Beweiswert des Schuldeingeständnisses gegenüber der Polizei
nach einem Verkehrsunfall
KG, Hinweisbeschluss vom 30.11.2017 - 22 U 34/17 -
Kurze Inhaltsangabe mit Anmerkung:
Das Landgericht ging in seiner von der Klägerin angegriffenen Entscheidung davon aus, dass sich der die Schadensersatzansprüche der Klägerin begründende Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einem
Fahrspurwechsel des klägerischen Fahrzeugs von rechts nach links ereignet habe, weshalb es die Klage abwies. Zuvor hatte, nach Beiziehung der Ordnungswidrigkeitsakte, es den Fahrer
des klägerischen Fahrzeugs als Zeugen vernommen und den Beklagten zu 1. als Fahrer des weiteren beteiligten Fahrzeugs nach § 141 ZPO angehört. Der Fahrspurwechsel spräche für einen
Sorgfaltsverstoß des Zeugen. Die Angabe des Zeugen, dieser habe wegen einer roten Ampel zum Zeitpunkt der Kollision bereits 10 Sekunden gestanden, als der Beklagte zu 1. Aufgefahren sei,
sei nicht nachvollziehbar. Nach seiner Angabe habe er ein bis zwei Fahrzeuglängen vor der Ampel gestanden. Der Unfall habe sich aber in Höhe Hausnummer 18 ereignet, welches wesentlich weiter von
der Ampel entfernt läge. Auch habe das klägerische Fahrzeug nach einem Lichtbild mit dem Hinterrad noch teilweise auf der anderen Fahrspur gestanden (Lichtbild); dazu habe der Zeuge erklärt, dass
er nach dem Unfall in diese Position, um die eine Fahrspur freizumachen, gefahren sei.
Die Klägerin rügte im Berufungsverfahren eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das Landgericht. In der Unfallaufnahme der Polizei sei notiert worden, dass der Beklagte zu 1. dieser gegenüber
seinen Verkehrsverstoß eingeräumt habe. Angaben zu Angaben des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges, dass er bereits gestanden habe als es zur Kollision durch Auffahren des vom Beklagten zu 1.
Kam, sind nicht aufgenommen.
Das OLG geht davon aus, dass es sich bei der Notiz der Polizei um eine öffentliche Urkunde handeln würde, die den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen liefern würde (§ 418 Abs. 1 ZPO).
Damit sei die dort benannte Erklärung des Beklagten als bewiesen anzunehmen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.03.2004 - 11 LA 380/03 -; VG Mainz, Urteil vom 20.01.2016 - 3 K 509/15MZ -). Dass hier
die Polizei eine Schuldzuweisung vorgenommen habe, ließe aber das durch ein Ankreuzen festgehaltene Zugeständnis nicht zu. Es zwinge auch nicht zu der Annahme, dass die weiteren Angaben des
Fahrers des klägerischen Fahrzeuges, dass er bereits den Fahrspurwechsel zum Zeitpunkt der Kollision beendet habe und bereits 10 Sekunden gestanden habe, zutreffend seien. Ein zugegebener
Verkehrsverstoß stelle sich lediglich als ein Schuldindiz dar, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Berücksichtigung der weiteren Umstände zu bewerten sei. Aus
dem Schuldeingeständnis lasse sich ein bestimmter Ablauf des Unfallgeschehens nicht ableiten. Zu berücksichtigen seien hier auch die Unfallspuren, die gegen den von der Klägerin behaupteten und
von der Polizei aufgenommenen Auffahrunfall sprechen würden, weshalb hier nicht ein Beweis des ersten Anscheins gegen den Beklagten angenommen werden könne dahingehend, er sei zu schnell oder
unaufmerksam oder mit zu geringen Anstand gefahren. Ein Auffahrunfall setze eine Teilüberdeckung der Schäden an Heck und Front der beteiligten Fahrzeuge voraus (BGH, Urteil vom 30.11.2010 -
VI ZR 15/10 -; BGH, Urteil vom 16.01.2007 - VI ZR 248/05 -). Daran würde es nach den Lichtbildern fehlen. Für die Richtigkeit der Angaben über den Geschehensablauf durch den Beklagten zu 1.
Spräche, dass die Angaben des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs, warum und wie lange er gehalten haben will, mit en örtlichen Verhältnissen nicht übereinstimmen würden, wie vom Landgericht
festgehalten. Auch sei, wie vom Landgericht festgehalten, seine Angabe des abgeschlossenen Fahrspurwechsels nicht mit dem Lichtbild über das Verbleiben eines Hinterrades auf der rechten Fahrspur
und seine dazu abgegebene Begründung nicht zutreffend.
Die Überlegungen der Klägerin, mit denen sie die vermeintlichen Widersprüche der Angaben des Beklagten zu 1.gegenüber der Polizei und im Rahmen seiner Anhörung nach § 141 ZPO aufzeigt und damit
seine gerichtlichen Angaben in Zweifel ziehen wolle, würden ebenso auch für den Zeugen gelten, allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Angaben des Zeugen mit den weiteren Beweisumständen,
wie den Lichtbildern und den Örtlichkeiten, nicht in Einklang bringen ließen.
Die Berufung der Klägerin wurde daher ohne weitere Beweisaufnahme mit Beschluss am 22.01.2018 gem. § 522 ZPO zurückgewiesen.
Anmerkung: Dieser Rechtsstreit belegt einmal mehr, dass bei einem Verkehrsunfall voreilige Schuldeingeständnisse tunlichst unterlassen werden sollten. Vorliegend konnte die
Beklagtenseite letztlich trotz des Schuldeingeständnisses nur deshalb obsiegen, da neben fehlerhaften Angaben des gegnerischen Zeugen zu den Örtlichkeiten auch die Lichtbilder gegen seine
Einlassung sprachen. Auch insoweit verdeutlicht sich, dass nach einem Verkehrsunfall tunlichst Bilder von der Unfallposition und den Schäden gemacht werden sollten.
Aus den Gründen:
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Januar 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin, Az.: 41 O 98/16, auf Ihre Kosten durch Beschluss nach
§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, hierzu und zu den Gründen binnen eines Monats schriftlich Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingereicht und innerhalb der Frist nach § 520 Abs. 2 ZPO ausreichend begründet worden. Der Senat
beabsichtigt gleichwohl, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil diese - wie er einstimmig meint - keine Aussicht auf Erfolg hat,
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts
nicht erfordern und auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist. Im Einzelnen gilt:
II. Eine Berufung kann nach § 513 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung oder der Nichtanwendung einer Rechtsnorm beruht oder die
nach § 529 ZPO der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Unter Anwendung dieses Maßstabs hat die Berufung der Klägerin auch unter
Berücksichtigung des Berufungsvorbringens keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat die auf Zahlung der sich ausweislich eines Sachverständigengutachtens ergebenden Bruttoreparaturkosten zzgl. der Aufwendungen für den Sachverständigen und
Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs als Zeugen und Anhörung
des Beklagten zu 1) als Fahrer des von dem Beklagten zu 2) gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Fahrzeugs abgewiesen. Es hat insoweit ausgeführt, dass es
nicht nur davon überzeugt ist, dass der Unfall vom 4. September 2015 gegen 10.45 Uhr in der Sch... straße in Berlin- F... sich in einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem
Wechsel der Fahrspur des klägerischen Fahrzeugs von der rechten in die linke Spur zugetragen hat, so dass hier ein Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Zeugen der
Klägerin spricht, sondern dass ein solcher Sorgfaltspflichtverstoß auch zur Überzeugung der Kammer feststehe. Denn die Darstellung des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs, er habe
wegen der vorhandenen Ampel bereits 10 sec gestanden als der Beklagte zu 1) aufgefahren sei, sei nicht nachvollziehbar. Denn dieser habe angegebenen, ein bis zwei Fahrzeuglängen vor
der Ampel gestanden zu haben. Der Unfall habe sich aber unstreitig vor dem Haus Nr. 18 ereignet, das in einem erheblich weiteren Abstand von der Ampel stehe. Auch seine Angaben
zu dem Lichtbild Anlage B 4 wiesen aus, dass sich der Unfall bei dem Fahrspurwechsel ereignet habe, denn das Bild zeige das Fahrzeug der Klägerin mit dem rechten Hinterreifen noch in
der rechten Fahrspur. Dazu habe der Zeuge angeben, er habe das Fahrzeug, um die rechte Fahrspur freizumachen, nach dem Unfall in diese Position gefahren.
2. Die hiergegen erhobene Rüge der Klägerin, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei fehlerhaft, greift nicht durch.
Der Senat ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit
der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine
Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder
Widersprüche (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2005, VI ZR 175/04, juris). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die
erstinstanzlichen Feststellungen (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004, VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254, 258; Urteil vom 18. Oktober 2005, VI ZR 270/04, juris); bloß subjektive Zweifel, lediglich
abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, aaO). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der
erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden.
Dass das Landgericht trotz der in der Unfallaufnahme der Polizei notierten Angaben des Beklagten zu 1) davon ausgegangen ist, dass sich der Unfall in räumlich- und zeitlichem
Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel ereignet und der Wagen der Klägerin nicht bereits 10 sec. gestanden habe, ist nicht zu beanstanden. Die zeitlichen Erklärungen des klägerischen
Fahrers finden sich im Unfallaufnahmeprotokoll nicht. Der Zeuge weist vielmehr selbst auf einen Fahrspurwechsel hin. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass der Beklagte zu 1)
den Verkehrsverstoß gegenüber der Polizei zugegeben habe, so ergibt sich dies tatsächlich aus der entsprechenden OWi-Akte mit der Wirkung des § 418 Abs. 1 ZPO, d.h. eine
entsprechende Erklärung des Beklagten zu 1) ist als bewiesen anzunehmen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2004 - 11 LA 380/03 -, juris Rdn. 5; VG Mainz, Urteil vom 20.
Januar 2016 - 3 K 509/15.MZ -, juris Rdn. 21). Dass allein die Polizei eine Schuldzuweisung vorgenommen hat, wie das Landgericht zu meinen scheint, lässt das durch ein Ankreuzen
festgehaltene Zugeständnis nicht zu. Dies zwingt aber nicht zu der Annahme, jedenfalls die weiteren Angaben des klägerischen Fahrers, er habe sich bereits vollständig in dem linken
Fahrstreifen befunden und sein Auto habe gestanden, zutreffend sind. Dass der Beklagte zu 1) einen Verkehrsverstoß zugegeben hat, ist lediglich ein Schuldindiz, das im Rahmen der nach
§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzunehmenden Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der weiteren Umstände zu bewerten ist. Ein bestimmter Ablauf des Unfalls ist damit nicht
bestätigt. Insoweit ist etwa zu berücksichtigen, dass die Unfallspuren gegen den von der Klägerin behaupteten und von der Polizei so aufgenommenen Auffahrunfall sprechen, der den
Beweis des ersten Anscheins rechtfertigen würde, dass der Beklagte zu 1) zu schnell, zu unaufmerksam oder mit zu geringem Abstand gefahren wäre (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. November
2010 - VI ZR 15/10 -, juris Rdn. 7; BGH, Urteil vom 16. Januar 2007 - VI ZR 248/05 -, juris Rdn. 5) . Denn ein Auffahrunfall setzt eine Teilüberdeckung der Schäden an Heck und Front
der beteiligten Fahrzeuge voraus (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. November 2010 - VI ZR 15/10 -, juris Rdn. 8; Senat, Beschluss vom 20. November 2013 - 22 U 72/13 -, juris Rdn. 7), an
der es hier ausweislich der Lichtbilder (Anlage B 4, Bl. 66 d.A.) fehlt. Auch der im polizeilichen Unfallaufnahmeprotokoll wiedergegebene Begriff des Anhaltens ist in der
Alltagssprache kein feststehender Begriff, was im Übrigen auch für den Begriff des Auffahrens gilt. Dass aber die wesentlichen Umstände für die Richtigkeit des vom Beklagten zu 1) im
Termin vom 13. Dezember 2016 geschilderten Ablaufs sprechen, wie das Landgericht überzeugend annimmt, ergibt sich zunächst daraus, dass auch die Schilderung des klägerischen Fahrers,
warum und wie er länger gehalten haben will, mit den örtlichen Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen ist. Das Landgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ampel, vor der
der klägerische Fahrer wegen eines Linksabbiegers gehalten haben will, wesentlich weiter als zwei Fahrzeuglängen vom unstreitigen Unfallort vor dem Haus Schmiljanstr. 18 entfernt
gewesen ist. Auch die Angabe, der klägerische Fahrer habe sich bereits in die linke Spur eingefädelt, ist angesichts des vom Landgericht bezeichneten Lichtbildes und den Erläuterungen
des Zeugen hierzu nicht zutreffend. Angesichts dessen sind die von der Klägerin in der Berufungsschrift in den Vordergrund gestellten Abweichungen der Angaben des Beklagten zu 1)
gegenüber dem Gericht und gegenüber der Polizei erklärlich. Die allgemeinen Erwägungen der Klägerin wie die aufgezeigten - vermeintlichen - Widersprüche zwischen den verschiedenen
Aussagen des Beklagten zu 1), mit welchen sie die Richtigkeit der Angaben in Zweifel ziehen will, gelten uneingeschränkt auch für den klägerischen Fahrer mit dem Unterschied, dass
sich seine Angaben mit weiteren Beweisumständen wie etwa den Lichtbildern und den Örtlichkeiten nicht in Einklang bringen lassen.
III. Der Senat regt an, die Durchführung der Berufung zu überprüfen. Eine Rücknahme führt zu einer Reduzierung der Gerichtskosten um die Hälfte.