Anlässlich eines Verkehrsunfalls mußte sich das LG Münster damit auseinandersetzen, ob für einen am Unfall Beteiligten Fahrer eines E-Scooters die Gefährdungshaftungsnormen der §§ 7, 17 StVG
greifen. Der E-Scooter hatte in amtliches Kennzeichen und war über die Beklagte zu 2. zum Unfallzeitpunkt haftpflichtversichert gewesen. Bei dem E-Scooter handelte es sich um ein
Elektrokleinstfahrzeug nach der eKFV, welches bauartbedingt nicht schneller als 20km/h auf ebener Strecke fahren kann.
Vorliegend könnte dem Fahrer des E-Scooter nicht nachgewiesen werden, dass er den Unfall schuldhaft verursachte oder mitschuldhaft verursacht hatte. Von daher schied die Haftung der Beklagten
nach § 823 BGB aus.
Damit kamen als Anspruchsgrundlage an sich nur §§ 7 und 17 StVG in Betracht. Nach § 7 StVG haftet der Fahrzeughalter für die von seinem Fahrzeug ausgehende Gefährdung; nach § 17 Abs. 3 StVG muss
er sich zur Vermeidung einer Mithaftung grundsätzlich dahingehend exkulpieren, dass der Unfall für ihn unabwendbar war. Gelingt die Exkulpation nicht, ist regelmäßig eine quotale Mithaftung
anzunehmen. Hier aber verwies das Landgericht zutreffend auf § 8 StVG: Nach § 8 Abs.1 1 StVG greift die in § 7 StVG normierte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nämlich dann nicht, wenn
der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wird, welches auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20km/h fahren kann. Dies sei vorliegend einschlägig.
Gemäß § 1 eKFV sind danach Elektrokleinstfahrzeuge Fahrzeuge mit einem elektrischen Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit zwischen 6km/h und 20km/h, weshalb sie aus der
Gefährdungshaftung gem. § 8 StVG herausfallen. Der E-Scooter als batteriegetriebener Roller ist damit zwar ein Kraftfahrzeug, für ihn ist aber bei einer Geschwindigkeit nach Maßgabe des § 1 eKFV
die gefährdungshaftungsnorm des § 7 StVG gem. § 8 StVG nicht einschlägig.
Aus den Gründen:
Tenor
Die Klage wird
abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits
trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der nach dem Urteil vollstreckbaren Beträge abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin macht
Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am XX.XX.2019 in Münster ereignete. Die Klägerin ist Halterin des Fahrzeugs Opel Meriva mit dem amtlichen Kennzeichen BOR-## ###.
Sie befuhr am ##.##.2019 die W-Straße in Münster stadteinwärts. In ihrem Fahrzeug befanden sich die beiden Zeuginnen B1 und B2. Die Straße verläuft an der Unfallstelle zweispurig und ist in der
Mitte durch einen Grünstreifen getrennt. Im Bereich der Hausnummer 25 führt eine Fußgängerampel über die W-Straße. In der Mitte befindet sich eine Querungshilfe. Auf das zur Akte gereichte
Lichtbild (Bl. 62 d.A.) wird Bezug genommen.
Die Klägerin fuhr mit einer
Geschwindigkeit von 50 km/h auf der linken der beiden Fahrspuren. Der Beklagte zu 1. überquerte mit einem E-Scooter der Firma T. M. GmbH mit dem amtlichen Kennzeichen ### ###, der bei der
Beklagten zu 2) im Unfallzeitpunkt haftpflichtversichert war, die von der Klägerin befahrene Straße im Bereich der Ampel und nutzte dabei die Querungshilfe. Es ist zwischen den Parteien streitig,
ob die Lichtzeichenanlage für den Beklagten zu 1) grün zeigte.
Bei dem E-Scooter handelte es
sich um ein Elektrokleinstfahrzeug nach der eKFV, das bauartbedingt nicht schneller als 20 km/h fährt.
Als der Beklagte zu 1) die
Querungshilfe passiert hatte kam es zur Kollision mit dem von der Klägerin geführten Fahrzeug. Die Klägerin leitete kurz zuvor noch eine Vollbremsung ein. Dennoch konnte ein Zusammenstoß nicht
mehr vermieden werden.
Das Fahrzeug der Klägerin wurde
bei dem Unfall beschädigt. Der Schaden an dem Fahrzeug beläuft sich ausweislich eines von der Klägerin eingeholten Gutachtens auf 5.932,01 Euro, wobei die Höhe des Schadens von der Beklagtenseite
bestritten wird. Der Klägerin sind außerdem Sachverständigenkosten in Höhe von 869,77 Euro entstanden. Ferner macht sie eine Kostenpauschale in Höhe von 30,00 Euro geltend sowie Nutzungsausfall
in Höhe von insgesamt 315,00 Euro.
Die Klägerin behauptet, die
Lichtzeichenanlage habe für sie Grün gezeigt. Neben ihr habe sich noch ein weiteres Fahrzeug auf der rechten Fahrspur befunden, das ebenfalls über grün gefahren sei. Sie behauptet weiter, der
Beklagte zu 1. sei von der Querungshilfe kommend, aus Sicht der Klägerin von links, plötzlich vollkommen unvermittelt und in unberechtigter Weise sowie ohne auf den fließenden Verkehr zu achten,
auf die W-Straße gefahren. Aus diesem Grunde hätte sie den E-Scooter viel zu spät wahrnehmen und den Unfall daher nicht vermeiden können.
Die Klägerin beantragt,
1.
die Beklagten als
Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 5.932,01 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2.
die Beklagten zu verurteilen, an
die Klägerin einen Betrag in Höhe von 869,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3.
die Beklagten als
Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 345,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
4.
die Beklagten als
Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,33 EUR gegenüber den Rechtsanwälten J
freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zu 1. behauptet,
die Lichtzeichenanlage für ihn habe Grün gezeigt. Er habe vorher noch mit seiner Freundin, an der Ampel gewartet, als diese noch Rot zeigte, und sei erst losgefahren, nachdem diese auf Grün
umgesprungen sei.
Zur Vervollständigung des
Vorbringens der Parteien zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Es ist Beweis erhoben worden
durch Vernehmung der Zeuginnen G1, B1 und B2. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 17.02.2020 verwiesen. Die Bußgeldakte des
Ordnungsamtes Münster (Az. XXXXX) ist beigezogen worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist
unbegründet.
Der Klägerin stehen die mit der
Klage geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
I.
Die Klägerin hat keinen
Schadenersatz gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer der Fahrzeughalterin des von dem Beklagten zu 1) gefahrenen E-Scooters gem. § 7 Abs. 1
StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG. Einer Haftung gem. § 7 StVG steht § 8 Nr. 1 StVG entgegen, so dass es auch
auf eine Haftungsabwägung gem. § 17StVG nicht ankommt.
Nach § 8 Nr. 1 StvG
ist die in § 7 StVG normierte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit
keiner höheren Geschwindigkeit als zwanzig Kilometer in der Stunde fahren kann. Um ein solches Fahrzeug handelte es sich nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten bei dem vom Beklagten zu 1)
gefahrenen und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug. Der an dem Unfall beteiligte E-Scooter verfügte über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV),
die zum Zeitpunkt des Unfallereignisses bereits in Kraft war. Gem. § 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne dieser Verordnung Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und
einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h, was insbesondere auch sog. E-Scooter sind (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 26. Aufl.
2020, eKFV § 1 Rn. 10, 11).
II.
Die Klägerin hat deshalb auch
keinen Anspruch gem. § 18 Abs. 1 StVG gegen den Beklagten zu 1) als Fahrer des E-Scooters. Auch insoweit steht § 8 Nr. 1 StVG einer Haftung entgegen
(vgl. BGH, VI ZR 156/96).
III.
Der Klägerin steht auch kein
Schadenersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB zu. Voraussetzung dafür wäre, dass das Unfallereignis zumindest teilweise auf ein mindestens fahrlässiges Verhalten des
Beklagten zu 1) zurückzuführen wäre. Der Beklagte hätte also die ihn in der konkreten Situation treffenden Sorgfaltspflichten verletzt haben müssen. Den ihr hierfür obliegenden Beweis (vgl. zur
Beweislast BGH, Urt. V. 24.09.2013, VI ZR 255/112) hat die Klägerin nicht erbracht.
a)
Die Behauptung der Klägerin, der
Beklagte zu 1) sei plötzlich vollkommen unvermittelt und in unberechtigter Weise sowie ohne auf den fließenden Verkehr zu achten auf die Straße gefahren konnte, nach Durchführung der
Beweisaufnahme nicht bestätigt werden.
Die von der Klägerin benannte
Zeugin B2 hat nach eigenen Angaben zum Unfallzeitpunkt überhaupt nicht auf den Verkehr geachtet. Sie war vielmehr damit beschäftigt, sich um den richtigen Weg zu kümmern, nachdem die Klägerin es
zuvor versäumt hatte, abzubiegen. Erst nach der Kollision hat sie den Beklagten zu 1) wahrgenommen. Ihre Aussage zum Unfallhergang und insbesondere zu einem etwaigen Verschulden des Beklagten zu
1) war damit unergiebig.
Demgegenüber hat die Zeugin B1
den Beklagten zu 1) und dessen hinter ihm fahrende Freundin zwar noch kurz vor der Kollision wahrgenommen. Sie hat aber weder eine Aussage zur Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) gemacht noch
konnte sie sich an die Ampelstellung zur Zeit des Unfalls erinnern, da sie die Ampel nicht gesehen hat.
Soweit die Klägerin behauptet,
es habe sich auf der rechten Fahrspur noch ein weiteres Fahrzeug neben ihr befunden, was darauf schließen lasse, dass die Ampelanlage für sie (und das sich neben ihr befindliche Fahrzeug) grün
zeigte, konnte diese Behauptung durch die Zeugin B1 gerade nicht bestätigt werden. Im Gegenteil: auch nach nochmaliger Nachfrage durch das Gericht bestätigte die Zeugin B2, dass sich ganz sicher
kein weiteres Auto neben ihnen befand. Das begründete sie damit, dass sie sich noch daran erinnern könne, den Bürgersteig gesehen zu haben.
Die Zeuginnen B2 und B1
berichteten übereinstimmend, dass die Klägerin kurz vor dem Unfall es versäumt hatte abzubiegen. Man sei deshalb im Auto darauf konzentriert gewesen, eine neue Route zu suchen. Das mag auch eine
etwaige Unaufmerksamkeit der Klägerin zum Unfallzeitpunkt erklären. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Klägerin aus diesem Grunde die näheren Umstände des Unfallgeschehens,
insbesondere das Signal der Lichtzeichenanlage, nicht richtig wahrgenommen hat.
b)
Das Gericht ist aufgrund der
schlüssigen glaubhaften Aussage der Zeugin G1 davon überzeugt, dass die Lichtzeichenanlage jedenfalls für den Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt der Kollision grün zeigte. Die Zeugin G1 konnte sich an
das Unfallgeschehen einschließlich des Randgeschehens gut erinnern. Soweit sie Erinnerungslücken hatte oder sich unsicher war, machte sie dies deutlich. Sie bestätigte glaubhaft und zur
Überzeugung des Gerichts, gemeinsam mit dem Beklagten zu 1) zunächst vor der für sie rot zeigenden Fußgängerampel gewartet zu haben nachdem sie und der Beklagte zu 1) vorher von dem Elektroroller
abgestiegen waren. Erst nachdem die Ampel grün zeigte, habe dann zunächst der Beklagte zu 1) und danach sie selbst die W-Straße überquert. Insbesondere bestätigte sie, dass die Ampel auch noch
grün zeigte nachdem der Beklagte zu 1) die Mittelinsel passiert hatte. Auch auf mehrfache Nachfrage bestätigte sie wiederholt, dass die Ampel für sie grün gezeigt habe.
Der Beklagte zu 1) war somit
nach Überzeugung des Gerichts dazu berechtigt, die Straße im Ampelbereich zu überqueren. Er durfte aufgrund der für ihn grün zeigenden Lichtzeichenanlage auch darauf vertrauen, dass die auf der
W-Strasse fahrenden Fahrzeuge aufgrund der für sie - aus seiner Sicht - rot zeigenden Ampelanlage anhalten und ihm Vorfahrt gewähren würden. Dabei kann es vor dem Hintergrund, dass eine
Gefährdungshaftung durch den Betrieb des E-Scooters, wie bereits festgestellt, gem. § 8 Nr. 1 StVG ausscheidet dahinstehen, ob die Ampel für die Klägerin tatsächlich rot
zeigte oder ob eine Ampelfehlschaltung vorgelegen hat. Denn eine solche hätte der Beklagte zu 1) aus seiner Sicht jedenfalls nicht erkennen können und müssen, so dass ein ihm vorwerfbares
Verhalten auch in diesem Fall auszuschließen wäre.
c)
Soweit die Klägerin behauptet,
der Beklagte zu 1) sei plötzlich und unvermittelt auf die Straße gefahren, kann das Gericht Anhaltspunkte für eine Überschreitung der in der konkreten Situation angemessenen Geschwindigkeit durch
den Beklagten zu 1) nicht erkennen. Die von der Klägerin benannten Zeuginnen konnten dazu nichts aussagen. Vielmehr spricht die Tatsache, dass der Beklagte zu 1) nach Aussage der Zeugin G1
zunächst von dem Roller abgestiegen war und dann erst nachdem die Ampel für ihn grün zeigte los fuhr, sogar eher gegen eine unangepasst hohe Geschwindigkeit des Beklagten.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht
auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 Satz 1 und 2 , 711S. 1 und 2, 708 Nr. 11 ZPO.