Vergleich: Anfechtung wegen fehlerhaften Gutachten
OLG Hamm, Beschluss vom
12.04.2024 - 26 U 2/23 -
Kurze Inhaltsangabe:
Die Parteien hatten am 10.11.2023 vor dem Senat des OLG einen Vergleich in einem Rechtstreit geschlossen, in dem der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlung
begehrte. Diesem Vergleich stimmte der Kläger sofort zu, die Beklagten behielten sich ein Widerrufsrecht bis zum 01.12.2023 vor, von dem sie keinen Gebrauch machten. Mit Schriftsatz vom
14.11.2923 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagtenvertreter die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB. Unter Stellung seiner
vormaligen Anträge beantragte er die Fortsetzung des Verfahrens, demgegenüber die Beklagten beantragten festzustellen, dass der Rechtstreit durch den Vergleich erledigt sei. Das OLG stellte die
Erledigung des Rechtstreits durch den Vergleich durch Endurteil fest (dazu BGH, Beschluss vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96 -).
Die Beweislast dafür, dass ein abgeschlossener Vergleich nicht den Prozess beendet habe, trage derjenige, der sich darauf berufe (vorliegend der Kläger).
Der Kläger hatte sich vorliegend auf die Unrichtigkeit eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens berufen. Nach dem auch auf einen Prozessvergleich anwendbaren § 779 Abs. 1 BGB sei
ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspreche und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis
der Sachlage nicht entstanden wäre. Damit, so weiter der Senat, sei der Fall beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien gelegen habe, geregelt. Allerdings
sei die Richtigkeit von Angaben gerichtlicher Sachverständiger kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (OLG Hamm, Urteil vom 21.05.2005 - 13 U 25/04 -). Vor dem
Vergleich seien die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden streitig gewesen, wozu sich der Sachverständige geäußert habe. Dies sei auch der Streitbeilegung zugrunde gelegt
worden. Damit aber stünde fest, dass die Parteien gerade nicht übereinstimmend vom Bestehen alternativer Behandlungsmethoden ausgegangen seien, sondern dies erst durch das Gutachten ermittelt
worden sei. Mithin habe sich der Kläger nur in einem tatsächlichen Irrtum über einen Umstand befunden, der bereits vor dem Vergleich streitig bzw. ungewiss gewesen sei. Die Parteien würden selbst
das Risiko übernehmen für streitige und ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen zur Streitbeilegung im Vergleich geregelt würden, die in Wahrheit aber von angenommenen Größen abweichen
würden. Ein beiderseitiger Irrtum, wie er § 779 Abs. 1 BGB voraussetze, habe nicht vorgelegen.
Auch infolge der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs sei dieser nicht unwirksam. Dazu müsste der Tatbestand des § 119 BGB verwirklicht sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger habe
sich nicht iSv. § 119 Abs. 1 BGB über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum befunden, sondern diese Erklärung abgeben. Irrtümer über Motive oder im Rahmen der Kalkulation seien bei dem Abschluss
eines Prozessvergleichs unbeachtlich. Damit könnten selbst unrichtige Angaben des Sachverständigen nicht die Anfechtung rechtfertigen, auch wenn diese die Höhe der Vergleichssumme beeinflusst
haben sollten. Es würde sich um einen bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum in Form einer Fehlvorstellung handeln.
Die Behandlungsmethode stelle sich auch nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft eines Vergleichs iSv. § 119 Abs. 2 BGB dar.
Ebenso würde hier nicht § 123 Abs. 2 BGB greifen. Eine arglistige Täuschung oder bewusst falsche Angabe durch den Sachverständigen sei nicht dargelegt worden. Zudem wäre nicht dargelegt worden
und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten – was erforderlich wäre – diese mutmaßliche arglistige Täuschung des Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen. Zu diesen Punkten stelle
der Kläger nur Mutmaßungen an, was nicht ausreichend ist.
Aus den Gründen:
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Vergleich vom 10.11.2023 erledigt ist.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger hat ursprünglich Schmerzensgeld und die Feststellung von Schadensersatzansprüchen infolge ärztlicher Behandlungen begehrt.
Im Senatstermin vom 10.11.2023 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, nachdem die Beklagte zu 1) an den Kläger zur Abgeltung aller Forderungen im Zusammenhang mit der
streitgegenständlichen stationären Behandlung vom 20.02.2014 bis zum 06.04.2014 einen Betrag von 2.000 EUR zahlt. Der Kläger hat diesem Vergleich sofort vorbehaltlos zugestimmt, die
Beklagten behielten sich den Widerruf des Vergleichs bis zum 01.12.2023 vor. Ein Widerruf ist nicht erfolgt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 14.11.2023 gegenüber den Beklagtenvertretern die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB
erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr - unter Stellung seiner Anträge auf Aufhebung des Versäumnisurteils vom 12.05.2023 und Abänderung des Urteils dahingehen, dass die Beklagten zur Zahlung eines
angemessenen Schmerzensgeldes verpflichtet sind und die weitere Ersatzpflicht festgestellt wird - , den ursprünglichen Rechtsstreit fortzusetzen. Die Beklagten beantragen festzustellen, dass
der Rechtsstreit durch Vergleich vom 10.11.2023 erledigt ist. Wegen des genauen Wortlauts der gestellten Anträge wird auf das Protokoll des Senatstermins vom 12.04.2024 Bezug genommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
Im Übrigen wird von der weiteren Darstellung des Tatbestandes gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 544 ZPO abgesehen.
II.
Der Rechtsstreit der Parteien war nach Abschluss des Vergleichs vom 10.11.2023 nicht vor dem Senat fortzusetzen. Der Vergleich ist nicht durch die Beklagten innerhalb der - nur den Beklagten
zustehenden - Widerrufsfrist widerrufen worden. Auch im Übrigen ist von einer Wirksamkeit des Vergleiches auszugehen, insbesondere greift die vom Kläger erklärte Anfechtung des Vergleichs
nicht durch. Demgemäß war auszusprechen, dass der Rechtsstreit erledigt ist.
1) Der Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs ist aus verfahrensrechtlichen Gründen durch Fortsetzung des alten Verfahrens auszutragen, indem die Partei, die den Vergleich für
unwirksam hält, Terminsantrag mit dieser Begründung stellt. Das gleiche gilt für den Streit über die anfängliche materielle Unwirksamkeit des Vergleichs z.B. wegen Nichtigkeit oder Anfechtung.
Bringt die Fortsetzung des alten Verfahrens das Ergebnis, dass der Vergleich wirksam ist, so ist durch Endurteil (vgl. BGH, Beschl. vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345) auszusprechen,
dass der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt ist (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Aufl., § 779 Rn. 31).
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Prozessvergleich den Rechtsstreit nicht beendet hat, trägt derjenige, der dies geltend macht (BeckOK BGB/Rudolf Fischer, 68. Ed. 01.05.2023,
BGB § 779 Rn. 119), hier der Kläger.
2) Der Kläger kann sich zunächst nicht darauf berufen, dass der Vergleich unwirksam ist.
Ein Vergleich ist nach § 779 Abs. 1 BGB, der auch auf Prozessvergleiche anwendbar ist, dann unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte
Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Geregelt wird hier der Fall eines beiderseitigen Irrtums
über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien lag (Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Aufl., § 779 Rn. 1, 29).
Die Richtigkeit der Angaben eines gerichtlichen Sachverständigen ist kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2005 - 13 U 25/04,
NJW-RR 2006, 65.). Hier befand sich der Kläger - nach eigenem Vortrag - allenfalls in einem tatsächlichen Irrtum über einen Umstand, der vor dem Vergleich als streitig oder ungewiss
angesehen wurde, nämlich die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden. Auch zu diesem Streitgegenstand ist durch die Beauftragung des Sachverständigen Beweis erhoben und
dessen Ergebnisse sind bei der Streitbeilegung zu Grunde gelegt worden. Die Parteien sind vorliegend demnach gerade nicht übereinstimmend von dem Bestehen einer bestimmten Behandlungsalternative
ausgegangen; vielmehr wurde durch die Beweisaufnahme diese durch das Gutachten erst ermittelt und erörtert. Für streitige oder ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen die Parteien zur
Streitbeilegung im Vergleich regeln, die in Wahrheit aber von den angenommenen Größen abweichen, übernehmen die Parteien selbst das Risiko. Der Fall des § 779 Abs. 1 BGB betrifft einen
beiderseitigen Irrtum über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien lag (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
3) Der Vergleich ist auch nicht auf Grund der erklärten Anfechtung des Klägers vom 14.11.2023 unwirksam.
a) Der Tatbestand des § 119 Abs. 1 BGB ist nicht erfüllt. Der Kläger befand sich bei seiner Erklärung nicht über deren Inhalt im Irrtum; er wollte auch eine Erklärung dieses
Inhalts abgeben.
Irrtümer über Motive oder im Rahmen der Kalkulation sind beim Abschluss eines Prozessvergleiches unbeachtlich (Jahnke/Burmann Hdb Personenschaden, 8. Kap. Abwicklung Rn. 112,
beck-online). Insbesondere berechtigt auch ein Fehler des Sachverständigen nicht zur Anfechtung des Vergleichs, selbst wenn dessen unrichtige Ausführungen maßgeblich für die Höhe des Vergleichs
waren (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2005 - 13 U 25/04, NJW-RR 2006, 65).
Insofern kann vorliegend dahinstehen, ob die Ausführungen des Sachverständigen L. zur Durchführung der Laserenukleation Jahr 2014 inhaltlich zutreffend waren. Selbst wenn hier durch die Aussage
des Sachverständigen bei dem Kläger eine Fehlvorstellung entstanden sein sollte, handelte es sich lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung der Willenserklärung
berechtigt.
Zudem handelt es sich bei einer Behandlungsmethode nicht um eine verkehrswesentliche Eigenschaft eines Vergleichs im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB.
b) Auch die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB liegen nicht vor.
Es ist - was der Kläger darzulegen und zu beweisen hätte - bereits weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass überhaupt eine arglistige Täuschung des Sachverständigen oder auch nur
eine bewusst falsche Angabe des Sachverständigen vorgelegen hat. Die Behauptung des Klägers, der Sachverständige habe gewusst, dass seine Angaben nicht stimmen, erfolgt ersichtlich ins Blaue
hinein. Hierfür sind keinerlei Anknüpfungstatsachen vorgetragen oder sonst ersichtlich. Der Kläger trägt selbst vor, es könne insoweit "nur gemutmaßt werden".
Jedenfalls ist - was nach § 123 Abs. 2 S. 1 BGB zudem erforderlich wäre -, auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten diese mutmaßliche arglistige Täuschung des
Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen. Auch der Kläger mutmaßt insofern lediglich, dass dies "unterstellt werden müsse".
c) Auf die von den Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Anfechtungserklärung überhaupt unverzüglich erfolgt ist, kommt es danach nicht mehr an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordert.