Prozeßrecht


Ordnungsgeld nicht gegen gesetzlichen Vertreter der Partei bei Nichterscheinen zur Verhandlung in Zivilsachen trotz Ladung

BGH, Beschluss vom 30.03.2017 - BLw 3/16 -

Kurze Inhaltsangabe mit Anmerkungen:

 

Der Fall ist beinahe alltäglich: Das Gericht lädt zur mündlichen Verhandlung und ordnet das persönliche Erscheinen der Parteien an. Da es sich bei der einen Partei um eine juristische Person (hier: GmbH) handelt, wurde deren Geschäftsführer (der Beschwerdeführer des vorliegenden Verfahrens) geladen. Dieser erschien allerdings zum Termin nicht und der von dieser Partei beauftragte Anwalt hatte kein Mandat zum Vergleichsschluss. Vor diesem Hintergrund erließ das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld von € 200,00, ersatzweise vier Tage Ordnungshaft, und die Pflicht zur Übernahme der durch sein Nichterscheinen entstandenen Mehrkosten. Das OLG änderte den Beschluss des Amtsgerichts auf die Beschwerde insoweit ab, als es den Beschluss in Bezug auf die ersatzweise Ordnungshaft und die Übernahme der durch das Nichterscheinen entstandenen Kosten aufhob; im Übrigen würde die Beschwerde zurückgewiesen. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH den Ordnungsgeldbeschluss insgesamt auf.

 

Das OLG hatte die in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretene Auffassung vertreten, dass das Ordnungsgeld gem. § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO im Hinblick auf den Zweck und die Strafähnlichkeit der Sanktion nicht gegen die juristische Person (die Partei des Verfahrens), sondern gegen den nicht erschienenen, aber geladenen gesetzlichen Vertreter ergeht.

 

Die herrschende Meinung, der sich der BGH in seiner Entscheidung anschloss, geht allerdings vom Wortlaut des § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO aus. Zweck des § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO sei nicht, wie etwa §§ 177, 178 GVG das Ergreifen sitzungspolizeilichere Maßnahmen wegen Missachtung des Gerichts, die sich natürlich auch gegen den erschienenen (gesetzlichen) Vertreter richten könnten, sondern die Förderung der Aufklärung des Sachverhalts.

 

Die Erwägung des OLG, der Sanktionszweck des § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO ließe sich nur durch Verhängung des Ordnungsgeldes gegen den nicht erschienenen gesetzlichen Vertreter der Partei erreichen, ist nach Auffassung des BGH auch falsch. Der BGH verweist darauf, dass die juristische Person bei einem pflichtwidrigen Verhalten dem gesetzlichen Vertreters diesen auch in Regress nehmen könne, so dass er doch ein Interesse daran habe, die die juristische Person treffenden Pflichten zu erfüllen.   

 

Kosten werden nicht erstattet; es handelt sich nicht um ein kontradiktorische Verfahren.

 

Anmerkungen

 

1. Die Entscheidung ist in der Sache richtig. Gegen den klaren Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung spricht nichts. Gerade auch die vom BGH angesprochenen Regelungen zu sitzungspolizeilichen Maßnahmen verdeutlichen, dass der Gesetzgeber sehr wohl einen Unterschied macht und kennt zwischen der anwesenden Person und der Partei als solcher.

 

2. Bitter wird es hier dem Beschwerdeführer aufstoßen, dass außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden. Denn er benötigte schon für das Verfahren vor dem BGH jedenfalls einen dort zugelassenen Anwalt. Und dessen Kosten sind bei weitem höher als die nun ersparten € 200,00 für das Ordnungsgeld. Damit erweist sich das Rechtssystem als löchrig und schief: Es kann nicht sein, dass hier der Geschäftsführer zu einer berechtigten Beschwerde veranlasst wird, da ein Gericht eine Mindermeinung propagiert, um für sein recht nachher mit erheblichen Kosten belegt zu werden, die in keinem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis zur Ursache stehen. Wenn auf diese Weise entsprechende Rechtsmittel (als Ausdruck rechtsstaatlicher Ordnung und Verständnisses) verhindert werden sollen, ist dies im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und das Rechtsstaatsprinzip wohl durch das Bundesverfassungsgericht (übrigens: kein Anwaltszwang) oder den Gesetzgeber zu lösen.

 

 

3. Im Übrigen sollte jede geladene Partei prüfen, ob die Ladung in der Sache überhaupt ordnungsgemäß ist. Wird z.B. die juristische Person geladen, kann weder ihr gegenüber noch gegenüber dem Organ (gesetzlichen Vertreter) ein Ordnungsgeld bei Nichterscheinen ergehen. Wird nicht angegeben, weshalb geladen wird (zur Aufklärung des Sachverhalts und/oder zum Zwecke des Vergleichsschlusses), darf auch kein Ordnungsgeld verhangen werden. Erklärt die geladene Partei von vornherein, dass sie keinen Vergleich schließen wird, kann jedenfalls dann kein Ordnungsgeld ergehen, wenn nur zu diesem Zweck die Ladung erfolgte. Wird zur Aufklärung des Sachverhalts geladen, mag sich zwar der gesetzliche Vertreter bei seinen Mitarbeitern informieren müssen; ist aber der Partei der Vorgang nicht selbst bekannt, allenfalls aktenmäßig wie vorgetragen (z.B. bei dem Versicherer, der einen Verkehrsunfall bearbeitet), dürfte regelmäßig auch eine Sachverhaltsaufklärung nicht anzunehmen sein und kann dann mangels einer Verzögerung des Rechtsstreits auch kein Ordnungsgeld verhangen werden. 

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock - Senat für Landwirtschaftssachen - vom 12. Juli 2016 aufgehoben, soweit zu seinem Nachteil entschieden worden ist.

Der Ordnungsmittelbeschluss des Amtsgerichts Stralsund vom 18. März 2016 wird insgesamt aufgehoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 200 €.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer (weiterer Beteiligter) ist Geschäftsführer der beklagten Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Diese wird von den Klägern nach Kündigung eines Landpachtvertrages auf Nutzungsentschädigung in Anspruch genommen. Das Amtsgericht (Landwirtschaftsgericht) bestimmte für den 18. März 2016 einen Termin zur Güteverhandlung und für den Fall des Nichterscheinens einer Partei oder Erfolglosigkeit der Güteverhandlung einen unmittelbar anschließenden frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung. In der Terminsverfügung wurde zum Zwecke der Aufklärung des Sachverhalts und eines Güteversuchs das persönliche Erscheinen der Kläger sowie der Beklagten angeordnet. Für die Beklagte wurde der Beschwerdeführer geladen. Zu dem Verhandlungstermin erschien für die Beklagte ein in Untervollmacht auftretender Rechtsanwalt, der über kein Mandat für einen Vergleichsabschluss verfügte. Der Beschwerdeführer erschien zu dem Termin nicht.

Das Amtsgericht hat gegen den Beschwerdeführer wegen des Ausbleibens im Termin ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 €, ersatzweise vier Tage Ordnungshaft, verhängt und ihm die durch sein Nichterscheinen entstandenen Mehrkosten auferlegt. Das Oberlandesgericht - Senat für Landwirtschaftssachen - hat den Ordnungsmittelbeschluss des Amtsgerichts insoweit aufgehoben, als hierin ersatzweise Ordnungshaft verhängt und dem Beschwerdeführer die Mehrkosten auferlegt worden sind. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er die vollständige Aufhebung des Ordnungsmittelbeschlusses erreichen möchte.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts hat das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer zu Recht ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 € verhängt. Die Voraussetzungen des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO lägen vor, da der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung unter Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens nicht erschienen sei. Das Ordnungsgeld sei auch zu Recht gegen den Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Beklagten und nicht gegen die beklagte juristische Person verhängt worden. Der insoweit abweichenden herrschenden Meinung werde nicht gefolgt. Zwar spreche der Wortlaut der Vorschrift dafür, dass das Ordnungsgeld gegen die Partei festgesetzt werden müsse. Für jeden Vertreter einer juristischen Person sei aber erkennbar, dass nicht diese, sondern er als gesetzlicher Vertreter Adressat der Anordnung des persönlichen Erscheinens sei. Er müsse deshalb damit rechnen, dass das Ordnungsgeld gegen ihn und nicht gegen die juristische Person verhängt werde. Dem stehe nicht entgegen, dass die Prozessförderungspflicht nur die Partei treffe und die Folgen einer nicht sorgfältigen Prozessführung deshalb die juristische Person als Partei zu tragen habe. Hier gehe es nämlich um eine Sanktionierung, die unmittelbar keinen Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits habe. Nur diese Auslegung entspreche Sinn und Zweck des § 141 ZPO, nämlich durch Anwesenheit der Partei die Sachaufklärung und eine gütliche Einigung zu erleichtern.

III.

Die nach § 48 Abs. 1 LwVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil es für die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Beklagten an einer Rechtsgrundlage fehlt.

1. Gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann gegen eine Partei, die im Termin ausbleibt, ein Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Ob bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens einer juristischen Person - hier der Beklagten als Gesellschaft mit beschränkter Haftung - diese Adressat eines Ordnungsgeldbeschlusses ist oder aber ihr gesetzlicher Vertreter - hier der Beschwerdeführer -, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt.

a) Nach der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur kann insbesondere im Hinblick auf den Wortlaut des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO ein Ordnungsgeld ausschließlich gegen die juristische Person verhängt werden (OLG Frankfurt, MDR 2006, 170; KG, NJOZ 2007, 3484; OLG Dresden, MDR 2012, 543; OLG Hamm, NJW-RR 2013, 575; OLG Hamm, MDR 2014, 50; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 141 Rn. 14; PG/Prütting, ZPO, 7. Aufl., § 141 Rn. 11; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 37. Aufl., § 141 Rn. 5; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 14. Aufl., § 141 Rn. 12; Hk-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 141 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO, 4. Aufl., § 141 Rn. 60; BeckOK ZPO/von Selle [Stand 1.12.2016], § 141 Rn. 16).

b) Nach der Gegenmeinung, der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat, ist wegen des Zwecks des Ordnungsgelds und der Strafähnlichkeit der Sanktion das Ordnungsgeld nicht gegen die juristische Person, sondern gegen den geladenen und nicht erschienen gesetzlichen Vertreter festzusetzen (OLG Nürnberg, MDR 2001, 954; LAG Köln, NZA-RR 2008, 491; LAG Hessen, BeckRS 2008, 54676; LAG Hamm, BeckRS 2010, 65621; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 141 Rn. 252; siehe auch bereits Hartung, JR 1925, 127).

2. Richtig ist die zuerst genannte Auffassung. Ist eine juristische Person Partei eines Rechtsstreits, darf ein Ordnungsgeld gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur gegen sie, nicht jedoch gegen ihren gesetzlichen Vertreter festgesetzt werden.

a) Hierfür spricht schon der eindeutige Wortlaut der Vorschrift. Die Sanktion soll die jeweilige „Partei“ treffen, die in dem Termin trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens ausbleibt. Hierfür spielt es keine Rolle, ob es sich um eine natürliche oder juristische Person handelt, eine Differenzierung erfolgt insoweit nicht. Sämtliche Folgen der Prozessführung treffen stets nur die jeweilige Prozesspartei. Dass sich bei einer juristischen Person die Terminsladung i.S.d. § 141 Abs. 2 Satz 2 ZPO an den gesetzlichen Vertreter richtet (vgl. auch § 170 ZPO), beruht darauf, dass die juristische Person nur durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln kann.

b) Der Zweck einer Anordnung des persönlichen Erscheinens einer juristischen Person vermag eine von dem Wortlaut der Norm abweichende Auslegung nicht zu rechtfertigen. Zweck des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist nämlich nicht - dies im Unterschied zu den sitzungspolizeilichen Maßnahmen gemäß den §§ 177 und 178 GVG, die auch gegen gesetzliche Vertreter einer Partei verhängt werden können (vgl. nur Zöller/Lückemann, ZPO, 31. Aufl., § 177 GVG Rn. 2) - eine (vermeintliche) Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern (vgl. BVerfG, NJW 1998, 892, 893; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 - VI ZB 4/07, NJW-RR 2007, 1364 Rn. 16 mwN; BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 - I ZB 77/10, NJW-RR 2011, 1363 Rn. 16; BAG, Beschluss vom 20. August 2007 - 3 AZB 50/05, NJW 2008, 252 Rn. 6; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 141 Rn. 12). Diese Pflicht obliegt der Prozesspartei, im vorliegenden Zusammenhang also der juristischen Person. Sie hat die Nachteile zu tragen, wenn sie ihrer Prozessförderungspflicht nicht nachkommt. Entsprechend ist sie auch Adressatin etwaiger Sanktionsmittel i.S.d. § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

c) Es trifft auch nicht zu, dass der Sanktionszweck des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO, wie das Beschwerdegericht meint, allein durch die persönliche Inanspruchnahme des gesetzlichen Vertreters erreicht werden kann.

aa) Leistet der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei nicht Folge und wird gegen die juristische Person (zu Recht) ein Ordnungsgeld verhängt, kann die juristische Person den pflichtwidrig handelnden gesetzlichen Vertreter in Regress nehmen (vgl. OLG Frankfurt, MDR 2006, 170, 171; OLG Dresden, MDR 2012, 543, 544). Dies hat wiederum zur Folge, dass auch der gesetzliche Vertreter selbst ein Interesse daran hat, die Pflichten zu erfüllen, die der von ihm vertretenen juristischen Person obliegen.

bb) Der Hinweis des Beschwerdegerichts, die Sanktionsmöglichkeit gegen eine juristische Person laufe ins Leere, wenn diese - wie hier - nicht über hinreichendes Vermögen verfüge, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Eine solche Gefahr besteht in gleicher Weise bei Ordnungsmitteln gegen eine nicht zahlungsfähige natürliche Person. Ein Grund, insoweit juristische und natürliche Personen unterschiedlich zu behandeln, besteht nicht.

IV.

Danach ist der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts, soweit der Beschwerdeführer beschwert ist, aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), ist der Beschluss des Amtsgerichts über die Verhängung eines Ordnungsgeldes insgesamt aufzuheben.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 - VI ZB 4/07, NJW-RR 2007, 1364 Rn. 23; Beschluss vom 22. Juni 2011 - I ZB 77/10, NJW-RR 2011, 1363 Rn. 23).