keinen Schaden erlitten hätten, wenn durch den Insolvenzantrag konkursreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr ferngehalten und so Gläubiger nicht mehr durch das Auftreten solcher Gebilde geschädigt oder gefährdet werden, vgl. BGH, Urteil vom 6.6.1994 - II ZR 292/91 -, BGHZ 126, 181 (191, 194).

 

Indes ist gegen den Weiterbetrieb von Geldspielgeräten auch nach Insolvenzreife nichts zu erinnern: Solange - was regelmäßig anzunehmen ist - die Erträge aus dem Weiterbetrieb der Geldspielgeräte (Einspielergebnisse) die durch ihn verursachten Aufwendungen (namentlich die durch den Weiterbetrieb anfallende Vergnügungssteuer) übersteigen, liegt ein so wirtschaftlich sinnvoller Weiterbetrieb sogar im Interesse der Insolvenzschuldner, weil die Masse erhöht wird. Die Mittelvorsorgepflicht für diese Steuern gebietet in einer solchen Situation allerdings, wenn die Steuerzahlung nicht auf andere Weise gesichert wird, den Geschäftsbetrieb nur unter Insolvenzbedingungen aufrecht zu erhalten, also nach Stellung eines Insolvenzantrags. Denn dann sind die anfallenden Vergnügungssteuerschulden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. InsO,

 

vgl. Thole in: Karsten Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 55, Rn. 19,

 

und daher gemäß § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen. Eine Form der Mittelvorsorge hat der Antragsteller augenscheinlich unterlassen, wenn sein Beschwerdevorbringen zutrifft. Allenfalls wird sich die Frage stellen, ob und inwieweit die Antragsgegnerin ein Mitverschulden an der Schadensentstehung trifft, weil sie dem Treiben nicht durch eigenen Insolvenzantrag ein Ende bereitet hat.

 

Für eine für den Antragsteller eintretende unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte in Folge der Vollziehung des Haftungsbescheids trägt der Antragsteller nichts Substantiiertes vor.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.

 

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.