Prozessrecht


Zeugnisverweigerungsrecht des geschiedenen Ehegatten eines gesetzlichen Vertreters

BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – XI ZB 6/15 -

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert beträgt 15.626 €.

Gründe

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des weiteren Beteiligten. Er nimmt die Beklagte auf Herausgabe von Maschinen in Anspruch. Die Beklagte begehrt widerklagend die Feststellung von Forderungen in Höhe von 165.000 € und 39.999,96 € zur Insolvenztabelle. Geschäftsführerin der Beklagten ist die geschiedene Ehefrau des weiteren Beteiligten. Bis zur Scheidung der Ehe im Mai 2012 war der weitere Beteiligte Geschäftsführer der Beklagten.

Der weitere Beteiligte ist von beiden Parteien als Zeuge, u.a. zur Frage des Erwerbs von zwei herausverlangten Maschinen durch die Beklagte, benannt worden. Er hat die Aussage verweigert und zur Begründung geltend gemacht, die Geschäftsführerin der Beklagten sei seine geschiedene Ehefrau. Außerdem müsse er sich durch eine Aussage möglicherweise einer Straftat bezichtigen.

Das Landgericht hat die Zeugnisverweigerung des weiteren Beteiligten durch Zwischenurteil für rechtmäßig erklärt. Das Oberlandesgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen das Zwischenurteil zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die - vom Oberlandesgericht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zulässig, aber unbegründet.

1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der weitere Beteiligte habe ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil er der frühere Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten sei. Ein Zeugnisverweigerungsrecht analog § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestehe auch dann, wenn die in dieser Vorschrift geforderte Beziehung zu einem Vertretungsorgan einer juristischen Person bestehe. § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wolle einen nahen Angehörigen vor einem Interessenkonflikt bewahren. Als Zeuge sei er zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet, die der Partei, zu der Familienbande bestünden, nachteilig sein könnten. Ein solcher Interessenkonflikt bestehe auch, wenn das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen einem Vertretungsorgan einer juristischen Person und dem Zeugen bestehe. Die Anwendung des § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sei geboten, weil die juristische Person als solche nicht handlungsfähig sei und Prozesshandlungen, etwa die Vorlage von Urkunden und die Vernehmung als Partei, durch ihre Organe erfolgen müssten.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand, so dass die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen ist.

a) Der weitere Beteiligte ist als geschiedener Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO - nicht, wie das Oberlandesgericht offenbar versehentlich ausgeführt hat, gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Nach dieser Vorschrift hat der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht, ein Zeugnisverweigerungsrecht. Diese Regelung findet nach ihrem Sinn und Zweck entsprechende Anwendung, wenn die Partei eine juristische Person ist und der Zeuge, wie im vorliegenden Fall, Ehegatte des gesetzlichen Vertreters dieser Partei ist oder war (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 383 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 383 Rn. 2; Hk-ZPO/Eichele, 6. Aufl., § 383 Rn. 5; Trautwein in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 383 Rn. 5; aA: Musielak/Huber, ZPO, 12. Aufl., § 383 Rn. 2; MünchKommZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 11). Der Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO beruht auf der Überlegung, dass ein Zeuge, der mit einer der Parteien familiär verbunden ist, mit großer Wahrscheinlichkeit in einen Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und familiärer Rücksichtnahme gerät, wenn er über Tatsachen aussagen soll, die für den Angehörigen nachteilig sind. Ein solcher Zeuge soll weder durch eine wahre Aussage zu Ungunsten des Angehörigen die Integrität der Familie gefährden, noch aus Rücksicht auf den Angehörigen falsch aussagen. Das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO schützt mit der Familie den Bereich, der typischerweise zur engeren Privatsphäre des Zeugen gehört (Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 383 Rn. 6). Dieser Regelungszweck rechtfertigt es, § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch dann anzuwenden, wenn der Zeuge nicht Ehegatte einer Partei ist, sondern wenn die Partei eine juristische Person ist und der Zeuge Ehegatte des gesetzlichen Vertreters dieser juristischen Person ist oder war. In diesem Fall befindet sich der Zeuge in einem vergleichbaren Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und familiärer Rücksichtnahme wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Der weitere Beteiligte als früherer Ehegatte der Geschäftsführerin der beklagten GmbH ist mithin entsprechend § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt.

b) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, das Zeugnisverweigerungsrecht, das dem Zusammenhalt der Familie diene, könne diese Zweckbestimmung in der vorliegenden Fallkonstellation, in der die Ehe längst geschieden sei, nicht mehr erfüllen. Eine Zweckbestimmung, die nicht mehr erfüllt werden könne, rechtfertige eine entsprechende Anwendung der Norm nicht. Außerdem liege es auf der Hand, dass der weitere Beteiligte als Zeuge nichts bekunden könne, was er aufgrund seiner früheren Ehe erfahren habe. Seine Ehefrau sei nämlich erst nach der Scheidung der Ehe Geschäftsführerin der Beklagten geworden.

Diese Einwände greifen nicht durch. Dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nach Scheidung der Ehe fortbesteht, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Im Übrigen ist es ohne Einfluss auf das Recht zur Zeugnisverweigerung, ob der nach § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Zeugnisverweigerung berechtigte Zeuge bei seiner Aussage tatsächlich in den beschriebenen Konflikt geraten würde (Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 383 Rn. 6).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.