Unzulässigkeit der gemeinsamen Vertretung als abberufener
Geschäftsführer von sich und der Gesellschaft
Brandenburgisches OLG, Urteil vom
17.02.2021 - 4 U 211/20 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der Kläger und O.L waren gemeinsam Geschäftsführer der beklagten GmbH. Am 29.06.2020 führten sie jeweils an verschiedenen Orten Gesellschafterversammlungen durch, auf denen Beschlüsse zur
Abberufung des jeweils anderen Geschäftsführers gefasst wurden. Mit seiner Klage erstrebte der Kläger die Feststellung Nichtigkeit der auf der von O.L. einberufenen Gesellschafterversammlung im
Hinblick auf seien Abberufung und Berufung von O.L. zum alleinigen Geschäftsführer. In der Klageschrift gab er O.L als Geschäftsführer der Beklagten an, erteilte aber selbst für die Beklagte an
einer Anwaltskanzlei das Mandat. Der für die Beklagte mandatierte Anwalt erkannte den Klageanspruch an, woraufhin Anerkenntnisurteil erging. Gegen dieses legte die Beklagte, nunmehr durch eine
anderweitige Anwaltskanzlei vertreten, Berufung ein. Die Berufung führte zur Aufhebung des Anerkenntnisurteils und Zurückverweisung an das Landgericht.
Das OLG Brandenburg verwies darauf, dass das Anerkenntnisurteil prozessual unwirksam sei. Unabhängig davon, ob einem Geschäftsführer Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierend nach § 181 BGB
erteilt worden sei, sei es nicht möglich, einen Rechtsstreit mit sich selbst zu führen (sogen. Insichprozess. Indem der Kläger sowohl aus der Aktivseite des Prozesses (als Kläger), mit dem er die
Nichtigkeit u.a. des Beschlusses über seine Abberufung geltend machte, als auch als Vertreter der Beklagten, für die er der zunächst für die Beklagte tätigen Anwaltskanzlei die Prozessvollmacht
erteilte (unterschrieb), habe er prozessual ein Insichgeschäft geführt. Er sei mithin auf beiden Seiten aufgetreten, einmal als Partei (für sich selbst) und einmal als Parteivertreter (für die
Beklagte).
Solange die Gesellschafter gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG keinen Prozessvertreter bestellt hätten, würde gesellschaftsrechtlich im Verfahren um die Wirksamkeit der Abberufung die Gesellschaft von dem
verbleibenden Geschäftsführer vertreten (BGH, Urteil vom 24.02.1992 - II ZR 79/91 -). Dieser verbleibende Geschäftsführer könne die Gesellschaft auch dann weiterhin so lange vertreten, auch
wenn er selbst (mit von ihm gerichtlich angefochtenen Beschluss) abberufen worden sei, bis die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses in Bezug auf beide Geschäftsführer festgestellt worden sei.
Zwar habe hier der Kläger dies im Rahmend er Klage berücksichtigt, in der er im Rubrum der Beklagten den Geschäftsführer O.L. als gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft benannte. Allerdings
dürfe auch die Prozessvollmacht für die Beklagte nicht durch den Geschäftsführer erteilt werden, der sich mit der Klage gegen die Abberufung wendet, da dies faktisch zu einer Parteiidentität
führe und damit zu einem unzulässigen Insichprozess.
Offen bleiben könne, ob die Voraussetzung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für eine Zurückverweisung vorliegen würden. Schon die Unwirksamkeit des Anerkenntnisses führe auf die Berufung im Wege einer
analogen Anwendung des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung, was auch sachgerecht wäre, da ansonsten den Parteien eine Tatsacheninstanz genommen würde und sich
das Verfahren erstinstanzlich auch ohne inhaltliche Erörterung geblieben sei.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 20.08.2020, Az. 52 O 59/20, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Beklagte betreibt einen Reisedienst, der Kläger war zunächst ihr einziger Geschäftsführer. Mit Beschluss vom 14. Mai 2020 bestellte die Gesellschafterversammlung der Beklagten Herrn O… L… als
zweiten Geschäftsführer. Der Kläger einerseits und O… L… andererseits führten am 29. Juni 2020 an jeweils unterschiedlichen Orten Gesellschafterversammlungen durch, auf denen Beschlüsse zur
Abberufung des jeweils anderen Geschäftsführers getroffen worden sind.
Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage insbesondere gegen seine Abberufung als Geschäftsführer auf einer der am 29. Juni 2020 durchgeführten Versammlungen und hat erstinstanzlich
beantragt,
die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29. Juni 2020 zu den Tagesordnungspunkten 3-5, wonach Herr O… L… zum alleinigen Geschäftsführer der Gesellschaft berufen wird und
Herr H… Z… als Geschäftsführer abberufen wird und seine Gesellschaftsanteile eingezogen werden, für nichtig zu erklären.
Erstinstanzlich hat sich die Kanzlei …
als Prozessbevollmächtigte der Beklagten, vertreten durch den Geschäftsführer O… L…, bestellt und den Klageanspruch anerkannt. Die Prozessvollmacht für die auf Seiten der Beklagten auftretende
Kanzlei hat der Kläger erteilt. Das Landgericht hat daraufhin am 20. August 2020 ein klagestattgebendes Anerkenntnisurteil erlassen, gegen das die Beklagte durch die Kanzlei Sch…, deren
Prozessvollmacht O… L… erteilt hat, Berufung eingelegt hat.
Die Beklagte beantragt mit ihrer Berufung,
das Anerkenntnisurteil des Landgerichts Potsdam zum Aktenzeichen 52 O 59/20 vom 20. August 2020 aufzuheben und die Klage vom 28. Juli 2020 abzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit wieder an das
Landgericht Potsdam zurückzuverweisen.
Der Kläger schließt sich dem auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteten Antrag an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß §§ 517 ff. ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie führt auf den von beiden
Parteien gestellten Antrag zur Aufhebung des Anerkenntnisurteils und Zurückverweisung an das Landgericht analog § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO.
Das Anerkenntnisurteil vom 20. August 2020 ist prozessual unwirksam. Es ist prozessrechtlich unabhängig davon, ob § 181 BGB anwendbar ist, nicht möglich, einen Rechtsstreit mit sich selbst,
und zwar auch nicht als Vertreter eines anderen zu führen (st. Rspr. etwa BGH, Urteil vom 11. Juli 1983 – II ZR 114/82 –, juris; BGH, Beschluss vom 27. November 1974 – IV ZB 42/73 –, Rn. 12,
juris; RG, Urteil vom 22. Juni 1907 – I 40/07 –, RGZ 66, 240-246). Einen derartigen unzulässigen Insichprozess hat der Kläger in der ersten Instanz geführt. Der Kläger handelte als solcher sowohl
auf der Aktivseite des Prozesses, mit dem er u.a. die Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses über seine Abberufung geltend macht, als auch als Vertreter der Beklagten, indem er die
Prozessvollmacht des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnete, der dann den gegen die Beklagte gerichteten Anspruch des Klägers anerkannt hat. Er ist mithin
gleichzeitig auf beiden Seiten des Prozesses entweder als Partei oder Parteivertreter aufgetreten.
Die Vertretung der Beklagten durch den Kläger bei Erteilung der Prozessvollmacht an den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist auch gesellschaftsrechtlich unwirksam. Im
Prozess mit dem abberufenen Geschäftsführer um die Wirksamkeit der Abberufung wird die Gesellschaft - solange die Gesellschafter so wie vorliegend gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG keinen
Prozessvertreter bestellt haben - von den verbleibenden Geschäftsführern vertreten (BGH, Urteil vom 24. Februar 1992 – II ZR 79/91 –, Rn. 5, juris; Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz
Kommentar, § 38 GmbHG, Rn. 24 mwN). Der verbleibende Geschäftsführer kann die Gesellschaft auch dann weiterhin solange vertreten, wenn er seinerseits streitig abberufen worden ist, bis die
Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses bezüglich jedes der beiden Geschäftsführer festgestellt ist (Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in: Scholz, GmbHG, § 38 GmbHG, Rn. 69); dies hat der
Kläger im Rubrum seiner Klageschrift auch durchaus berücksichtigt, in dem er dort als gesetzlichen Vertreter der Beklagten den Geschäftsführer O… L… angegeben hat. Daraus folgt aber gleichzeitig,
dass auch eine wirksame Prozessvollmacht für die Gesellschaft nicht von demjenigen Geschäftsführer erteilt werden kann, der sich im Klagewege gegen seine Abberufung wendet, da dies zu einer
faktischen Parteiidentität und damit zum unzulässigen Insichprozess führt.
Daher ist das Anerkenntnisurteil infolge prozessualer Unwirksamkeit aufzuheben und das Verfahren auf den gestellten Antrag der Beklagten an das Landgericht zurückzuverweisen sein. Der Senat kann
dabei offenlassen, ob die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für eine Zurückverweisung vorliegen. Denn die Unwirksamkeit des Anerkenntnisses führt auf die Berufung der
Beklagten schon im Wege einer analogen Anwendung von § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO zur Aufhebung eines daraufhin ergangenen Anerkenntnisurteils und zur Zurückverweisung (OLG München,
Urteil vom 23. Oktober 1990 – 5 U 3462/90 –, juris; Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 307 ZPO, Rn. 13; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020,
§ 538 ZPO, Rn. 54).
Die Zurückverweisung ist sachgerecht, da die Parteien bei einer Sachentscheidung des Senats den Verlust einer Tatsacheninstanz hinzunehmen hätten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. April 2015
– 11 Wx 82/14 –, Rn. 32, juris) und das Verfahren erstinstanzlich bislang ohne inhaltliche Erörterung geblieben ist. Aus diesem Grund ist der Rechtsstreit auch auf den nur hilfsweise gestellten
Antrag der Beklagten an das Landgericht zurückzuweisen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 31. Mai 2007 – 5 U 123/07 –, Rn. 7, juris; siehe auch KG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2006 – 12 U 217/05 –,
Rn. 6, juris, einen hilfsweise gestellten Antrag auf Zurückverweisung als logisch vorrangig ansehend).
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, und die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordern, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Eine Kostenentscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem landgerichtlichen Schlussurteil vorbehalten (Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 538
ZPO, Rn. 58). Dagegen ist ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit erforderlich (vgl. OLG München, Urteil vom 18. September 2002 – 27 U 1011/01 –, Rn. 75, juris; Heßler in: Zöller,
Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 538 ZPO, Rn. 59).