Prozessrecht


Gewillkürte Prozessstandschaft: Unbegründetheit der Klage wegen Zession an Dritte ?

AG Bremen, Urteil vom 27.03.2020 - 9 C 513/19 -

Kurze Inhaltsangabe (mit Anmerkung):

 

Unstreitig verschuldete der Versicherungsnehmer der beklagten Versicherung alleine einen Verkehrsunfall, an dem neben diesem der Kläger beteiligt war. Der Kläger holte ein Sachverständigengutachten ein  und ließ sodann die Reparatur durchführen; seine Ansprüche diesbezüglich trat er an die Werkstatt bzw. den Sachverständigen in Höhe von deren jeweiligen Forderungen ab.  Teilweise wurde seitens der Beklagten auf die Rechnungen der Werkstatt und des Sachverständigen Zahlung geleistet. In Ansehung der Restforderungen erhob der Kläger Klage und machte geltend, er könne die Ansprüche in gewillkürter Prozessstandschaft geltend machen.

 

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Mit der Abtretung seiner Forderungen könne der Kläger nicht mehr Freistellung (§ 257 BGB) oder Zahlung an sich begehren (§ 250 S. 2 BGB). Zwar würde hier der Kläger dementsprechend auch nicht Zahlung an sich, sondern an die Werkstatt bzw. den Sachverständigen fordern, doch würde ihm hier die (von Amts wegen zu prüfende) Prozessführungsbefugnis fehlen und ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft nicht vorliegen. Aber auch einen Fall der gewillkürten Prozessstandschaft negierte das Amtsgericht.

 

Die gewillkürte Prozessstandschaft setze ein schutzwürdiges Interesse des Rechtsinhabers als auch des Dritten voraus. Es lägen nur die einseitigen Erklärungen der Zessionare vor, woraus das Amtsgericht mutmaßt, dass die Werkstatt und er Sachverständige mit einem „Abtretungsmodell“ arbeiten würden. De facto würde der Kläger den Prozess für die Werkstatt und den Sachverständigen führen, habe den Prozess vorfinanziert und trage das Prozessrisiko. Bemerkenswert sei, dass der Kläger den teuren Prozess „altruistisch (?)“ führe, was aber wohl der im Zuge des Abtretungsmodells getroffenen Vereinbarung geschuldet sei. Jedenfalls läge kein anzuerkennender Fall einer zulässigen Klage in gewillkürter Prozessstandschaft vor. Das Erfordernis, dass der Prozess im wohlverstandenem objektiven Interesse des Klägers als ursprünglicher Forderungsinhaber läge, sei nicht gegeben. Hier hätte der Kläger zeitnah nach dem Unfall in eigener Sache auf Freistellung klagen können. Statt dessen habe er sich aus unbekannten Gründen zur Abtretung entschlossen an Dritte entschlossen, deren Prozesse er nunmehr führe. Das schutzwürdige Interesse des Prozessstandschafters zur Geltendmachung fremder Rechte könne nur bejaht werden, wenn die Entscheidung de eigene Rechtslage beeinflusse (wozu nichts vorgetragen worden sei). Es bliebe offen, ob die Forderungen der Zessionare durch die Abtretungen endgültig erloschen sind (Abtretung an Erfüllungs statt, § 364 BGB). Da dann auch keine Ansprüche mehr gegen den Kläger geltend gemacht werden könnten, würde es ihm an einem eigenen Rechtsschutzinteresse ermangeln. Dies sei aber auch im Falle der Abtretung erfüllungshalber anzunehmen, auch wenn in diesem Fall der Kläger ein wirtschaftliches Interesse hätte, dass seine Zahlungspflicht gegenüber den Zedenten nicht wieder auflebt. Allerdings sei signifikant, dass das auf die Prozessebene erweiterte Abtretungsmodell zur Beeinträchtigung der Rechte des Prozessgegners führe: So seien geschwärzte Rechnungen vorgelegt worden und zum Beweis der Höhe auf das Zeugnis der Zessionare Bezug genommen worden, die im eigenen Prozess als Zeugen ausscheiden würden. Das hier verwandte gewerbsmäßige Abtretungsmodell dürfe nicht auf die prozessuale Ebene erweitert werden, da es die Versicherungswirtschaft bzw. Versichertengemeinschaft in deren schutzwürdigen Belangen beeinträchtige.

 

 

Anmerkung: Letztlich sieht das Amtsgericht (nicht zu Unrecht) die Gefahr, dass bestimmte Werkstätten und Sachverständige diesen Weg wählen, um überhöhte Forderungen nicht der Prüfung durch Gericht und Gegner auszusetzen. Bei veranlassen den Geschädigten zur Abtretung deren Forderung an sie, und soweit die Schädigerseite (idR. eine Versicherung) nicht zahlt, muss der Geschädigte (für die Zessionare) klagen. Damit muss keine Rechnung vorgelegt werden, aus der sich die Aufschlüsselung der (überhöhten) Forderung ergeben könnte, sondern kann zum Beweis der Leistungspflicht auf das Zeugnis der Zessionare abgestellt werden, zumal sich der klagende Geschädigte auch darauf berufen kann, dass er eine evtl. eingewandte Überteuerung jedenfalls nicht hätte erkennen können. Der rechtsdogmatische Weg des Amtsgerichts ist nachvollziehbar.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

 

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand

 

Der Kläger verlangt weiteren Schadensersatz.

 

Am 04.10.2018 verschuldete ein Versicherungsnehmer der Beklagten zu Lasten des Klägers einen Verkehrsunfall. Das klägerische Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... wurde hinten links beschädigt.

 

Das Fahrzeug des Klägers wurde vom 05.10. bis zum 23.10.2018 in der Werkstatt der Firma B... repariert. Auf die Rechnung über 6.608,05 € brutto zahlte die Beklagte vorgerichtlich 4.765,33 €. Auf die Rechnung des Sachverständigen R... über 874,23 € brutto zahlte die Beklagte 715 €. Auf die anwaltlichen Schreiben vom 21. und 26.11.2018 wurden keine weiteren Zahlungen geleistet.

 

Der Kläger trägt vor, dass nach Abtretung der Ansprüche weitere Zahlungsansprüche in Höhe von 1.842,72 € bestünden, die im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend gemacht werden dürften; die Beklagte sei auch zur Erstattung der Abschleppkosten (280,00 €), der Mietwagenkosten (1.242,00 €) und der Verbringungskosten (26,50 €) verpflichtet. Wegen der Schadensfeststellungskosten seien weitere 159,23 € geschuldet.

 

Der Kläger beantragt,

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an die B... zur Rechnung vom 07.November 2018 mit der Nr. 100071 einen Betrag in Höhe von 1.842,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 6. Dezember 2018 zu zahlen;

 

2. die Beklagte zu verurteilen, an das Kfz-Sachverständigenbüro R... zur Rechnung vom 08. Oktober 2018 mit der Nr. 105981 einen Betrag in Höhe von 159,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 11. Dezember 2018 zu zahlen;

 

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten der vorgerichtlichen Vertretung durch seine jetzigen Prozessbevollmächtigten, den Rechtsanwälten H... in Höhe von 334,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit freizustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie trägt vor, dass der Kläger nicht aktivlegitimiert sei, weil die Erstattungsansprüche abgetreten wurden; die teilweise geschwärzt zur Akte gereichten Abrechnungen seien nicht aussagekräftig.

 

Das Gericht hat den Parteien im Termin vom 24.01.2020 einen Hinweis erteilt.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist bezüglich der Anträge zu 1 und 2 unzulässig.

 

Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. dem Ende der Stellungnahmefrist nicht mehr Inhaber etwaiger Ansprüche aus §§ 7, 18 StVG, 115 VVG, 823, 249 BGB gewesen. Denn er trug vor, dass er die Ansprüche nach dem Unfallereignis abgetreten habe (Bl. 7, 9, 56 d.A.). Folglich ist der Kläger nicht mehr berechtigt, auf Freistellung (257 BGB) oder Zahlung an sich selbst (§ 250 S. 2 BGB) zu klagen.

 

Dementsprechend begehrt der Kläger mit den Hauptforderungsanträgen zu 1 und 2 auch keine Zahlung an sich, sondern Zahlung an die Firma B... und den Gutachter R...

 

Die Prozessführungsbefugnis ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Zöller, 30. A., Vor § 50, Rn. 47a).

 

Ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft liegt nicht vor.

 

Die gewillkürte Prozessstandschaft setzt ein schutzwürdiges Interesse des Rechteinhabers und des Dritten voraus (vgl. Zöller, 30. A., Vor § 50, Rn. 42, 44). Ein solches ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts vorliegend nicht gegeben: Die Werkverträge (Beauftragung Fa. B..., SV R...) und die diesbezüglichen Abtretungsverträge sind nicht zur Akte gereicht worden. Es liegen nur die einseitigen Erklärungen der Zessionare vom 04.07.2019 (Bl. 40, 43 d.A.) vor. Offenbar arbeiten diese Firmen mit einem Abtretungsmodell. Der Kläger führt den vorliegenden Prozess de facto für die Firma B... und den Gutachter R... Er übernimmt deren Prozessrisiko und muss den Prozess auch vorfinanzieren. Dass der Kläger für Dritte einen im Fall der Begutachtung sehr teuren Prozess altruistisch (?) führt, ist bemerkenswert und möglicherweise den im Zuge des Abtretungsmodells getroffenen Vereinbarungen geschuldet. Warum sich der Kläger auf eine Verschiebung der Prozessrollen eingelassen hat, bleibt mangels substantiierten Vortrags im Dunkeln. Die Führung des Prozesses liegt jedenfalls nicht im wohlverstandenem objektiven Interesse des Klägers als ursprünglichen Rechteinhaber. Ein anerkannter Fall der Prozessstandschaft (hierzu: Zöller, a.a.O., Rn. 49) liegt nicht vor. Denn der Kläger hätte nach dem Unfall zeitnah und in eigener Sache auf Freistellung klagen können. Stattdessen entschloss er sich aus nicht offen gelegten Motiven zur Abtretung seiner Ansprüche an Dritte und führt nunmehr für diese - als ehemaliger Rechteinhaber und Geschädigter - deren Prozesse. Es kann wegen der Abtretung nicht eindeutig zwischen den schutzwürdigen Interessen der heutigen Rechteinhaber und dem Kläger als ursprünglichen Rechteinhaber unterschieden werden (hierzu: Zöller, a.a.O., Rn. 44). Ein schutzwürdiges Interesse des Prozessstandschafters, fremde Rechte geltend zu machen, ist nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten beeinflusst (Thomas/Putzo, 39. A., § 51, Rn. 34 m.w.N.). Hierzu hat der Kläger trotz Hinweises nicht substantiiert vorgetragen. Auch mit Schriftsatz vom 13.02.2020 wurden die Abtretungserklärungen nicht vorgelegt. Es bleibt also offen, ob die Forderungen der Zessionare durch die Abtretung gemäß § 364 BGB endgültig erloschen sind (Leistung an Erfüllungs statt). In diesem Fall schiede ein schutzwürdiges Interesse des Klägers aus, weil der Ausgang des hiesigen Verfahrens keinen Einfluss auf seine rechtlichen Erfüllungspflichten hätte. Selbst bei einer Abtretung erfüllungshalber (hierzu: Palandt, 78. A., § 364, Rn. 5), bestünde nach Ansicht des erkennenden Gerichts kein schutzwürdiges Interesse. Zwar besäße der Kläger dann hinsichtlich der Prozessführung ein eigenes wirtschaftliches Interesse, weil er verhindern wollte, dass seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Zessionaren wieder auflebten. Allerdings würde das auf die Prozessebene erweiterte Abtretungsmodell der Zessionare dazu führen, dass die Rechte des Prozessgegners beeinträchtigt werden. Erwähnenswert ist insofern, dass im hiesigen Verfahren geschwärzte Rechnungen zur Akte gereicht wurden (Bl. 39 d.A.); die Parteien streiten sich insbesondere über die Höhe des erstattungsfähigen Schadens. Würden die Zessionare als Rechteinhaber den Prozess selbst führen, könnten sie sich als Zeugen für den streitigen Arbeits-, bzw. Kostenumfang nicht benennen, da sie Partei wären. Die gewillkürte Prozessstandschaft würde zur Umgehung dieser Rechtsfolge führen und also die Beklagte in ihrer Verteidigung benachteiligen. Tatsächlich wurde der Inhaber der Firma B... im vorliegenden Verfahren auch als Zeuge benannt (Bl. 69 d.A.). Das gewerbsmäßige Abtretungsmodell der Verkehrsunfallwirtschaft darf daher nicht auf die prozessuale Ebene erweitert werden, da es die Versicherungswirtschaft bzw. die Gemeinschaft der Versicherten in ihren schutzwürdigen Belangen grundsätzlich beeinträchtigte (vgl. Zöller, a.a.O., Rn. 44). Vielmehr mag entweder der Geschädigte auf Leistung an sich, oder - nach Abtretung - der Zessionar auf Leistung an sich klagen. Denn die Zulassung einer gewillkürten Prozessstandschaft ginge im Zweifel auf Kosten der Geschädigten und diente primär den Interessen der Werkstätten und Gutachter. Diese könnten versucht sein, überhöhte Preise festzusetzen, da der Kunde zunächst mit dem Versprechen, dass er unmittelbar nichts bezahlen müsse, geworben wird. Anschließend soll der Kunde auf eigenes finanzielles Risiko den Prozess um die streitigen Kostenanteile zu Gunsten der Zessionare führen. Ob Abtretungsklauseln (erfüllungshalber) mit Prozessführungsverpflichtung des Verbrauchers im Fall der (teilweisen) Leistungsverweigerung der Versicherung des Unfallgegners gemäß §§ 305 ff. BGB rechtsunwirksam wären, kann dahinstehen, weil die Klägerseite diesbezüglich nicht substantiiert vortrug.

 

Die Klage ist bezüglich der Nebenforderung (Antrag zu 3) zulässig, aber unbegründet. Es bleibt offen, ob die hiesigen Klägervertreter vorgerichtlich für den Kläger oder die Dritten tätig wurden. Eine Anwaltsrechnung nach § 10 RVG, die Voraussetzung für die Fälligkeit der Nebenforderung wäre, wurde nicht zur Akte gereicht; ebenso wenig die Anschreiben vom 21. und 26.11.2018. Da zum Zeitpunkt der Abtretungen nicht vorgetragen wurde (s.o.), bleibt ungewiss, wer im Zeitpunkt der vorgerichtlichen Mandatierung bzw. des Verfassens der Schreiben Rechteinhaber gewesen ist.

 

 

Die Nebenentscheidungen basieren auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.