Wiederbeschaffungswert und Umsatzsteuer für Taxi bei
fiktiver Schadensberechnung
LG Saarbrücken, Urteil vom
03.04.2020 - 13 S 6/20 -
Kurze Inhaltsangabe:
Die Parteien stritten (zweitinstanzlich) um die Frage der Berechnung des Wiederbeschaffungswertes im Hinblick auf die umsatzsteuerrechtliche Problematik im Zusammenhang mit einem Taxi des
Klägers.
Wiederbeschaffungswert, so das Landgericht (LG) sei der nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnde Nettopreis eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, den der Geschädigte
aufwenden müsse, um von einem seriösen Händler einen dem Unfallfahrzeug entsprechenden Ersatzwagen zu erwerben (BGH, Urteil vom 23.05.2017 - VI ZR 9/17 -). Dabei sei weiter zu ermitteln, ob diese
Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt regelbesteuert nach § 10 UStG, differenzbesteuert nach § 25a UStG oder privat und damit umsatzsteuerfrei angeboten würden. Entscheidend sei die
überwiegende Wahrscheinlichkeit, § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 13.09.2016 - VI ZR 654/15 -).
Es käme nicht darauf an, ob der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt sei oder nicht und ob das Fahrzeug zu seinem Betriebsvermögen gehöre, §§ 15, 15a UStG. Entscheidende Bezugsgröße sei stets
der Nettowiederbeschaffungswert. Inwieweit bei einem fiktiven Ersatzkauf (wie hier) Umsatzsteuer anfalle, sei unabhängig davon zu ermitteln.
Erstinstanzlich habe ein Zeuge im Hinblick auf Internetrecherchen bzw. Angaben in der Schwacke-Liste ausgeführt, dass es bei 63% der Fahrzeuge zu einer Regelbesteuerung käme, allerdings
eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nur bei 2/3 bzw. 67% annehmen sei. Diesem erstinstanzlichen Ansatz würde die Kammer nicht folgen. Entscheidend sei, dass jedenfalls deutlich mehr als 50% der
gefundenen Fahrzeuge regelbesteuert angeboten würden. Zwar gelte für die Lieferung bewegliche Gegenstände nach § 25a Abs. 1 UStG die Differenzbesteuerung, wenn der liefernde Unternehmer ein
Wiederverkäufer sei (§ 25a Abs. 1 Nr. 1 UStG), die Gegenstrände an ihn ihm Gemeinschaftsgebiet (EU) geliefert worden seien (§ 25a Abs. 1 Nr.2. S. 1 UStG), für die Lieferung an ihn keine
Umsatzsteuer geschuldet würde oder beim Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben würde (§ 25a Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a UStG) oder ein Erwerb von einem anderen Wiederverkäufer
vorläge (§ 25a Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG).
Vorliegend seien gewerblich genutzte Fahrzeuge nicht nur von Händlern zu erwerben. Vergleichbare Taxis würden nach der Internetrecherche des Zeugen auch von Privatanbietern oder Händlern ohne
Umsatzsteuer zu verkauft. Das vom LG beauftragte Sachverständigengutachten käme aber zu dem eindeutigen Ergebnis, dass vergleichbare Taxis (hier ein Mercedes Benz E 200 CDI) sowohl außerhalb des
regulären Gebrauchtwagenmarktes für Taxis als auch auf den gängigen Internetplattformen ganz überwiegend regelbesteuert angeboten würden, sowohl von auf Gebraucht-Taxis spezialisierten Händlern
als auch ansonsten. Damit aber sei von einer Regelbesteuerung auszugehen mit der Folge, dass der Kläger hier, da er vorsteuerabzugsberechtigt sei, nur den
Nettofahrzeugschaden geltend machen könne.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 13.12.2019 – 42 C 353/18 (10) abgeändert und die Beklagten werden unter Klageabweisung im Übrigen als
Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 690,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.01.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in
Höhe von 66,30 € zu zahlen und ihn von den Sachverständigenkosten der Ing. Büro ... GmbH in Höhe von 106,39 € gem. der Kostenrechnung vom 09.12.2015, Gutachten Nr.: ..., freizustellen.
2. Die Kosten der ersten Instanz werden zu 83 % vom Kläger und zu 17 % von den Beklagten als Gesamtschuldner getragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 01.12.2015 in Anspruch, bei dem der Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten
Motorrad MZ (amtl. Kennz. ...) die Vorfahrt des von rechts kommenden Zeugen ... missachtete, der das Mercedes Benz E200 CDI-Taxi (amtl. Kennz. ...) des Klägers fuhr. Vorgerichtlich regulierte die
Zweitbeklagte unter Zugrundlegung einer eigenen Mithaftungsquote von 60 % ausgehend von einem Nettowiederbeschaffungswert von 9.243,70 € einen Betrag von 4.268,03 € und erstattete anteilige
Sachverständigenkosten von 514,20 €.
Mit der Klage hat der Kläger ausgehend von einer Alleinhaftung der Beklagten die Zahlung eines Betrages von 4.356,41 € nebst Zinsen, die Freistellung von weiteren Sachverständigenkosten in Höhe
von 372,35 € und, nach Zahlung und übereinstimmender Teilerledigung in Höhe von 413,90 € restliche vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 443,10 € gefordert. Er hat u.a. entsprechend der
Wertermittlung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen die Auffassung vertreten, von dem Brutto-Wiederbeschaffungswert von 11.000 € sei nur eine Differenzbesteuerung von 2% in Abzug zu
bringen (vgl. zur Berechnung im Einzelnen Bl. 4 d.A.).
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben sich u.a. auf den Standpunkt gestellt, dass angesichts eines fehlenden Privatmarktes für gebrauchte Taxifahrzeuge die Regelbesteuerung von
19 % in Abzug zu bringen sei, so dass der Nettowiederbeschaffungswert lediglich in Höhe von 9.243,70 € in die Schadensberechnung einbezogen werden dürfe (zu den Einzelheiten der Abrechnung vgl.
Bl. 38 d.A.).
Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage nach Beweisaufnahme auf der Grundlage einer Haftungsverteilung von 70% zu 30 % zu Lasten der Beklagten –
ausgehend von einem differenzbesteuerten Wiederbeschaffungswert – hinsichtlich einer Zahlung von 1.769,10 € nebst Zinsen, einer Freistellung von Sachverständigenkosten von 106,39 € sowie einer
Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 236,44 € stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, soweit eine Verurteilung zur einer Zahlung über einen Betrag von
690,65 € nebst Zinsen sowie einer Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 66,30 € hinaus erfolgt ist. Die Beklagten rügen u.a. die unterlassene Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Frage der Regelbesteuerung des Wiederbeschaffungswerts. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II.
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht erhoben, sie ist mithin zulässig. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel vollumfänglich Erfolg. Die der Berufung nach § 529
ZPO zugrunde zulegenden Tatsachen rechtfertigen eine abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1. Soweit das Amtsgericht entschieden hat, dass beide Parteien für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2
StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben und die Beklagten im Rahmen der danach gebotenen Haftungsteilung einen Verursachungs- und Verschuldensanteil von 70 % tragen, steht
dies – wie auch der zuerkannte Freistellunganspruch hinsichtlich der Sachverständigenkosten – in der Berufung nicht mehr im Streit.
2. Zur Überprüfung durch die Kammer stellen die Beklagten lediglich noch die Schadenshöhe im Hinblick auf die Berechnung des Nettowiederbeschaffungswertes und die damit zusammenhängende Höhe der
auszugleichenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
a) Als Wiederbeschaffungswert wird grundsätzlich der nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnde Preis eines gebrauchten Kraftfahrzeugs bezeichnet, den der Geschädigte
aufwenden muss, um von einem seriösen Händler einen dem Unfallfahrzeug entsprechenden Ersatzwagen zu erwerben (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 9/17,NJW 2017, 2401). Bei dem im
Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung relevanten Nettowiederbeschaffungswert ist zu ermitteln, ob solche Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UStG regelbesteuert
oder nach § 25a UStG differenzbesteuert oder von Privat und damit umsatzsteuerfrei angeboten werden. Dabei ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn sich der Tatrichter im Rahmen
der Schadensschätzung (§ 287 ZPO) an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit orientiert, mit der das Fahrzeug diesbezüglich auf dem Gebrauchtwagenmarkt gehandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom
13. September 2016 – VI ZR 654/15, NJW 2017, 1310 m.w.N.).
b) Ob der Geschädigte seinerseits vorsteuerabzugsberechtigt ist bzw. sein Fahrzeug zum Betriebsvermögen gehört, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, da die maßgebliche Bezugsgröße, wie
dargelegt, (ohnehin) nur der Nettowiederbeschaffungswert ist. Die Höhe des bei einem fiktiven Ersatzkauf anfallenden Umsatzsteueranteils, auf den hier maßgeblich abzustellen ist (vgl. BGH,
Urteil vom 02. Oktober 2018 – VI ZR 40/18, NJW-RR 2019, 144; BGH, a.a.O., NJW 2017, 1310, jew. m.w.N.), ist daher unabhängig davon zu ermitteln, ob ein Recht zum Vorsteuerabzug i.S.v.
§§ 15, 15 a UStG besteht.
c) Soweit der Zeuge ..., dessen Ausführungen sich die Erstrichterin angeschlossen hat, diesbezüglich aufgrund seiner Internetrecherche auf der Verkaufsplattform mobile.de (Bl. 24 f. d.A.) bzw.
der Angaben in der Schwacke-Liste zu einer Regelbesteuerung von 63 % der angefragten Fahrzeuge gelangt ist, für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit jedoch eine Regelbesteuerungsquote von 2/3
bzw. 67 % für erforderlich gehalten hat, vermag die Kammer diesem Ansatz nicht zu folgen. Zu Recht weist die Berufung insoweit darauf hin, dass jedenfalls deutlich mehr als die Hälfte der seitens
des Zeugen gefundenen Ersatzfahrzeuge regelbesteuert angeboten wurden.
d) Zwar scheidet eine Differenzbesteuerung entgegen der Berufung vorliegend nicht schon per Definition aus. Für die Lieferung beweglicher körperlicher Gegenstände gilt nach § 25a Abs. 1
UStG grundsätzlich die Differenzbesteuerung, wenn der liefernde Unternehmer ein Wiederverkäufer ist (Abs. 1 Nr. 1), die Gegenstände an ihn im Gemeinschaftsgebiet geliefert wurden
(Abs. 1 Nr. 2 Satz 1), für diese Lieferung an ihn keine Umsatzsteuer geschuldet oder beim sog. Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben wurde (§ 25a
Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a UStG) oder die Differenzbesteuerung vorgenommen, d.h. der Gegenstand von einem anderen Wiederverkäufer erworben wurde (§ 25a Abs. 1
Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG) (vgl. Stadie in: Stadie, Umsatzsteuergesetz, § 25a UStG, Rn. 6). Anders als die Berufung meint, sind gewerblich genutzte Fahrzeuge jedoch nicht nur von
Händlern zu erwerben. Vielmehr zeigen die Internetrecherchen des Zeugen ..., dass vergleichbare Taxifahrzeuge auch von Privatanbietern oder von Händlern ohne Mehrwertsteuerausweis verkauft werden
(vgl. z.B. auch BGH, a.a.O., NJW 2017, 1310 „differenzbesteuertes Taxi“).
e) Das seitens der Kammer vor diesem Hintergrund für erforderlich erachtete Sachverständigengutachten kommt allerdings zu dem eindeutigen Ergebnis, dass vergleichbare Taxifahrzeuge sowohl auf
einem außerhalb des regulären Gebrauchtwagenmarktes existierenden Sondermarkt für gebrauchte Taxifahrzeuge als auch in den Inseraten auf den gängigen Internetverkaufsplattformen ganz überwiegend
regelbesteuert angeboten werden. Der Sachverständige ... hat bei seiner mündlichen Gutachtenerläuterung insoweit anschaulich dargelegt, dass dies nicht nur für den Kreis seriöser
Gebrauchtwagenhändler gilt, die sich auf den Verkauf von Taxis spezialisiert haben, sondern auch für die unter dem Konfigurationsmerkmal „Taxi“ im Internet eingestellten sonstigen Angebote.
f) Damit war in die Schadensberechnung des Klägers lediglich ein Nettowiederbeschaffungswert von 9.243,70 € abzüglich eines unstreitigen Restwerts von 2.184,87 € und damit ein
Nettofahrzeugschaden von 7.058,83 € zuzüglich 25 € Unkostenpauschale, insgesamt 7.083,83 €, hiervon 70 % = 4.958,68 € einzustellen, von dem die vorgerichtlich gezahlten 4.268,03 € in
Abzug zu bringen sind. Daher verbleibt, neben dem von der Berufung nicht angegriffenen Freistellunganspruch von den weiteren Sachverständigenkosten i.H. v. 106,39 €, der von der
Berufung zugestandene Zahlungsanspruch in Höhe von 690,65 €.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
3. Darüber hinaus kann der Kläger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten aus dem berechtigten Gesamtanspruch ersetzt verlangen
(vgl. BGH, Urteil vom 20.05.2014 – VI ZR 396/13, VersR 2014, 1100). Ihm steht insoweit gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 RVG VV Anspruch auf Ersatz einer
1,3-Geschäftsgebühr (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 27.05.2014 – VI ZR 279/13, NZV 2014, 507 m.w.N.) aus einem Gegenstandswert von 5.579,27 € (4.958,68 € + 620,59 € SV-Kosten)
in Höhe von 460,20 € + 20 € (Pauschale) = 480,20 €, abzüglich gezahlter 413,90 € in Höhe von 66,30 € zu, was die Berufung auch zugesteht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage
in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den
konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts
(§ 543 Abs. 2 ZPO).