Gefährdungshaftung nach § 7 StVG bei Selbstentzündung eines
Benzinkanisters
OLG Dresden, Urteil vom
01.10.2024 - 4 U 446/24 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der Beklagte zu 2 wollte in einer Tiefgarage Benzin aus einem Plastikkanister in sein Fahrtzeug einfüllen. Nachdem der Kanister durch eine Stichflamme in Brand geriet kam es zu erheblichen
Verrußungsschäden am Objekt der Versicherungsnehmerin der Klägerin; das Fahrzeug des Beklagten zu 2 nahm keinen Schaden. Die Klägerin, Gebäudeversicherer, regulierte den Schaden gegenüber ihrer
Versicherungsnehmerin und machte Regressansprüche nach § 86 VVG gegen die Beklagte zu 1 als Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs und deren Versicherungsnehmer, den Beklagten zu 2 geltend. Das
Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich und führte zur Klageabweisung.
Die Klägerin hatte ihren Anspruch auf § 7 StVG gestützt (wohl da von vornherein ein Verschulden des Beklagten zu 2 und damit eine Haftung nach § 823 BGB ausschied). Das OLG ordnete den Vorgang
allerdings entgegen dem Landgericht nicht dem Betrieb eines Fahrzeugs zu, was für eine Haftung nach § 7 StVG des Halters (und nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG des Versicherers) in diesem Fall
Voraussetzung wäre.
Die Schadensverursachung müsse nach § 7 StVG durch den Betrieb des Fahrzeugs bedingt sein, ohne dass es darauf ankäme, ob sich der Fahrzeugführer verkehrswidrig verhalten habe (sogen.
Gefährdungshaftung). Ein Schaden sei bereits dann beim Betrieb eines Fahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren verwirklicht hätten. Also das
Schadensgeschehen durch das Fahrzeug (mit)geprägt worden sei. Dabei sei der Begriff des Betriebs weit zu fassen, über die frühere maschinentechnische Auffassung hinaus hin zur verkehrstechnischen
Auffassung. Die Gefahren gingen nicht nur vom Motor und seiner Einwirkung auf das Fahrzeug aus, sondern zunehmend von der gesamten Abwicklung des Verkehrs und im besonderen Maße von
Kraftfahrzeugen, die nach der diese Umstände nicht berücksichtigenden maschinenrechtlichen Auffassung nicht im Betrieb seien (BGH, Urteil vom 04.12.1958 – III ZR 117/57 -). Seither beschränke
sich die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeugs nicht auf Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr oder privaten Verkehrsraum, sondern bestünde bei allen mit seinem Betrieb oder seinen
Betriebseinrichtungen zusammenhängenden Unfällen, soweit ein örtlicher und zeitlicher Kausalzusammenhang mit dem Betrieb des Kraftahrzeuges oder dem Versagen seiner Betriebseinrichtung bestünde.
Danach sei eine Schadensentstehung beim Betrieb des Fahrzeugs hier zu verneinen, auch wenn das Betanken eines Kraftfahrzeugs hinreichend eng mit dessen Betrieb
zusammenhänge und das Öffnen des Benzinkanisters diesem Vorgang dienen sollte. Erforderlich sei aber, dass sich die vom Fahrzeug ausgehende Gefahr irgendwie ausgewirkt haben müsse und das
Schadensgeschehen durch das Fahrzeug mitgeprägt wurde. Hier allerdings sei das Fahrzeug bei dem Brand selbst unbeteiligt gewesen und habe keine Ursache für den Brand gesetzt. Damit habe sich
keine dem Fahrzeug innewohnende Gefahr verwirklicht. Da mit dem Betanken des Fahrzeugs mittels des Benzinkanisters noch nicht begonnen worden sei, zeige auch das Urteil des BGH vom 21.01.2024 -
VI ZR 253/13 – (dort: Selbstentzündung des Fahrzeugs infolge eines technischen Defekts an diesem) keine andere Wertung auf, da dort darauf abgestellt worden sei, dass Tanken ein Betriebsvorgang
und der Tank ein Betriebsteil sei, grds. geeignet das Merkmal „beim Betrieb“ auszufüllen, doch sei noch nicht mit dem Betanken begonnen worden, so dass sich die entsprechenden Gefahren hier nicht
verwirklicht hätten.
Aus den Gründen:
Tenor
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 5.3.2024 - 3 O 2690/22 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge einschließlich der Kosten der Nebenintervention.
3.
Das Urteil ist für die Beklagte hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 82.852,38 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Gebäudeversicherer der AG für Haus und Grundbesitz aufgrund eines Schadensfalles aus übergegangenem Recht in Anspruch. Die Beklagte zu 1)
ist Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 2).
Der Beklagte zu 2) versuchte am 26.7.2017 in einer Tiefgarage der Beklagten in Leipzig sein Fahrzeug mit Benzin aus einem Plastikkanister zu betanken. Nachdem er Tankdeckel und Benzinkanister
geöffnet hatte, um den Kraftstoff einzufüllen, wurde der Benzinkanister durch eine Stichflamme in Brand gesetzt, was zu erheblichen, vor allem Verrußungsschäden am Objekt der
Versicherungsnehmerin der Klägerin führte. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2) blieb unversehrt, da der Beklagte zu 2) noch nicht mit dem eigentlichen Befüllen des Tanks begonnen hatte und es ihm
gelang, den brennenden Kanister in hinreichender Entfernung vom Fahrzeug abzustellen.
Die Klägerin hat sich darauf berufen, der Brand sei „beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG entstanden, weil der Brand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
(geplanten) Betankungsvorgang gestanden habe, die Beklagte hat dem entgegengehalten, der Brand sei noch vor dem Betanken durch eine statische Aufladung des vom Fahrzeug unabhängigen Kanisters
entstanden. Ein hinreichender Zusammenhang mit dem Betrieb des zu betankenden Fahrzeugs sei deshalb zu verneinen.
Das Landgericht hat nach Anhörung eines sachverständigen Zeugen der Klage durch Urteil vom 5.3.2024 - auf dessen Einzelheiten verwiesen wird - vollumfänglich stattgegeben.
Hiergegen richtet sich die Berufung beider Beklagten, mit der sie die vollumfängliche Klageabweisung begehren.
Sie rügen die Verletzung prozessualen und materiellen Rechts im wesentlichen mit der Begründung, das Erstgericht habe die Grenzen der prozessualen Darlegungslast verkannt und die Reichweite des
§ 7 Abs. 1 StVG nicht richtig eingeschätzt.
Sie beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Leipzig - 3 O 2690/23 - vom 5.3.2024 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 1.10.2024 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Abweisung der Klage.
Der Senat wertet den streitgegenständlichen Vorgang in Abweichung vom Landgericht dahingehend, dass er nicht dem Betrieb des Fahrzeugs im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG zuzuordnen ist.
Nach § 7 Abs. 1 StVG setzt die Einstandspflicht des Halters voraus, dass der Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ entstanden ist.
Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass es sich hierbei um eine reine Gefährdungshaftung handelt (Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 7
StVG (Stand: 02.08.2024)). Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG knüpft an die Schadensverursachung beim Betrieb des Kfz an. Sie hängt nicht davon ab, ob bzw. dass sich der Fahrzeugführer
verkehrswidrig verhalten hat. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift
will daher alle (nicht nur im öffentlichen Straßenraum, sondern auch auf nicht öffentlichen Wegen oder Privatgelände) durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein
Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h., wenn bei der insoweit
gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kfz (mit)geprägt wurde (Freymann/Wellner, a.a.O., Rz. 7 ff. m.w.N.).
Die Klägerin weist auch weiter zutreffend darauf hin, dass der Begriff des Betriebes nach teleologischer Auslegung weit zu fassen ist. Die ursprünglich herrschende „maschinentechnische“
Auffassung bei der Auslegung dieses Begriffes hat durch die stetige und erhebliche Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs eine Veränderung hin zur verkehrstechnischen Auffassung erfahren. Der Zweck
des Gesetzes, die Verkehrsteilnehmer vor den wachsenden Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs zu schützen, mache es vielmehr erforderlich, den Begriff „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ weit zu
fassen. Die Gefahren, die durch das Kraftfahrzeug in den Verkehr getragen würden, gingen nicht nur von dem Motor und seiner Einwirkung auf das Fahrzeug aus, sondern mit der Zunahme des Verkehrs
mehr und mehr von der gesamten Abwicklung des Verkehrs und im besonderen Maße von Kraftfahrzeugen, die nach der diese Umstände nicht berücksichtigenden maschinenrechtlichen Auffassung nicht im
Betrieb seien (BGH, Urteil vom 4. Dezember 1958 - III ZR 117/57 -, BGHZ 29, 13-22). Seither ist die Gefährdungshaftung eines Kraftfahrzeugs nicht auf Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr oder
privaten Verkehrsraum beschränkt, sondern besteht bei allen mit seinem Betrieb oder seinen Betriebseinrichtungen zusammenhängenden Unfällen, sofern der erforderliche örtliche und zeitliche
Kausalzusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs oder dem Versagen seiner Betriebseinrichtungen besteht. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die
Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden
ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen
wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (BGH v. 11.02.2020 - VI ZR 286/19 - juris Rn. 10). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden (BGH, a.a.O.).
Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend dazu, dass eine Schadensentstehung „beim Betrieb des Fahrzeugs“ zu verneinen ist. Der Klägerin ist zwar dahingehend Recht zu geben, dass im
Grundsatz das Betanken eines Kraftfahrzeuges hinreichend eng mit dessen Betrieb zusammenhängt. Auch sollte vorliegend unstreitig das Öffnen des Benzinkanisters diesem Vorgang dienen. Weiteres
erforderliches Merkmal ist jedoch, dass sich in irgendeiner Weise die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben und das Schadensgeschehen in irgendeiner Weise durch das Fahrzeug
mitgeprägt wurde. Dies ist hier nicht der Fall. Unstreitig war das Fahrzeug bei dem Brand unbeteiligt, hat keine Ursache für die Entzündung des Kanisters gesetzt und ist auch nicht durch den
Brand am Kanister beschädigt worden. Eine dem Kraftfahrzeug innewohnende Gefahr hat sich damit nicht verwirklicht. Die Entscheidung des Kammergerichts 6 U 13/11 ist nicht einschlägig - hier war
durch das Fahren mit falsch getanktem Benzin ein Schaden am Fahrzeug entstanden. Auch die BGH Entscheidung zu VI ZR 253/13 führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist das Tanken ein
Betriebsvorgang und der Tank an sich ein Betriebsteil, der geeignet ist, das Merkmal „beim Betrieb“ auszufüllen. Mit der Betankung im eigentlichen Sinne war hier aber noch nicht begonnen worden,
so dass sich eine vom Fahrzeug, hier speziell vom Tank ausgehende spezifische Gefahr (noch) nicht verwirklichen konnte. Weder in erster noch in zweiter Instanz hat die Klägerin den Vortrag der
Beklagten bestritten, wodurch der Kanister sich durch eine statische Aufladung selbst entzündet hatte, bevor mit der Betankung begonnen worden war. Dies ist auch plausibel, denn ebenso unstreitig
ist das Fahrzeug nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
Der Schaden ist nicht beim Betrieb des bei der Beklagten zu 1) versicherten Fahrzeugs entstanden. Eine Haftung kommt nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10; 711 ZPO. Die Streitwertentscheidung fußt auf § 3
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.