Kurze Inhaltsangabe:
Nachdem ein über ihren anwaltlichen Bevollmächtigten Widerspruch gegen eine Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter ein. Daraufhin erging ein Abhilfebescheid, mit dem der angegriffene Bescheid aufgehoben wurde. Im Abhilfebescheid entschied das Jobcenter, dass der Widerspruchsführerin (und jetzigen Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - BVerfG -) auf Antrag die Kosten des Widerspruchsverfahrens erstattet würden, soweit sie notwendig, nachgewiesen und der Widerspruch erfolgreich gewesen wäre. Am 05.11.2020 stellte der Bevollmächtigt der Widerspruchsführerin Antrag auf Kostenfestsetzung. Am 07.05.2021 erhob er wegen Nichtverbescheidung Untätigkeitsklage zum Sozialgericht. Am 18.05.2021 erließ das Jobcenter den Kostenfestsetzungsbescheid, woraufhin die Widerspruchsführerin ihre Untätigkeitsklage in der Hauptsache für erledigt erklärte und beantragte, ihr die notwendigen Kosten ihre außergerichtlichen Kosten (entstanden im Verfahren vor dem Sozialgericht) zu erstatten. Dieser Antrag auf Kostenerstattung wurde vom Sozialgericht abgelehnt mit der Begründung, es sei durch das Gericht nach billigen Ermessen zu entscheiden und der Zuspruch der Kosten würde nicht der Billigkeit entsprechen. Zwar habe das Jobcenter nicht innerhalb der Frist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG über den Antrag entschieden. Anders als das HessLSG im Beschluss vom 15.02.2008 - L 7 B 184/07 AS - sehe es eine Obliegenheit hier der klagenden ehemaligen Widerspruchsführerin, die Beklagtenseite (Jobcenter) vor Schäden zu bewahren (Grundsatz Treu und Glauben aus dem Sozialrechtsverhältnis), weshalb sie sich vor Erhebung der Untätigkeitsklage noch einmal an das Jobcenter hätte wenden müssen und die Entscheidung über die Kostenfestsetzung hätte anmahnen und die Erhebung einer Untätigkeitsklage ankündigen müssen. Dies sei nicht geschehen. Daher erscheine die Untätigkeitsklage mutwillig.
Gegen die (mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht angreifbare) Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin wegen Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) und Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsbeschwerde wurde zur Entscheidung angenommen und ihr wurde stattgegeben.
Es läge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot vor. Dies sei denn zu bejahen, wenn gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür verstoßen würde, was der Fall sei, wenn der Inhalt einer Norm in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewandt würde. Das sei hier bei Anwendung des § 193 SGG durch das Sozialgericht der Fall gewesen.
Richtig sei, dass im vorliegenden Fall der Hauptsacheerledigung das Sozialgericht nach billigen Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze über die Kosten zu entscheiden gehabt habe. Grundlage sei der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung (Rechtsgedanke der § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 154 Abs. 1, 2 und 4 VwGO, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO). Würde die Untätigkeitsklage vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erhoben und erginge der Bescheid noch innerhalb der Frist., würde keine Kostenerstattung erfolgen, da die Klage unzulässig gewesen wäre. Sei aber die Untätigkeitsklage zulässig und begründet käme grundsätzlich eine Kostenerstattung in Betracht, wenn die Behörde nicht innerhalb der gesetzlichen Wartefrist über den Antrag entschieden habe und kein zureichender Grund für die Verspätung vorläge (s. § 88 Abs. 1 S. 1 SGG). Vorliegend war die Wartefrist bei Erhebung der Klage abgelaufen gewesen, der Bescheid erst danach erlassen worden und ein zureichender Grund für die Verzögerung nicht ersichtlich.
Allerdings könne auch bei einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage das Gericht in Ausübung nach dem ihm in § 193 SGG eingeräumten Ermessen eine Kostenerstattung ablehnen. Dieses Ermessen habe aber das Sozialgericht in nicht mehr nachvollziehbarer Weise gehandhabt. Der Gedanke, der Leistungsempfänger habe (jedenfalls bei anwaltlicher Vertretung) vor Erhebung der Untätigkeitsklage die Behörde noch einmal zu mahnen und die Untätigkeitsklage anzudrohen, könne nicht nachvollziehbar aus dem geltenden Recht abgeleitet werden. Ohne Anlass bestünde vor der Erhebung der Untätigkeitsklage keine generelle Notwendigkeit, den Sachstand zu erfragen; diese Pflicht könne nur unter besonderen Umständen des Einzelfalls bestehen. Solche besonderen Umstände seien vom Sozialgericht nicht benannt worden, die eine Mutwilligkeit der Klageerhebung begründen könnten.
Weder aus dem Wortlaut des § 88 SGG noch aus dem Wortlaut des § 193 SGG ergäbe sich eine generelle Pflicht zu Sachstandsanfrage vor Erhebung der Untätigkeitsklage oder eine Pflicht, eine solche anzukündigen. Es seien auch keine systematischen oder entstehungsgeschichtlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Die Ausnutzung einer nach Ablauf der Wartefrist gegebenen formalen Rechtsposition verstoße grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Gesetzgeber habe durch die Wartefrist von drei bzw. sechs Monaten selbst geregelt, wie lange der betroffene zuwarten müsse. So wie sich die Bürger/innen die Versäumung einer Frist selbst strikt entgegen halten müssen, dürfe auch der Staat grundsätzlich nicht darauf vertrauen, auf den Ablauf einer gesetzlichen Frist erneut hingewiesen zu werden. Zudem könnten Bürger/innen dem Staat keine Fristen setzen, die das Gesetz nicht vorsehe. Sie könnten auch nicht über Rechtsfolgen disponieren; diese ergäben sich aus dem Gesetz. Die Kostenpflicht einer Untätigkeitsklage nach Ablauf der Wartefrist sei eine prozessrechtlich vorgesehene Konsequenz und die Herbeiführung derselben grundsätzlich nicht treuwidrig.
Aus einem Gebot der Rücksichtnahme könne sich zwar unter besonderen Umständen die Pflicht zur Erinnerung der Behörde an den Fristablauf ergeben, doch ergäbe sich daraus keine allgemeine Nachfragepflicht. Es läge auch fern davon auszugehen (wie es das Sozialgericht tat), bei einem regelmäßigen Vorliegen der formalen Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage und bei Berücksichtigung deren Erfolgsaussichten mit der Folge der regelmäßigen Kostenhaft der Beklagten in der Erhebung der Klage (ohne Nachfrage oder Hinweis) einen evidenten Widerspruch zum Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG zu sehen. Den Bürger/n/innen dürfe die Kostenerstattung nicht mit der Begründung verweigert werden, dass ihre Klage gegen ein rechtswidriges Verhalten des Staates offensichtlich zulässig und begründet sei.
Das Sozialgericht habe auch keine besonderen Umstände aufgezeigt, die hier im Einzelfall die Erhebung er Klage als missbräuchlich erscheinen ließen, indem nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGB ohne Nachfrage oder Nachfristsetzung Untätigkeitsklage erhoben worden sei. Es habe angemerkt, das Verhaltend er Beschwerdeführerin sei „nichts anderes als die Ausnutzung einer formal bestehenden Rechtsposition“ zur „Erzielung eines anders nicht erreichbaren Gebührenvorteils“. Zwar könne es Konstellationen geben, bei den eine Fristsäumnis der Behörde treuwidrig zur Erhebung einer Untätigkeitsklage ausgenutzt würde, auch um Kostenvorteile zu erlangen. Das könne sich aus dem konkreten Geschehen vor Klageerhebung ergeben. Aus der (hier vorliegenden) anwaltlichen Vertretung alleine könne eine derartige Mutwilligkeit aber nicht gefolgert werde.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. Dezember 2021 - S 16 AS 333/21 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz.
2. Der Beschluss wird aufgehoben und an das Sozialgericht zurückverwiesen.
3. Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts Darmstadt.
I.
1. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2020 wurden der Beschwerdeführerin und ihren beiden minderjährigen Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 1. November 2020 bis 30. April 2021 bewilligt. Dabei wurde auch ein Einkommen der Beschwerdeführerin aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.400,00 Euro (brutto) berücksichtigt. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein, da ihr Einkommen damals lediglich 907,20 Euro (brutto) betrug. Daraufhin erging am 29. Oktober 2020 ein Abhilfebescheid mit dem der Ausgangsbescheid aufgehoben wurde. Das Jobcenter traf hierin zudem eine Kostenentscheidung dahingehend, dass der Beschwerdeführerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf Antrag erstattet würden, soweit sie notwendig gewesen, nachgewiesen und der Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Am 5. November 2020 stellte der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin bei dem Jobcenter einen Antrag auf Kostenfestsetzung.
2. a) Die Beschwerdeführerin erhob am 7. Mai 2021 durch ihren Bevollmächtigten Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht Darmstadt mit dem Antrag, das beklagte Jobcenter zu verurteilen, über den am 5. November 2020 gestellten Antrag auf Kostenfestsetzung zu entscheiden.
b) Am 18. Mai 2021 erließ das Jobcenter einen Kostenfestsetzungsbescheid über die Erstattung der notwendigen Auslagen für das Widerspruchsverfahren. Daraufhin erklärten die Beschwerdeführerin und das beklagte Jobcenter den Rechtsstreit für erledigt und die Beschwerdeführerin beantragte, ihr die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
c) Mit dem in der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 29. Dezember 2021, der Beschwerdeführerin zugestellt am 5. Januar 2022, lehnte das Sozialgericht den Antrag ab. Das Gericht habe nach billigem Ermessen durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Da hierbei alle Umstände des Einzelfalls in die Entscheidungsfindung einbezogen werden könnten, sei nicht vornehmlich auf den Erfolg der Klage abzustellen.
Eine Kostenerstattung entspreche hiernach nicht der Billigkeit. Weil die formalen Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit der Untätigkeitsklage bei deren Erhebung regelmäßig vorlägen, führe eine Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Regel zu einer nicht ohne Weiteres hinzunehmenden Benachteiligung der Beklagtenseite, was dem Grundsatz des fairen Verfahrens evident widerspreche. Deshalb sei es von überwiegender Bedeutung, ob die Beklagtenseite durch ihr Verhalten unter Beachtung der die Klägerseite treffenden Schadensminderungsobliegenheit sowie einer eventuellen Mutwilligkeit, Veranlassung zur Klage gegeben habe.
Vorliegend habe das Jobcenter zwar nicht innerhalb der Frist des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG über den Antrag entschieden. Dies sei aber nicht allein ausschlaggebend. Der "insoweit ergangenen Rechtsprechung des früheren 7. Senats des Hessischen Landessozialgerichts" (Verweis auf Beschluss vom 15. Februar 2008 - L 7 B 184/07 AS -, Rn. 21), welche "gleichsam einen Freibrief zu Erhebung der Untätigkeitsklage" postuliere, schließe sich die erkennende Kammer ausdrücklich nicht an. Die Klägerseite treffe eine Obliegenheit, die Beklagtenseite vor vermeidbaren Schäden zu bewahren. Es bestünden aufgrund des auf gewisse Dauer angelegten Sozialrechtsverhältnisses gegenseitige Pflichten der Rücksichtnahme und Schadensvermeidung, die auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückgingen. Auch wenn die diesbezügliche Rechtsprechung zum Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ergangen sei, könne für das hiesige Verhältnis von Kläger- und Beklagtenseite nichts anderes gelten, da auch dieses auf eine gewisse Dauer und gedeihliches Zusammenwirken ausgerichtet sei. Dies gelte auch für die Frage der Kostenfestsetzung. Ein Leistungsempfänger sei daher bei Untätigkeit eines Leistungsträgers grundsätzlich verpflichtet, sich vor Erhebung einer Untätigkeitsklage nochmals an diesen zu wenden und deutlich zu machen, dass eine Entscheidung über einen Antrag oder Rechtsbehelf noch ausstehe und bei weiterem Ausbleiben einer Entscheidung mit einer Untätigkeitsklage zu rechnen sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn im Fall anwaltlicher Vertretung in nicht unerheblichem Umfang Kosten entstünden. Dabei verkenne die Kammer nicht, dass § 88 SGG dies nicht verlange. Die hier zu treffende Entscheidung beruhe jedoch nicht auf § 88 SGG, sondern auf § 193 SGG und sei das Ergebnis einer Ermessensentscheidung des Gerichts. Die Entscheidung nach § 193 SGG könne für den Kläger nicht allein deshalb positiv ausfallen, weil ihm aus § 88 SGG eine formale Rechtsposition zustehe. Deren Ausnutzung könne gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen.
Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin sei ihrer Obliegenheit zur Schadensminderung nicht nachgekommen. Sie habe sich vor Erhebung der Untätigkeitsklage nicht mehr an die Beklagte gewandt. Wie schon die Widerspruchserhebung sei auch dies durch ein einfaches Anwaltsschreiben unter Setzung einer angemessenen Frist und Hinweis auf die dann ins Auge gefasste Rechtsfolge problemlos möglich gewesen. Die Außerachtlassung eines kostengünstigeren, ebenso erfolgversprechenden Weges stelle einen eklatanten Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar. Dies lasse die fehlende Einhaltung der Frist des § 88 SGG durch die Beklagte deutlich in den Hintergrund treten. Aus denselben Gründen erscheine die Untätigkeitsklage mutwillig, was eine Veranlassung durch die Beklagte ausschließe. Mutwillig handele derjenige, der von vornherein den kostspieligeren Weg wähle und sich nicht so verhalte, wie dies eine bemittelte Partei getan hätte. Weil mit der Untätigkeitsklage allein die Bescheidung des Antrags oder Rechtsbehelfs erreicht werden könne, erhebe ein verständiger Beteiligter eine Anwaltskosten auslösende Untätigkeitsklage nur aus besonderen Gründen. Ein verständiger Beteiligter wähle zudem den kostengünstigeren und im Regelfall schnelleren Weg der Nachfrage bei der Beklagten. Auch stehe das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) und ihres Anspruches auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
4. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Die Hessische Staatskanzlei hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits geklärt (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ein Richterspruch verstößt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn der Inhalt einer Norm in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2021 - 1 BvR 1029/20 -, Rn. 22; stRspr). Danach verstößt der angegriffene Beschluss gegen das Willkürverbot, weil das Sozialgericht § 193 SGG in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet hat.
1. Die im Ausgangsverfahren in Streit stehende Frage, wer die Kosten einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage trägt, die sich nach Klageerhebung erledigt hat, richtet sich nach § 193 SGG. Handelt die Behörde nach Erhebung der Untätigkeitsklage, ist das Verfahren für erledigt zu erklären (§ 88 Abs. 1 Satz 3 SGG; vgl. dazu Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 88 Rn. 11). Das Gericht entscheidet dann auf Antrag nach § 193 SGG über die Kosten. § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG enthält keine Vorgaben für den Inhalt der Kostenentscheidung. Das Sozialgericht entscheidet daher nach billigem Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze. Bei der Entscheidung über die Kosten nach Erledigung der Hauptsache ist grundsätzlich der Ausgang des Verfahrens auf Grundlage des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Erledigung maßgeblich (vgl. BSG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 - B 4 AS 14/15 R -, juris, Rn. 7; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 12). Dies beruht auf einer Anwendung der Rechtsgedanken der § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 154 Abs. 1, 2 und 4 VwGO, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO. Wird die Klage vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erhoben und erlässt die Behörde den begehrten Bescheid noch innerhalb der Frist, erfolgt keine Kostenerstattung, weil die Klage unzulässig ist. Dagegen ist die Untätigkeitsklage zulässig und begründet und kommt also eine Kostenerstattung grundsätzlich in Betracht, wenn die Behörde nicht innerhalb der gesetzlichen Sperr- beziehungsweise Wartefrist über den Antrag entscheidet und kein zureichender Grund für die Verspätung vorlag (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG). Im hier zu entscheidenden Fall war die gesetzliche Sperr- beziehungsweise Wartefrist bei Erhebung der Untätigkeitsklage abgelaufen, das beklagte Jobcenter hat den beantragten Verwaltungsakt erst nach Ablauf der Frist erlassen und ein zureichender Grund für die Verspätung ist nicht ersichtlich. Auch das Sozialgericht geht offenbar davon aus, dass kein zureichender Grund für die Verspätung bestand.
Ist die Untätigkeitsklage zulässig und begründet, ist zwar nicht ausgeschlossen, dass das Gericht in pflichtgemäßer Ausübung seines Ermessens aus Gründen der Billigkeit nach § 193 SGG gleichwohl eine Kostenerstattung ablehnt. Hier hat das Sozialgericht das ihm durch § 193 SGG eingeräumte Ermessen mit der Ablehnung der Kostenerstattung jedoch in nicht mehr nachvollziehbarer Weise gehandhabt. Es hat den seine Ermessensausübung leitenden Grundsatz, ein Leistungsempfänger sei - jedenfalls im Fall anwaltlicher Vertretung - bei Untätigkeit eines Leistungsträgers grundsätzlich verpflichtet, sich vor Erhebung einer Untätigkeitsklage nochmals an diesen zu wenden und deutlich zu machen, dass eine Entscheidung über einen Antrag oder Rechtsbehelf noch ausstehe und die Behörde bei weiterem Ausbleiben einer Entscheidung mit einer Untätigkeitsklage rechnen müsse, nicht nachvollziehbar aus dem geltenden Recht abgeleitet. Eine Notwendigkeit, ohne Anlass vor Erhebung jeder Untätigkeitsklage den Sachstand zu erfragen, ist nicht als generelle Pflicht ersichtlich, sondern kann nur unter besonderen Umständen des Einzelfalls bestehen (2). Das Sozialgericht hat aber nicht zu erkennen gegeben, dass hier die Umstände des Einzelfalls die Mutwilligkeit der Klageerhebung begründen könnten (3).
2. Eine allgemeine Pflicht, die Behörde nach Ablauf der Wartefrist auch ohne Anlass vor Erhebung einer Untätigkeitsklage zunächst auf die ausstehende Entscheidung über den Antrag oder Widerspruch aufmerksam zu machen, die Klageerhebung anzukündigen und nachzufragen, ob sie bald entscheide, findet keine Stütze im Gesetz und kann im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung auch auf keinen der Begründungsansätze des Sozialgerichts gestützt werden. Eine Pflicht, vor der Erhebung einer Untätigkeitsklage den Sachstand zu erfragen, besteht nicht generell, sondern nur unter besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 15. Februar 2008 - L 7 B 184/07 AS -, juris, Rn. 21; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. September 2005 - L 10 LW 4563/04 AK-B -, juris, Rn. 28 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. März 2012 - L 19 AS 265/12 B -, juris, Rn. 18; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. April 1998 - L 3 Sb 84/97 -, juris, Rn. 29; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. August 2011 - L 8 B 296/09 -, juris, Rn. 13;SG Reutlingen, Beschluss vom 9. Februar 2018 - S 4 AS 2528/17 -, juris, Rn. 21 ff.).
a) Weder dem Wortlaut des § 88 SGG noch dem des § 193 SGG ist eine generelle Pflicht zur Sachstandsanfrage vor Erhebung der Untätigkeitsklage oder die Pflicht zur Ankündigung einer solchen Klage zu entnehmen. Es sind auch keine systematischen oder entstehungsgeschichtlichen Anhaltspunkte für eine solche Auslegung ersichtlich.
b) Indem Bürgerinnen und Bürger nach Ablauf der Wartefrist mit der Erhebung einer zulässigen Untätigkeitsklage eine formale Rechtsposition ausnutzen, verstoßen sie grundsätzlich nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Untätigkeitsklage kann erst nach Ablauf einer sechs- beziehungsweise dreimonatigen Frist zulässig erhoben werden. Hiermit hat der Gesetzgeber selbst geregelt, wie lange die Betroffenen zuwarten müssen. Wer der Behörde die vom Gesetzgeber exakt geregelte Zeit lässt und erst klagt, wenn diese abgelaufen ist, handelt grundsätzlich nicht treuwidrig. So wie sich Bürgerinnen und Bürger die Versäumung einer Frist regelmäßig strikt entgegenhalten lassen müssen, darf auch der Staat grundsätzlich nicht darauf vertrauen, von Bürgerinnen und Bürgern auf den Ablauf einer gesetzlichen Frist erneut hingewiesen zu werden und eine außergesetzliche Nachfrist zu erhalten. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere die Annahme des Sozialgerichts, es sei der Behörde zunächst durch ein einfaches Anwaltsschreiben eine angemessene Frist mit "Hinweis auf die dann ins Auge gefasste Rechtsfolge" zu setzen. Bürgerinnen und Bürger können dem Staat hier nicht Fristen setzen, die das Gesetz nicht vorsieht. Sie können auch nicht eigenmächtig über Rechtsfolgen disponieren; auch die Rechtsfolge des Fristablaufs ergibt sich vielmehr aus dem Gesetz. Der Staat muss die gesetzlichen Fristen und etwaige Rechtsfolgen ebenso kennen und beachten wie Bürgerinnen und Bürger. Hat der Ablauf der Wartefrist im Fall der Untätigkeitsklage eine Kostenfolge zu Lasten der beklagten Behörde, ist auch dies eine prozessrechtlich vorgesehene Konsequenz des Fristablaufs und die Herbeiführung dieser Rechtsfolge grundsätzlich nicht treuwidrig.
c) Die Erhebung der Untätigkeitsklage ohne erneute Fristsetzung durch die Bürgerin oder den Bürger ist auch nicht deshalb generell mutwillig, weil eine bemittelte Partei anders gehandelt hätte. Es ist schon nicht nachvollziehbar, inwiefern der von dem Sozialgericht angestellte Vergleich mit einer bemittelten Partei im vorliegenden Verfahren Bedeutung haben könnte, denn es geht hier nicht um Prozesskostenhilfe.
d) Auch aus dem angeführten Gebot der Rücksichtnahme mag sich zwar unter besonderen Umständen eine Pflicht ergeben, die Behörde vor Erhebung einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage an den Fristablauf zu erinnern; hieraus wird jedoch keine generelle Nachfragepflicht abgeleitet (vgl. SG Reutlingen, Beschluss vom 9. Februar 2018 - S 4 AS 2528/17 -, juris, Rn. 19 ff.). Eine solche hat das Sozialgericht nicht nachvollziehbar begründet. Insbesondere liegt die Annahme des Sozialgerichts, der Umstand, dass die formalen Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage bei deren Erhebung regelmäßig vorlägen und dies bei Berücksichtigung der Erfolgsaussichten regelmäßig zu einer Kostentragungspflicht der Beklagten führe, stelle einen "evidenten Widerspruch zum Grundsatz des fairen Verfahrens" aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG dar, fern. Der Rechtsstaat darf Bürgerinnen und Bürgern im Verwaltungsprozess die Kostenerstattung grundsätzlich nicht mit der Begründung verweigern, dass ihre Klage gegen rechtswidriges Verhalten des Staates offensichtlich zulässig und begründet gewesen sei.
e) Die Mutwilligkeit kann auch nicht mit dem Sozialgericht daraus abgeleitet werden, dass mit dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG ein "besseres Mittel" zur Verfügung stehe. Dagegen spricht bereits, dass § 86b Abs. 2 SGG weitergehende Voraussetzungen statuiert. Insbesondere muss Eilbedürftigkeit bestehen. Die Untätigkeitsklage setzt hingegen keine Eilbedürftigkeit voraus, weil Bürgerinnen und Bürger so auch unabhängig von konkreter Eilbedürftigkeit zu ihrem Recht kommen können sollen.
3. Das Sozialgericht hat nicht dargelegt, dass die Beschwerdeführerin hier aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls missbräuchlich gehandelt habe, indem sie nach Ablauf der in § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Frist ohne eine Nachfrage oder Nachfristsetzung Untätigkeitsklage erhoben hat. Das Gericht hat keine Besonderheiten des Falles angeführt, die das Verhalten der Beschwerdeführerin als einen Missbrauch von Rechten oder ein in sonstiger Weise unredliches oder gar sittenwidriges Verhalten erscheinen lassen könnten. Allerdings formuliert das Gericht in einem Nebensatz, das Verhalten der Beschwerdeführerin sei "nichts anderes als die Ausnutzung einer formal bestehenden Rechtsposition" zur "Erzielung eines anders nicht erreichbaren Gebührenvorteils". Es mag Konstellationen geben, in denen eine Fristversäumnis auf Behördenseite treuwidrig zur Erhebung einer erfolgreichen Untätigkeitsklage ausgenutzt wird, vor allem um einen Kostenvorteil zu erlangen. Dies mag sich im Einzelfall aus dem konkreten Geschehen vor Klageerhebung ergeben. Indessen kann nicht von der anwaltlichen Vertretung an sich auf die Mutwilligkeit der Erhebung der Untätigkeitsklage geschlossen werden. Dafür müssten weitere Anhaltspunkte vorliegen.
III.
Der angegriffene Beschluss ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Darmstadt zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.