Prozessrecht


Urteil - fehlendes Protokoll zum Verkündungstermin

BAG, Urteil vom 24.10.2024 - 2 AZR 260/23 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Streitgegenständlich war die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin (Beklagte), gegen die sich der Arbeitnehmer (Kläger) wehrte. Das Arbeitsgericht hatte der Klage durch ein „Teilurteil“ stattgegeben, welches aufgrund mündlicher Verhandlung vom12.01.2023 erging. Der in der mündlichen Verhandlung benannte Verkündungstermin wurde zuletzt auf den 23.02.203 verlegt. In der Gerichtsake folgte die Urteilsformel mit der Unterschrift des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, sodann das „Teilurteil“ in vollständig abgefasster Form, untrennbar verbunden mit einem Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Es schloss sich eine Verfügung einer Justizangestellten vom 01.03.2023 betreffend die Zustellung des „Teilurteils“ an die Parteien an. Ein Protokoll über eine Verkündung des Teilurteils existierte nicht; solche würden, nach Auskunft der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts seit der elektronischen Führung der Prozessakte nicht mehr erstellt.

 

Gegen das Teilurteil legte die Beklagte Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) ein, die zurückgewiesen wurde. Gegen dieses Urteillegte die Beklagte Revision ein, mit der sie weiterhin Klageabweisung beantragte. Die Revision wurde – wenn auch nicht aus materiellen Erwägungen – stattgegeben und der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht (nicht an das Landesarbeitsgericht) zurückverwiesen. Die Aufhebung der Entscheidungen des Arbeitsgerichts und LAG sowie die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht erfolgten, da das Verfahren bei dem Arbeitsgericht mangels Verkündung noch nicht abgeschlossen sei, es sich bei dem „Teilurteil“ lediglich um einen Urteilentwurf handele.

 

Die Verkündung eines Urteils erfolge im Namen des Volkes durch Vorlesung der vollständigen Abfassung der vollständigen Urteilsformal einschließlich der Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel, und zwar in öffentlicher Sitzung (§ 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen würde das Urteil existent. Bis zu diesem Zeitpunkt handele es sich um einen – allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugenden – Entscheidungsentwurf (BAG, Urteil vom 23.03. 2021 - 3 AZR 224/20 -; für Beschlussverfahren BAG, Beschluss vom 17.08.2022 - 7 ABR 3/21 -).

 

Die Verkündung einer Entscheidung sei im Protokoll festzuhalten, § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO, wobei es sich nach § 165ZPO um eine wesentliche Förmlichkeit handele, die nur durch das Protokoll bewiesen werden könne (BGH, Beschluss vom 08.02.2012 - XII ZB 165/22 -). Sei im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung vorhanden, stünde infolge der Beweiskraft des Protokolls ein Verstoß gegen das aus § § 60 ArbGG, § 311 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis einer Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest. Die würde auch gelten, wenn (wie hier) kein unterschriebenes Protokoll existiere, da danach nicht die Verkündung – gerade in einem gesonderten Verkündungstermin – bewiesen werde (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.). Der Beweis könne nicht durch den Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 315 Abs. 3 ZPO erbracht werden (BAG, Urteil vom 14.10.2020 - 5 AZR 712/19 -), was auch bei elektronischer Führung der Prozessakte gelte.

 

Das „Teilurteil“ sei auch nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart worden.

 

Würde gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen, könne nicht mehr von einer Verlautbarung im Rechtssinne gesprochen werden. Würden die Mindestanforderungen gewahrt, würden allerdings auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse des Entstehens eines wirksamen Urteils nicht hindern. Zu den Mindestanforderungen gehöre, dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt sei oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet würden (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.). Eine wirksame Verlautbarung könne ggf. dadurch erfolgen, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt habe, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage stünde (BAG, Urteil vom 14.10.2020  5 AZR 712/19 -), was hie nicht der Fall gewesen sei. Dahinstehen könne, ob das auch dann gelten würde, wenn das Gericht die Zustellung in der irrtümlichen Annahme veranlasse, es habe die Entscheidung bereits verkündet (a.A. BGH, Beschluss vom 13.06.2012 - XII ZB 592/11 -; OLG München, Urteil vom 21.01.2022 - 10 U 3446/10 -), da es hier bereits an einer Verfügung zur Übersendung an die Parteien fehlen würde und die Schlussverfügung der Geschäftsstelle die richterliche Verfügung nicht ersetzen könne.

 

Es käme auch nicht darauf an, dass die Parteien den Mangel der Verkündung nicht rügten, da dies von Amts wegen zu beachten sei und nicht durch unterlassene Rüge geheilt werden könne (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

 

Auch wenn das „Teilurteil“  des Arbeitsgerichts in Ermangelung einer wirksamen Verkündung keine rechtliche Wirkung erzeuge, könne es gleichwohl zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsschein mit der Berufung angefochten werden (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

 

Infolge der fehlenden Verkündung des „Urteils“ durch das Arbeitsgericht sei das Verfahren nach wie vor in erster Instanz bei dem Arbeitsgericht anhängig und dort noch nicht abgeschlossen. Mit der Berufung gegen dieses „Urteil“ könne der äußere Anschein einer wirksamen, den ersten Rechtszug beendenden gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden, weshalb das LAG auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche „Teilurteil“ hätte aufheben und den Rechtstreit ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen; eine eigene Sachentscheidung sei dem LAG verwehrt gewesen (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

 

Vorliegend stünde auch § 68 ArbGG, wonach ein Mangel im Verfahren eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht ausgeschlossen sei (mit § 68 ArbGG würde die Möglichkeit nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO bestehend Möglichkeit ausgeschlossen), nicht der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht entgegen. Ausnahmsweise käme dies allerdings in Betracht, wenn wie hier ein Verfahrensfehler in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden könne, da das Berufungsgericht die unterlassene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen dürfe und selbst den Rechtsstreit zurückverweisen müsse.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

1. Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 24. August 2023 - 1 Sa 8/23 - und das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. Februar 2023 - 7 Ca 105/22 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Parteien im Revisionsverfahren - an das Arbeitsgericht Hamburg zurückverwiesen.

3. Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

 

Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

 

Der Kläger hat sinngemäß beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, eine näher bezeichnete Abmahnung vom 9. März 2022 aus seiner Personalakte zu entfernen;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn als Hausmeister oder Mitarbeiter im Garten- und Winterdienst bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch „Teilurteil“ stattgegeben. Dieses beruht auf der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2023. Dort hat die Kammer den Beschluss verkündet, für den 2. Februar 2023 einen Termin zur Verkündigung einer Entscheidung anzuberaumen. Der Verkündungstermin wurde zuletzt auf den 23. Februar 2023 verlegt. In der Akte des Arbeitsgerichts folgt die Urteilsformel, unterschrieben vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern. Im Anschluss findet sich das „Teilurteil“ in vollständig abgefasster Form, untrennbar verbunden mit einem Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Es schließt sich eine Verfügung einer Justizangestellten vom 1. März 2023 an betreffend die Zustellung des „Teilurteils“ an die Parteien. Ein Protokoll über eine Verkündung des „Teilurteils“ existiert nicht. Nach Auskunft der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts werden Protokolle über gesonderte Verkündungstermine in der betreffenden Kammer seit der elektronischen Führung der Prozessakten nicht mehr erstellt.

 

Die Beklagte hat gegen das „Teilurteil“ Berufung eingelegt. Diese ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte über die Klage nicht in der Sache entscheiden, weil das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mangels Verkündung eines Urteils noch nicht abgeschlossen ist. Tatsächlich handelt es sich bei dem „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts lediglich um einen Urteilsentwurf. Die bisher ergangenen Entscheidungen waren aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

I. Das „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts leidet an einem nicht behebbaren Verfahrensfehler. Es ist weder verkündet noch auf andere Weise wirksam geworden. Damit ist die erste Instanz bislang nicht abgeschlossen.

 

1. Die Verkündung eines Urteils erfolgt im Namen des Volkes durch Vorlesung der vollständigen Urteilsformel einschließlich Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel; sie hat immer in öffentlicher Sitzung zu erfolgen, § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Ein Urteil wird erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Solange die Entscheidung noch nicht verkündet wurde, liegt rechtlich nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 20; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 9, BAGE 172, 372; für das Beschlussverfahren: BAG 17. August 2022 - 7 ABR 3/21 - Rn. 23).

 

2. Die Verkündung einer Entscheidung ist nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO im Protokoll festzustellen. Die Feststellung der Verkündung ist eine nach § 165 ZPO wesentliche Förmlichkeit, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGH 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11 - Rn. 12). Findet sich im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung des Urteils, steht infolge der Beweiskraft des Protokolls gemäß §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen das aus § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis der Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 21; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 10, BAGE 172, 372).

 

3. Das gilt auch, falls es - wie vorliegend - kein unterschriebenes Protokoll der Verkündung gibt. Wenn die Feststellung der Verkündung eine nach § 165 ZPO wesentliche Förmlichkeit ist, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGH 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11 - Rn. 12), und es kein Protokoll gibt, kann die Verkündung - gerade in einem gesonderten Verkündungstermin - nicht durch ein Protokoll bewiesen werden (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 22).

 

4. Da der Beweis der Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten nur durch das Sitzungsprotokoll erbracht werden kann, beweist der Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 315 Abs. 3 ZPO eine Verkündung nicht (vgl. BAG 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 10, BAGE 172, 372). Zweck dieses Verkündungsvermerks ist die Bescheinigung der Übereinstimmung des Urteilstenors mit der verkündeten Urteilsformel (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 23). Das gilt unverändert auch bei elektronischer Führung der Prozessakten.

 

5. Das „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts ist nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart worden.

 

a) Verkündungsmängel stehen dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht. Zu den Mindestanforderungen gehört allerdings, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 26; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 13, BAGE 172, 372). Eine wirksame Verlautbarung des Urteils kann ggf. dadurch erfolgen, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt hat, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage steht (vgl. BAG 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 14, BAGE 172, 372).

 

b) Es kann dahinstehen, ob dies auch gilt, wenn das Gericht die Zustellung in der irrtümlichen Annahme veranlasst, es habe die betreffende Entscheidung bereits verkündet (dagegen: BGH 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - Rn. 17; 16. Oktober 1984 - VI ZB 25/83 - Rn. 10; OLG München 21. Januar 2011 - 10 U 3446/10 - zu B I 1 c der Gründe). Vorliegend fehlt es bereits an einer Verfügung des Vorsitzenden zur Übersendung des Urteils an die Parteien. Die Schlussverfügung der Geschäftsstelle kann die richterliche Verfügung nicht ersetzen, weil sie nicht den Willen des Richters dokumentiert, die Entscheidung der Kammer nach außen kundzutun (vgl. BAG 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 14, BAGE 172, 372).

 

6. Es ist unerheblich, dass die Parteien den Mangel der Verkündung bislang nicht gerügt haben. Die fehlende Verkündung ist von Amts wegen zu beachten und kann nicht durch unterlassene Rüge geheilt werden (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 28; OLG Frankfurt 12. September 2012 - 1 U 32/09 - zu B I 1 a cc (6) (a) der Gründe; für das Beschlussverfahren: BAG 17. August 2022 - 7 ABR 3/21 - Rn. 24).

 

II. Da das „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts nicht wirksam verkündet worden ist, kann es keine rechtliche Wirkung erzeugen, gleichwohl aber zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsscheins mit der Berufung angefochten werden (vgl. BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 29; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 15, BAGE 172, 372).

 

1. Bei fehlender Verkündung des erstinstanzlichen „Urteils“ ist das Verfahren nach wie vor in der ersten Instanz anhängig und dort noch nicht abgeschlossen. Mit der Berufung kann der äußere Anschein einer wirksamen, den ersten Rechtszug beendenden gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden. Daher hätte das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche „Teilurteil“ aufheben und den Rechtsstreit ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen. Eine eigene Sachentscheidung war dem Landesarbeitsgericht dagegen verwehrt (vgl. BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 30; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 16, BAGE 172, 372).

 

2. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren steht § 68 ArbGG nicht entgegen. Zwar ist nach dieser Vorschrift im Arbeitsgerichtsprozess die Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Landesarbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig. § 68 ArbGG schließt die in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO für diesen Fall vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz grundsätzlich aus. Dies dient der Prozessbeschleunigung und gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 - Rn. 28, BAGE 147, 227). Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt jedoch - neben den in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 7 ZPO genannten Fällen - ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 - Rn. 29, aaO). So lag der Fall hier. Das Landesarbeitsgericht konnte die im ersten Rechtszug unterbliebene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen (vgl. BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 31; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 17, BAGE 172, 372).

 

III. Der Rechtsstreit war unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

1. Das Bundesarbeitsgericht kann den Rechtsstreit - ausnahmsweise - an das Arbeitsgericht zurückverweisen, wenn schon das Landesarbeitsgericht die Sache an das Arbeitsgericht hätte zurückverweisen müssen (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 - Rn. 27, BAGE 147, 227). Das Landesarbeitsgericht konnte den nicht behebbaren Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts nicht wirksam heilen. Eine nach § 528 ZPO der Überprüfung durch das Berufungsgericht unterliegende erstinstanzliche Entscheidung war zwischen den Parteien nicht ergangen (vgl. BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 - Rn. 33; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 19, BAGE 172, 372).

 

2. Der Rechtsstreit ist unter Aufhebung der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen und auch unter Aufhebung des Verfahrens (§ 562 Abs. 2 ZPO) ab dem Zeitpunkt, zu dem die Parteien vom Arbeitsgericht mit dem Hinweis auf eine Verkündung eines Urteils in einem gesonderten Termin entlassen wurden, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen (vgl. BAG 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - Rn. 20, BAGE 172, 372).

 

3. Der Senat sieht davon ab, Hinweise zur materiellen Rechtslage zu erteilen. Solche Hinweise des Revisionsgerichts an die Vorinstanz sind nur angezeigt, wenn diese prozessual daran gebunden ist (vgl. § 563 Abs. 2 ZPO). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil mangels Abschlusses des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung im Revisionsverfahren das rechtliche Prüfprogramm für den Senat nicht feststeht. Der Senat gestattet sich allerdings den Hinweis, dass sowohl der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung (vgl. BAG 16. Dezember 2021 -2 AZR 356/21 - Rn. 46, BAGE 177, 25) als auch derjenige auf Entfernung der näher bezeichneten Abmahnung vom 9. März 2022 aus der Personalakte des Klägers nach §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB als unechte Hilfsanträge zu verstehen sein dürften, die nur zur Entscheidung anfallen sollen, wenn die streitbefangene Kündigung für unwirksam befunden wird. Das gilt für den „Entfernungsantrag“, weil der Kläger - soweit ersichtlich - keinerlei Ausführungen dazu gemacht hat, aufgrund welcher objektiver Anhaltspunkte ihm der Verbleib der Abmahnung in der bei der Beklagten geführten Personalakte ausnahmsweise auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden könnte (vgl. Niemann NZA 2019, 65, 72).

 

4. Das Arbeitsgericht wird auch über die bisher entstandenen Kosten des durchgeführten Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Parteien im Revisionsverfahren zu entscheiden haben. Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens hat der Senat nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG niedergeschlagen.

 

a) Es ist anerkannt, dass bei einer Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines erheblichen Verfahrensmangels die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ggf. nicht zu erheben sind (vgl. nur KG 3. Juni 1997 - 1 W 223/97 -; BeckOK KostR/Dorndörfer Stand 1. Oktober 2024 GKG § 21 Rn. 6; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Zimmermann 5. Aufl. § 21 GKG Rn. 6). Das betrifft, weil der Verkündungsmangel beim Arbeitsgericht aufgetreten ist, zwar unmittelbar nur die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren, zu deren Niederschlagung das Revisionsgericht aber nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG nicht berechtigt ist (BGH 29. März 2000 - RiZ (R) 4/99 - zu II 3 der Gründe, BGHZ 144, 123). Es tritt hinzu, dass die Beklagte die Berufung nicht wegen des Verkündungsmangels geführt hat, so dass es an der erforderlichen Kausalität zwischen der unrichtigen Sachbehandlung durch das Arbeitsgericht und der Durchführung des Berufungsverfahrens gefehlt haben könnte.

 

b) Doch ist eine „eigene“ unrichtige Sachbehandlung durch das Landesarbeitsgericht darin zu sehen, dass es die Sache nicht aufgrund des offenkundigen Mangels der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils an das Arbeitsgericht zurückverwiesen, sondern stattdessen eine - ihm unzweifelhaft verwehrte (Rn. 16) - Sachentscheidung getroffen hat. Diese falsche Sachbehandlung durch das Berufungsgericht ist für die Durchführung des Revisionsverfahrens kausal geworden. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu nicht geheilten Verkündungsmängeln (BAG 23. März 2021 - 3 AZR 224/20 -; 14. Oktober 2020 - 5 AZR 712/19 - BAGE 172, 372) hätte ersichtlich kein nach § 72 Abs. 2 ArbGG begründeter Anlass bestanden, die Revision gegen eine die Sache an das Arbeitsgericht zurückverweisende Berufungsentscheidung überhaupt zuzulassen.