Prozessrecht


Tatbestand im Urteil fehlt und notwendiger Inhalt der Berufungsbegründung

BGH, Beschluss vom 07.08.2024 - XII ZB 121/24 -

Kurze Inhaltsangabe (mit Anmerkungen):

 

Die Klage richtete sich auf Räumung und Herausgabe einer Garage und Herausgabe einer Garage nach Kündigung derselben. Die Monatsmiete betrug € 26,00 und das Amtsgericht hat einen Wert von bis zu € 500,00 festgesetzt. Das Landgericht hatte die vom Amtsgericht nicht zugelassene Berufung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) des Beklagten wegen Unterschreitens der Berufungssumme (sie muss € 600,00 überschreiten, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), verworfen. Dagegen wandte sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, die der BGH verwarf.

 

Die Rechtsbeschwerde sei zwar statthaft (§§ 522 Abs. 21 S. 4, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO), aber nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt seien.

 

Allerdings könne nicht alleine auf die Unterschreitung des nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Wertes abgestellt werden, da entscheidend das Interesse des Beklagten an der Abänderung des angefochtenen Urteils hier die Wertgrenze von € 600,00 überschritten sei. Der Wert des Beschwerdegegenstandes sei nach §§ 2, 3 ZPO nach freien Ermessen des Berufungsgerichts zu bestimmen und im Rahmen der Rechtsbeschwerde müsse vom BGH geprüft werden, ob das Berufungsgericht bei der Ausübung des Ermessens die in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkte  umfassend berücksichtigte (BGH, Beschluss vom 21.05.2019 - VIII ZB 66/18 -). Hier würde sich der Wert nicht nach dem allein für die Bemessung der Gerichtsgebühren maßgeblichen Gerichtskostengesetz, sondern denjenigen der Zivilprozessordnung (ZPO) orientieren, vorliegend nach §§ 8 f ZPO (BGH, Beschluss vom 26.11.2015 - III ZB 84/15 -). Bei einem Räumungsrechtstreit der Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses ungewiss oder ließe sich der Zeitpunkt der Beendigung nicht bestimmen, sei § 9 ZPO anwendbar, mithin der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts (BG, Beschluss vom 23.01.2019 - XII ZR 95/17 -). Damit läge der Wert vorliegend über € 600,00. Da sich der Beklagte auf eine Fortdauer des Mietvertrages berufen habe, sei der Beendigungszeitpunkt streitig.

 

Die landgerichtliche Entscheidung beruhe aber nicht auf diesen Rechtsfehler. Es würde an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Berufungsbegründung ermangeln. Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO müssten in der Berufungsbegründung die Umstände bezeichnet werden, aus denen sich die Rechtsverletzung und ihre Erheblichkeit ergeben würden. Zudem müssten konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden, bezeichnet werden (§ 530 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO) sowie etwaige neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel und die Tatsachen benannt werden, auf Grund derer die neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 531 ZPO zuzulassen seien (§ 530 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO). Anmerkung: Dies muss innerhalb der (ggf. verlängerten) Berufungsbegründungsfrist erfolgen.

 

Diesen Anforderungen habe die Berufungsbegründung nicht genügt. Es sei lediglich gerügt worden, es fehle dem Urteil  mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 313a ZPO an dem notwendigen Tatbestand (§ 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Das Amtsgericht habe die Beschwer unzutreffend auf einen Wert von unter € 600,00 bemessen, deshalb die Berufung zu Unrecht für unstatthaft gehalten und damit den Anspruch des Beklagten auf effektiven Rechtsschutz verkürzt. Es würde sich aber nicht ergeben, weshalb in der Sache eine andere Entscheidung hätte ergehen müssen bzw. materiell-rechtlich die amtsgerichtliche Entscheidung unrichtig sein soll. Der Verweis auf den fehlenden Tatbestand zeigt für sich keinen Umstand auf, aus dem sich eine Erheblichkeit der Rechtsverletzung für die angefochtene Entscheidung ergeben könne. Die angefochtene Entscheidung beruhe nicht auf dem Fehlen des Tatbestandes, vielmehr läge der Verfahrensfehler in der amtsgerichtlichen Entscheidung selbst.

 

Anmerkung: Nach § 313 Abs. 2 ZPO müssen im Tatbestand „die erhobenen Ansprüche und dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden“. Fehlt es daran, liegen aber – wie offenbar hier – Entscheidungsgründe vor, so kann sich ein Berufungsführer mit den Entscheidungsgründen auseinandersetzen. Inwieweit der fehlende Tatbestand auf die Entscheidung Einfluss hat, wäre ggf. darzulegen.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 22. Februar 2024 wird auf Kosten des Beklagten verworfen.

Wert: bis 500 €

 

Gründe

 

I.

 

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten richtet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung wegen Nichterreichens des Beschwerdewerts.

 

Die Klägerinnen nehmen den Beklagten nach Kündigung eines Mietvertrags über eine Garage auf Räumung und Herausgabe in Anspruch. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, den Streitwert auf der Grundlage einer Monatsmiete von 26 € auf einen Wert in der Streitwertstufe bis 500 € festgesetzt und die Berufung nicht zugelassen. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten wegen Unterschreitung des erforderlichen Beschwerdewerts verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.

 

II.

 

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

 

1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einem symptomatischen Rechtsfehler noch ist der Beklagte hierdurch in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) verletzt.

 

2. Das Landgericht hält sich mit seiner Entscheidung, die Berufung des Beklagten zu verwerfen, im Ergebnis im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

 

a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung allerdings nicht bereits wegen Unterschreitung des nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Werts des Beschwerdegegenstandes unzulässig. Denn das insoweit maßgebliche Interesse des Beklagten an der Abänderung des angefochtenen Urteils übersteigt die Wertgrenze von 600 €.

 

aa) Die gemäß §§ 2, 3 ZPO im freien Ermessen des Berufungsgerichts liegende Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt, die Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH Beschluss vom 21. Mai 2019 - VIII ZB 66/18 - NZM 2019, 516 Rn. 9 mwN).

 

bb) Ein solcher Ermessensfehler liegt hier vor. Anders als das Berufungsgericht meint, richtet sich der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht nach den Vorschriften des allein für die Bemessung der Gerichtsgebühren maßgeblichen Gerichtskostengesetzes, sondern nach denjenigen der Zivilprozessordnung, im Falle einer Räumungsklage namentlich nach §§ 8 f. ZPO (vgl. BGH Beschluss vom 26. November 2015 - III ZB 84/15 - NZM 2016, 196 Rn. 5; Zöller/Heßler ZPO 35. Aufl. § 511 Rn. 20 mwN). Ist bei einem Räumungsrechtsstreit der Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses ungewiss oder lässt sich die streitige Zeit nicht ermitteln, ist § 9 ZPO für die Bemessung der Beschwer entsprechend anwendbar und der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts anzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2019 - XII ZR 95/17 - NJW-Spezial 2019, 220).

 

Danach übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes vorliegend die nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Wertgrenze von 600 €. Dieser richtet sich nach § 9 ZPO und bemisst sich damit auf den dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Entgelts, mithin ausgehend von einer monatlichen Miete von 26 € auf 1.092 €. Denn der Beendigungszeitpunkt des streitgegenständlichen Mietvertrags ist, nachdem sich der Beklagte auf eine Fortdauer des Mietvertrags auf unbestimmte Zeit berufen hat, zwischen den Parteien streitig und damit ungewiss.

 

b) Auf diesem Rechtsfehler beruht die angefochtene Entscheidung jedoch nicht. Denn die Berufung ist im Ergebnis zu Recht und ohne Verletzung des Beklagten in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verworfen worden, weil es an einer den Anforderungen entsprechenden Berufungsbegründung fehlt.

 

aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO müssen in der Berufungsbegründungsschrift die Umstände bezeichnet werden, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Zudem müssen konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, bezeichnet (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) sowie etwaige neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel und die Tatsachen benannt werden, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO).

 

bb) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung der Sache nach zu Recht hingewiesen hat - nicht gerecht. Mit dieser hat der Beklagte lediglich geltend gemacht, es fehle der angefochtenen amtsgerichtlichen Entscheidung an dem mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 313 a ZPO notwendigen Tatbestand. Das Amtsgericht habe die Beschwer des Beklagten rechtsfehlerhaft auf der Grundlage des Gerichtskostengesetzes auf einen Betrag von unter 600 € bemessen, deshalb die Berufung zu Unrecht für unstatthaft gehalten und damit dessen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verkürzt. Aus der Berufungsbegründung ergibt sich indes nicht, warum in der Sache eine andere Entscheidung hätte ergehen müssen bzw. warum die amtsgerichtliche Entscheidung materiell-rechtlich unrichtig sein sollte. Die Rechtsbeschwerde enthält keine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Angriffe gegen die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts. Insbesondere zeigt die bloße Beanstandung, es fehle der angefochtenen Entscheidung am erforderlichen Tatbestand, keinen Umstand auf, aus dem sich die Erheblichkeit der Rechtsverletzung für die angefochtene Entscheidung ergeben kann. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf dem Fehlen des Tatbestands, vielmehr liegt der Verfahrensfehler in der amtsgerichtlichen Entscheidung selbst.

 

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 577 Abs. 6 Satz 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.