Schmähkritik/Beleidigung versus Wahrnehmung berechtigter
Interessen bei Justizkritik
OLG München, Beschluss vom
11.07.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der Angeklagte hatte in einem Beschwerdeverfahren vor dem OLG München eine Anhörungsrüge erhoben, mit der er sich gegen die Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer von ihm
erstatten Strafanzeige und seiner Verwerfung seines Klageerzwingungsantrags durch das OLG wandte. Hier führte er u.a. aus:
"Ihr Gefühl von
Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie … den reinen Unsinn fabrizieren. ..
Der Unterschied zwischen Ihnen und Rxx Fxx liegt in
Folgendem: Während Rxx Fxx im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten
Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte "Rechtsstaat" und "Legitimität" aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit
in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch Rxx Fxx getan hat. So
betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Rxx Fxx begangen hat: Bei Rxx Fxx kommt das Unrecht sehr
offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die
Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.".
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung. Die Berufung wurde vom Landgericht verworfen. Im Rahmen der von ihm erhobenen Revision zum OLG, mit der er u.a. geltend
machte, dass seine Anhörungsrüge, die beanstandet wurde, eine Änderung der Sachentscheidung bezwecken sollte und das Landgericht die Reichweite der Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Lichte
der Rechtsprechung des EGMR verkannt habe. Auf die Revision wurde das Urteil aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landgericht (zu einer anderen Strafkammer)
zurückverwiesen.
Vom OLG wurde darauf hingewiesen, dass § 193 StGB eine Ausprägung des Grundrechts auf freie Meinungsfreiheit sei, Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht wäre allerdings nur im Rahmen der allgemeinen
Gesetze, so dem Strafrecht, gewährleistet. Diese allgemeinen Gesetze müssten allerdings im Lichte des Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausgelegt werden.
Eine ehrverletzende Äußerung läge dann vor, wenn die Grenze zur Schmähkritik überschritten sei. Selbst eine überzogene und eine ausfällige Kritik mache allerdings diese noch nicht zu
Schmähkritik. Diese läge nur vor, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache , sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stünde. Hier habe sich der Angeklagte konkret im
Zusammenhang mit dem Verfahren unter Bezugnahme auf vorherige Schreiben geäußert und ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichts im Zivilverfahren und der Staatsanwaltschaft für
rechtswidrig hält und sein Unverständnis darüber zum Ausdruck über den Senat des OLG zum Ausdruck gebracht, der in keine Sachprüfung einstieg. Von daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass
eine Diffamierung von Mitgliedern des Senats im Vordergrund stand. Zwar habe der Angeklagte harsche Worte gebraucht; allerdings sei deswegen die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten, da
die mittelbare Kritik an der Person nicht die sachliche Kritik in den Hintergrund treten ließ. Auch könne dem Landgericht bei seiner Begründung der Zurückweisung der Berufung nicht gefolgt
werden, dass das beanstandete Schreiben keine verfahrensrelevante Bedeutung mehr gehabt habe: Das Landgericht habe damit das Wesen der Anhörungsrüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier
behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs zur Nachprüfung der Entscheidung zwinge.
Aus den Gründen:
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 16. Februar 2016 mitsamt den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), weil die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung auf der Grundlage der getroffenen
Feststellungen nicht rechtsfehlerfrei erfolgt ist.
I.
Das Amtsgericht München hat den Angeklagten nach einem vorangegangenen Strafbefehlsverfahren am 2. Oktober 2015 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100
€ verurteilt. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht München I am 16. Februar 2016 verworfen.
Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der Angeklagte in einer in einem Beschwerdeverfahren beim Oberlandesgericht München erhobenen Anhörungsrüge vom 16. Februar 2015, in der er
sich mit der Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens hinsichtlich einer von ihm erhobenen Strafanzeige und der Verwerfung seines diesbezüglichen Klageerzwingungsantrages durch
das Oberlandesgericht beschäftigt, u. a. ausführte:
"Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie … den reinen Unsinn fabrizieren. (…)
Der Unterschied zwischen Ihnen und Rxx Fxx liegt in Folgendem: Während Rxx Fxx im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene
Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte "Rechtsstaat" und "Legitimität" aufgenäht
sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in
diesem vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch Rxx Fxx getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel
abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Rxx Fxx begangen hat: Bei Rxx Fxx kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen
hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie, handeln dem aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.".
Das Landgericht hat ausgeführt, dass durch die Äußerung des Angeklagten der Tatbestand des § 185 StGB erfüllt sei. Es lägen objektiv beleidigende Äußerungen vor, die nicht nach §
193 StGB gerechtfertigt seien. Zwar handele es sich nicht um reine Schmähkritik, die gebotene Abwägung ergebe aber, dass hier die persönliche Ehre der Betroffenen die
Meinungsfreiheit des Angeklagten überwiege. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass das Schreiben keine verfahrensrechtliche Relevanz mehr gehabt habe, weil eine anders
geartete Entscheidung in der Sache nicht mehr möglich gewesen sei.
Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung materiellen Rechts rügt und in diesem Rahmen insbesondere beanstandet, dass der Angeklagte mit seiner
Anhörungsrüge sehr wohl noch eine Änderung der Sachentscheidung bezwecken wollte und dass das Landgericht die Reichweite der Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Lichte der
Rechtsprechung des EGMR verkannt habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision für offensichtlich unbegründet. Sie meint, es handele sich bereits um Schmähkritik.
II.
Die erhobene Sachrüge ist begründet. Die Revision rügt im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht die Abwägung im Rahmen des § 193 StGB rechtsfehlerhaft vorgenommen hat.
1. § 193 StGB ist eine Ausprägung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Allerdings gewährleistet Art. 5 Abs. 2 GG das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nur in den
Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören. Hierin liegt jedoch keine einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts. Vielmehr müssen
auch die allgemeinen Gesetze im Licht der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht
begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (BayObLGSt 1994, 121,123; BayObLGSt 2004, 133, 137f.).
Eine ehrverletzende Äußerung ist allerdings dann nicht mehr hinzunehmen, wenn mit ihr die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird. Selbst eine überzogene und ausfällige Kritik
macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die
Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. im Einzelnen BayObLGSt 2001, 92ff.). Der Begriff ist eng auszulegen (vgl. Fischer,
StGB, 63. Aufl., § 193 Rdn. 18).
2. Der Angeklagte hat sich hier im Zusammenhang mit einem konkreten, noch anhängigen Gerichtsverfahren im Rahmen eines Rechtsbehelfs nach § 33a StPO geäußert. Er hat unter
Bezugnahme auf vorherige Schreiben umfassend ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichtes im Zivilverfahren und der Staatsanwaltschaft für rechtswidrig hält und sein
Unverständnis über die Entscheidung des Senats, der in keine Sachprüfung eingetreten ist, geäußert. Wegen dieser Anlassbezogenheit der Äußerungen kann nicht davon ausgegangen
werden, dass die Diffamierung der einzelnen Mitglieder des Strafsenates im Vordergrund stand. Zwar hat der Angeklagte im Rahmen seiner Kritik harsche Worte gebraucht. Die Grenze
zur Schmähkritik ist jedoch entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft nicht überschritten, weil nicht erkennbar ist, dass die mittelbar durch die Kritik an der
Vorgehensweise des Senates bewirkte Kritik an der Person das sachliche Anliegen vollständig in den Hintergrund treten ließe. Um Formalbeleidigungen handelt es sich bei den hier
streitgegenständlichen Äußerungen nicht.
3. Wie auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zunächst zutreffend ausführt, steht im Rahmen der dann bei der Prüfung von § 193 StGB erforderlichen Güter- und
Pflichtenabwägung (vgl. Fischer aaO § 193 Rdn. 9 m. w. N.) dem vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BayObLGSt 2004, 133, 138) betonten Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen
Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, die Ehrverletzung der Mitglieder des Strafsenates gegenüber.
Der Abwägungsvorgang des Landgerichtes ist allerdings schon deshalb zu beanstanden, weil es davon ausgeht, dass das Schreiben des Angeklagten keine verfahrensrechtliche Relevanz
mehr hatte und die Ausführungen in der Sache selbst nicht mehr dienlich war (UA S. 11). Damit wird das Wesen der Anhörungsrüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier behaupteten
Verletzung des rechtlichen Gehörs auch zur Nachprüfung der bereits getroffenen Sachentscheidung zwingt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 33a Rdn. 9). Wie jedoch
bereits ausgeführt, ist der Umfang der Sach- und Verfahrensbezogenheit der Äußerung bereits bei der Bestimmung der Grenze zur Schmähkritik, aber auch bei der Abwägung im engeren
Sinne von entscheidender Bedeutung, so dass hierin ein erheblicher Rechtsfehler der Kammer zu sehen ist.
Zwar ist die Abwägung grundsätzlich eine reine Rechtsfrage, so dass sie auch der Senat vornehmen könnte (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014, 1 Ss 599/13, zitiert nach
juris, Rdn. 21). Hierfür fehlt allerdings vorliegend die Tatsachengrundlage, weil in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts weder das vollständige Rügeschreiben des
Angeklagten noch der vorangegangene und der über die Anhörungsrüge entscheidende Beschluss des Oberlandesgerichts wiedergegeben sind.
III.
Da somit eine eigene Sachentscheidung des Senates ausscheidet, ist das angefochtene Urteil wegen der aufgezeigten Mängel aufzuheben (§ 353 StPO) und zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass unter Berücksichtigung der festzustellenden genauen "Vorgeschichte" der Äußerung und ihres Kontextes zunächst genauer
festzulegen sein wird, wie diese zu deuten ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16.10.1998, 1 BvR 590/96 (dort Rdn. 17ff.), und vom 10.03.2009, 1 BvR 2650/05 (dort Rdn. 27ff.),
jeweils zitiert nach juris). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung außerdem zu beachten haben,
dass Ehrbeeinträchtigungen gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit in der Regel dann zurücktreten müssen, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist, die der
Durchsetzung legitimer eigener Rechte im gerichtlichen Verfahren dient und jedenfalls aus Sicht des Äußernden nicht völlig aus der Luft gegriffen ist (vgl. BayObLGSt 2001, 92,
100). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim "Kampf um das
Recht" auszuhalten (BayObLGSt 2001, 92, 100; OLG Naumburg, StraFo 2012, 283f.; vgl. auch OLG München (4. Strafsenat) vom 30.07.2013, 4 StRR 148/13).