Erledigung des selbständigen Beweisverfahrens durch
Klageerhebung
OLG Stuttgart,
Beschluss vom 04.05.2018 - 10 W 6/18 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der Antragsteller (AS) beantragte im Oktober 2011 bei dem LG Tübingen die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 2 ZPO. Mit Beweisbeschluss vom Februar 2012 bestellte
das Landgericht einen Sachverständigen, der im Oktober 2012 sein Gutachten vorlegte. Im August 1993 erhob der AS Klage vor dem Landgericht Tübingen und bezog sich zum Bewies seiner
Mängelbehauptungen auf das im Beweisverfahren eingeholte Gutachten. Im Februar 2014 setzte das Landgericht als Prozessgericht den Rechtsstreit bis zum Abschluss des Beweisverfahrens aus. Im
Beweisverfahren selbst erstatte der Sachverständige nach weiteren Mängelbehauptungen des AS weitere Gutachten im Juni 2015 und März 2017. Mit Schriftsatz vom April 2017 legte der AS einen
umfangreichen Schriftsatz im Beweisverfahren mit Fragen an den Sachverständigen vor und stellte einen weiteren Ergänzungsantrag im September 2017. Im Dezember 2017 nahm das Prozessgericht den
Rechtsstreit wieder auf, erteilte den Parteien Auflagen und Hinweise, zog die Akte des selbständigen Beweisverfahrens bei, forderte einen Auslagenvorschuss zur Ladung des Sachverständigen und
bestimmte einen Verhandlungstermin. Mit Beschluss vom gleichen Tag erklärte das Landgericht im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens dieses für beendet und setzte den Verfahrenswert fest.
Der AS erhob gegen die jeweiligen Beschlüsse Beschwerde. Das Prozessgericht half nicht ab und legte den Vorgang dem OLG vor, welches die Beschwerde mit Beschluss vom 17.01.2018 - 10 W 4/18 -
zurückwies. Im selbständigen Beweisverfahren half das Landgericht der Beschwerde ebenfalls nicht ab und legte sie dem OLG vor.
Die zulässige Beschwerde des AS gegen den Beschluss des Landgerichts, das selbständige Beweisverfahren für beendet zu erklären, sah der Senat als zulässig, in der Sache aber nicht begründet an.
Als Prozessgericht wies das Landgericht die gegen seinen Beschluss zur Wiederaufnahme des Verfahrens gerichtete Beschwerde zurück. Die Zulässigkeit ergäbe sich daraus, dass gegen die Ablehnung
des Antrages auf Durchführung des Beweisverfahrens die sofortige Beschwerde statthaft sei, ebenso gegen die Ablehnung der Änderung oder Ergänzung des Beweisbeschlusses oder des Antrages auf
Erläuterung des Gutachtens. Eine förmliche Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens sei im Gesetz nicht vorgesehen; erfolge sie, würde sich dies inzident als Ablehnung der Durchführung des
Beweisverfahrens darstellen und mithin notwendig das Beschwerderecht (als fristgebundene sofortige Beschwerde) eröffnen.
Allerdings sei die Beschwerde hier in der Sache nicht begründet. Das selbständige Beweisverfahren sei beendet, wenn die Beweissicherung sachlich erledigt sei (BGH, Urteil vom 28.10.2010 - VI ZR
172/09 -). Es sei es aber auch dann erledigt, wenn die Zuständigkeit für die Beweiserhebung auf das Prozessgericht übergehen würde, was dann der Fall sei, wenn in der Hauptsache Klage vor dem
Prozessgericht erhoben würde (BGH, Beschluss vom 22.07.2004 - VII ZB 3/03 -) und das Prozessgericht die Akten des Beweisverfahrens beiziehen würde.
Diesem Übergang stünde nicht entgegen, dass das Gericht im selbständigen Beweisverfahren noch nicht sämtliche Beweisfragen erledigt oder Anträge/Fragen abgearbeitet habe. Das Prozessgericht sei
verpflichtet, wenn es die Akten des noch nicht beendeten Beweisverfahrens beiziehe, die Beweisaufnahme im vorgefundenen Stand selbst fortzusetzen (BGH, Beschluss vom 14.11.2017 - VIII ZR 101/17
-), weshalb eine Zuständigkeit des Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens daneben nicht bestehen könne (arg. § 485 Abs. 1 1. Halbs. ZPO). Nicht Voraussetzung sei ein eigener Beweisbeschluss
im streitigen Verfahren (Prozessverfahren). Die (vorgezogene) Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren stehe einer Beweisaufnahme im streitigen verfahren gleich, § 493 Abs. 1 ZPO, und
wirke daher wie eine vor dem Prozessgericht durchgeführte Beweisaufnahme. Allerdings sei das Prozessgericht nicht verpflichtet, im Umfang sämtlicher im selbständigen Beweisverfahren gestellter
Anträge weiter Beweis zu erheben, da es hier (anders als im selbständigen Beweisverfahren) auf die Erheblichkeit für den Prozessstoff ankäme, weshalb die Fortsetzung der Beweisaufnahme über
unerhebliche Tatsachen unzulässig wäre. Da vorliegend der AS nicht dargelegt habe, dass er im selbständigen Beweisverfahren die Feststellung von Mängeln angestrebt habe, die nicht gleichzeitig
zum Gegenstand des streitigen Verfahrens gemacht wurden, war auch insoweit nicht das selbständige Beweisverfahren fortzuführen gewesen.
Aus den Gründen:
Tenor
1.Die
sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 12.12.2017, Az. 7 OH 23/11, wird zurückgewiesen.
2.Der
Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3.Die
Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4.Der
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der
Antragsteller beantragte am 31.10.2011 bei dem Landgericht Tübingen die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur
Feststellung der Mangelhaftigkeit von seitens der Antragsgegnerin erbrachten Garten- und Landschaftsbauarbeiten sowie zur Feststellung der notwendigen Mängelbeseitigungsmaßnahmen und -kosten. Mit
Beweisbeschluss vom 03.02.2012 beauftragte das Landgericht den Gutachter Dipl.-Ing. N. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zu den Behauptungen des Antragstellers. Der
Sachverständige erstattete am 24.10.2012 ein schriftliches Gutachten.
Mit
seiner am 14.08.2013 bei dem Landgericht Tübingen eingereichten, der Antragsgegnerin am 26.08.2013 zugestellten Klage beantragte der Antragsteller, die Antragsgegnerin zur Zahlung eines
Kostenvorschusses für die Mängelbeseitigung zu verurteilen und deren darüber hinausgehende Verpflichtung zur Kostenerstattung festzustellen. Zum Beweis seiner Mängelbehauptungen bezog sich der
Antragsteller auf das Gutachten des Sachverständigen N. vom 24.10.2012 und beantragte, die Akten des selbständigen Beweisverfahrens beizuziehen. Das Landgericht als Prozessgericht setzte den -
unter dem Az. 7 O 305/13 geführten - Rechtsstreit mit Beschluss vom 11.02.2014 bis zum Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens aus.
Im
selbständigen Beweisverfahren erstattete der Sachverständige N. nach weiteren Mängelbehauptungen des Antragstellers am 25.06.2015 ein Ergänzungsgutachten und am 23.03.2017 ein zweites
Ergänzungsgutachten. Mit Schriftsatz vom 21.04.2017 beantragte der Antragsteller, den Sachverständigen zu einzelnen Punkten seiner Feststellungen ergänzend zu befragen; zudem beantragte der
Antragsteller mit Schriftsatz vom 28.09.2017, dem Sachverständigen aufzugeben, die Kosten der Mängelbeseitigung unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Baupreisteuerungen zu
ermitteln.
Mit
Beschluss vom 12.12.2017 nahm das Landgericht als Prozessgericht den Rechtsstreit zum Az. 7 O 305/13 wieder auf. Mit Verfügungen vom selben Tag erteilte das Landgericht den Parteien des
Rechtsstreits Auflagen und Hinweise, zog die Akten des selbständigen Beweisverfahrens bei, bestimmte einen Verhandlungstermin und forderte von dem Antragsteller einen Vorschuss an, von dessen
Einzahlung es die Ladung des Sachverständigen N. zu dem Termin abhängig machte. Mit Beschluss vom selben Tage erklärte das Landgericht als Gericht des selbständigen Beweisverfahrens dieses
Verfahren für beendet und setzte den Verfahrenswert fest. Der Beschluss wurde den Beteiligten formlos zugesendet.
Der
Antragsteller hat gegen den Beschluss des Landgerichts als Prozessgericht, den Rechtsstreit wieder aufzunehmen, sofortige Beschwerde eingelegt. Mit bei dem Landgericht am 02.01.2018 eingegangenen
Schriftsatz hat der Antragsteller auch gegen den Beschluss des Landgerichts als Gericht des selbständigen Beweisverfahrens, mit dem das Verfahren für beendet erklärt und der Verfahrenswert
festgesetzt wurde, sofortige Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat der Antragsteller ausgeführt, dass ihm durch die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens weitere Fragen an den
Sachverständigen abgeschnitten würden. Zudem habe das Landgericht als Prozessgericht keinen Beweisbeschluss erlassen. Aus der Hinweis- und Auflagenverfügung vom 12.12.2017 gehe nur hervor, dass
eine Beweiserhebung im Zusammenhang mit drei einzelnen Mängeln beabsichtigt sei; hinsichtlich der übrigen Mängel habe das Landgericht - wenn überhaupt - nur auf den Stand der Beweisaufnahme
hingewiesen.
Das
Landgericht als Prozessgericht hat der sofortigen Beschwerde des Antragstellers gegen die Wiederaufnahme des Rechtsstreits zum Az. 7 O 305/13 nicht abgeholfen; der Senat hat die sofortige
Beschwerde mit Beschluss vom 17.01.2018 (Az. 10 W 4/18) als unbegründet zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 10.01.2018 hat das Landgericht als Gericht des selbständigen
Beweisverfahrens der sofortigen Beschwerde des Antragstellers insoweit, als sie sich gegen die Erklärung der Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens richtet, nicht abgeholfen und die Akten
dem Senat zur Entscheidung vorgelegt; im Übrigen hat das Landgericht die Entscheidung über die Abhilfe zurückgestellt.
II.
1.Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen die Entscheidung des Landgerichts, das selbständige Beweisverfahren für beendet zu erklären, ist zulässig, aber nicht
begründet.
a) Die
sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft. Die Ablehnung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist
mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar; das gilt auch für die Ablehnung der Änderung oder Ergänzung des Beweisbeschlusses sowie für die Ablehnung eines Antrags auf Erläuterung des Gutachtens
(Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 490 Rz. 4). In der förmlichen Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens, die als solche im Gesetz nicht vorgesehen ist (BGH, Urteil vom
28.10.2010 – VII ZR 172/09), liegt hier inzident die Ablehnung der Anträge des Antragstellers auf Ergänzung des Beweisbeschlusses bzw. auf Erläuterung des Gutachtens des Sachverständigen
N. in den Schriftsätzen vom 21.04.2017 bzw. vom 28.09.2017. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) ist gewahrt. Im Hinblick darauf, dass
der angefochtene Beschluss nicht zugestellt worden ist, hat die Beschwerdefrist nicht begonnen zu laufen, bevor die sofortige Beschwerde erhoben worden ist.
b) Die
Beschwerde ist unbegründet. Das selbständige Beweisverfahren ist beendet.
Ein
selbständiges Beweisverfahren ist beendet, wenn die Beweissicherung sachlich erledigt ist (BGH, Urteil vom 28.10.2010 – VII ZR 172/09). Es ist aber auch dann beendet, wenn
die Zuständigkeit für die Beweiserhebung nach Einleitung eines Rechtsstreits in der Hauptsache zwischen den Beteiligten des selbständigen Beweisverfahrens auf das Prozessgericht übergeht
(vgl. BGH, Beschluss vom 22.07.2004 - VII ZB 3/03). Maßgeblich für diesen Übergang ist der Zeitpunkt der Beiziehung der Akten des selbständigen Beweisverfahrens zu
Beweiszwecken durch das Prozessgericht. Hier ist der Übergang durch die Verfügung des Landgerichts als Prozessgericht vom 12.12.2017 bewirkt worden.
Dass im
selbständigen Beweisverfahren nicht sämtliche Beweisfragen bzw. Einwendungen erledigt sind, steht dem Übergang der Zuständigkeit für die Beweiserhebung auf das Prozessgericht nicht entgegen. Das
Prozessgericht muss, wenn es die Akten des in der Sache noch nicht abgeschlossenen selbständigen Beweisverfahrens beizieht, die Beweisaufnahme im vorgefundenen Stand selbst fortsetzen
(BGH, Beschluss vom 14.11.2017 – VIII ZR 101/17). Eine Zuständigkeit des Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens kann daneben nicht bestehen bleiben
(arg. § 485 Abs. 1 Hs. 1 ZPO).
Der
Erlass eines Beweisbeschlusses im streitigen Verfahren ist nicht Voraussetzung eines Übergangs der Zuständigkeit für die weitere Beweiserhebung auf das Prozessgericht. Gemäß § 493 Abs. 1 ZPO steht in Fällen, in denen sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen beruft, über die selbständig Beweis erhoben worden ist, die selbständige
Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich, soweit die jeweiligen Verfahrensbeteiligten identisch sind. Die vorgezogene Beweisaufnahme wirkt also zwischen den Beteiligten
des selbständigen Beweisverfahrens wie eine unmittelbar im Hauptsacheverfahren selbst durchgeführte Beweiserhebung; die Beweiserhebung des selbständigen Beweisverfahrens wird im Hauptsacheprozess
verwertet, als sei sie vor dem Prozessgericht selbst erfolgt (BGH, Beschluss vom 14.11.2017 – VIII ZR 101/17).
Ebenso
wenig ist es für den Übergang der Zuständigkeit für die weitere Beweiserhebung auf das Prozessgericht erforderlich, dass dieses seine Absicht manifestiert, im Umfang sämtlicher im selbständigen
Beweisverfahren gestellter Anträge weiter Beweis zu erheben. Im streitigen Verfahren kommt es auf die Erheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen an; eine Beweiserhebung des
Prozessgerichts über unerhebliche Tatsachen, die Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens waren, ist unzulässig.
Dass er
im selbständigen Beweisverfahren die Feststellung von Mängeln anstrebt, die er nicht gleichzeitig zum Gegenstand des streitigen Verfahrens gemacht hat, legt der Antragsteller nicht dar; dafür ist
auch nichts ersichtlich. Sämtliche Mängel, auf die sich die Fragen des Antragstellers im Schriftsatz vom 21.04.2017 bezogen, sind auch Gegenstand der Klage in Gestalt der letzten Antragstellung
im Schriftsatz vom 24.02.2018.
2. Die
Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
3. Die
Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.
4. Der
festgesetzte Gegenstandswert folgt aus § 3 ZPO. Der Antragsteller berühmt sich wegen der im selbständigen Beweisverfahren geltend gemachten Mängel im
Hauptsacheverfahren eines Vorschussanspruchs in Höhe von 18.581,56 EUR. Der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren hat die Höhe der von ihm ermittelten Mangelbeseitigungskosten zuletzt
mit 16.081,66 EUR angegeben. Die Differenz der Werte bildet das Interesse des Antragstellers an der Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens.