OLG Karlsruhe, Beschluss vom
16.04.2024 - 8 W 7/24 -
Kurze Inhaltsangabe:
Die Antragsteller (AS) ließen ein Einfamilienhaus errichten und beauftragten den Antragsgegner zu 1 (AG 1) mit Architektenleistungen, die Antragsgegner zu 2 (AG 2) mit den Rohbauarbeiten und die
Antragsgegnerin zu 3 (AG 3) mit der Tragwerksplanung. Nach Fertigstellung und Bezug kam es im Untergeschoss zu einem Wasserschaden. Die AG betreiben das selbständige Beweisverfahren zur Klärung
der Ursachen und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden sowie die Existenz von Planungs- und Ausführungsfehlern. Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten lag eine mangelhafte Planung der
WU-Konstruktion vor, wodurch sich eine Sollrissstelle habe ausbilden können, die zu einer unkontrollierten Rissbildung führen könne. Ob der Wasserschaden mit diesem Mangel zusammenhänge sei
allerdings eher unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Auf Antrag der AG 3 ordnete nunmehr das Landgericht eine schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens dazu an, ob es
zerstörungsfreie Methoden zur Feststellung, ob in der Bodenplatte Risse aufgetreten seien, gäbe. Dies verneinte der Sachverständige. Nunmehr beantragte die AG 3, den Sachverständigen mit der
Untersuchung der Bodenplatte auf Risse zu beauftragen. Dem stattgebenden Beschluss sind die AS entgegengetreten, woraufhin das Landgericht den Beschluss dahingehend abänderte, dass von der
angeordneten Beweisaufnahme abgesehen werde. Die dagegen von der AG 3 eingelegte sofortige Beschwerde wurde nach fehlender Abhilfe durch das Landgericht vom Oberlandesgericht (OLG)
zurückgewiesen.
Das OLG verwies darauf, dass die Klärung, ob bereits in der Bodenplatte Risse aufgetreten seien, über den bisherigen Untersuchungsgegenstand hinausginge; bisher sei es um die Klärung der Ursache
und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden und Planungs- und Ausführungsfehler gegangen. Damit läge keine Identität vor, weshalb der Antrag der AG 3 keinen Antrag auf eine neue Begutachtung
iSv. § 485 Abs. 3 ZPO iVm. § 412 Abs. 1 ZPO enthalte, gegen dessen Ablehnung kein Rechtsmittel gegeben wäre. Das OLG stellte daher die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde fest. Allerdings sah
es diese nicht als begründet an.
Die AS hätten kein Interesse daran gehabt festzustellen, ob die Bodenplatte bereits Risse habe. Für sie war es ausreichend, dass ein Planungs-, Ausführungs- oder Überwachungsfehler vorlag, für
den es (zutreffend) nicht darauf ankäme, ob bereits Risse in der WU-Konstruktion vorlagen. Damit ziele der Antrag der AG 3 auf eine Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes, bei dem es im
Wesentlichen um die Aufklärung von Tatsachen gehen würde, mit denen sie im Hauptsacheverfahren die Leistungsverweigerungsrechte des § 275 Abs. 2 BGB (unverhältnismäßiger Aufwand) und des § 635
Abs. 3 BGB (unverhältnismäßige Mängelbeseitigungskosten) begründen wolle. Derartige Gegenanträge seien im selbständigen Beweisverfahren zulässig, wenn sie sich im Rahmen des dem
Beweissicherungsantrag zugrundeliegenden Sachkomplex halten würden und vor Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens gestellt würden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.06.1996 - 21 W 20/96 -;
OLG Hamm, Beschluss vom 29.10.2002 - 21 W 25/02 -). Da zumeist das selbständige Beweisverfahren in der Variante des § 485 Abs. 2 ZPO zur Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens betrieben würde, sei
ferner erforderlich, dass durch die Erweiterung der Beweisaufnahme keine wesentliche Verzögerung des Verfahrens eintrete (OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.09.2002 - 13 W 2914/02 -). Vorliegend
würde aber die beantragte Beweisanordnung zu einer wesentlichen Verzögerung führen, da es nach den Angaben des Sachverständigen keine sichere Methode gebe, um vertikale Risse in der Bodenplatte
zerstörungsfrei zu detektieren. Es müsste damit der komplette Bodenaufbau des Kellers bis zur Bodenplatte zurückgebaut werden, ferner (zur Feststellung, ob die Risse wasserführend seien) eine
Messung des Grundwasserspiegels erfolgen und ggf. ein Bodengutachten eingeholt werden.
Auch wenn vorliegend das selbständige Beweisverfahren noch nicht abgeschlossen sei (es würden noch weitere Ergänzungsgutachten zu Einwendungen und Ergänzungsfragen der AS und der AG 3
erforderlich sein), so würde doch die Erstellung der Ergänzungsgutachten weitaus geringeren organisatorischen und technischen Aufwand erfordern als die Feststellung von Rissen in der Bodenplatte
und nach Ansicht des OLG voraussichtlich auch schneller erfolgen.
Nach Ansicht des OLG stünde aber dem Beweisantrag der AG 3 auch dessen Undurchführbarkeit entgegen. Die Durchführung erfordere eine Zerstörung der vorhandenen Substanz (Rückbau des kompletten
Bodenaufbaus des Kallers bis zur Bodenplatte). Die AS seien der Beweisanordnung entgegengetreten und hätten deutlich gemacht, dass sie als Eigentümer dem Eingriff in die Bausubstanz nicht
zustimmen würden, zudem das Untergeschoss komplett aus Wohnung ausgebaut sei. Damit könne der AS auch nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO (Schutz der Wohnung) eine Duldung nicht aufgegeben werden. Eine
Beweisanordnung, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchführbar sei, könne nicht verlangt werden.
Aus den Gründen:
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 3 gegen den Beschluss des Landgerichts Baden-Baden vom 21.02.2024 – 3 OH 6/21 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin zu 3 hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsteller ließen auf ihrem Grundstück ein freistehendes Einfamilienhaus errichten. Hierzu beauftragten sie die Antragsgegnerin zu 1 mit den Architektenleistungen, die Antragsgegnerin zu 2
mit den Rohbauarbeiten und die Antragsgegnerin zu 3 mit der Tragwerksplanung. Die Baumaßnahme wurde im Jahr 2020 begonnen. Im April 2021 bezogen die Antragsteller das Objekt. Noch vor Bezug des
Wohnhauses kam es im Untergeschoss zu einem Wasserschaden, bei dem der Fußbodenaufbau stark durchfeuchtet wurde. Zur Klärung der Ursachen und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden sowie
der Existenz von Planungs- und Ausführungsfehlern betreiben die Antragsteller das vorliegende selbständige Beweisverfahren.
Mit Beschluss vom 26.11.2021 ordnete das Landgericht die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens an. Der beauftragte Sachverständige H. erstattete das Gutachten am 20.12.2022. In
dem Gutachten führte der Sachverständige aus, dass eine mangelhafte Planung der WU-Konstruktion vorliege. Dadurch könne sich eine Sollrissstelle ausbilden, die zu einer unkontrollierten
Rissbildung führen könne. Ob der Wasserschaden mit den Mängeln der WU-Konstruktion zusammenhänge, sei eher unwahrscheinlich, lasse sich aber nicht ausschließen. Mit Beschluss vom 02.03.2023
ordnete das Landgericht eine schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens unter anderem zu der Frage der Antragsgegnerin zu 3 an, ob es zerstörungsfreie Methoden gebe, um festzustellen,
ob in der Bodenplatte Risse aufgetreten seien, durch die Feuchtigkeit in das Innere trete. Der Sachverständige verneinte diese Frage in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.05.2023. Mit Schriftsatz
vom 12.10.2023 beantragte die Antragsgegnerin zu 3 sodann, dem Sachverständigen aufzugeben, die Bodenplatte auf Risse zu untersuchen. Das Landgericht gab dem Antrag mit Beschluss vom 23.10.2023
zunächst statt. Nachdem die Antragsteller mit Schriftsatz vom 22.11.2023 der Beweisanordnung entgegengetreten waren, änderte das Landgericht seinen Beschluss vom 23.10.2023 dahin ab, dass von der
angeordneten Beweisaufnahme abgesehen werden soll. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin zu 3 mit ihrer sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
Die Antragsgegnerin zu 3 ist der Auffassung, dass es sich bei der Klärung der Frage, ob in der Bodenplatte Risse aufgetreten seien, um eine zulässige Ergänzungsfrage und nicht um einen
Gegenantrag handle. Aber selbst wenn es sich um einen Gegenantrag handelte, wäre dieser im selbständigen Beweisverfahren zulässig. Im späteren Klageverfahren sei nämlich zu klären, ob die von den
Antragstellern beanspruchten Mängelbeseitigungsmaßnahmen unverhältnismäßig im Sinne des § 635 S. 3 BGB seien. Davon sei auszugehen, wenn in der Bodenplatte keine Risse vorhanden seien.
Die Antragsteller sind der Auffassung, dass die sofortige Beschwerde bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Die Klärung der Frage, ob in der Bodenplatte bereits Risse aufgetreten sind, geht über den bisherigen Untersuchungsgegenstand, der auf die Klärung
der Ursachen und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden sowie des Vorhandenseins von Planungs- und Ausführungsfehlern gerichtet ist, hinaus und ist folglich mit dem bisherigen
Untersuchungsgegenstand nicht identisch. Die von der Antragsgegnerin zu 3 beantragte Untersuchung stellt somit keine neue Begutachtung im Sinne des § 485 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit
§ 412 Abs. 1 ZPO dar, gegen deren Ablehnung kein Rechtsmittel gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 – VI ZB 59/09 –, juris Rn. 5 ff.).
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.
a. Das Landgericht hat die von der Antragsgegnerin zu 3 beantragte Beweisanordnung zur Klärung der Frage, ob in der Bodenplatte Risse vorhanden sind, zutreffend als Gegenantrag und nicht
als bloße Ergänzungsfrage qualifiziert. Wie bereits ausgeführt, ist der Untersuchungsgegenstand des selbständigen Beweisverfahrens gemäß den Beweisanträgen der Antragsteller auf die Klärung der
Ursachen und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden sowie des Vorhandenseins von Planungs- und Ausführungsfehlern gerichtet. An der Feststellung, ob in der Bodenplatte bereits Risse
vorhanden sind, haben die Antragsteller kein Interesse, weil es nach ihrer (zutreffenden) Auffassung für die Bejahung eines Planungs-, Ausführungs- oder Überwachungsfehlers nicht darauf ankommt,
ob die von dem Sachverständigen festgestellte mangelhafte Planung der WU-Konstruktion bereits zu Rissen geführt hat (Schriftsatz vom 22.11.2023, S. 2 f.). Die von der Antragsgegnerin zu 3
beantragte Beweisanordnung zielt daher auf eine Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes, mit der es der Antragsgegnerin zu 3 im Wesentlichen um die Aufklärung von Tatsachen geht, mit denen sie
im Hauptsacheverfahren die Leistungsverweigerungsrechte des § 275 Abs. 2 BGB (unverhältnismäßiger Aufwand) und des § 635 Abs. 3 BGB (unverhältnismäßige
Mängelbeseitigungskosten) begründen will.
Solche Gegenanträge sind im selbständigen Beweisverfahren jedenfalls dann zulässig, wenn sie sich im Rahmen des Sachkomplexes halten, der dem Beweissicherungsantrag des Antragstellers zugrunde
liegt, und wenn sie vor Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juni 1996 – 21 W 20/96 –, BauR 1996, 896; OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.
September 2002 – 13 W 2914/02 –, juris Rn. 11 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 29.10.2002 – 21 W 25/02 –, BeckRS 2010, 6119; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 486 Rn. 41; Zöller/Herget, ZPO,
35. Aufl., § 485 Rn. 3; Hk-ZPO/Kießling, 10. Aufl., § 490 Rn. 3). Da das selbständige Beweisverfahren in der Variante des § 485 Abs. 2 ZPO von dem Antragsteller zumeist zur
Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens betrieben wird, ist darüber hinaus zu verlangen, dass durch die von dem Antragsgegner verlangte Erweiterung der Beweisaufnahme keine wesentliche Verzögerung
des Verfahrens eintritt (OLG Nürnberg, a.a.O., Rn. 22; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.10.2018 – 13 W 40/18 –, ibr-online 2019, 1105; Stein/Jonas/Berger, a.a.O.; Frechen, in: Werner/Pastor, Der
Bauprozess, 18. Aufl., Kapitel 1 Rn. 89).
Das Landgericht hat zurecht angenommen, dass die von der Antragsgegnerin zu 3 beantragte Beweisanordnung zu einer wesentlichen Verzögerung des Verfahrens führen würde. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen Holler im Ergänzungsgutachten vom 17.05.2023 gibt es keine sichere Methode, um vertikale Risse in der Bodenplatte zerstörungsfrei zu detektieren. Mit der Ultraschallecho-Messung
könnten nur Risse parallel zur Oberfläche detektiert werden, die maßgeblichen Trennrisse würden damit nicht erfasst. Um festzustellen, ob in der Bodenplatte Risse sind, müsste deshalb der
komplette Bodenaufbau des Kellers bis zur Bodenplatte zurückgebaut werden (Schreiben des Sachverständigen vom 01.12.2023, S. 2). Die weitere Feststellung, ob vorhandene Risse wasserführend
sind, würde darüber hinaus eine Messung des Grundwasserpegels (Schreiben des Sachverständigen Holler vom 01.12.2023, S. 3) und in diesem Zusammenhang – gegebenenfalls unter Hinzuziehung
weiterer Sachverständiger – die Überprüfung der von dem Sachverständigen Holler bislang nur unterstellten, von der Antragsgegnerin zu 3 infrage gestellten, Richtigkeit der Annahmen des von den
Antragstellern eingeholten Bodengutachtens vom 28.03.2019 erfordern (Gutachten des Sachverständigen Holler vom 20.12.2022, S. 45 und S. 60; Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 3 vom
26.01.2024, S. 1 f.).
Da die genannten Untersuchungen mit einem erheblichen Aufwand verbunden sind, der die Hinzuziehung Dritter erfordert, würde die von der Antragsgegnerin zu 3 beantragte Beweisanordnung auch nach
der freien Überzeugung des Senats zu einer wesentlichen Verzögerung des selbständigen Beweisverfahrens führen, die den Antragstellern nicht zumutbar ist. Zwar ist das selbständige Beweisverfahren
noch nicht beendet, da das Landgericht mit Beschluss vom 23.10.2023 und mit Beschluss vom 21.02.2024 die Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens zu den Einwendungen und Ergänzungsfragen der
Antragsteller und der Antragsgegnerin zu 3 angeordnet hat. Die Erstellung dieses Ergänzungsgutachtens erfordert aber einen weitaus geringeren organisatorischen und technischen Aufwand als die
Feststellung von Rissen in der Bodenplatte und wird deshalb voraussichtlich in wesentlich kürzerer Zeit erfolgen können.
b. Die von der Antragsgegnerin zu 3 beantragte Beweisanordnung kommt darüber hinaus auch deshalb nicht in Betracht, weil sie unter den gegebenen Umständen nicht durchführbar wäre.
Die Feststellung, ob in der Bodenplatte Risse vorhanden sind, erfordert nach den Ausführungen des Sachverständigen Holler den Rückbau des kompletten Bodenaufbaus des Kellers bis zur Bodenplatte
und würde somit zu einer Zerstörung der vorhandenen Bausubstanz führen. Die Antragsteller sind im Schriftsatz vom 22.11.2023 dieser Beweisanordnung entgegengetreten und haben damit zum Ausdruck
gebracht, dass sie als Grundstückseigentümer dem Eingriff in die Bausubstanz – jedenfalls im selbständigen Beweisverfahren – nicht zustimmen. Sie haben außerdem vorgetragen, dass das
Untergeschoss des Gebäudes komplett als Wohnraum ausgebaut sei. Damit kann ihnen auch nicht gemäß § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO aufgegeben werden, eine Bauteilöffnung zu dulden (vgl. BGH,
Beschluss vom 16. Mai 2013 – VII ZB 61/12 –, juris Rn. 7). Eine Beweisanordnung, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchführbar wäre, kann grundsätzlich nicht verlangt werden.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.