Schadensersatz


Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Wendemanöver gegenüber überhöhter Geschwindigkeit

OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020 - 4 U 1914/19 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Verkehrsunfall ereignete sich im Zusammenhang mit dem Ausparken der Klägerin und einem dabei von ihr eingeleiteten Wendevorgang. Der Beklagte zu 2. Fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit (feststellbar jedoch nur mit 8 km/h Überhöhung). Da die Unfallschäden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden seien, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sei (§ 7 StVG), im Übrigen für keinen der Unfallbeteiligten sich der Unfall als unabwendbar darstelle (§ 17 Abs. 3 StVG), würde - so das OLG – im Verhältnis der Unfallbeteiligten (Versicherer) die Verpflichtung zum Umfang des Schadensersatzes von den Umständen, insbesondere davon abhängen, inwieweit der Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei.

 

Die für die Abwägung maßgeblichen Umstände müssten nachweislich Umstände für die Umstände des Schadens (Schadenshergangs) und zur Kausalität feststehen. Der Beweis obliege jenem, der sich darauf berufe.

 

Die Klägerin habe gegen § 9 Abs. 5 StVO wie auch gegen § 10 S. 1 StVO verstoßen. Sowohl beim Anfahren (§ 10 S. 1 StVO) also auch beim Wenden (§ 9 Abs. 5 StVO) würden dem Fahrzeugführer gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Nach § 9 Abs. 5 StVO sei eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, nach § 10 S. 2 StVO sei die „äußerste“ bzw. „größtmögliche“ Sorgfalt zu beachten. Der Anscheinsbeweis, den die Klägerin nicht widerlegt habe, spräche gegen eine Verletzung dieser Pflichten. Auch wenn der Beklagte zu 2. Mit jedenfalls 58 km/h gefahren sei, wäre der Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit nicht widerlegt, da die Klägerin als Wendende mit „verkehrsüblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen“ rechnen müsse. Der Anscheinsbeweis würde in diesen Fällen nur in Frage gestellt, wenn sich der Unfall auch bei der zumutbaren Sorgfalt ereignet hätte; dies könnte dann angenommen werden, wenn entweder das sich nähernde Fahrzeug noch nicht sichtbar war oder aber aufgrund der Entfernung nicht mit einer Behinderung zu rechnen gewesen wäre (z.B. bei einer Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 50%). Diese Umstände könnten hier nicht angenommen werden.

 

Nach der Beweissituation hätte die Klägerin nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 2. Um 8 km/h nachweisen können. Insoweit läge aber ein Verstoß des Beklagten zu 2. gegen § 3 StVO vor. Berücksichtigungsfähig sei dies aber nur dann, wenn dieser Umstand sich auf das Unfallgeschehen oder die Schwere der Unfallfolgen ausgewirkt hätte. Es stünde nach dem eingeholten Sachverständigengutachten fest, dass sich der Unfall auch bei Einhaltung der gebotenen zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h ereignet hätte, dass aber die geringere Geschwindigkeit hinsichtlich der Verletzungsfolgen deutlich geringere Auswirkungen gehabt hätte.

 

Bei der Haftung nach §§ 17, 7 StVO sei zu berücksichtigen, dass beide Fahrzeugführer gegen Regelungen der StVO verstoßen hätten. In Ansehung der Gefahrträchtigkeit eines Wendemanövers müsse bei einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO stets die Alleinhaftung des Wendenden in Betracht gezogen werden, zumal dann, wenn sich der Unfall wie hier im Zusammenhang mit einem Anfahren ereigne. In derartigen Fällen würde regelmäßig die Betriebsgefahr  eines mit dem wenden Fahrzeug zusammenstoßenden Fahrzeuges zurücktreten. Damit rechtfertige hier die Überschreitung der Geschwindigkeit durch den Beklagten zu 2. nur eine Haftungsquote für diesen von 25%.

 

Aus den Gründen:

 

 Tenor

 

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 16.08.2019, Az. 5 O 3706/13, teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

 

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 639,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 30.11.2013 zu bezahlen,

 

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 96,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 20.06.2013 zu bezahlen,

 

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 99,10 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 20.06.2013 zu bezahlen,

 

4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,- EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 24.01.2014 zu bezahlen,

 

5. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 359,50 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 24.01.2014 zu zahlen.

 

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

 

III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 90 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 10 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 75 % der Klägerin und zu 25 % den Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt.

 

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.444,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

 

I.

 

(Von der Aufnahme des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs.2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.)

 

II.

 

Die Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist zum Teil begründet, die Berufung der Klägerin bleibt dagegen ohne Erfolg.

 

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagten haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Die Klägerin hätte in der gegebenen Situation nicht ausparken und wenden dürfen (im folgenden unter 1.). Aber auch für den Beklagten zu 2 war die Kollision nicht unvermeidbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG. Ein Idealfahrer wäre aufgrund der unklaren Geschwindigkeitsregelung auf dem Messering mit einer erheblich geringeren Geschwindigkeit gefahren (im folgenden unter 2.).

 

Steht damit die Haftung beider Unfallbeteiligten fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 21.11.2006 - VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urteil vom 27.6.2000 - VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Saarbrücken, Urteil vom 12.10.2010 - 4 U 110/10, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 – 1 U 117/17 –, Rn. 5, juris). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge, müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt im übrigen demjenigen, welcher sich auf einen einzustellenden Gesichtspunkt beruft, d. h. hier die jeweils andere Partei (vgl. BGH NZV 1996, 231; Hentschel/König/Dauer-König, StVR, 44. Aufl. 2017, § 17 StVG, Rn. 31 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 – 1 U 117/17 –, Rn. 5, juris).

 

1. Der Klägerin ist ein Verstoß sowohl gegen § 9 Abs. 5 StVO als auch gegen § 10 Satz 1 StVO anzulasten. Sie parkte nach ihrem eigenen Vorbringen mit ihrem Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand und wollte anfahren, um unmittelbar anschließend gegenüber in eine Einfahrt zu fahren und zu wenden. Sie hatte deshalb im Verhältnis zum fließenden Verkehr auf der Messeallee die gesteigerten Pflichten zur Rücksichtnahme aus § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 StVO zu beachten.

 

a) Nach § 9 Abs. 5 StVO ist ein Wendemanöver nur zulässig, wenn dabei eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer "ausgeschlossen" ist. Beim Wenden ist daher das äußerste Maß an Sorgfalt anzuwenden, damit der fließende Verkehr nicht gefährdet wird (vgl. Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess 24. Aufl. Kap. 27 Rn. 296). Bei einem Zusammenstoß des Wendenden mit dem fließenden Verkehr spricht grundsätzlich der Anscheinsbeweis für ein Fehlverhalten des Wendenden als Unfallursache; ihn trifft im Allgemeinen die Alleinhaftung (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2005, 1287; Geigel/Zieres a. a. O. Rn. 300; s. auch die Nachweise bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen 10. Aufl. 2007, S. 260).

 

b) Im Ergebnis nichts anderes folgt aus § 10 Satz 1 StVO, wonach sich der Fahrzeugführer beim Anfahren - selbst nach nur kurzem Anhalten - so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer des bevorrechtigten fließenden Verkehrs ausgeschlossen ist und dabei die "äußerste" bzw. "größtmögliche Sorgfalt" zu wahren hat (vgl. Hentschel/König/Dauer-König, a.a.O., § 10 StVO, Rn. 10 m.w.N). Der Fahrer muss sich demgemäß vergewissern, dass die Fahrbahn für ihn im Rahmen der gebotenen Sicherheitsabstände frei ist und dass er niemanden übermäßig behindert. Die Verantwortung für die Sicherheit des Vorgangs trifft vor allem ihn (vgl. BGH VRS 56, 203, OLG Köln, DAR 2006, 27; König, a.a.O. m.w.N.). Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem Anfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht ein Anscheinsbeweis gegen den Anfahrenden (vgl. BGH, DAR 2011, 696, OLG Celle, NJW-RR 2003, 1536; KG NZV 1996, 365; OLG Köln NZV 2012, 540; König, a.a.O., Rn. 11 m.w.N).

 

c) Die Klägerin hat den infolge ihres Fahrverhaltens gegen sie streitenden Anscheinsbeweis nicht widerlegt. Zwar fällt dem Beklagten zu 2 ein Geschwindigkeitsverstoß zur Last, da er nach dem erstinstanzlichen Sachverständigengutachten vorkollisionär mindestens 58 km/h gefahren sein muss. Da der Wendende aber mit verkehrsüblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen rechnen muss, reicht eine festgestellte Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit für sich genommen noch nicht aus, um den Anscheinsbeweis zu entkräften (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 15. März 2005 – 4 U 102/04 –, Rn. 37, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Mai 2011 – 1 U 149/10 –, Rn. 26, juris). Die bei einem Wendemanöver bestehende Verschuldensvermutung wird durch einen Geschwindigkeitsverstoß des anderen Unfallbeteiligten vielmehr nur dann in Frage gestellt, wenn der Unfall sich auch bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt ereignet haben könnte. Der Wendende darf auf die Einhaltung einer angemessenen oder üblicherweise noch tolerierten Geschwindigkeit des bevorrechtigten Kraftfahrers nur solange vertrauen, als er bei sorgfältiger Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs nicht erkannte oder erkennen musste, dass dieser sich mit einer höheren Geschwindigkeit nähert (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – VI ZR 229/82 –, Rn. 15, juris). Dies ist dann der Fall, wenn der Herannahende für den Wendenden bei Berücksichtigung der konkreten Straßenführung nicht sichtbar war oder eine so erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorgelegen hat, dass der Wendende bei Beginn des Wendemanövers aufgrund der Entfernung mit einer Behinderung des Herannahenden noch nicht zu rechnen brauchte (vgl. OLG Celle, Urteil vom 12. Oktober 2000 – 14 U 265/99 –, Rn. 8, juris). Dies kann bei einer Überschreitung um 50 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – VI ZR 229/82 –, Rn. 15, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Mai 2011 – 1 U 149/10 –, Rn. 4 - 5, juris). Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht jedoch nicht fest, dass dem Beklagten ein derart erheblicher Geschwindigkeitsverstoß zur Last fällt, dass die Verschuldensvermutung zu Lasten der Klägerin widerlegt wird.

 

aa) Nach den Feststellungen des Sachverständigen Z... im Gutachten vom 07.01.2013 (Anlage B1) wäre die Annäherung des Beklagten zu 2 für die Klägerin auch unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten bei einem Blick in den linken Außenspiegel oder Innenrückblickspiegel erkennbar gewesen. Für die Wahrnehmung der Klägerin ist es dem Sachverständigen zufolge auch nicht von Relevanz gewesen, dass der Beklagte zu 2) 8 - 15 km/h schneller gefahren sei als erlaubt.

 

bb) Ebenso wenig hat die hierfür beweisbelastete Klägerin eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagtenfahrzeugs nachgewiesen. Auf der Grundlage der Aussage des zu der Frage der Geschwindigkeitsregelung auf dem Messegelände vernommenen Zeugen W... ist zwar anzunehmen, dass auf dem Privatgelände eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h galt aufgrund einer - allerdings nicht als Allgemeinverfügung geltenden - Anordnung des Messebetriebes. Dass diese Anordnung für den Beklagten erkennbar war, hat das Landgericht aber zutreffend verneint. Der Zeuge konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit bestätigen, dass ein solches Schild bei der Einfahrt ins Gelände zum Unfallzeitpunkt vorhanden bzw. aufgemalt war, da es im Zuge der dort ausgeführten Straßenbauarbeiten auch abhanden gekommen bzw. nicht erkennbar gewesen sein kann. Durch die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten wurde festgehalten, dass für den Unfallbereich eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h galt, was der Sachverständige, der die Unfallörtlichkeit am Unfalltag auch besichtigt hat, in seinem im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erstellten Gutachten auch so bestätigt hat. Durfte er demnach annehmen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h betrug, ist aber ein erheblicher Geschwindigkeitsverstoß des Beklagten zu 2) nicht nachgewiesen. Dies gilt selbst dann, wenn man den vom Sachverständigen für das Beklagtenfahrzeug ermittelten Geschwindigkeitshöchstwert von bis zu 65 km/h zugrunde legt.

 

2. Zu Lasten der Beklagtenseite steht ein unfallursächlicher Verstoß des Beklagten zu 2) gegen § 3 StVO fest, denn nach den gutachterlichen Darlegungen ist es als erwiesen anzusehen, dass der Beklagte zu 2 sich mit mindestens 58 km/h der Unfallstelle angenähert und somit die am Unfallort geltende Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h überschritten hat. Eine noch weitergehende unfallursächliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist hingegen nicht bewiesen.

 

a) Ausgehend von den konkreten Fahrzeugbeschädigungen, der erheblichen Verschiebung des Klägerfahrzeugs nach der Kollisionssituation, einer angenommenen Betätigung der Bremsanlage durch den Beklagten zu 2 und der Verklemmung des rechten Vorderrades des Beklagtenfahrzeugs hat der Sachverständige für den Pkw Audi des Beklagten zu 2) zum Zeitpunkt der Anstoßsituation eine Geschwindigkeit im Bereich von 58 - 65 km/h ermittelt. Dies wird im Ergebnis auch durch das als Anlage B3 vorgelegte Privatgutachten der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, denn der Gerichtssachverständige Dipl. Ing. Z... hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 25.02.2016 überzeugend dargelegt, dass nach Reaktionsaufforderung ein Ausweichen und Beschleunigen des Beklagtenfahrzeugs von 50 km/h auf 58 km/h zur Vermeidung einer Kollision - anders als von dem Privatgutachter dargelegt – aus technischer Sicht sicher ausgeschlossen ist. Da der den Beklagten anzulastende konkrete Pflichtverstoß von der Klägerin zu beweisen ist, kann aber auch nicht zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass der Beklagte zu 2) bei der Annäherung an den Unfallort schneller als die festgestellte (Mindest-)Kollisionsgeschwindigkeit von 58 km/h gefahren ist und/oder nicht gebremst hat, da beide Annahmen vom Sachverständigen in dem Ergänzungsgutachten vom 25.02.2016 ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnten. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen hat die Klägerin somit nur den Nachweis einer Annäherungsgeschwindigkeit des Beklagten zu 2 von 58 km/h erbracht.

 

b) Der Verursachungsbeitrag eines unfallbeteiligten Fahrers kann in die nach § 17 StVG vorzunehmende Abwägung einbezogen werden, wenn dieser Verstoß - hier der Geschwindigkeitsverstoß - sich auf das Unfallgeschehen oder die Schwere der Unfallfolgen ausgewirkt hat (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16. Januar 2018 – 9 U 198/16 –, 1. Ls, - juris OLG Frankfurt, Urteil vom 30. November 2017 – 3 U 183/16 –, juris). Die Beklagten haben den ihnen obliegenden Beweis nicht geführt, dass es auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1992 – VI ZR 62/91 –, BGHZ 117, 337 - 345).

 

Nach dem Sachverständigengutachten Dipl. Ing. Z... vom 08.07.2015 steht mit hinreichender Sicherheit fest, dass ein Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Klägerin für den Beklagten zu 2) zwar einerseits unvermeidbar gewesen ist, auch wenn er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Zugleich ist aber erwiesen, dass dieser Zusammenstoß hinsichtlich der Verletzungsfolgen für die Klägerin nach den Ausführungen der Sachverständigen Dipl. Ing. Z... und Dr. K... (Gutachten vom 09.05.2019) deutlich geringere Auswirkungen gehabt hätte. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Sachverständige Dipl. Ing. Z... eingangs seines Gutachtens vom 08.07.2016 zur Vermeidbarkeit eine Ausgangsgeschwindigkeit von 58 km/h und eine Bremsverzögerungsleistung von 7,5 m/s² zugrunde gelegt und diese auf den an der Unfallörtlichkeit vorhandenen Bitumenbelag bezogen. Im Ergebnis stellt er sodann nachvollziehbar fest, dass im Vergleich hierzu bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h das Beklagtenfahrzeug nur gegen den linken hinteren Fahrzeugbereich des ... mit einer Geschwindigkeit von 28 km/h angestoßen wäre. (vgl. S. 6 - 7 GA). Nach den Ausführungen des zu dem Ausmaß der Verletzungsfolgen eingeholten Sachverständigengutachtens Dr. K... vom 09.05.2019 hätte ein Anstoß, der dann nicht unmittelbar auf Höhe der Sitzposition der Klägerin sondern im hinteren Fahrzeugbereich und mit einer Geschwindigkeit von 28 km/h erfolgt wäre, konkret zumindest keine schweren Beckenverletzungen der Klägerin zur Folge gehabt (vgl. Gutachten vom 9.5.2019, S. 12 ff, S. 19, S. 54). Dies reicht aus, um eine Haftung der Beklagten zu begründen, da sich die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 8 km/h in schadensfördernder Weise in dem Unfallgeschehen niedergeschlagen hat. Auch soweit der Sachverständige im Rahmen seines Ergänzungsgutachtens vom 08.07.2015 im Rahmen der Vermeidbarkeitsbetrachtung alternative Unfallszenarien mit einer Geschwindigkeit von 65 km/h und einer Bremsverzögerungsleistung von 8,5 m/s² berechnet, kommt er zu dem Ergebnis, dass die Unfallfolgen ebenfalls weniger schwerwiegend gewesen sind.

 

Ohne Erfolg wenden die Beklagten schließlich mit Schriftsatz vom 18.02.2020 ein, nach dem von ihnen vorgelegten Privatgutachten von einem erkennbaren Ausweichversuch auszugehen sei, der gegen die gutachterlichen Feststellungen des Gerichtssachverständigen spreche. Mit der Behauptung, der Beklagte zu 2) sei vorkollisionär mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren und habe durch ein Durchtreten des Gaspedals und einen Ausweichversuch die ermittelte Kollisionsgeschwindigkeit von 58 km/h erreicht, hat sich der Sachverständige bereits in seiner Stellungnahme vom 25.02.2016 auseinandergesetzt, diese jedoch überzeugend verneint.

 

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist daher entgegen der Ansicht der Beklagten mit einer nach § 286 ZPO hinreichenden Sicherheit davon auszugehen, dass sich das Unfallgeschehen nicht mit denselben Schadensfolgen ereignet hätte, wenn der Beklagte zu 2 mit der nach den Vorgaben des § 3 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Kollisionsort zugefahren wäre.

 

4. Nach einem Verkehrsunfall unter Beteiligung zweier Kraftfahrzeuge richtet sich die Haftung gemäß §§ 17, 7 StVG nach dem Maß der Unfallverursachung durch die beteiligten Kraftfahrzeugführer. Hier haben beide Parteien sich gegenseitig einen Verstoß gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nachgewiesen, wobei allerdings der Schwerpunkt auf Seiten der Klägerin liegt. Aufgrund des besonders gefahrenträchtigen Vorgangs des Wendens und der daraus resultierenden gesteigerten Sorgfaltspflicht des Fahrers bei einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO muss auch eine Alleinhaftung stets in Betracht gezogen werden (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl., Rdnr. 260). Dies gilt besonders dann, wenn sich der Wendeunfall – wie hier - beim Anfahren ereignet, da dieses Fahrmanöver für andere Verkehrsteilnehmer kaum erkennbar ist (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 15. März 2005 – 4 U 102/04 –, Rn. 44, juris Grüneberg, a.a.O.). In einer solchen Unfallsituation tritt jedenfalls die Betriebsgefahr eines mit einem Wendenden zusammenstoßenden Fahrzeugs zurück. Die Geschwindigkeitsüberschreitung von 8 km/h rechtfertigt dagegen auch bei nachgewiesener Unfallursächlichkeit keine höhere Haftungsquote als 25 %. Denn die nachgewiesene Geschwindigkeitsüberschreitung war nicht so gravierend, dass dem Beklagten zu 2 ein grober Verstoß gegen die im Straßenverkehr zu beachtende Sorgfalt vorgeworfen werden könnte. Zieht man weiterhin in Betracht, dass der Wendende mit einer gewissen Überschreitung der innerörtlich zulässigen Geschwindigkeit durch den Herannahenden rechnen muss und er sein Fahrverhalten so auszurichten hat, dass auch einem mäßig zu schnell fahrenden Verkehrsteilnehmer keine Gefahren drohen, so wird eine Haftungsquote von 25 % den beiderseitigen Verursachungsbeiträgen gerecht.

 

5. Höhe

 

a) Der zuerkannte Schmerzensgeldanspruch ist der Höhe nach gerechtfertigt. Auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung kann verwiesen werden. Insbesondere erscheint ein höheres Schmerzensgeld auch wegen nach den sachverständigen Ausführungen nicht nachgewiesener Dauerschäden nicht angemessen.

 

Die Klägerin hat sich durch den Wegfall ihrer Beschäftigung berufsbedingte Aufwendungen erspart, die im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sind, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit dem erlittenen und vom Schädiger zu tragenden Erwerbsschaden stehen. Die Höhe der ersparten Aufwendungen werden bei mangelndem konkretem Vortrag im Rahmen des Schätzungsermessens nach § 287 ZPO pauschal mit 10 % des Nettoeinkommens bewertet (OLG München, Urteil vom 29. April 2011 – 10 U 4208/10 –, Rn. 43, juris). Der Senat schätzt auf dieser Grundlage einen Abzugsbetrag von 100,- EUR für berufsbezogene Aufwendungen.

 

Die Höhe der übrigen Schadenspositionen ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

 

III.

 

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).