Fiktive Berechnung des Unfallschadens auf Basis eines
Gutachtens und Geltendmachung von Kosten für eine Reparaturbestätigung
BGH, Urteil vom 24.01.2017 – VI ZR
146/16 -
Kurze Inhaltsangabe:
Die Klägerin machte Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, Dabei streiten die Parteien einzig (noch) um eine Schadensposition, nämlich die Kosten für eine
Reparaturbestätigung. Ein von der Klägerin beauftragter Sachverständiger hatte die Reparaturkosten in einem Gutachten ermittelt und die Klägerin rechnete gegenüber der beklagten
Haftpflichtversicherung auf Basis dieses Gutachtens ab und bekam von ihr die ermittelten Reparaturkosten netto ausgezahlt. Sodann ließ sie von ihrem Lebensgefährten, einem gelernten
Kfz-Mechaniker, die Reparatur vornehmen und sich die Ordnungsgemäßheit von dem Sachverständigen gegen Zahlung der streitigen Gebühr bestätigen.
Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen.
Der BGH hält fest, dass eine Kombination zwischen abstrakter Abrechnung (wie hier auf Basis des Gutachtens) und konkreter Abrechnung nicht zulässig sei. Der Geschädigte habe bei der
Ersetzungsbefugnis gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Wahl, sich zwischen der fiktiven Abrechnung auf der Basis der Feststellungen eines Sachverständigen oder aber nach den tatsächlich von ihm
zu tragenden Kosten für eine Wiederherstellung abzurechnen. Bei der fiktiven Abrechnung ist der objektiv zur Wiederherstellung erforderliche Betrag ohne Bezug auf tatsächliche Aufwendungen
festzustellen.
Das bedeutet aber auch, dass bei einer fiktiven Abrechnung Kosten für Reparaturmaßnahmen nicht (zusätzlich) erstattungsfähig sind. Übersteigen die konkreten Kosten einer dann (eventuell
nachträglich) vorgenommenen Reparatur die Kosten (einschließlich Nebenkosten wie Umsatzsteuer) den fiktiv abgerechneten Betrag, bleibt dem Geschädigten der Übergang zur konkreten Abrechnung
(wenn der Anspruch noch nicht verjährt ist).
Vorliegend rechnet aber die Klägerin nicht die Kosten der konkreten Reparatur ab, sondern will - ohne bezüglich der Reparaturkosten im übrigen auf eine konkrete Abrechnung überzugehen – Ersatz
der Kosten für die Reparaturbestätigung durch den Sachverständigen. Hier aber würde es sich nicht um Kosten handeln, die bei der gewählten Art der Abrechnung auf fiktiver Basis zur
Wiederherstellung iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich wären. Es handelt um eine auf der freien Entscheidung der Klägerin beruhende Position, ihr Fahrzeug nicht in einer Fachwerkstatt
reparieren zu lassen, sondern letztlich in Eigenregie. Die mögliche Motivation, einen Beleg für eine korrekte Reparatur für den Verkaufsfall bzw. bei einem späteren Unfall zu haben, käme es nicht
an.
Etwas anderes könnte nur in den vorliegend verneinten Fällen gelten, dass der Nachweis einer ordnungsgemäßen Reparatur zur Geltendmachung von zusätzlichen Nutzungsausfall benötigt wird (deren
Geeignetheit im Hinblick auf die Zeit der Gebrauchsentbehrung vorausgesetzt) oder im Fall der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden fiktiven Reparaturkosten für den Nachweis der
verkehrssicheren (Teil-) Reparatur des Unfallfahrzeugs und des damit bestehenden Integritätsinteresses des Geschädigten an der Weiternutzung des unfallbeschädigten Fahrzeugs.
Aus den Gründen:
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 30. März 2016 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Ersatzfähigkeit der Kosten für eine Reparaturbestätigung.
Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 22. Juli 2014 in Anspruch. Die volle Haftung des Beklagten für
den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit. Ein Privatsachverständiger ermittelte die Kosten für die Reparatur des Unfallschadens am Fahrzeug der Klägerin mit netto
4.427,07 €. Die Klägerin rechnete auf Gutachtenbasis mit dem Beklagten ab, der den ermittelten Betrag erstattete. Die Reparatur ließ die Klägerin von ihrem Lebensgefährten, einem
gelernten Kfz-Mechatroniker vornehmen. Die Ordnungsgemäßheit der Reparatur ließ sie sich von dem Sachverständigen bestätigen, der für die Erstellung der Reparaturbestätigung 61,88
€ in Rechnung stellte.
Das Amtsgericht hat die auf Erstattung dieser 61,88 € zuzüglich Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die vom Amtsgericht zugelassene Berufung zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin bei der von ihr gewählten fiktiven Abrechnungsmethode kein Anspruch auf
Erstattung der Kosten für die Erstellung der Reparaturbestätigung zustehe. Die Entscheidung der Klägerin, den Unfallschaden fiktiv abzurechnen, sei Ausfluss ihrer
Dispositionsfreiheit. Die Klägerin habe es dann aber auch hinzunehmen, dass bei dieser Schadensabrechnung keine Reparaturrechnung einer Fachwerkstatt vorliege, die Art und Umfang
der vorgenommenen Reparaturen beschreibe. Wenn die Klägerin gleichwohl im Hinblick auf eine eventuelle spätere Veräußerung des Unfallwagens oder einen möglichen erneuten Unfall im
selben Fahrzeugbereich einen Nachweis der ordnungsgemäßen Reparatur wünsche, müsse sie diesen Nachweis auf eigene Kosten einholen. Entgegen der Auffassung der Klägerin folge eine
Erstattungsfähigkeit auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin dem Beklagten aufgrund der fiktiven Abrechnungsart die Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten erspart habe. Die
Klägerin vermische insoweit die konkrete und die fiktive Schadensabrechnung.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin bei der von ihr gewählten fiktiven
Schadensberechnung keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Reparaturbestätigung hat. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht
zulässig.
1. Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines
Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet (st.Rspr., vgl. Senatsurteile vom 19. Juni 1973 - VI ZR 46/72, BGHZ 61, 56, 58; vom 29. Oktober
1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 184; vom 23. März 1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241 ff.; vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88, VersR 1989, 1056; vom 29. April 2003 - VI ZR
393/02, BGHZ 154, 395, 398; vom 17. Oktober 2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rn. 15). Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu
tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der im Gegenzug nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten
Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufrieden gibt (Senatsurteil vom 3. Dezember
2013 - VI ZR 24/13, VersR 2014, 214 Rn. 10).
Entscheidet sich der Geschädigte für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht (zusätzlich) ersatzfähig.
Der Geschädigte muss sich vielmehr an der gewählten Art der Schadensabrechnung festhalten lassen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit
unzulässig (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, VersR 2004, 1575; vom 15. Februar 2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, 175; vom 30. Mai 2006 - VI ZR 174/05, NJW
2006, 2320, 2321 Rn. 11; vom 17. Oktober 2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rn. 15; vom 13. September 2016 - VI ZR 654/15, MDR 2017, 27 Rn. 17). Übersteigen die konkreten Kosten
der - ggf. nachträglich - tatsächlich vorgenommenen Reparatur einschließlich der Nebenkosten wie tatsächlich angefallener Umsatzsteuer den aufgrund der fiktiven Schadensabrechnung
zustehenden Betrag, bleibt es dem Geschädigten - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - im Übrigen unbenommen, zu einer
konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten überzugehen (vgl. Senatsurteile vom 18. Oktober 2012 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50; vom 17.
Oktober 2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263; vom 20. April 2004 - VI ZR 109/03, BGHZ 158, 388, 391 f.).
2. Nach diesen Grundsätzen hat die fiktiv abrechnende Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der im Rahmen der konkret durchgeführten Reparatur angefallenen Kosten für die
Reparaturbestätigung. Bei den geltend gemachten Kosten für die Reparaturbestätigung des Sachverständigen handelt es sich nicht um Kosten, die nach der gewählten fiktiven
Berechnungsweise zur Wiederherstellung des Unfallfahrzeugs erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB waren. Es handelt sich vielmehr um eine Position, die ursächlich auf
der freien Entscheidung der Klägerin beruht, ihr Fahrzeug nicht in einem Fachbetrieb, sondern in Eigenregie reparieren zu lassen (Wenker, jurisPR-VerkR 24/2015 Anm. 2; ders.,
jurisPR-VerkR 3/2014 Anm.1). Auf die Motivation der Klägerin, im Hinblick auf eine mögliche spätere Veräußerung des Fahrzeugs oder einen eventuellen weiteren Unfallschaden an
derselben Fahrzeugstelle den Nachweis einer ordnungsgemäß durchgeführten Reparatur vorzuhalten, kommt es in diesem Zusammenhang nach der eigenen Disposition der Klägerin nicht an
(vgl. Heßeler, NJW 2015, 2744; aA LG Heidelberg, Urteil vom 23. August 2013 - 2 O 75/12, juris Rn. 27; AG Singen, Urteil vom 25. Juli 2016 - 14 C 453/16, juris Rn. 3; AG Fulda,
NJW 2015, 2743 Rn. 13 f.; AG Stuttgart, Urteil vom 20. Februar 2015 - 44 C 5090/14, juris Rn. 15).
Entgegen der Auffassung der Revision ändert hieran auch der Umstand nichts, dass die Klägerin dem Beklagten durch ihre Entscheidung für eine fiktive Schadensberechnung den Ersatz
von Umsatzsteuer erspart hat, die bei einer konkreten Berechnungsweise auf die tatsächlich durchgeführte Reparatur angefallen wäre. Die Nichtersatzfähigkeit tatsächlich nicht
angefallener Umsatzsteuer ist vielmehr direkte Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB und der darin liegenden Begrenzung der Dispositionsfreiheit des
Geschädigten (vgl. hierzu zuletzt Senatsurteil vom 13. September 2016 - VI ZR 654/15, MDR 2017, 27 Rn. 11 mwN).
3. Etwas anderes könnte gelten, wenn die Reparaturbestätigung aus Rechtsgründen zur Schadensabrechnung erforderlich gewesen wäre, etwa im Rahmen der Abrechnung eines zusätzlichen
Nutzungsausfallschadens (vgl. AG Düsseldorf, Urteil vom 30. Juli 2015 - 235 C 11335/14, juris Rn. 18; AG Schwabach, Urteil vom 22. November 2012 - 2 C 999/12, juris Rn. 5 ff.; AG
Mainz, Urteil vom 15. Mai 2012 - 86 C 113/12, juris Rn. 12; AG Frankfurt, Urteil vom 3. Februar 2011 - 29 C 2624/10, juris Rn. 97 ff.). Die Reparaturbescheinigung wäre - ihre
Eignung im Übrigen vorausgesetzt - dann als Nachweis der tatsächlichen Gebrauchsentbehrung (vgl. zu dieser Anspruchsvoraussetzung Senatsurteile vom 23. März 1976 - VI ZR 41/74,
BGHZ 66, 239, 249; vom 10. März 2009 - VI ZR 211/08, VersR 2009, 697 Rn. 9; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 96; Wussow/Zoll, Unfallhaftpflichtrecht,
16. Aufl., Kap. 41 Rn. 90) erforderlich zur Rechtsverfolgung im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Entsprechendes kann im Fall der den Wiederbeschaffungsaufwand überschreitenden
fiktiven Reparaturkosten für den Nachweis der verkehrssicheren (Teil-)Reparatur des Unfallfahrzeugs und damit des tatsächlich bestehenden Integritätsinteresses des Geschädigten
(vgl. hierzu Senatsurteile vom 29. April 2008 - VI ZR 220/07, NJW 2008, 1941; vom 29. April 2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395; Geigel/Knerr, aaO, Rn. 35; Wussow/Zoll, aaO, Rn. 10
f.) gelten.