Prozessrecht


Einstweilige Untersagung des Prozessfortgangs wegen Versagung der PKH durch Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -

Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.

 

Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.

 

Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.

 

Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.

 

Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.

 

 

Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.

 

 

 

Tenor

 

Etwaige vom Oberlandesgericht Karlsruhe im Verfahren 1 U 20/19 gesetzte Fristen zur Stellungnahme für den Beschwerdeführer und insbesondere die am 7. Juli 2021 gesetzte und zuletzt am 30. August 2021 auf den 8. September 2021 verlängerte Frist werden bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen für wirkungslos erklärt. Während desselben Zeitraums darf in der Sache weder eine mündliche Verhandlung stattfinden noch ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

 

Gründe

 

Zur Verfahrenssicherung werden im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 U 20/19 - gesetzte Fristen zur Stellungnahme für den Beschwerdeführer einstweilen für wirkungslos erklärt und die Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

 

1. Das Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>).

 

Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

 

2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

 

a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, mit der der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug zurückgewiesen wurde, diesen in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt hat. Dafür spricht insbesondere, dass der bereits seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer bei insoweit gleicher wirtschaftlicher Lage sowohl bereits in erster Instanz als auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof Prozesskostenhilfe erhalten hat sowie dessen Rückfragen zu seinem dort gestellten Antrag offenbar zufriedenstellend beantworten und Zweifel beseitigen konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2020 - 1 BvR 1975/18 -, Rn.14 ff. m.w.N.).

 

 

b) Die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer in der Berufungsinstanz nicht (mehr) anwaltlich vertreten wäre, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn der Fortgang des Verfahrens einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass es ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im erstgenannten Fall wäre es dem Beschwerdeführer zwar unter Umständen - auch ohne vollständige inzidente Prüfung der angegriffenen Entscheidung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe - rechtlich möglich, die Auswirkungen einer gegebenenfalls in rechts- und verfassungswidriger Weise unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde beziehungsweise die Revision, etwa wegen rechtsfehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder einer rechtsfehlerhaft angenommenen schuldhaften Säumnis, zu korrigieren. Die für eine diesbezüglich verlässliche Beurteilung erforderliche Prognose des weiteren Verlaufs des Berufungsverfahrens, der nicht zuletzt auch vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten abhängig ist, sowie des Entscheidungsausgangs, insbesondere nach der auch in der Hauptsache erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den Bundesgerichtshof, ist aber derzeit nicht möglich. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint ein Rechtsmittelverlust infolge der Ablehnung von Prozesskostenhilfe und der damit versagten Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten jedenfalls nicht ausgeschlossen. Dieses Risiko ist dem Beschwerdeführer in Anbetracht der Gesamtumstände des vorliegenden Einzelfalls nicht zuzumuten. Demgegenüber kann das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsmäßig erweisen, zu einem lediglich späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.