Sekundäre Darlegungslast des Eigentums bei Besitz und
Haltereigenschaft am Fahrzeug
OLG Hamm, Beschluss vom 26.05.2021 - 7 U 55/20 -
Der Kläger beantragte für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe, die ihm das OLG verwehrte mit Hinweis, darauf, dass es keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg der Berufung sah. Dabei
stellte das OLG darauf ab, dass das Eigentum des Klägers an dem BMW, für den er Schadensersatz aufgrund von Schäden anlässlich des streitgegenständlichen Unfallereignisses begehrte, nicht
feststellbar sei.
Die Eintragung des Klägers in dem rumänischen Fahrzeugschein würde lediglich seine Haltereigenschaft dokumentieren, aber keinen Rückschluss auf sein Eigentum an dem Fahrzeug zulassen. Halter des
Kfz sei derjenige, der es für eigene Rechnung in Gebrauch habe und die Verfügungsgewalt darüber besitze. Nicht entscheidend sei, wer Eigentümer sei. Für die Bestimmung des Halters käme es nur auf
die wirtschaftliche Betrachtung an, mithin auf die Intensität der tatsächlichen (wirtschaftlichen) Beziehung zum Fahrzeug. Da ein Auseinanderfallen von Halter- und Eigentümerstellung bei
Fahrzeugen nicht untypisch sei (Anm.: so z.B. bei Leasing oder bei bankfinanzierten Fahrzeugen durch Sicherungsübereignung), könne aus der Haltereigenschaft nicht auf die Eigentümerstellung
geschlossen werden.
Auch könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die Vermutung des § 1006 BGB (Besitz streitet für Eigentum) berufen, die vom Anspruchsgegner widerlegt werden müsste. Zwar spräche die
Sachherrschaft für den (unmittelbaren) Besitz am Fahrzeug, wenn der Kläger von der herbeigerufenen Polizei mit Fahrzeug und Fahrzeugschlüssel festgestellt worden sei und er sogar später das
Sachverständigengutachten zur Feststellung des Schadens am Fahrzeug beauftrage. Bestreitet in diesem Fall der Prozessgegner den Rechtserwerb, obläge dem Besitzer eine sekundäre
Behauptungslast zu den Umständen des Eigentumserwerbs (KG, Urteil vom 30.08.2010 – 12 U 175/09 -). Der Kläger müsste daher die Umstände seines Besitz- und Eigentumserwerbs konkret und schlüssig
vortragen, da ohne diesen Vortrag dem Gegner, der außerhalb des Geschehensablaufs stünde, von vornherein jede Möglichkeit des Gegenbeweises genommen würde (OLG Hamm, Beschluss vom 01.02.2012 – 9
U 238/12 -). Hierzu ermangele es vorliegend an jeglichen Vortrag des Klägers, obwohl die fehlende Aktivlegitimation schon beklagtenseits erstinstanzlich gerügt wurde und der Klägervertreter
sogar nach mündlicher Erörterung vor dem Landgericht die Flucht in die Säumnis angetreten ist und ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen ließ (gegen welches er dann Einspruch einlegte, ohne
weitergehend zur Aktivlegitimation im dargelegten Sinne vorzutragen) und lediglich den Fahrzeugschein vorlegte. In Ermangelung dieses notwendigen Vortrages nach dem Bestreiten der Beklagtenseite
war nicht festzustellen, dass der Kläger Eigentümer des BMW war und konnte er damit keine dem Eigentümer zustehenden Schadenersatzansprüche geltend machen.
Auf eine Verletzung des Besitzes an dem BMW konnte der Kläger seinen Anspruch auch nicht stützen. Bei Nichtfeststellbarkeit seines Eigentums könnte er Ansprüche hinsichtlich des Fahrzeugschadens
nebst Sachverständigenkosten auf seinen Besitz nur stützen, wenn wegen der Fahrzeugbeschädigung ein entsprechender Haftungsschaden vorläge (der Anspruch, den der Besitzer wegen Beschädigung der
Sache durch Dritte oder Unmöglichkeit der Rückgabe ausgesetzt wäre, BGH, Urteil vom 13.07.1076 – VI ZR 78/75; BGH, Urteil vom 29.01.2019 – VI ZR 481/17 -).
Auch habe das Landgericht zu Recht sein Urteil auch darauf gestützt, dass der Fahrzeugschaden nicht schlüssig dargelegt worden sei. Geltend gemacht sei ein Totalschaden, ohne dass die Vorschäden
an dem Fahrzeug konkret dargelegt worden seien. Damit genügte sein Vortrag zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes, mit dem er sich nur auf die Ausführungen des von ihm eingeholten
Sachverständigengutachtens bezog nicht, da sich dort nur Vorschäden im Bereich der Vordertüren ergäben (der unfallbedingte Schaden war ein Heckschaden). Die Darlegung des Wiederbeschaffungswertes
sei auch bei abgrenzbaren Vorschäden im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO erforderlich (OLG Hamm, Beschluss vom 16.10.2019 – 31 U 115/19 -). Für die Schadensberechnung müsste bekannt
sein, welchen Wert das Fahrzeug vor dem streitbefangenen Unfall (unter Berücksichtigung der Vorschäden) habe.
(Anm.: Die Berufung ist nachfolgend vom OLG Hamm mit Beschluss vom 06.07.2021 zurückgewiesen worden.)
Tenor
Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 15.09.2020 wird zurückgewiesen.
Eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten findet nicht statt (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 18.05.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum (Az.: 5 O
424/18) durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I.
Prozesskostenhilfe konnte nicht bewilligt werden.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO), wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.
II.
Der Senat hält die Berufung des Klägers einstimmig für aussichtslos.
Nach § 513 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine
andere Entscheidung rechtfertigen. Solches zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das landgerichtliche Urteil ist vielmehr nach einstimmiger Auffassung des Senats jedenfalls im Ergebnis
zutreffend.
Das Landgericht hat das klageabweisende Versäumnisurteil zu Recht aufrechterhalten. Der zulässige Einspruch kann keinen Erfolg haben.
Im Einzelnen:
1.
Es ist schon nicht feststellbar, dass der Kläger zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallereignisses Eigentümer des beschädigten PKW BMW X5 gewesen ist.
Der Kläger trägt in Klageschrift selbst lediglich seine Haltereigenschaft vor und legt dazu einen rumänischen Fahrzeugschein vor (Bl. 236 d.A.). Die Eintragung des Klägers als Fahrzeughalter
lässt aber keine tragfähigen Schlüsse auf die Eigentümerstellung des Klägers zu. Halter eines Kraftfahrzeugs ist, wer es für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt, die
ein solcher Gebrauch voraussetzt (vgl. Greger in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl. 2021, Haftung des Kfz-Halters, Rn. 3.178 m.w.N.). Entscheidend bei der
Haltereigenschaft ist nicht das Rechtsverhältnis am Kraftfahrzeug, insbesondere nicht die Frage, wer dessen Eigentümer ist; vielmehr ist maßgebend eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, bei der
es vor allem auf die Intensität der tatsächlichen, in erster Linie wirtschaftlichen Beziehung zum Betrieb des Kraftfahrzeuges im Einzelfall ankommt. In der Eintragung einer Person in der
Zulassungsbescheinigung liegt kein Beweis für die Eigentümerstellung dieser Person, da bei Kraftfahrzeugen das Auseinanderfallen von Halter- und Eigentümer-Stellung gerade nicht untypisch ist
(OLG Brandenburg, Urteil vom 20.11.2008 - 12 U 113/08, juris Rn. 8). Einen Eigentumserwerb hat der Kläger nicht belegt.
Der Kläger kann sich hinsichtlich seines Eigentums an dem beschädigten BMW auch nicht mit Erfolg auf die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen.
Zwar knüpft diese Vermutung an den bloßen Besitz an und es ist dann grundsätzlich Sache des Gegners, diese Vermutung zu widerlegen.
Dabei spricht es im Allgemeinen für die tatsächliche Sachherrschaft und damit den Besitz an einem Fahrzeug, wenn - wie hier - der Anspruchsteller mit Fahrzeug und Fahrzeugschlüssel von der
herbeigerufenen Polizei angetroffen wird und er das beschädigte Fahrzeug später bei einem Kfz-Sachverständigen zur Begutachtung vorführt (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28.02.2013 -
4 U 406/11, juris Rn. 24). Aber auch, wenn man zugunsten des Klägers dessen Alleinbesitz an dem streitgegenständlichen BMW zur Unfallzeit unterstellt, scheidet letztlich eine erfolgreiche
Berufung auf die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB aus. Bestreitet der Prozessgegner nämlich den Rechtserwerb, so obliegt dem Besitzer eine sekundäre Behauptungslast (vgl.
dazu allgemein nur Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Vor § 284, Rn. 34) über die Umstände seines Eigentumserwerbs (KG Berlin, Urteil vom 30.08.2010 - 12 U 175/09, juris
Rn. 30). Der Kläger war und ist danach gehalten, zunächst einmal seinerseits zu den Umständen seines Besitz- und Eigentumserwerbs konkret und schlüssig vorzutragen; denn andernfalls wäre der
außerhalb der insoweit maßgeblichen Geschehensabläufe stehenden Beklagten von vornherein jede Möglichkeit und Chance des Gegenbeweises genommen (vgl. dazu nur OLG Hamm, Beschluss vom 01.02.2013 -
9 U 238/12, juris Rn. 5).
Seiner sekundären Darlegungslast ist der Kläger nicht (hinreichend) nachgekommen. Er hat einen Besitz- und Eigentumserwerb überhaupt nicht dargetan. Obwohl die Beklagten die fehlende
Aktivlegitimation bereits erstinstanzlich gerügt haben und der Klägervertreter nach entsprechender Erörterung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 10.01.2020 in die
Säumnis geflohen ist, wie sich aus der Berufungserwiderung ergibt, ist bis auf die Vorlage des Fahrzeugscheins kein weiterer Vortrag erfolgt.
Lässt sich danach nicht feststellen, dass der Kläger zur Unfallzeit Eigentümer des unfallbeteiligten Fahrzeugs gewesen ist, fehlt es bereits an seiner Aktivlegitimation.
Diese könnte auch nicht etwa mit einer Verletzung des Besitzes an dem BMW begründet werden. Denn auf eine Besitzverletzung könnte der Kläger - bei Nichtfeststellbarkeit seines Eigentums -
Ansprüche hinsichtlich des Fahrzeugschadens nebst Sachverständigenkosten nur stützen, wenn wegen der Fahrzeugbeschädigung ein entsprechender Haftungsschaden vorläge (vgl. dazu allgemein nur Sprau
in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 823, Rn. 13). Ein solcher Haftungsschaden ist indes weder dargetan noch ersichtlich.
2.
Weiterhin hat der Kläger - worauf das Landgericht sein Urteil maßgeblich stützt - einen erstattungsfähigen Fahrzeugschaden nicht schlüssig dargelegt.
Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keine ausreichenden tatsächlichen Grundlagen für den seiner Totalschadensberechnung zugrunde liegenden Wiederbeschaffungswert vorgetragen
und unter Beweis gestellt hat. Zwar dürften hier insgesamt abgrenzbare Vorschäden vorliegen; der vom Unfall betroffene Anstoßbereich liegt am Fahrzeugheck, die vom Privatgutachter erkannten Vor-
und Altschäden befinden sich an den Fahrzeugtüren. Nach der zutreffenden obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Darlegung des Wiederbeschaffungswertes aber auch bei abgrenzbaren Vorschäden und
im Rahmen der Schadensschätzung gem. § 287 ZPO erforderlich (vgl. z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 16.10.2019 - 31 U 115/19, juris Rn. 1; OLG Hamm, Beschluss vom 03.08.2018 - 9 U 111/18,
juris Rn. 3; OLG Celle, Urteil vom 08.02.2017 - 14 U 119/16, juris Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2015 - 1 U 116/14, juris Rn. 41; Laws/Lohmeyer/Vinke in:
Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG, Rn. 257). Der Wiederbeschaffungswert, also der Wert für den ein vergleichbares Fahrzeug ohne den
streitgegenständlichen Unfallschaden zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt erworben werden konnte, kann nur ermittelt werden, wenn feststeht, in welchem konkreten Zustand sich das beschädigte
Fahrzeug im Unfallzeitpunkt befand, insbesondere inwieweit der Wert durch Alt- und Vorschäden gemindert war. Seiner Darlegungs- und Beweislast für die Höhe des Wiederbeschaffungswerts genügt der
Geschädigte in einer solchen Konstellation allenfalls, wenn er einen durch Privatgutachten unterlegten Wert behauptet, die Vorschäden durch Schadensgutachten aktenkundig sind und der Geschädigte
zudem unter Beweisantritt behauptet, dass dem Privatsachverständigen die Vorschäden bekannt waren (OLG Hamm, Urteil vom 27.02.2014 - 6 U 147/13, juris Rn. 26; noch strenger: KG Berlin,
Urteil vom 27.08.2015 - 22 U 152/14, juris Rn. 44).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Die Vorschäden sind nicht durch Privatgutachten, etwa Schadensgutachten der anderen Unfallereignisse, unterlegt. Der Kläger hat auch nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen die konkret
beschädigten Teile, die Art ihrer Beschädigung, die für die Beseitigung erforderlichen Reparaturschritte und die tatsächlich vorgenommene Reparatur der Vorschäden auf andere Weise schlüssig
darlegt (vgl. Kaufmann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, 2. Teil, 25. Kapitel, Rn. 250 m.w.N.). Entsprechender Vortrag erfolgt auch mit der Berufung nicht.
Im Übrigen wäre jetziger weiterer klägerischer Vortrag ohnehin verspätet und könnte deshalb von vornherein keine Berücksichtigung finden (§ 531 Abs. 2 ZPO). Denn der Kläger hat in
keiner Weise dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass er zur Art und Weise der Vorschadenreparatur nicht schon in erster Instanz, spätestens auf den Hinweis des Landgerichts vom
23.12.2019 hin, hätte vortragen können.
Dem in der Berufung gestellten Beweisantrag zur Vernehmung des vom Kläger beauftragten Privatsachverständigen war insoweit nicht nachzugehen, eine derartige Vernehmung stellte eine reine
Ausforschung dar.
Auf dieser Grundlage lässt sich auch kein Mindestschaden schätzen.
3.
Ist danach bereits ein durch das jetzige Schadensereignis verursachter ersatzfähiger Fahrzeugschaden nicht hinreichend dargetan, ist ferner von vornherein kein Raum für die Zuerkennung der
geltend gemachten weiteren Schadenspositionen (Sachverständigenkosten, Unkostenpauschale, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten). Dies gilt insbesondere für die Kosten des Schadensgutachtens, das
aus den genannten Gründen zur Darlegung eines durch das jetzige Schadensereignis verursachten mess- und abgrenzbaren Fahrzeugschadens nicht brauchbar ist; es ist weder dargetan noch ersichtlich,
dass dem Sachverständigen hinreichend konkrete Angaben zum Vorschaden sowie der Art und Weise der Reparatur dieses Vorschadens gemacht worden sind und vom Sachverständigen bei seinen
Kalkulationen berücksichtigt werden konnten (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 08.04.2016 - 9 U 79/15, juris Rn. 7 und vom 23.03.2018 - 9 U 12/18, juris Rn. 8).
III.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ferner erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Die maßgebenden
Fragen sind solche des Einzelfalles.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht sich der Senat angesichts dessen, dass es keiner weiteren Beweisaufnahme bedarf, keine neuen Erkenntnisse. Auch ansonsten erscheint
eine mündliche Verhandlung nach einstimmigem Votum des Senats nicht geboten.