Schadensersatz


Rot der Fußgängerampel schützt nicht den aus Parkplatz Ausfahrenden

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 14.02.2023 - 7 U 63/22 -

Kurze (erläuternde) Inhaltsangabe

 

Der Kläger wollte mit seinem Fahrzeug vom Parkplatz eines Discounters auf die Straße fahren, wo er mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. kollidierte, indem er gegen dessen rechte Seite fuhr. Zur rechten Seite (aus Sicht des Klägers) der Ein- und Ausfahrt des Parkplatzes befand sich eine Fußgängerampel. Nach Behauptung des Klägers habe der Beklagte diese Ampel bei Rotlicht passiert. Das Landgericht wies die Schadensersatzklage ab. Die Berufung gegen das Urteil wies das OLG zurück.

 

Das OLG geht nicht von einer Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls für die Beklagtenseite aus, § 17 Abs. 3 StVG. Bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge sei im Rahmen der erforderlichen Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden sei, wobei unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen seien. Dabei habe jeder Halter die Umstände zu bewiesen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle (BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).

 

Das OLG stellte auf § 10 StVO ab. Diese Norm verlange von demjenigen, der aus einem Grundstück, einer Fußgängerzone oder einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren wolle, sich dabei so zu verhalten habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei, andernfalls ggf. ein Einweiser erforderlich sei (erhöhte Sorgfaltspflicht). Käme es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Ein- oder Ausfahren zu einem Verkehrsunfall spreche zudem der Beweis des ersten Anscheins für einen unfallursächlichen Verstoß des Ein-/Ausfahrenden iSv. § 10 StVO (OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2018 – I-9 U 54/17 -).

 

Die Ampel habe nicht den ein- aus ausfahrenden verkehr des Parkplatzes geregelt, sondern habe nur dem Fußgängerverkehr gedient. Der Kläger sei vom Parkplatz auf die bevorrechtigte Straße gefahren. Damit käme es nicht darauf an, ob die rechts von der Ausfahrt stehende Ampel durch Rotlicht die die Weiterfahrt doch für den Verkehr auf der Straße sperrte. Das Vertrauen darauf, dass Fahrzeuge an der Fußgängerampel anhalten würden, entbinde den Einfahrenden nicht von der erhöhten Sorgfaltspflicht nach § 10 StVO (OLG Hamm, Urteil vom 16.02.2016 – 9 U 108/15 -).

  

Auf Beklagtenseite habe kein Sorgfaltsverstoß vorgelegen; insbesondere sei nicht klägerseits nachgewiesen worden, dass der Beklagtenfahrer bei Rotlicht über die Fußgängerampel gefahren sei. Damit sei eine Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls für ihn gegeben (Anm.: andernfalls hätte er sich im Rahmen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs den Verkehrsverstoß zurechnen zu lassen, wobei im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen wäre, dass das Rotlicht der Fußgängerampel nicht dem Schutz des einfahrenden Verkehrs dient, s.o., und mithin der Verstoß des Klägers gegen § 10 StVO im Rahmen der Haftungsabwägung schwerer wiegen würde). 

 

Aus den Gründen

 

Tenor

 

Die Berufung des Klägers gegen das am 13. März 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Lübeck ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

 

I.

 

Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Verkehrsunfall am 17. Dezember 2019 in O.

 

Der Kläger fuhr gegen 15:20 Uhr mit einem PKW (amtliches Kennzeichen H…) vom Parkplatz eines Discounters auf die Straße M. Dort kollidierte er mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 (amtliches Kennzeichen R…, haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2), das gegen die rechte Seite des klägerischen Fahrzeugs fuhr. Von der Ein-/Ausfahrt zum Parkplatz aus Sicht des Klägers gesehen rechts befindet sich eine Fußgängerampel. Wegen der Einzelheiten der Unfallkonfiguration wird Bezug genommen auf die als Anlage zu Protokoll genommenen Fotos.

 

Der Kläger hat neben Sachverständigenkosten in Höhe von 946,74 € fiktive Reparaturkosten in Höhe von 5.829,28 €, eine merkantile Wertminderung von 400 € und eine Kostenpauschale von 25 €, jeweils zuzüglich Zinsen, sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend gemacht. Er hat behauptet, die Beklagte zu 1) habe die auf der Straße M. befindliche Ampel bei für sie roten Ampellicht passiert.

 

Das Landgericht hat nach Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) sowie nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht beweisen können, dass die Beklagte zu 1) die Ampel bei Rotlicht passiert habe. Die Angaben der vernommenen Zeugin seien widersprüchlich gewesen, zudem leide sie unter Vergesslichkeit und weise eine GdB von 80% auf. Allein mit den Angaben in der persönlichen Anhörung habe der Kläger den Beweis nicht zu führen vermocht.

 

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

 

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung und verfolgt seine erstinstanzlichen Ansprüche weiter. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die vernommene Zeugin schwerbeschädigt und deshalb überfordert gewesen sei. Sie habe aber mehrfach bestätigt, dass die Fußgängerampel grünes Ampellicht gezeigt habe. Der Kläger beruft sich zudem auf erstinstanzlich mit n.n. weiter benannte Zeugen. Hier hätte das Landgericht einen Hinweis zur Beibringung erteilen müssen. Auch die Angaben der Beklagten zu 1) zum Unfall gegenüber der Polizei seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

 

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

 

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

 

II.

 

Gemäß § 513 ZPO kann die Berufung nur auf eine Rechtsverletzung oder darauf gestützt werden, dass die gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigenden Feststellungen ein anderes als das landgerichtliche Ergebnis rechtfertigen. Beides liegt nicht vor. Denn das Landgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die auf Zahlung restlichen Schadensersatzes gerichteten Klage zu Recht abgewiesen.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StVG, 115 Abs. 1 VVG gegen die Beklagten.

 

Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH, NZV 1996, S. 231).

 

Nach diesem Maßstab hat der Kläger die Haftung für den Unfall voll zu tragen.

 

Der Kläger hat vorliegend einen Verstoß gegen § 10 StVO begangen. Hiernach hat, wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2), aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1 und 325.2) auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einem Unfall mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2018 – I-9 U 54/17, NJW-RR 2018, 861, 862).

 

So liegt der Fall hier. Bei der auf der Straße befindlichen Ampel handelt es sich um eine Fußgängerampel, die nicht den ein- und ausfahrenden Verkehr vom Parkplatz regelt. Vielmehr fuhr der Kläger über den abgesenkten Bordstein vom Parkplatz auf die bevorrechtigte Straße ein. Es kann insoweit dahinstehen, ob der Verkehr auf der Straße M., wie der Kläger behauptet, tatsächlich durch Rotlicht gesperrt war. Denn das Vertrauen, dass Fahrzeuge an der Fußgängerampel anhalten, entbindet den Einfahrenden nicht von den erhöhten Sorgfaltspflichten des § 10 StVO (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16.02.2016 – 9 U 108/15, r+s 2017, 155).

 

Demgegenüber steht ein Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO nicht fest. Das Landgericht hat die Behauptung des Klägers, die Beklagte zu 1) habe das rote Ampellicht missachtet, nicht als erwiesen angesehen.

 

Dies ist nicht zu beanstanden. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) berechtigt das Gericht, die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. § 286, Rn. 13). Ein Verstoß gegen diese Grundsätze ist nicht erkennbar. Im Übrigen steht die Wiederholung der Beweisaufnahme außerdem gem. §§ 529, 531 ZPO nicht mehr in reinem Ermessen des Berufungsgerichts. Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall einer Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben werden, sich also ihre Unrichtigkeit herausstellt (Zöller/Heßler, a.a.O. § 529, Rn. 3). Solche konkreten Anhaltspunkte werden mit der Berufung jedoch nicht vorgetragen.

 

Das Landgericht hat zu Recht die Angaben der Zeugin A. für den Beweis nicht als ausreichend angesehen. Neben den vom Landgericht angeführten Umständen, leidet die Aussage der Zeugin auch daran, dass sie mehrfach angab, die Ampel habe „für uns grün“ angezeigt. Angesichts dessen, dass am Ort gar keine Ampel vorhanden war, die den Ein- und ausfahrenden Verkehr vom Parkplatz regelte, sind ihre Angaben insgesamt als nicht ausreichend zuverlässig einzustufen, weil sie nicht einmal diesen maßgeblichen Umstand zutreffend erfasst hat, dass es sich - wenn überhaupt - um das Ampellicht für Fußgängerverkehr gehandelt haben kann.

 

Letztlich kann es sogar dahinstehen, ob die Ampel tatsächlich für die Beklagte zu 1) rot war, denn die Zeichengebung an einer Fußgängerfurt dient nur dem Schutz des dortigen Fußgängerverkehrs, nicht aber der Regelung der Verkehrsverhältnisse an der Einmündung der Straße (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.1991 – 1 U 138/90, BeckRS 2016, 2679). Es würde mithin jedenfalls an einem unfallursächlichen Verkehrsverstoß mangeln.

 

Es liegt kein Gehörsverstoß im mangelnden Hinweis des Landgerichts auf den unvollständigen Beweisantritt des Klägers. Denn dass der Beweisantritt mit n. n. nicht vollständig ist, musste dem Kläger auch ohne dahingehenden Hinweis des Gerichts bekannt sein. Zudem hätte ein etwaiger Hinweis des Landgerichts ohnehin kein anderes Ergebnis gezeitigt, denn der Kläger hat auch in der Berufungsinstanz es nicht vermocht, den Beweisantritt zu komplettieren.

 

Der erhebliche Verkehrsverstoß des Klägers gegen § 10 StVO lässt die ungesteigerte Betriebsgefahr des Beklagten zurücktreten mit der Folge, dass der Kläger voll für den Unfall haftet und keinen Schadensersatz beanspruchen kann.

 

 

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.