Schadensersatz


Verdienstausfallschaden nach Unfall und unterlassene zumutbare Erwerbstätigkeit des  Geschädigten, § 254 Abs. 2 S. 1 BGB

BGH, Urteil vom 21.09.2021 - VI ZR 91/19 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der bereits vorgeschädigte Kläger (GdB 60%) zog sich bei einem von dem Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung am 08.08.2004 alleine verursachten und verschuldeten Verkehrsunfall Frakturen, Prellungen und Quetschungen zu. Zwischen den Parteien ist die volle Einstandsverpflichtung der Beklagten für die materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfall unstreitig.

 

Nach der unfallbedingten stationären Behandlung war der Kläger über längere Zeit auf einen Rollstuhl und die Hilfe seiner berufstätigen Frau angewiesen. Nach Behauptung des Klägers sei es unfallbedingt  zu Depressionen gekommen und er habe einen Selbstmordversuch gemacht. 2005 habe er seine Tätigkeit bei in der Folgezeit sich entwickelnden psychosomatischen Beschwerden wieder aufgenommen, bis es bedingt durch die Beschwerden zur Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007 gekommen sei. Schließlich bekam er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nach einmaliger Verlängerung zu einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente führte. Mit der Klage machte der Kläger seinen Verdienstausfallschaden geltend.

 

Das Landgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagte wurde das Urteil abgeändert und die Klage teilwiese abgewiesen. Das Oberlandesgericht stellte darauf ab, dass eine Anspruchskürzung wegen fehlender ärztlicher Behandlung der Depression zu erfolgen habe (zunächst um 50%, später mit 75%). Der Kläger verfolgte mit der zugelassenen Revision sein ursprüngliches Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.

 

Der BGH bestätigte, dass ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB  führe zu einer Anspruchskürzung führe. Danach müsse es der Geschädigte schuldhaft unterlassen haben, einen Schaden abzuwenden oder zu mindern. Es handele sich dabei um eine Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Eine Obliegenheitsverletzung verlange, dass der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben Maßnahmen unterlassen würde, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in seiner Position zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Danach obliege es dem Geschädigten bei einer seine Arbeitskraft beeinträchtigenden Verletzung als Ausfluss der Schadensminderungspflicht im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft im zumutbaren Ramen so nutzbringend wie möglich zu verwerten (BGH, Urteil vom 26.09.2006 - VI ZR 124/05 -).

 

Wenn die Arbeitskraft durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder verbessert werden könne, würde es sich um eine vorgeschaltete Obliegenheit zur Schadensminderung darstellen, diese Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 04.11.1986 - VI ZR 12/86 -).  Der Geschädigte dürfe nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der bei gleicher Gesundheitsstörung die Vermögensnachteile selbst zu tragen habe.  

Die zur (jedenfalls teilweisen) Wiedererlangung der Arbeitskraft müssen dem Geschädigten zumutbar sein. Dazu gehöre auch eine Operation, wenn sie einfach und gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sei und die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung biete (BGH, Urteil vom 15.03.1994 - VI ZR 44/93 -). Danach sei für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung Voraussetzung.

 

Im Hinblick auf einen Verdienstausfallschaden sei eine Zumutbarkeit nur anzunehmen, wenn die Verbesserung der Gesundheit zur Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Arbeitskraft führe. Dass wiederum würde voraussetzen, dass überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit (ggf. nach zumutbaren Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen) vorläge, er also die widergewonnene Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen. Für entsprechende Feststellungen müsse der Tatrichter den mutmaßlichen Erfolg anhand der (damaligen, also zum Zeitpunkt einer Unterlassung) Lage am Arbeitsmarkt beurteilen.

 

Verstoße der Geschädigte gegen die ihm danach obliegende Schadensminderungspflicht, seien die erzielbare fiktiven Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Kürzung komme nicht in Betracht, da die Höhe des Schadens nicht von einer Quote abhänge, sondern davon, welches Einkommen vom Geschädigten in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände in zumutbarer Weise verdienen könnte.

 

Vorliegend habe sich das Berufungsgericht nicht mit der vom Kläger bestrittenen Therapiefähigkeit auseinandergesetzt habe. Sollte die Verweigerung oder Verzögerung einer indizierten Therapie eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung sein, scheide eine Obliegenheitspflichtverletzung aus.

 

Auch habe das Berufungsgericht die konkreten therapeutischen Maßnahmen nicht ermittelt, da neben der Erfolgsaussicht auch beurteilt werden müsse, welche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit hingenommen werden sollen und ob diese zu den Erfolgsaussichten angemessen seien.

 

Auch müsse der Tatrichter entscheiden , ob eine Obliegenheitspflichtverletzung entfalle, wenn – wie hier vom Kläger behauptet – der Amtsarzt in 2008 den Rentenantrag empfohlen habe, die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin 2012 eine unverändert fehlende Belastbarkeit festgestellt und eine Besserung ausgeschlossen habe und dies von der Ärztin der Rentenversicherung 2012 bestätigt worden sei.

 

Verfehlt sei zudem, dass das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung aus einem Erfolg der Behandlung der rezidivierenden depressiven Störungen unmittelbar auf Verdienstmöglichkeiten des Klägers in Höhe seines entgangenen Verdienstes geschlossen habe. Es fehle die Prüfung, ob der Kläger überhaupt, ggf. in welchem Umfang die Möglichkeit gehabt hätte, seine verbliebene bzw. neu gewonnene Arbeitskraft am Arbeitsmarkt gewinnbringend einzusetzen. Die fiktiven Einnahmen seien vom Berufungsgericht fehlerhaft nicht ermittelt worden.

 

Zur Darlegungs- und Beweislast wies der BGH darauf hin, dass diese grundsätzlich der Schädiger trage; er müsse darlegen und beweisen, dass es dem Geschädigten möglich und zumutbar gewesen sei, seine Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft gewinnbringend anzusetzen. Allerdings obliege dem Geschädigten insoweit eine sekundäre Darlegungslast, was bedeutet, dass er darlegen müsse, was er unternommen habe, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden bzw. was dagegen stehen würde.

 

 

Da die notwendigen Ermittlungen durch das Berufungsgericht fehlten, konnte der BGH in der Sache nicht selbst entscheiden und hob das Urteil unter Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung auf.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 21. Februar 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich des Verdienstausfallschadens auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist.

 

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

 

Der Kläger nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - auf Ersatz des Verdienstausfallschadens in Anspruch.

 

Der 1969 geborene Kläger wurde am 8. August 2004 als Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall durch einen bei der Beklagten versicherten Pkw erheblich verletzt. Er erlitt eine mehrfache Oberschenkelfraktur, zudem diverse Prellungen und Quetschungen am gesamten rechten Bein. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit. Sie hat ihre Eintrittspflicht für alle unfallbedingten materiellen und immateriellen Ansprüche des Klägers anerkannt. Der Kläger leidet seit seiner Geburt an einer genetisch bedingten Muskeldystrophie, dadurch bedingt auch an einer Adipositas, zudem ist er an Diabetes Mellitus (Typ 2) erkrankt. Der dadurch gegebene Grad der Behinderung betrug vor dem Unfall 60 %. Nach dem Unfall wurde der Kläger am Bein operiert, die stationäre Behandlung dauerte bis Ende August 2004. Nach der Krankenhausentlassung war der Kläger längere Zeit auf einen Rollstuhl und auf die Pflege durch seine berufstätige Ehefrau angewiesen. Nach seiner Krankenhausentlassung kam es im Herbst 2004 zu gesundheitlichen Komplikationen sowie zu depressiven Störungen, nach seinen Angaben unternahm der Kläger auch einen Suizidversuch.

 

Nach einem Hauptschulabschluss hatte der Kläger eine Lehre als Bürokaufmann absolviert. Vor seinem Übertritt in den Landesdienst war er von 1998 bis 2002 im IT-Bereich eines Unternehmens tätig. Seit März 2003 war der Kläger als Teilzeitbeschäftigter beim Land Schleswig-Holstein angestellt, seit dem 4. März 2004 bezog er Einkünfte nach BAT Vergütungsgruppe VII. Nach dem Unfall nahm er im Juni 2005 seine Tätigkeit als vollzeitbeschäftigter Verwaltungsfachangestellter wieder auf. In der Folgezeit entwickelten sich psychosomatische Beschwerden, die zu seiner Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007 führten. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 wurde dem Kläger auf seinen Antrag hin rückwirkend zum 1. Oktober 2007 eine bis zum 31. Dezember 2009 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Nach einer Verlängerung bis zum Ende des Jahres 2012 wurde ihm auf seinen Antrag vom 13. Juni 2012 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 23. November 2036 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Mit Ablauf des 31. Dezember 2012 wurde er aus dem Landesdienst entlassen.

 

Der Kläger macht geltend, seine durch die depressiven Störungen bedingte Erwerbsunfähigkeit sei Folge des Unfalls. Er begehrt Ersatz seines Verdienstausfalls für den Zeitraum von Februar 2007 bis einschließlich Oktober 2016 in Höhe von ca. 130.000 €, darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm seinen monatlichen Verdienstausfall in Höhe von derzeit 1.447,75 € zunächst unbefristet bis zum 23. November 2036 zu erstatten.

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von knapp 108.000 € nebst Zinsen stattgegeben und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab November 2016 bis zum 23. November 2036 25 % seines Verdienstausfallschadens zu ersetzen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufungen zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

 

I.

 

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

 

Hinsichtlich des bezifferten Verdienstausfallschadens sei von den Berechnungen des Klägers auszugehen, die eine Summe von 131.568,81 € ergäben. Allerdings müsse sich der Kläger jedenfalls ab Oktober 2014 eine Anspruchskürzung um 50 % und ab Oktober 2015 eine solche um 75 % wegen fehlender ärztlicher Behandlung seiner depressiven Störungen gefallen lassen, denn insoweit liege ein Mitverschulden des Klägers vor, nämlich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB. Aufgrund der vorgerichtlichen und gerichtlichen psychiatrischen Sachverständigengutachten stehe fest, dass der Unfall Auslöser der depressiven Störungen des Klägers gewesen sei, die Diagnose laute "rezidivierende depressive Störungen nach ICD-10, Ziff. F 33.1". Trotz ambulanter psychotherapeutischer Behandlung in den Jahren 2007 bis 2012 sowie eines psychotherapeutischen stationären Krankenhausaufenthaltes im Jahre 2008 sei es zur Verrentung des Klägers wegen Erwerbsunfähigkeit gekommen. Dass dies Folge einer Begehrensneurose gewesen sei, habe die Beklagte nicht beweisen können. Sie habe auch nicht beweisen können, dass der Kläger allein schon aufgrund der angeborenen Muskeldystrophie weit vor Erreichen der regulären Altersgrenze erwerbsunfähig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden wäre. Der Kläger müsse aber eine Anspruchskürzung hinnehmen, da er ab dem 1. Januar 2013 keine Versuche unternommen habe, die maßgeblichen depressiven Störungen adäquat behandeln zu lassen. Aus den Gutachten lasse sich entnehmen, dass die depressive Symptomatik des Klägers behandlungsbedürftig, aber auch behandelbar sei. Jedenfalls seit Januar 2013 sei keinerlei psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung des Klägers mehr erfolgt, obgleich ein verständiger Mensch in seiner Situation versucht hätte, die - mittlerweile chronifizierte - rezidivierende depressive Störung nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft behandeln zu lassen. Diese Unterlassung einer psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung stelle einen wesentlichen unabhängigen Faktor für die andauernde Chronifizierung der Depressionen dar. Nach den Ausführungen des Sachverständigen müsse die depressive Erkrankung aber nicht langfristig und dauerhaft ein unveränderliches Leistungs- und Funktionsniveau zur Folge haben, es sei vielmehr denkbar und noch möglich, dass zukünftig auch eine positive Veränderung des Leistungsniveaus erzielt werde und der Kläger leichte bis mittelschwere Jobs ohne drückende psychische Faktoren ausüben könne. Dies setze allerdings eine entsprechende Behandlung voraus, zu der sowohl psychiatrische und psychotherapeutische ambulante und stationäre Maßnahmen als auch rehabilitative Behandlungen gehörten. Es sei damit im Sinne von § 287 ZPO überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger trotz der Chronifizierung seiner depressiven Störungen und trotz seiner Vorerkrankungen bei entsprechender Behandlung spätestens ab Oktober 2014 zu 50 % und sodann ab Oktober 2015 und fortdauernd zu 75 % arbeitsfähig gewesen wäre. Nach Ausführungen des Sachverständigen sei nämlich bei entsprechender Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Arbeitsfähigkeit des Klägers bis zu vier bzw. sechs Stunden täglich bei sitzender Tätigkeit ohne drückende psychische Faktoren wiederherzustellen.

 

II.

 

Das Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung bezogen auf die Kürzung des Verdienstausfallschadens nicht stand. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die Ersatzansprüche des Klägers wegen Verletzung der Schadensminderungspflicht um 50 bzw. 75 % herabgesetzt hat.

 

1. Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass eine Anspruchskürzung bei einem Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in Betracht kommt, es verkennt jedoch die Grundsätze zur Berücksichtigung erzielbarer, aber unterlassener Einkünfte.

 

a) Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz BGB setzt voraus, dass es der Geschädigte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Von der Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Entscheidender Abgrenzungsmaßstab ist also der Grundsatz von Treu und Glauben. In anderen Vorschriften zum Ausdruck kommende Grundentscheidungen des Gesetzgebers dürfen dabei nicht unterlaufen werden (vgl. Senatsurteile vom 17. November 2020 - VI ZR 569/19, NJW 2021, 694 Rn. 7; vom 18. Februar 2020 - VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795 Rn. 16).

 

b) Im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als Ausfluss der Schadensminderungspflicht dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten (vgl. nur Senatsurteile vom 5. Dezember 1995 - VI ZR 398/94, NJW 1996, 652, 653, juris Rn. 10; vom 22. April 1997 - VI ZR 198/96, NJW 1997, 3381, 3382, juris Rn. 15; vom 26. September 2006 - VI ZR 124/05, NJW 2007, 64 Rn. 9).

 

c) Dem kann eine weitere Obliegenheit zur Schadensminderung vorgeschaltet sein, wenn die (verbliebene) Arbeitskraft, die durch das schädigende Ereignis herabgesetzt worden ist, durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder jedenfalls verbessert werden kann (vgl. Senatsurteil vom 4. November 1986 - VI ZR 12/86, VersR 1987, 408, 409, juris Rn. 14). Insoweit muss vom Geschädigten (Verletzten) verlangt werden, dass er, soweit er dazu im Stande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde. Der Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung setzt aber voraus, dass dem Geschädigten die Therapie oder sonstige ärztliche Behandlung zumutbar ist oder gewesen wäre (vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 15 mwN). So muss sich nach der ständigen Rechtsprechung beispielsweise ein Verletzter einer Operation unterziehen, wenn sie zumutbar ist. Das ist nur der Fall, wenn sie einfach und gefahrlos, nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und sich weiter die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 13. Mai 1953 - VI ZR 78/52, BGHZ 10, 18, 19, juris Rn. 2; vom 15. März 1994 - VI ZR 44/93, NJW 1994, 1592, 1593, juris Rn. 11 mwN). Grundsätzlich richtet sich das Maß der Schadensminderungspflicht, also Art und Umfang der vom Geschädigten auf sich zu nehmenden ärztlichen Behandlungen, auch an den in das geltende Recht einfließenden verfassungsrechtlichen Werten aus, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG (vgl. Senatsurteil vom 14. März 1989 - VI ZR 136/88, VersR 1989, 635, juris Rn. 7). Danach wird regelmäßig auch für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht einer wesentlichen Besserung zu fordern sein, um sie als zumutbar erachten zu können.

 

d) Im Rahmen der Ermittlung des Verdienstausfallschadens kann eine ärztliche Behandlung/Therapie nur als zumutbar erachtet werden, wenn die Verbesserung der Gesundheit auch zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitskraft führen wird. Darüber hinaus kann eine Obliegenheit zur Verbesserung der Gesundheit und Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitsfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit - gegebenenfalls auch nach Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen, ebenfalls in Abhängigkeit von der Zumutbarkeit - besteht (vgl. nur Senatsurteil vom 9. Oktober 1990 - VI ZR 291/89, NJW 1991, 1412, 1413, juris Rn. 18). Die Annahme einer Obliegenheit setzt also voraus, dass dem Geschädigten der Einsatz seiner Arbeitskraft in einer bestimmten Berufstätigkeit zugemutet werden kann und eine Prognose ergibt, dass ihm das bei entsprechender Anstrengung am Arbeitsmarkt auch mit Erfolg gelingt oder gelungen wäre (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1984 - VI ZR 301/82, BGHZ 91, 357, 365, juris Rn. 26). Der Geschädigte muss überhaupt die Möglichkeit haben, die - gegebenenfalls wiedergewonnene - Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 1995 - VI ZR 398/94, NJW 1996, 652, 653, juris Rn. 10). Er kann demnach von der Pflicht, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, entbunden sein, wenn er wegen seiner unfallbedingten Beeinträchtigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar ist und deshalb Bemühungen um eine Arbeitsstelle von vornherein aussichtslos wären (vgl. Senatsurteil vom 22. April 1997 - VI ZR 198/96, NJW 1997, 3381, 3382, juris Rn. 15). Um entsprechende Feststellungen treffen zu können, muss der Tatrichter gegebenenfalls den mutmaßlichen Erfolg, den obliegenheitsgerechte Bemühungen haben würden oder gehabt hätten, anhand der (damaligen) Lage des Arbeitsmarktes beurteilen (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1983 - VI ZR 59/81, NJW 1984, 354, juris Rn. 12).

e) Verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, indem er es unterlässt, obliegenheitsgerechte Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft zu ergreifen und einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind nach der Rechtsprechung des Senats die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil sie im Einzelfall zu sachwidrigen Ergebnissen führen kann. Die Höhe der erzielbaren Einkünfte des Geschädigten hängt nämlich nicht quotenmäßig von der Höhe des ihm entgangenen Verdienstes, sondern vielmehr davon ab, welches Einkommen er in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände, d.h. seiner Lebenssituation, seiner Ausbildung, einer eventuell früher ausgeübten Tätigkeit und der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt in zumutbarer Weise erzielen könnte und von welchem Zeitpunkt an ihm eine Aufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar war. Inwieweit dies der Fall ist, unterliegt im Einzelfall der tatrichterlichen Würdigung (vgl. Senatsurteil vom 26. September 2006 - VI ZR 124/05, NJW 2007, 64, 65, juris Rn. 9; Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 32 Rn. 78; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn. 54).

 

2. Gemessen daran kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht eine Obliegenheitsverletzung angenommen und die Ersatzansprüche des Klägers um eine prozentuale Mitverschuldensquote gekürzt hat.

 

a) Die Revision beanstandet zunächst hinsichtlich des Vorwurfs der Unterlassung einer Therapie der rezidivierenden depressiven Störung zu Recht, dass das Berufungsgericht bezüglich deren Zumutbarkeit nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat.

 

Zu diesen gehört grundsätzlich die klägerseits in Abrede gestellte Therapiefähigkeit des Geschädigten, zu der sich das Berufungsurteil nicht näher verhält. Ähnlich wie bei einer Operation kann der Geschädigte nicht ohne weiteres darauf verwiesen werden, sich im Interesse der Schadensminderung einer psychiatrischen Behandlung zu unterziehen. So wird eine Obliegenheitsverletzung regelmäßig dann ausscheiden, wenn die Verweigerung oder Verzögerung der indizierten Therapie eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung ist (vgl. BeckOGK/Looschelders, Stand 1.6.2021, BGB § 254 Rn. 257 mwN).

 

Zu den für die Frage der Zumutbarkeit wesentlichen Gesichtspunkten gehört auch die Ermittlung der konkreten therapeutischen Maßnahmen, denn neben deren Erfolgsaussichten im Sinne einer sicheren Aussicht auf wesentliche Besserung muss auch beurteilt werden können, welche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der psychischen Verfasstheit hingenommen werden sollen und ob sie gemessen an den Erfolgsaussichten auch verhältnismäßig sind (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. März 1989 - VI ZR 136/88, VersR 1989, 635, juris Rn. 7 f., 11 f.).

 

b) Ob eine Obliegenheitsverletzung entfällt, wenn der Verletzte mit seinen Reaktionen den Anweisungen seines Arztes folgt (so zu der dortigen Konstellation des "behandelnden Arztes" BGH, Urteil vom 7. Juni 1951 - III ZR 181/50, NJW 1951, 797; vgl. auch RGZ 131, 67, 74 f.; Staudinger/Schiemann (2017) BGB § 254 Rn. 81; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 254 Rn. 40; BeckOGK/Looschelders, Stand 1.6.2021, BGB § 254 Rn. 253), ist eine Frage des Einzelfalls, die nur vom Tatrichter beantwortet werden kann (vgl. MünchKomm-StVR/Almeroth, 1. Aufl., BGB § 254 Rn. 44). Die Revision beanstandet insoweit zu Recht, dass der Kläger in diesem Zusammenhang vorgetragen hat, dass der Amtsarzt ihm im Jahre 2008 empfohlen habe, den Rentenantrag zu stellen, die ihn behandelnde Fachärztin für psychotherapeutische Medizin 2012 die unveränderte fehlende Belastbarkeit und Arbeitsfähigkeit bescheinigt und eine zukünftige Besserung der Leistungsfähigkeit ausgeschlossen habe, diese Einschätzung auch von der beratenden Ärztin der Rentenversicherung im Dezember 2012 bestätigt worden sei, und sich das Berufungsgericht mit diesen Argumenten nicht befasst hat.

 

c) Dem Berufungsgericht ist auch insoweit nicht zu folgen, als es von den von ihm - sachverständig beraten - angenommenen medizinischen Erfolgsaussichten der Behandlung der rezidivierenden depressiven Störungen unmittelbar auf Verdienstmöglichkeiten des Klägers in Höhe seines entgangenen Verdienstes geschlossen hat. Es hat entgegen den von der Rechtsprechung entwickelten oben aufgezeigten Maßstäben nicht geprüft, ob der Kläger überhaupt und gegebenenfalls in welchem Umfang die Möglichkeit hatte oder gehabt hätte, verbliebene oder neu gewonnene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt gewinnbringend einzusetzen.

 

Grundsätzlich ist dafür der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet. Er muss beweisen, dass es dem Verletzten in seiner besonderen Lage möglich und zumutbar war, seine Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft mit Gewinn einzusetzen. Den Verletzten trifft eine sekundäre Darlegungslast, er muss darlegen, was er unternommen hat, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden oder was dem ggf. entgegenstand (vgl. Senatsurteile vom 9. Oktober 1990 - VI ZR 291/89, NJW 1991, 1412, 1413, juris Rn. 16; vom 23. Januar 1979 - VI ZR 103/78, NJW 1979, 2142 f., juris Rn. 13; Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 32 Rn. 75). Danach könnte das Vorbringen des verletzten Klägers beachtlich sein, wonach er zu 100 % schwerbehindert sei und im Rollstuhl sitze. Er sei seit elf Jahren wegen voller Erwerbsunfähigkeit berentet und werde 50 Jahre alt. Die IT-Kenntnisse, die ihn für seinen früheren Arbeitsplatz befähigt hätten, seien veraltet. Er habe den Beruf des Bürokaufmanns erlernt und verfüge über keine Fachkenntnisse, welche ihn von anderen Bewerbern mit dieser Ausbildung abheben würden, die Chance, einen entsprechenden leistungsgerechten Arbeitsplatz zu finden, sei äußerst gering. Unter Berücksichtigung aller ihn auszeichnenden Faktoren bestehe keine realistische Chance auf dem Arbeitsmarkt, wieder eine Anstellung zu finden.

 

Rechtsfehlerhaft hat es das Berufungsgericht auch unterlassen, die unter Einsatz der von ihm angenommenen Arbeitskraft erzielbaren (fiktiven) Einkünfte zu ermitteln, die nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Senats auf den Schaden anzurechnen wären.

 

3. Das angefochtene Urteil erweist sich auch insoweit als rechtsfehlerhaft, als das Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren für den Verdienstausfall ab November 2016 lediglich mit einer prozentualen Kürzung von 75 % entsprochen hat. Zur Begründung kann auf die obigen Ausführungen hinsichtlich des Leistungsbegehrens Bezug genommen werden.

 

III.

 

Ob und in welchem Umfang eine Anspruchskürzung gerechtfertigt ist, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz - insbesondere die Gegenrüge der Beklagten - zu berücksichtigen.