Kein Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltsgebühren, wenn
bereits Klageauftrag besteht
BGH, Urteil vom 22.06.2021 - VI
ZR 353/20 -
Wer bei Fälligkeit einer Forderung und Verzug (sei es durch Mahnung oder zulässige Frist nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht zahlt, wird häufig vor einer Zahlungsklage des Gläubigers eine
anwaltliche Mahnung erhalten, deren Kosten der Gläubiger ersetzt haben will. Kann er diese aber in jedem Fall begehren ?
Der BGH musste sich mit der Frage der Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltsgebühren befassen. Dem lag der Erwerb eines Diesel-Fahrzeuges durch den Kläger zugrunde, der durch anwaltliches
Schreiben die Beklagte Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zur Erstattung des Kaufpreises aufforderte. Nach fruchtlosen Ablauf der dort gesetzten Frist erhob er Klage, mit der er u.a. die
vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 1.171,67 (in Form eines Freistellungsantrages) geltend machte. Während des Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgab, hat das Berufungsgericht –
unter Zulassung der Revision – die Klage in Bezug auf die Anwaltsgebühren abgewiesen. Die Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.
Der BGH wies darauf hin, dass es sich bei den geltend gemachten Rechtsanwaltskosten um einen Schadensersatzanspruch handele, der in erster Linie Sache des nach § 287 BBGB besonders frei
gestellten Tatrichters sei und von daher nur dahingehend geprüft werden könne, ob dieser Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt habe, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht
gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe.
Ob und inwieweit der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Rechtsanwaltskosten erfasse müsse unter Beachtung des Unterschiedes zwischen dem Innenverhältnisses des
Rechtsanwalts zu seinem Mandanten (Geschädigten) und des Außenverhältnisses zwischen Geschädigten zum Schädiger entschieden werden. Voraussetzung sei stets, dass im Innenverhältnis ein Anspruch
des Rechtsanwalts gegen seinen Mandanten auf Zahlung der Gebühren bestehe und im Außenverhältnis mit Rücksicht auf seine spezielle Situation die konkrete anwaltliche Tätigkeit erforderlich und
zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 403/17 -). Ob eine vorgerichtliche anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts nach Nr. 2300 VV RVG auslöse oder als
lediglich vorbereitende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug und daher mit der prozessualen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten sei, gehöre dem Innenverhältnis an
und sei von Art und Umfang des erteilten Mandats abhängig. Sei der unbedingte Auftrag zur gerichtlichen Geltendmachung erteilt, würden bereits Vorbereitungsmaßnahmen diese Gebühr auslösen, auch
wenn der Rechtsanwalt zunächst nur außergerichtlich tätig würde. In diesem Fall sei kein Raum für die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Nur wen sich der Auftrag an den Rechtsanwalt auf die die
außergerichtliche Tätigkeit beschränke oder der Prozessauftrag nur unter der aufschiebenden Bedingung der erfolglosen außergerichtlichen Tätigkeit beziehe, entstehe die Geschäftsgebühr nach Nr.
2300 VV RVG.
Dies sei vom Landgericht im Rahmen des § 287 ZPO berücksichtigt worden. Es habe ausgeführt, der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, seinen Rechtsanwalt lediglich mit der außergerichtlichen
Vertretung beauftragt zu haben oder einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Grundlage war das vorgelegtes außergerichtliches Schreiben des Rechtsanwalts, in dem er darauf hinwies,
dass für den Fall, dass nicht innerhalb der Frist gezahlt würde oder kein angemessenes Vergleichsangebot erfolge, Klage erhoben würde. Dies sei ein Indiz gegen die Behauptung, es sei nur ein
Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Zwar ließe sich aus der nach außen gerichteten Tätigkeit des Rechtsanwalts und der dort
vorgenommenen Klageandrohung nicht ohne Weiteres darauf schließen, dass er diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits unbedingt erteilten Klageauftrages ausübte oder ihm im Innenverhältnis
tatsächlich zunächst nur eine Vertretungs- und kein (unbedingter) Prozessauftrag erteilt worden sei. Diese Unsicherheit gehe aber zu Lasten des Klägers, der darzulegen und im Bestreitensfall zu
beweisen habe, dass er seinen Anwalt einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung erteilt habe.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 13. März 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Der Kläger erwarb im Juli 2013 einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestatteten Pkw. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 13. November 2018 forderte er die
Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs auf. Nach fruchtlosem Fristablauf erhob er in der Folge Klage, mit der er u.a. die Freistellung von
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € begehrte. Das Landgericht hat der Klage im Hauptanspruch überwiegend stattgegeben und die Beklagte im Übrigen u.a. antragsgemäß zur
Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil zum Hauptanspruch im Wesentlichen
bestätigt, im Freistellungsausspruch jedoch abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Freistellungsanspruch
nunmehr in Höhe von 1.029,35 € weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil unter BeckRS 2020, 24946 veröffentlicht ist, hat der Kläger nicht schlüssig dargetan, seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit
seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Das Aufforderungsschreiben vom 13. November 2018, in dem darauf hingewiesen werde,
dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe, spreche dagegen, dass zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen
Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden sei.
II.
Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Die Bemessung der - hier in Gestalt der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten allein noch in Rede stehenden - Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des
nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche
Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 2019 - VI ZR 403/17, juris 9 mwN).
Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem
Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist
grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der
maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa Senatsurteil vom 22.
Januar 2019 - VI ZR 403/17, juris 11 mwN).
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage des Innenverhältnisses, nämlich der Art und des Umfangs
des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits
Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach
Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der
aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des
vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (vgl. BGH, Urteile vom 15. August 2019 - III ZR 205/17, NJW-RR 2019, 1332 Rn. 43; vom
19. Mai 2020 - KZR 70/17, NZKart 2020, 535 Rn. 44; jeweils mwN; vgl. weiter Hansens, zfs 2019, 703 ff.; Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., § 19 Rn. 14).
2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht in nicht zu beanstandender freier tatrichterlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalles beachtet, § 287 ZPO. Es hat ausgeführt, dass der
Kläger nicht schlüssig dargetan habe, seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu
haben. Dass das Berufungsgericht entsprechenden Instanzvortrag des Klägers übergangen hätte, macht die Revision nicht geltend. Das von dem Kläger vorgelegte außergerichtliche
Aufforderungsschreiben vom 13. November 2018 hat das Berufungsgericht gewürdigt und den darin enthaltenen Hinweis, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder
kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe, als Indiz gegen die Behauptung angesehen, es sei zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag
erteilt worden. Diese Würdigung lässt jedenfalls einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1968 - VI ZR 159/67, NJW 1968, 2334, 2335, juris Rn. 14 zur Indizwirkung einer
Klageandrohung im Rahmen von § 118 BRAGO). Zwar kann aus der nach außen hin erkennbaren Tätigkeit eines Rechtsanwalts, auch wenn sie mit einer Klageandrohung verbunden ist, nicht ohne
Weiteres darauf geschlossen werden, ob der Rechtsanwalt diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits erteilten - zumal unbedingten - Klageauftrags ausgeübt hat oder ob dem Anwalt im maßgeblichen
Innenverhältnis bislang tatsächlich (lediglich) ein Vertretungsauftrag erteilt worden ist. Doch geht die verbleibende Unsicherheit zu Lasten des Klägers, der darzulegen und im Streitfall zu
beweisen hat, dass er seinem Anwalt einen Auftrag zur vorgerichtlichen Vertretung erteilt hat (vgl. Hansens, zfs 2019, 703).