Schadensersatz


Haftungsverteilung zwischen Zugfahrzeug und Anhänger bei Unfall beim Entladen

OLG München, Hinweisbeschluss vom 15.05.2023 - 24 U 721/23 e -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Beim Entladen des zugelassenen Anhängers kam es  durch Herabfallen von Ladegut zu einem Schaden an einem Pkw, den die klagende Haftpflichtversicherung nach Inanspruchnahme ausglich. Sie verklagte die beklagte Haftpflichtversicherung auf Ersatz ihrer Aufwendungen. Das Landgericht gab der Klage auf der Grundlage des § 19 Ab. 4 S. 2 StVG statt. Dagegen wandte sich die Beklagte mit der Begründung, es läge eine Ausnahme nach § 19 Abs. 4 S. 3 StVG vor, da alleine die Ladung des Anhängers unfallursächlich sei. In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG die Beklagte darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung nach § 522 ZPO zurückzuweisen.

 

§ 19 StVG regelt die Haftung des Halters bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen und lautet:

 

„Ist in den Fällen der Absätze 2 und 3 der Halter des Zugfahrzeugs oder des Anhängers zum Ersatz des Schadens verpflichtet, kann er nach § 426 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von dem Halter des zu dem Gespann verbundenen anderen Fahrzeugs Ausgleich verlangen. Im Verhältnis dieser Halter zueinander ist nur der Halter des Zugfahrzeugs verpflichtet. Satz 2 gilt nicht, soweit sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein; in diesem Fall hängt die Verpflichtung zum Ausgleich davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem Zugfahrzeug oder dem Anhänger verursacht worden ist. Das Ziehen des Anhängers allein verwirklicht im Regelfall keine höhere Gefahr. Der Ersatz für Schäden der Halter des Zugfahrzeugs und des Anhängers richtet sich im Verhältnis zueinander nach den allgemeinen Vorschriften.“

 

Das OLG geht zutreffend mit dem Landgericht davon aus, dass eine Mehrfachversicherung vorläge. Diese entstünde, wenn das Zugfahrzeug und der Anhänger bei verschiedenen Versicherungen haftpflichtversichert seien. In diesen Fällen könnten zwar von dem Geschädigten sowohl der Halter/Versicherer des Zugfahrzeugs wie auch der Halter/Versicherer des Anhängers in Anspruch genommen werden, doch würde in deren Innenverhältnis gem. § 78 Abs. 3 VVG iVm. § 19 Abs. 4 S. 2 StVG der Halter und Haftpflichtversicherer des Zugfahrzeugs alleine zur Zahlung verpflichtet sein. Ein Ausnahmefall nach § 19 Abs. 4 S. 3 StVG läge nicht vor.

 

Voraussetzung für die Ausnahme wäre, dass sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht habe als durch das Zugfahrzeug alleine, wobei das Ziehen des Anhängers als solches diese höhere Gefahr nicht verwirkliche. Vorliegend seien Zugfahrzeug und Anhänger ordnungsgemäß am Rand der Straße abgestellt gewesen und auch beim Entladen habe sich keine besondere Betriebsgefahr des Anhängers verwirklicht. Das Entladen des Anhängers als solches stelle keine Gefahrerhöhung dar und es sei auch nicht ersichtlich, dass das Entladen des Anhängers gefährlicher wäre als das Entladen des Zugfahrzeugs.

.

Auch die Entstehungsgeschichte der §§ 78 Abs. 3 VVG und 19 Abs. 4 StVG zeige, dass eine weite Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 19 Abs. 4 S. 3 StVG nicht dem Willen des Gesetzgebers entspräche. Erstmals sei die Halterhaftung für Anhänger im Gesetz vom 19.07.2003 in § 7 StVO eingefügt worden. Dies nicht nur im Hinblick auf eine Erhöhung der von einem Gespann ausgehenden Betriebsgefahr, sondern auch vor dem Hintergrund, dass Geschädigten häufig nur das Kennzeichen des Anhängers, nicht des Zugfahrzeugs bekannt sei. In der Gesetzesbegründung sei ausgeführt worden, dass dies denn Halter des Anhängers nicht unverhältnismäßig belaste, würde ihm doch durch die insoweit ergänzten §§ 17 Abs. 2 und 18 Abs. 3 StVG ein Rückgriffsrecht im Innenverhältnis auf den Halter/Versicherer des Zugfahrzeugs zustehen. Allerdings sei dann „entgegen dieser Erwartung“ vom BGH mit Urteil vom 27.10.2010 - IV ZR 279/08 - entschieden, dass im Regelfall bei einem durch ein Gespann verursachten Schaden die Haftpflichtversicherer von Zugfahrzeug und Anhänger im Innenverhältnis je zur Hälfte haften würden (das Verfahren für den Versicherer des Zugfahrzeugs wurde damals von unserer Kanzlei betrieben). Die dadurch bedingte Steigerung der Versicherungsprämien für die Anhängerhaftpflichtversicherung und Probleme mit Anhängerhaltern und ihren Versicherern aus Staaten, die keine Pflichtversicherung für Anhänger vorsähen, hätten den Gesetzgeber zur Neureglung in den heutigen §§ 78 Abs. 3 VVG, § 19 Abs. 4 StVG veranlasst (BT-Drucks. 19/17964). In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung sei ausgeführt, dass sich der mit dem Zugfahrzeug verbundene Anhänger im Regelfall nicht auf die Schadensentstehung auswirke. Eine Ausnahme läge vor, wenn der verbundene Anhänger ausnahmsweise zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr führe, was z.B. bei einem technischen Defekt des Anhängers der Fall sein könne.

 

 

Eine entsprechende Ausnahme läge hier nicht vor. Weder habe ein technischer Defekt vorgelegen noch eine außergewöhnliche Beschaffenheit (Überlänge, Überbreite, Schwertransport etc., vgl. BT-Drucks. aaO. S. 17). Dass sich der Unfall beim Entladen ereignet habe genüge für die Ausnahme ebenso wenig wie der Umstand, dass der Führer der Zugmaschine, dem das Missgeschick unterlaufen sei, zugleich Führer des Anhängers gewesen sei. Damit verbleibe es bei dem Regelfall der (im Innenverhältnis) alleinigen Haftung des Halters und Versicherers der Zugmaschine.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 20.01.2023, Az. 124 O 2481/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

 

Gründe

 

I.

 

Die Parteien sind Haftpflichtversicherer, die um Regressansprüche streiten.

 

Die Klägerin hat als Haftpflichtversicherer des Anhängers mit dem Kennzeichen …78 einen Schaden in Höhe von 6.517,71 € reguliert, der entstanden ist, als am 15.10.2021 in A. bei Entladen des Anhängers Hartplastik-Styproporplatten auf die Fahrbahn fielen und einen auf der Straße im Stau stehenden PKW beschädigten. Sie fordert von der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Zugfahrzeugs mit dem Kennzeichen …19 den Ersatz ihrer Aufwendungen.

 

Das Landgericht Augsburg hat der Klage mit Endurteil vom 20.01.2023 stattgegeben, da gemäß § 19 Abs. 4 S. 2 StVG die Beklagte im Innenverhältnis allein hafte.

 

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie die Abänderung des Urteils und die Abweisung der Klage beantragt. Sie ist der Ansicht, dass eine Haftung des Zugfahrzeughalters über die Ausnahmevorschrift des § 19 Abs. 4 S. 3 StVG ausgeschlossen sei, da allein die zuvor im Anhänger befindliche Ladung unfallursächlich gewesen sei.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

 

II.

 

Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

 

1. Die Parteien stimmen darin überein, dass die landgerichtliche Entscheidung dem gesetzlichen Regelfall entspricht. Wenn eine Mehrfachversicherung dadurch entsteht, dass Zugfahrzeug und Anhänger bei verschiedenen Versicherungen haftpflichtversichert sind, ist im Innenverhältnis nach § 78 Abs. 3 VVG i. V. m. § 19 Abs. 4 S. 2 StVG in der Fassung des Gesetzes vom 10.07.2020 (BGBl. I S. 1653) der Halter - und damit auch der Haftpflichtversicherer - des Zugfahrzeugs allein zur Zahlung verpflichtet.

 

2. Das Landgericht Augsburg hat zutreffend entschieden, dass im vorliegenden Fall die Ausnahme nach § 19 IV S. 3 StVG nicht eingreift.

 

a) Die Ausnahme setzt voraus, dass sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein, wobei nach S. 4 das Ziehen des Anhängers allein im Regelfall keine höhere Gefahr verwirklicht.

 

Bereits nach dem Wortlaut liegen die Voraussetzungen für diese Ausnahmeregelung nicht vor.

 

Sowohl das Zugfahrzeug als auch der Anhänger waren ordnungsgemäß am Rand der Straße in A. abgestellt. Beim Entladen hat sich keine besondere Betriebsgefahr des Anhängers verwirklicht. Dieser war - ebenso wie das Zugfahrzeug - in technisch einwandfreiem Zustand. Das Entladen eines Anhängers stellt keine gefahrerhöhende Tätigkeit dar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Entladen des Anhängers gefährlicher wäre als das Entladen des Zugfahrzeugs. Der Fahrer des LKWs hat im Fragebogen der Klägerin die Frage „Wer hat den Schaden verursacht?“ beantwortet mit: „Ich selber bzw. die Styroporplatten“ (vgl. Anlage K2).

 

b) Die Entstehungsgeschichte der §§ 78 Abs. 3 VVG, 19 Abs. 4 StVG zeigt, dass eine weite Auslegung der Ausnahmevorschrift in § 19 Abs. 4 S. 3 StVG nicht dem Willen des Gesetzgebers entspräche.

 

Eine Halterhaftung für Anhänger wurde erstmals durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 in § 7 StVG eingefügt. Sie wurde nicht nur mit einer Erhöhung der von einem Kraftfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr durch die Verwendung von Anhängern begründet, sondern auch damit, dass in zunehmendem Maße Verkehrsunfälle zu beobachten seien, bei denen den Geschädigten zur Identifizierung des Schädigers nur das Kennzeichen des Anhängers, nicht aber das des Zugfahrzeugs bekannt sei. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucksache 14/7752, S. 30) wurde ausgeführt, die Regelung belaste den Halter des Anhängers auch nicht unverhältnismäßig. „Ist der Schaden ausschließlich durch das Zugfahrzeug oder dessen Führer verursacht worden, sichern ihm die insoweit ergänzten §§ 17 Abs. 2 und 18 Abs. 3 StVG (vgl. dazu unten Begründung zu Artikel 4 Nr. 8 und 9) ein Rückgriffsrecht im Innenverhältnis. Letztendlich soll in solchen Fällen der Halter des Anhängers nicht den Schaden tragen, der durch das Zugfahrzeug oder dessen Führer verursacht wurde und in denen sich die Betriebsgefahr des Anhängers nicht realisiert hat.“

 

Entgegen dieser Erwartung hat der BGH jedoch 2010 entschieden, dass bei der Doppelversicherung eines Gespanns aus einem Kraftfahrzeug und einem versicherungspflichtigen Anhänger im Regelfalle nach einem durch das Gespann verursachten Schaden der Haftpflichtversicherer des Kraftfahrzeugs und der des Anhängers den Schaden im Innenverhältnis je zur Hälfte zu tragen haben (BGH, Urteil vom 27. 10. 2010 – IV ZR 279/08 –, BGHZ 187, 211-220).

In der Folgezeit legte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr vor, da die Rechtsprechung des BGH in der Praxis zu einer (unerwünschten) Steigerung der Versicherungsprämien für die Anhängerhaftpflichtversicherung führe und erhebliche Probleme bei der Abrechnung mit Anhängerhaltern und ihren Versicherern aus Staaten aufweise, deren Rechtsordnungen eine Pflichtversicherung für Anhänger nicht vorsähen (BT-Drucksache 19/17964, vgl. auch Müller, SVR 2021, 81). Aufgrund dieses Entwurfes wurden die heutigen §§ 78 Abs. 3 VVG, 19 Abs. 4 StVG eingeführt. In der Begründung führte die Bundesregierung aus, dass sich der mit dem Zugfahrzeug verbundene Anhänger im Regelfall nicht auf die Schadensentstehung auswirke. Weiter heißt es: „Seine Grenze findet dieser Regelfall, wenn ausnahmsweise der verbundene Anhänger einmal zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr des Zugfahrzeugs geführt hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen sich ein technischer Defekt des Anhängers unfallursächlich ausgewirkt hat.“ (a.a.O., S. 17). Der ebenfalls Gesetz gewordene S. 4 des § 19 Abs. 4 StVG bekräftigt noch, dass allein das Ziehen des Anhängers im Regelfall nicht die Gefahr in der Weise erhöht, dass sie höher ist als die des Zugfahrzeugs allein.

 

Die Entstehungsgeschichte der §§ 78 Abs. 3 VVG, 19 Abs. 4 StVG zeigt, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, im Regelfall eine Inanspruchnahme des Halters und damit des Versicherers des Anhängers im Innenverhältnis auszuschließen. Einer der genannten Ausnahmefälle der Erhöhung der Betriebsgefahr, wie ein technischer Defekt des Anhängers oder dessen außergewöhnliche Beschaffenheit (Überlänge, Überbreite, Schwertransport etc.; vgl. BT-Drucksache a.a.O. S. 17, Bollweg/Wächter, NZV 2020, 545) liegt nicht vor.

 

Dass der Unfall sich beim Entladen des Anhängers ereignete, genügt ebenso wenig wie der Umstand, dass der Führer der Zugmaschine, dem das Missgeschick unterlief, zugleich der Führer des Anhängers war, um eine Verwirklichung einer höheren Gefahr als durch das Zugfahrzeug allein anzunehmen. Daher muss es auch in Anbetracht des Gesetzeszwecks der Neuregelung im Gesetz vom 10.07.2020 beim Regelfall der Alleinhaftung des Halters (und damit des Versicherers) der Zugmaschine im Innenverhältnis bleiben, wie es das Landgericht richtig erkannt hat.

 

 

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).