Vortragswechsel im Verfahren und rechtliche Bewertung
BGH, Beschluss vom 20.11.2024 -
VII ZR 191/23 -
Kürze Inhaltsangabe
Die Klägerin hatte zunächst eine Schlussrechnung vorgelegt, in der vom Gesamtbetrag € 32.757,58 mit dem Vermerk abgezogen waren, „abzgl. Restleistungen in Teilbereichen der Fa. V.“. Nach Hinweis
des Gerichts, der Abzug von € 32.757,58 erschließe sich nicht, weshalb dies die Klägerin aufschlüsseln wollte. Sie legte dann aber eine mit der ersten Schlussrechnung inhaltsgleiche
Schlussrechnung vor, die lediglich den Abzug nicht enthielt; stattdessen wurde die Klage um den Betrag erweitert. Damit entspreche die Rechnung nun dem Aufmaßprotokoll, so die Klägerin. Der
vormalige Abzugsbetrag sei ein Nachlass der Nachunternehmerin an die Klägerin wegen der bestrittenen vollständigen Fertigstellung gewesen, für den Fall, dass die Klägerin sofort zahle, den sie an
den Beklagten weitergereicht habe und nunmehr gestrichen habe, nachdem dieser nicht gezahlt habe. Das Landgericht wies die Klage mangels prüfbarer Rechnung ab; die Berufung wurde vom
Kammergericht als Berufungsgericht zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht.
Der BGH sah hier den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) als verletzt an. Insoweit sei von der Klägerin zutreffend gerügt worden, indem das Berufungsgericht wegen
Widerspruchs zum früheren Vortrag, den Vortrag zur zweiten Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich gehalten habe, einen Beweis für den behaupteten Grund des
Vortragswechsels gefordert habe, und das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergangen habe.
Der BGH hielt fest, dass keine Partei gehindert sei, ihren Vortrag im Laufe des Rechtsstreits zu ändern wie auch zu präzisieren. Entstünden dabei Widersprüchlichkeiten im eigen Parteivortrag,
könne dies (nur) im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO Beachtung finden. Eine Nichtberücksichtigung dieses neuen Vortrags würde auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung
hinauslaufen und damit auch gegen Art. 103 GG verstoßen (BGH, Beschluss vom 23.11.2023 - V ZR 170/22 -).
Vorliegend hätte mithin das Berufungsgericht den nach seiner Ansicht entscheidungserheblichen bestrittenen Vortrag der Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse
nur erbrachte Leistungen, durch Einholung des beantragen Sachverständigengutachtens nachgehen müssen. Es durfte diesen Vortrag nicht übergehen, selbst wenn es darin einen Widerspruch zu einem
früheren Vortrag sehe. Erst nachdem es den Beweis erhoben habe, dürfe der Vortragswechsel im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden. Nicht zulässig sei es auch, vor einer Beachtung
des neuen Vortrages, die Gründe für den Vortragswechsel und Beweise dafür zu verlangen.
Aus den Gründen:
Tenor
Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Der Beschluss des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 12. Oktober 2023 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 173.313,80 €
Gründe
I.
Die Klägerin fordert Restwerklohn aus einem gekündigten Einheitspreisvertrag über Bauleistungen.
Mit einem Teil der Leistungen hatte die Klägerin die V. GmbH (im Folgenden: die Nachunternehmerin) beauftragt. Nach Kündigung des Vertrags durch den Beklagten legte die Klägerin eine erste
Schlussrechnung, in der sie vom Gesamtbetrag - neben Teilzahlungen - einen Bruttobetrag von 32.757,58 € mit dem Vermerk "abzgl. Restleistungen in Teilbereichen der Fa. V.
GmbH" abzog. Die Klägerin hat zunächst nur den verbleibenden Betrag eingeklagt und in der Klageschrift vorgetragen, die bei der Bautenstandsfeststellung erkennbaren Minderleistungen wegen
vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses seien berücksichtigt worden.
Auf den Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung, die Prüffähigkeit der Schlussrechnung begegne Bedenken, weil sich die abgezogenen "Restleistungen in Teilbereichen" von 32.757,58 €
aus der Abrechnung und dem Aufmaß nicht erschlössen, hat die Klägerin erklärt, die abgezogenen nicht erbrachten Leistungen näher aufschlüsseln zu können.
Daraufhin legte die Klägerin eine zweite Schlussrechnung, welche den Abzug von 32.757,58 € nicht enthält, einen um diesen Betrag erhöhten Endbetrag ausweist und im Übrigen vollständig mit der
ersten Schlussrechnung übereinstimmt. Die Klägerin hat die Klage um diesen Betrag erweitert und behauptet, die zweite Schlussrechnung entspreche nunmehr genau den vorgelegten Aufmaßprotokollen
und den erbrachten Leistungen. Hierfür hat sie Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten. Der Abzugsbetrag sei ein Nachlass der Nachunternehmerin an die Klägerin wegen der bestrittenen
vollständigen Fertigstellung gewesen für den Fall, dass der Beklagte sofort auf die Schlussrechnung der Klägerin zahle. Diesen Nachlass habe die Klägerin unter der mündlichen Abrede der
sofortigen Zahlung an den Beklagten weitergereicht. Nachdem dieser nicht gezahlt habe, habe sie den Nachlass aus der Schlussrechnung genommen.
Das Landgericht hat die Klage mangels prüffähiger Schlussrechnung als derzeit unbegründet abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss nach § 522 Abs. 2
ZPO zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde und verfolgt ihren Klageantrag weiter.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Es fehle an einer prüffähigen Schlussrechnung. Nach dem Vortrag der Klägerin in der Klageschrift habe es sich bei dem fraglichen Abzug in der ersten Schlussrechnung um einen Abzug für nicht
erbrachte Leistungen gehandelt; die Klägerin hätte deshalb deutlich machen müssen, welche der in der ersten Schlussrechnung aufgeführten Leistungen nicht erbracht worden seien.
Der in der Folgezeit mit Vorlage der zweiten Schlussrechnung geänderte Vortrag der Klägerin, der Abzug sei ein skontogleicher Verzicht bei schneller Zahlung gewesen, sei nicht zugrunde zu legen.
Denn er stehe im diametralen Widerspruch zur Schlussrechnung der Nachunternehmerin, auf der sich der Hinweis befinde: "Abzüglich 10 % der hier angesprochenen Positionen für Restleistungen in
Teilbereiche. 27.572,38 €" (Nettobetrag). Die Nachunternehmerin habe den Abzug also ausweislich ihrer Rechnung für nicht ausgeführte Leistungen vorgenommen, wie die Klägerin auch zunächst
vorgetragen habe. Zwar sei es einer Partei nicht grundsätzlich verwehrt, im Laufe des Rechtsstreits ihren Vortrag zu ändern oder entgegen dem Inhalt von Urkunden vorzutragen. Jedoch sei die
Klägerin für ihren bestrittenen geänderten Vortrag, der Abzug betreffe nicht fehlende Leistungen, sondern stelle ein Angebot auf Einigung bei schneller Zahlung dar, und dazu, wie es letztlich
fälschlicherweise zum unberechtigten Abzug gekommen sei, beweisfällig geblieben. Bereits aus diesem Grund könne der geänderte Vortrag nicht berücksichtigt werden. Die Klägerin hätte nicht nur
eine neue Schlussrechnung mit einem unter Sachverständigenbeweis gestellten Aufmaß in den Prozess einführen, sondern Beweis für ihre Behauptung führen müssen, der Abzug in der ersten
Schlussrechnung sei wegen eines weitergereichten skontogleichen Nachlasses der Nachunternehmerin erfolgt, der mangels Zahlung nun wegfalle, und die abgerechneten Leistungen seien alle erbracht.
Die Klägerin hätte die Nachunternehmerin beziehungsweise deren Mitarbeiter als Zeugen für die behauptete falsche Ausweisung des Abzugsbetrages in deren Schlussrechnung und daraus folgend in der
ersten klägerischen Schlussrechnung anbieten können. Im Rahmen dieser Beweisaufnahme hätte geklärt werden können, ob die Nachunternehmerin alle Arbeiten ausgeführt habe oder nicht. Die streitige
Frage der Ausführung der Arbeiten könne allein durch ein Aufmaß nicht geklärt werden, weshalb dieser Beweisantritt unzureichend gewesen sei.
2. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Das Berufungsgericht verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs, indem es, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, wegen Widerspruchs zu früherem
Vortrag den bestrittenen Vortrag zur zweiten Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich hält, einen Beweis für den behaupteten Grund des Vortragswechsels
fordert und das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergeht.
aa) Eine Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern und insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende
Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO Beachtung finden. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen
vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen
Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2023 - V ZR 170/22 Rn. 7, TranspR 2024, 77; Beschluss vom 17. November 2022 - V ZR 25/22 Rn. 9, juris;
Urteil vom 15. Februar 2018 - I ZR 243/16 Rn. 17, NJW-RR 2018, 1003 = WRP 2018, 824 - Gewohnt gute Qualität; Beschluss vom 10. November 2016 - I ZR 235/15 Rn. 15, WuM 2017,
48; Urteil vom 18. April 2013 - I ZR 66/12 Rn. 41, VersR 2015, 210).
bb) Hieran gemessen hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es für den von seinem Rechtsstandpunkt aus entscheidungserheblichen
bestrittenen Vortrag der Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse nur erbrachte Leistungen, den angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen hat. Das Gericht
muss aber, auch wenn es in einem solchen Vortrag einen Widerspruch zu früherem Vortrag sieht, dem angebotenen Beweis nachgehen und kann den Widerspruch sowie den Vortragswechsel erst im Rahmen
der Beweiswürdigung berücksichtigen. Es darf demgegenüber nicht zunächst eine Beweisführung für die behaupteten Gründe des Vortragswechsels verlangen und den angebotenen Beweis für den neuen
Vortrag - mangels Beweisangebots für die behaupteten Gründe des Vortragswechsels - übergehen.
Soweit das Berufungsgericht den Beweisantritt für unzureichend gehalten hat, weil die streitige Frage der Ausführung der Arbeiten allein durch ein Aufmaß nicht geklärt werden könne, übersieht es,
dass der Beweisantritt der Klägerin neben dem Aufmaß ein Sachverständigengutachten umfasst.
b) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Prüffähigkeit der zweiten Schlussrechnung und möglicherweise auch
deren Berechtigung bejaht hätte, wenn es den zur zweiten Schlussrechnung gehaltenen Vortrag nicht für unbeachtlich gehalten und den - jedenfalls für die Frage der Berechtigung der Schlussrechnung
erheblichen - angebotenen Beweis, es seien nur erbrachte Leistungen abgerechnet, nicht übergangen hätte.
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: Für die Prüffähigkeit einer Schlussrechnung sind ihre Richtigkeit und Abweichungen von vorherigen
Schlussrechnungen unerheblich (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2002 - VII ZR 263/01, BauR 2002, 1695 = NZBau 2002, 613, juris Rn. 14; Urteil vom 18. April 2002 - VII ZR 164/01, BauR 2002, 1403 =
NJW 1999, 3261, juris Rn. 16; Urteil vom 8. Juli 1999 - VII ZR 237/98, BauR 1999, 1294; Kniffka in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 4. Teil
Rn. 550).