Schadensersatz


Kollision mit geöffneter Fahrzeugtür und Beweis des ersten Anscheins bei Haftungsabwägung

OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.07.2024 - 3 U 16/24 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Das Beklagtenfahrzeug parkte in einer am rechten Fahrbahnrand belegenen Parkbucht. Bei der Vorbeifahrt kollidierte das Klägerfahrzeug mit der hinteren linken (geöffneten) Tür des Beklagtenfahrzeugs. Das Landgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage ab. Das Berufungsgericht nahm eine Haftungsverteilung vor.

 

Das Berufungsgericht schloss sich der vom Erstgericht vertretenen Auffassung an, dass sowohl die Kläger- wie auch die Beklagtenseite für die Folgen des Unfalls gem. §§ 7, 17, 18 StVG iVm. 115 VVG einzustehen hätte, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden seien und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle.

 

Richtig habe auch das Erstgericht im Rahmen der danach nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung einen Verstoß der Beklagten zu 2. Gegen § 14 S. 1 StPO angenommen habe, sei dies ebenfalls zutreffend. Wer ein- oder aussteigt müsse sich gem. § 14 S. 1 StPO so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Die Norm würde dem fließenden Verkehr schützen und verlange vom Aussteigenden ein Höchstmaß an Sorgfalt. Diese Sorgfaltsanforderung ende beim Einsteigen erst mit dem Schließen der Tür und beim Aussteigen erst mit dem Schließen der Tür du dem Verlassen der Fahrbahn. Situationen beim Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür würden davon auch umfasst, so auch ein beugen in das Fahrzeug, um Gegenstände auszuladen (BGH, Urteil vom 06.10.2009 - VI ZR 316/08 -). Ein Aussteigen zur Fahrbahnseite müsste so schnell wie möglich wegen der damit verbundenen besonderen Gefahrensituation durchgeführt werden und die Tür dürfe dabei nicht länger offengelassen werden als unbedingt notwendig (OLG Celle, Urteil vom 04.12.2019 - 14 U 127/19 -).  

 

Käme es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Aussteigevorgang zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden (BGH aaO.).


Ein zu geringer Seitenabstand würde den Anscheinsbeweis nicht bereits erschüttern. Zwar habe der BGH aaO. offengelassen, ob in einem solchen Fall der Anscheinsbeweis erschüttert sei, wenn sich der Aus-/Einsteigende bei dem Vorgang vergewisserte, dass sich kein rückwärtiger Verkehr nähere und der Unfall einzig auf den geringen Seitenabstand zurückzuführen sei. Hier allerdings läge der Fall anders, da die Zweibeklagte kein herannahendes Fahrzeug gesehen haben will obwohl sie sich nach dem rückwärtigen Verkehr vergewissert habe, der Sachverständige allerdings feststellt habe, dass sie in diesem Fall das klägerische Fahrzeug zu sehen gewesen wäre. Zudem ließe sich der Einlassung der Zweitbeklagten nicht entnehmen, dass sie nicht nur bei Öffnen der Tür, sondern fortwährend auch danach über rückwärtigen Verkehr vergewisserte, um ggf. die Tür wieder zu schließen

 

 

Das Erstgericht hatte einen unfallursächlichen Verstoß auf Klägerseite gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen eines unzureichenden Seitenabstandes beim Vorbeifahren angenommen, da die geöffnete Tür zu sehen gewesen sei.  Dies sah das Berufungsgericht als zweifelhaft an, da offen se, ob die Tür im Zeitraum der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde und ob der der Klägerseite zur Verfügung stehende Verkehrsraum überhaupt einen weiteren Seitenabstand zugelassen habe. Dies ließ das Berufungsgericht offen, da auch bei einem unzureichenden Seitenabstand im Rahmen der Haftungsabwägung der klägerische Haftungsanteil allenfalls – wie von der Berufung zugrunde gelegt – der klägerische Haftungsanteil 50% betrage. Ein höherer Haftungsanteil scheide aus, da nicht auszuschließen sei, dass die Tür unmittelbar vor der Kollision weiter geöffnet wurde und von daher nicht feststehen würde, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die wesentliche Ursache für die Kollision gesetzt habe.

 

Aus den Gründen:

 

 Tenor

 

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 1 O 166/22 – vom 2.2.2024 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert. Die Beklagten werden unter Abweisung der Klage im Übrigen als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.078,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.3.2022 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 381,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.7.2022 zu zahlen.

II. Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 53 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 47 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

I.

 

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 13.1.2022 in der ... in ... ereignet hat.

 

Dort hatte die Zweitbeklagte den von ihr geführten, bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten Pkw Fiat Panda (amtl. Kz.: ...) etwa in Höhe der Hausnummer 8 in einer am rechten Fahrbandrand befindlichen Parkbucht geparkt. Der Zeuge ... befuhr mit dem Klägerfahrzeug VW Golf VI Plus Team (amtl. Kz.: ...) die ... in Richtung des dort befindlichen Kreisels. Bei der Vorbeifahrt kollidierte das Klägerfahrzeug mit der hinteren linken Tür des Beklagtenfahrzeugs. Der genaue Unfallhergang steht zwischen den Parteien im Streit.

 

Mit der Klage hat die Klägerin von den Beklagten bei Annahme deren Alleinhaftung die Zahlung von 6.479,36 € (4.245,- € Wiederbeschaffungsaufwand + 1.104,56 € Sachverständigenkosten + 84,80 € An- und Abmeldekosten + 1.015,- € Nutzungsausfall + 30,- € Unkostenpauschale) nebst Zinsen und 713,76 € vorgerichtliche Anwaltskosten verlangt. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.

 

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Zeuge ... habe gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da er mit einem Seitenabstand von lediglich 55 cm an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren sei, obwohl er die in der geöffneten Tür stehende Zweitbeklagte erkannt habe. Da es ihm möglich gewesen sei, einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten bzw. bei Gegenverkehr anzuhalten, überwiege der Sorgfaltsverstoß des Zeugen so sehr, dass der Verstoß der Zweitbeklagten gegen § 14 Satz 1 StVO dahinter zurücktrete.

 

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch in hälftiger Höhe unter Berufung auf eine 50%ige Mithaftung der Beklagten weiter verfolgt. Die Beklagten sind dem entgegengetreten und verteidigen die angefochtene Entscheidung.

 

II.

 

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache hat sie überwiegend Erfolg.

 

1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Hiergegen wenden sich die Parteien nicht.

 

2. Soweit das Landgericht im Rahmen der danach gem. § 17 StVG gebotenen Entscheidung über eine Haftungsverteilung auf Beklagtenseite einen Verstoß der Zweitbeklagten gegen § 14 Satz 1 StVO angenommen hat, nimmt die Berufung das als für sie günstig hin. Dies begegnet auch keinen Bedenken.

 

a) Nach § 14 Abs. 1 StVO muss, wer ein- oder aussteigt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Vorschrift dient in erster Linie dem Schutz des fließenden Verkehrs und verlangt von dem Aussteigenden ein Höchstmaß an Sorgfalt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 31. März 2020 - 1 U 101/19, Rn. 35, juris). Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer des Ein- oder Aussteigevorgangs, mithin für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist. Erfasst sind dabei insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 - VI ZR 316/08, Rn. 11, juris). Da das Ein- und Aussteigen zur Fahrbahnseite regelmäßig mit besonderen Gefahren verbunden ist, ist der Vorgang so zügig wie irgend möglich durchzuführen und darf die Tür nicht länger offengelassen werden als unbedingt notwendig (vgl. OLG Celle, Urteil vom 4. Dezember 2019 - 14 U 127/19, Rn. 41, juris; KG Berlin, Beschluss vom 22. November 2007 - 12 U 199/06, Rn. 17, juris). Kommt es – wie hier – im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein-/Aussteigevorgang zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 - VI ZR 316/08 -, Rn. 12, juris; Senat, Urteil vom 24. März 2023 - 3 U 9/23, Rn. 15, juris).

 

b) So liegt es auch hier. Anders als die Beklagten meinen, wird der Anscheinsbeweis nicht bereits durch einen zu geringen Seitenabstand des Vorbeifahrenden erschüttert. Zwar hat der Bundesgerichtshof dies offengelassen, wenn feststeht, dass sich der Ein- oder Aussteigende vor und während des Ein- oder Aussteigens vergewissert hat, dass sich kein rückwärtiger Verkehr nähert, und der Unfall ausschließlich auf einen zu geringen Seitenabstand des Vorbeifahrenden zurückzuführen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 - VI ZR 316/08, Rn. 13, juris). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn dass die Zweitbeklagte, die nach ihrer Einlassung (Bl. 73 f. GA) kein herannahendes Fahrzeug gesehen haben will, sich vor dem Öffnen der Fondtür ordnungsgemäß nach dem rückwärtigen Verkehr vergewissert hat, steht angesichts der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, wonach das Klägerfahrzeug für die Zweitbeklagte bereits erkennbar gewesen sein muss (Bl. 199 GA), nicht fest. Überdies musste die Zweitbeklagte sich nicht nur vor dem Öffnen der Fondtür, sondern auch ständig weiter vergewissern, ob Fahrzeugverkehr herannahte, um gegebenenfalls die geöffnete Tür wieder schließen zu können (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2023 - 3 U 9/23, Rn. 16, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Juni 2012 - 1 U 149/11, Rn. 45, juris). Dass sie dieser Verpflichtung nachgekommen wäre, lässt sich ihrer Einlassung nicht entnehmen.

 

3. Das Landgericht hat weiter angenommen, auf Klägerseite sei ein unfallursächlicher Verstoß des Zeugen ... gegen § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen, da der Zeuge mit einem unzureichenden Seitenabstand an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren sei, obschon er die in der Tür stehende Zweitbeklagte vor der Kollision erkannt habe. Ob dies zutrifft, ist angesichts der letztlich ungeklärten Frage, ob die Tür im Moment der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde und ob der zur Verfügung stehende Verkehrsraum einen nennenswert weiteren Seitenabstand überhaupt zuließ, zweifelbehaftet. Letztlich kann die Frage hier dahinstehen. Denn auch bei Annahme eines unzureichenden Seitenabstandes ergibt sich – wie der Berufung zugrunde gelegt – im Rahmen der Haftungsabwägung allenfalls ein Haftungsanteil der Klägerin von 50 %.

 

Eine höhere Haftungsquote der Klägerin scheidet aus, da – wie auch das Landgericht nicht verkannt hat (LGU S. 6) – nach den Ausführungen des Sachverständigen ... in seinem Gutachten (Bl. 160, 164 GA) und bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens (Bl. 198 ff. GA) nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Tür unmittelbar vor der Kollision weiter geöffnet wurde. Die Fondtür könnte danach, wenn die Zweitbeklagte sich – wie von ihr in ihrer Anhörung angegeben (Bl. 73 GA) – in das Beklagtenfahrzeug gebeugt hatte, zunächst auch lediglich 45 cm weit geöffnet gewesen sein. In diesem Fall könnte der feststellbare Seitenabstand des Klägerfahrzeugs von 55 cm zunächst (noch) ausreichend gewesen sein, um das Beklagtenfahrzeug ohne Kollision zu passieren. Mit Blick auf die nach den Ausführungen des Sachverständigen letztlich ungeklärte Koordination zwischen dem Türöffnungsvorgang und dem Bewegungsverhalten des Klägerfahrzeugs (Bl. 163 GA) steht mithin, anders als das Landgericht angenommen hat, nicht fest, dass der Zeuge ... die wesentliche Unfallursache gesetzt hat. Nicht mehr entscheidungserheblich ist damit, dass das Landgericht zwar festgestellt hat, der Zeuge ... habe die Zweitbeklagte vor der Kollision wahrgenommen, es aber weitere Feststellungen zu der zeitlichen Abfolge des Kollisionsgeschehens, insbesondere des Zeitpunkts des Öffnens der Fahrzeugtür, sowie zum (Nicht-)Vorhandensein von Gegenverkehr unterlassen hat. Damit fehlt es für die Annahme, der Zeuge habe den Unfall ohne Weiteres durch Einhaltung eines größeren Seitenabstands bzw. rechtzeitiges Verlangsamen/Anhalten des Fahrzeugs verhindern können, an einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Der Sachverhalt unterscheidet sich damit auch maßgeblich von demjenigen, der der vom Erstgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken (Urteil vom 10. November 2023 - 13 S 8/23, juris) zugrunde gelegen hatte, und rechtfertigt insgesamt keine höhere Haftungsquote der Klägerin als 50 %.

 

4. Ausgehend von einer hälftigen Haftung der Beklagtenseite steht der Klägerin Schadensersatz i.H.v. 3.054,78 € nebst Zinsen seit dem 16.3.2022 zu.

 

a) Der Wiederbeschaffungsaufwand (4.245,- €) und die Sachverständigenkosten (1.104,56 €) stehen nicht im Streit.

 

b) Die im Zusammenhang mit der Ersatzbeschaffung angefallenen Kosten (Anmeldekosten, Abmeldekosten, Kosten des neuen Kennzeichens) i.H.v. insgesamt 84,80 € kann die Klägerin nicht verlangen, weil sie ihren Schaden fiktiv auf Grundlage des von ihr eingeholten Schadengutachtens abrechnet. Sie hat zwar im Laufe des Verfahrens Unterlagen betreffend den Erwerb des Ersatzfahrzeugs vorgelegt (Bl. 36 ff. GA), dabei aber keine Angaben zum Kaufpreis des Ersatzfahrzeugs gemacht und die diesbezüglichen Angaben in den Unterlagen geschwärzt. Damit ist sie nicht zur konkreten Abrechnung übergangen, sondern bei der von ihr zunächst gewählten fiktiven Schadensberechnung geblieben. Die ihr (konkret) entstandenen Nebenkosten im Zusammenhang mit der tatsächlich erfolgten Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges sind in diesem Fall nicht ersatzfähig (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2006 - VI ZR 174/05, Rn. 11, juris). Eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2022 - VI ZR 7/21, Rn. 10, juris).

 

c) Der Klägerin steht dagegen ein Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens i.H.v. 735,- € zu.

 

aa) Der Nutzungsausfall ist nicht notwendiger Teil des am Kfz in Natur eingetretenen Schadens. Es handelt sich um einen zwar typischen, aber nicht notwendigen Folgeschaden, der weder überhaupt noch seiner Höhe nach von Anfang an fixiert ist. Er hängt davon ab, ob der Geschädigte den Wagen überhaupt nutzen wollte und konnte, ggf. auch durch Überlassung an Dritte (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2009 - VI ZR 211/08, Rn. 9, juris), und ob der Nutzungsausfall wegen des zumutbaren Einsatzes eines weiter vorhandenen Fahrzeugs kompensiert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 1975 - VI ZR 255/74, juris). Zu ersetzen ist der Nutzungsausfall stets nur dann, wenn er tatsächlich vermögensrechtlich eintritt (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2009 - VI ZR 211/08, Rn. 9, juris); eine Entschädigung für lediglich fiktiven Nutzungsausfall kommt demgegenüber nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1979 - V ZR 214/77, Rn. 33, juris). Der Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls besteht für die erforderliche Ausfallzeit, d.h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 - VI ZR 363/11, Rn. 22, juris). Rechnet der Geschädigte – wie hier – seinen Schaden fiktiv ab, kommt es maßgeblich dabei auf die objektiv erforderliche Dauer an (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, Rn. 9, juris).

 

bb) Nach diesen Maßstäben steht der Klägerin hier Nutzungsausfall für die Dauer der gebotenen Wiederbeschaffung des Fahrzeugs, das einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hatte, zu. Dem Anspruch steht insbesondere nicht entgegen, dass der Klägerin ein Zweitfahrzeug Marke Mercedes-Benz zur Verfügung stand. Zwar fehlt es an einem fühlbaren Nutzungsausfall, wenn dem Geschädigten ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung steht, dessen ersatzweise Nutzung ihm zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2022 - VI ZR 35/22, Rn. 12, juris). Allerdings haben der Ehemann und der Sohn der Klägerin in ihrer Vernehmung vor dem Landgericht übereinstimmend bekundet, dass das Klägerfahrzeug von ihnen genutzt wurde, während die Klägerin selbst den Zweitwagen benutzt hatte (Bl. 201 GA). Dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht erneut bestätigt. Da ein Vermögensschaden des Halters auch dann anzunehmen ist, wenn er das Fahrzeug während der unfallbedingten Ausfallzeit zwar nicht selbst genutzt hätte, das Fahrzeug aber nach einer bereits vor Unfall getroffenen Zweckbestimmung von Familienangehörigen hätte genutzt werden sollen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 1975 - VI ZR 143/73, Rn. 8, juris; Urteil vom 16. Oktober 1973 - VI ZR 96/72, Rn. 8, juris), kann hier von einem ersatzpflichtigen Nutzungsausfall ausgegangen werden.

 

cc) Der Höhe nach beläuft sich die Nutzungsausfallentschädigung auf 735,- € (§ 287 ZPO). Das Klägerfahrzeug war nach dem Unfall nicht mehr verkehrssicher und konnte damit seit dem 13.1.2022 nicht mehr genutzt werden. Das Schadengutachten datiert vom 19.1.2022. An den Zugang des Gutachtens bei der Klägerin schließt sich die im Gutachten ausgewiesene Wiederbeschaffungsdauer von 12 bis 14 Tagen unmittelbar an. Eine Überlegungsfrist war der Klägerin nicht zuzubilligen, da es sich nach dem Schadengutachten um einen offensichtlichen Totalschadensfall handelte. Nutzungsausfall kann folglich für die Zeit vom 13.1. bis zum 2.2.2022, mithin für 21 Tage verlangt werden, wobei sich ausweislich einschlägiger Tabellen („Schwacke-Schadenmanager“) bei dem zum Unfallzeitpunkt über 10 Jahre alten Klägerfahrzeug (vgl. zur Bemessung des Nutzungsausfalls bei älteren Fahrzeugen BGH, Urteil vom 23. November 2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151) ein Entschädigungssatz von 35,- €/Tag ergibt. Die Klägerin kann damit (21 x 35,- € =) 735,- € verlangen.

 

d) Zusammen mit der Unfallpauschale, die der Senat in ständiger Rechtsprechung mit 25,- € bemisst, steht der Klägerin damit insgesamt ein Anspruch in Höhe von ([4.245,- € + 1.104,56 € + 735,- € + 25,- €] : 2 =) 3.054,78 € zu.

 

e) Der Zinsanspruch folgt aus § 280 Abs. 1, 2, §§ 286 ff. BGB.

 

5. Die Klägerin kann zudem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus dem Wert der berechtigten Forderung (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2018 - VI ZR 82/17, Rn. 10, juris) in Höhe von 381,40 € nebst Zinsen seit dem 5.7.2022 beanspruchen.

 

a) Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Der Schädiger hat allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren, wobei gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen ist. Eine etwaige Geschäftsgewandtheit des Geschädigten – insbesondere Sach- und Fachkenntnisse im Zusammenhang mit der Abwicklung vergleichbarer Schadensfälle – kann sich dabei (nur) in zweierlei Hinsicht auswirken: Erstens bei der Beurteilung, ob aus Sicht des entsprechend qualifizierten Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde. Zweitens hat der Geschädigte, wenn es sich nach den genannten Kriterien um einen derart einfachen, aus seiner Sicht zweifelsfreien Fall handelt, sein Wissen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen, darf also die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (zunächst) nicht für erforderlich erachten. Handelt es sich hingegen nicht um einen einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte, gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet. Demnach kann es auch einem mit Schadensabwicklungen vertrauten Unternehmen nicht verwehrt werden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, sofern nicht zweifelsfrei ist, dass und inwieweit der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den Schaden regulieren wird (Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 41 Rn. 132). Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts, also die Sicht ex ante (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19, Rn. 21 f., juris m.w.N.).

 

b) Nach diesen Maßstäben durfte die Klägerin grundsätzlich die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich erachten, da hier nicht zweifelsfrei war, dass und in welchem Umfang die Erstbeklagte, die eine Verantwortlichkeit der Beklagten zudem bereits dem Grunde nach in Abrede stellt, den Unfall regulieren würde. War die Klägerin danach berechtigt, sich anwaltlicher Hilfe bei der außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche zu bedienen, steht dem Anspruch nicht entgegen, dass sie keinen anderen Anwalt beauftragt hat, sondern in eigener Sache selbst tätig geworden ist (vgl. AG Berlin-Mitte, Urteil vom 15. März 2023 - 28 C 278/22 V, Rn. 7, juris; AG Köln, Urteil vom 11. Dezember 2017 - 261 C 176/17, Rn. 8, juris; AG Münster, Urteil vom 9. Februar 2011 - 60 C 4389/10, Rn. 9, juris; AG München, Urteil vom 28. Januar 2004 - 322 C 33323/03, juris).

 

c) Bei Zugrundelegung einer 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 361,40 € (Nr. 2300 VV-RVG) zuzüglich einer Kostenpauschale von 20,- € (Nr. 7002 VV-RVG) ergibt sich ein erstattungsfähiger Betrag von 381,40 €.

 

d) Rechtshängigkeitszinsen kann die Klägerin in entsprechender Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2021 - IV ZR 250/20, Rn. 24, juris), mithin ab dem 5.7.2022 verlangen.

 

III.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).