Nachbarrecht / Anliegerrecht


Landesbauordnungen als nachbarschützende Normen iSv. § 823 Abs. 2 BGB

OLG Naumburg, Urteil vom 29.01.2024 - 12 U 75/23 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Kläger verlangte Sicherungsmaßnahmen zugunsten seines Grundstücks nach Abriss eines Gebäudes auf dem Grundstück seines Nachbarn (des Beklagten). Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe weder nach § 1004 Abs. 1 Sl1 GB iVm. nachbarrechtlichen Vorschriften einen Beseitigungsanspruch noch einen Ausgleichsanspruch nach § 1004 BGB iVm. § 922 S. 2 BGB, da die mit dem Gebäude abgerissene Außenmauer keine Grenzmauer sei. Auch § 1004 BGB iVm. § 906 BGB scheide aus, da es an einer notwendigen Einwirkung fehle. Auch sie kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 12 Abs. 1 S. 2 BauO LSA gegeben, da hier der Abriss weder die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers noch die Tragfähigkeit des klägerischen Grundstücks gefährde.

 

Das OLG hob auf die Berufung des Klägers das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht. Offen sei nämlich, ob ein Anspruch aus § 1004 BGB analog iVm. § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA bestünde. Es sei anerkannt, dass § 1004 BGB analog als sogen. quasi-negatorischer Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch für alle deliktisch geschützten Rechtsgüter (mithin auch jenen in § 823 Abs. 1 BGB genannten) und für die durch ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB abgesicherten Interessenssphären gelte (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.1996 - V ZR 335/95 -).

 

§ 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verlange die Standsicherheit jeder Anlage im Ganzen wie auch in Teilen. Im Zusammenhang kit § 3 BauO LSA ergebe sich, dass Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten seien, dass insbesondere Leben und Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden dürften. § 12  Abs. 1 S. 2 BauO LSA bestimme auch, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürften, die Norm habe nachbarschützende Wirkung (OVG Magdeburg, Urteil vom 18.02.2015 - 2 L 22/13 -). Bauvorschriften mit nachbarschützender Wirkung würden gleichzeitig Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB darstellen (vgl. BayObLG, Urteil vom 15.11.1000 - 1Z RR 187/98 -).

 

§ 12 Abs. 1 S. 2 BauO LSA sei nicht nur bei der Errichtung , sondern auch – wie vorliegend in Betracht kommend – sondern auch bei dem Abriss eines Gebäudes anzuwenden, was sich aus der Systematik der Regelungen in der BauO LSA ergäbe. Denn für die Beseitigung baulicher Anlagen gelte nach § 2 Abs. 4 BauO LSA (in der im Zeitpunkt des  Abrisses Herbst 2013 geltenden Fassung), wonach der Zustand nach dem Abbruch eines Gebäudes gegen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verstoßen könne, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet würden. Sei aber bei einem Abriss einer baulichen Anlage die Generalklausel des § 3 Abs. 1 BauO LSA einzuhalten, gelte für den  Abriss einer baulichen Anlage – nicht anders als für deren Errichtung- ebenfalls die Konkretisierung dieser Generalklausel in der Vorschrift über die Standsicherheit in § 12 Abs. 1 BauO LSA.

 

Das OLG führte sodann aus, dass vom Landgericht bisher nicht aufgeklärt worden sei, ob die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers bzw. die Tragfähigkeit seines Grundstücks durch den Abriss des Gebäudes des Beklagten gefährdet sei.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Auf die Berufung des Klägers wird das am 6. April 2023 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Magdeburg zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

 

I.

 

Der Kläger begehrt Sicherungsmaßnahmen zugunsten seines Grundstücks im Gefolge des Abrisses eines Gebäudes auf dem Grundstück der Beklagten.

 

Wegen der Einzelheiten des in erster Instanz unstreitigen und streitigen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend und klarstellend wird ausgeführt:

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit den nachbarrechtlichen Sondervorschriften habe. Ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen nach § 1004 BGB in Verbindung mit § 922 Satz 3 BGB scheide aus, weil die mit dem Gebäude der Beklagten abgerissene Außenmauer keine Grenzanlage sei. Das Gebäude der Beklagten inklusive Außenwand gehöre unstreitig der Beklagten allein. Auch eine analoge Anwendung des § 922 Satz 3 BGB komme nicht in Betracht. Ferner scheide ein Anspruch des Klägers nach § 1004 BGB in Verbindung mit § 909 BGB aus, da das Grundstück der Beklagten nicht vertieft worden sei. Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keinen Anspruch nach § 1004 BGB in Verbindung mit § 906 BGB, weil es an der notwendigen Einwirkung fehle. Streitgegenständlich sei nicht die Zuführung von Stoffen auf das Grundstück des Klägers. Die bloße Beseitigung einer das Nachbargebäude bzw. die darunterliegende Steilböschung vor Witterungseinflüssen schützenden eigenen Einrichtung sei keine unmittelbare Einwirkung auf das benachbarte Grundstück. Des Weiteren habe der Kläger gegen die Beklagte auch keinen Anspruch aus § 10 Abs. 3 NbG LSA, denn es handele sich um keine Nachbarwand im Sinne von § 5 Abs. 1 NbG LSA bzw. um einen Anbau an eine solche Nachbarwand. Überdies habe der Kläger gegen die Beklagte auch keinen Anspruch aus § 15 NbG LSA in Verbindung mit § 10 Abs. 3 NbG LSA. Zwar stelle die abgerissene Außenwand eine zweite Grenzwand im Sinne von § 14 NbG LSA dar. § 15 NbG LSA sei jedoch hinsichtlich ihrer zeitlichen Geltung nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, da die Voraussetzungen der Vorschrift teilweise vor dem Inkrafttreten des NbG LSA eingetreten seien. Denn die Errichtung der inzwischen abgerissenen Außenmauer sei bereits im Jahr 1920 erfolgt.

Schließlich stehe dem Kläger auch kein Anspruch gegen die Beklagte nach § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA zu. Zwar sei dem Kläger zuzustimmen, dass § 12 Abs. 1 BauO LSA nicht nur ein Verbot dahingehend aufstelle, dass eine bauliche Anlage so errichtet wird, dass sie in ihrer Standfähigkeit von einer anderen baulichen Anlage abhängig sei. Vielmehr folge aus der Vorschrift auch, dass der Abriss eines Gebäudes die Standsicherheit eines anderen Gebäudes und die Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke nicht gefährden dürfe. Allerdings habe der Abriss des Gebäudes seitens des Beklagten weder die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers noch die Tragfähigkeit des Baugrundes des klägerischen Grundstücks unmittelbar gefährdet. Nach Einschätzung eines Baugrundgutachters lägen keine offensichtlichen Indizien vor, die die Standsicherheit infrage stellen würden. Ferner sei der Stellungnahme über die Standsicherheit der örtlichen Bausituation des Dipl.-Ing. F. zu entnehmen, dass als Indiz für das Anliegen von Kalkstein mit einer guten Tragfähigkeit in der Gründungsebene des Kalksteinbruches spreche, dass das Gebäude auf der Böschungsschulter auch nach den Abrissarbeiten am Böschungsfuß keinerlei Schäden aufweise. Aus der Gesamtschau beider Stellungnahmen ergebe sich, dass die Abrissarbeiten die Standsicherheit des klägerischen Gebäudes nicht unmittelbar gefährdet hätten. Zwar habe der Dipl.-Ing. F. in seiner Stellungnahme im November 2021 festgestellt, dass die Auswaschungen des Kalksteines direkt unterhalb des Gebäudes dazu geführt hätten, dass die Gründung der böschungsseitigen Kelleraußenwand teilweise nicht mehr vorhanden sei. Insoweit sei die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers aber nicht unmittelbar durch die Abrissarbeiten der Beklagten gefährdet. Die Gefährdung sei vielmehr darauf zurückzuführen, dass Witterungseinflüsse auf das Grundstück des Klägers einwirkten. Soweit es möglich sei, dass die Einflussmöglichkeit der Witterung erst durch die Abrissarbeiten der Beklagten entstanden sei, lasse sich daraus nicht ableiten, dass die Beklagte auch die Verantwortung dafür trage, das Grundstück des Klägers vor Witterungseinflüssen zu schützen.

 

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Klaganträge weiterverfolgt und zur Begründung ausführt, dass die seitens der Beklagten eingeschaltete Prüfungsgesellschaft für Straßen- und Tiefbau mbH & Co. KG bereits unter dem 4. März 2014 dringend Maßnahmen zur Gewährleistung der Standsicherheit der Steilböschung gefordert habe. Außerdem sei angeraten worden, eine weitere Einschätzung einzuholen, ob bzw. inwieweit der untere Teil des Gebäudes einen Beitrag zur Abstützung der Böschung geleistet habe bzw. ob die Steilböschung, auf der der obere Gebäudeteil stehe, noch ausreichend standsicher sei. Dem sei nicht nachgegangen worden. Der Dipl.-Ing. F. habe festgestellt, dass ein Baugrundgutachter Maßnahmen zum Erhalt der Standfestigkeit der Böschung vorgeschlagen habe, um die Böschung vor Verwitterungseinflüssen zu schützen und damit die Standsicherheit des oberen Gebäudes auch zukünftig zu gewährleisten. Die Beklagte habe nämlich die natürliche Hanglage mit dem bereits vorhandenen Bauwerk des Klägers enorm verändert, denn direkt an den Fundamenten des Klägers sei der Hang mit einer 90-Grad-Böschung freigelegt worden. In der Vergangenheit sei zum Schutz vor direkter Einwirkung an die Böschung eine Schutzmauer errichtet und ein Gebäudekomplex erbaut worden, worauf die Böschung zuzüglich Gebäudeaufbauten des Klägers 100 Jahre standsicher hätten genutzt werden können. Dieser nachträglich errichtete Gebäudekomplex sei zuerst von der Beklagten langfristig vernachlässigt worden, was schlussendlich zum Abriss geführt habe. Wäre er – der Kläger –, wie gesetzlich vorgesehen, vor Beginn der Abrissmaßnahme informiert worden, hätte er seine Bedenken und Einwände bereits vor den Maßnahmen erläutert und somit versucht, den aktuellen Zustand noch zu vermeiden.

 

Nach dem Abriss habe er den Geschäftsführer der Beklagten darauf angesprochen, dass die durch den Abriss geschaffene instabile Lage bereits dazu geführt habe, dass auf dem Grundstück des Nachbarn N. ein Schuppen eingefallen sei. Der Geschäftsführer habe damals mündlich erklärt, dass er sich persönlich um die Sicherung des Grundstücks des Klägers kümmern werde. Nachdem dies bis April 2018 noch immer nicht geschehen sei, habe er bei dem S. Kreis einen Antrag auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten gestellt, der allerdings am Begriff der akuten konkreten Gefahr gescheitert sei. Der Statiker F. habe in seiner Stellungnahme vom 22. November 2019 dokumentiert, dass eine Sicherung der Böschung nicht durchgeführt worden sei, weshalb die Standsicherheit der auf der Böschungsschulter befindlichen Gebäude auf längere Sicht nicht gewährleistet sei.

 

Er habe neun Farbfotografien überreicht, aus denen sich einerseits der drastische und massive Abbruch ergebe und andererseits deutlich werde, wo nun neuerdings seit dem Abriss im Herbst 2013 sich im Inneren massive Risse gebildet hätten, die in den vergangenen 150 Jahren noch nicht vorhanden gewesen seien. Die Fotos verdeutlichten den gefährlichen bzw. instabilen Zustand des Gebäudes, weshalb die Reparatur des Daches zur Zeit nicht möglich sei, ohne die Mitarbeiter der Fachbaufirma in Gefahr zu bringen.

 

Die Beklagte habe am Fuß des Steilhangs lediglich Bauschutt abgekippt, der nicht verdichtungsfähig sei und damit für die geforderten Sicherungsmaßnahmen völlig ungeeignet. Bei der letzten baustatischen Besichtigung im September 2021 habe der Statiker feststellen müssen, dass die für die Standsicherheit der Böschung festgelegten Maßnahmen von der Beklagten nicht realisiert worden seien. Die Auslassungen des Kalksteins direkt unterhalb des Gebäudes hätten nunmehr dazu geführt, dass die Gründung der böschungsseitigen Kelleraußenwand teilweise nicht mehr vorhanden sei. Durch die Fugen des Ziegelpflasters im Fußboden des Kellers sei in einigen Bereichen das Tageslicht zu sehen. Daraufhin sei das Betreten des unterkellerten Gebäudeteils untersagt worden, da die Standsicherheit des Gebäudes in diesem Bereich nicht mehr gegeben sei. Beim Ortstermin am 17. September 2021 seien auch die angebrachten Gipsmarken kontrolliert worden. Dabei habe festgestellt werden müssen, dass diese in der Zwischenzeit ebenfalls Risse unterschiedlicher Rissweiten aufwiesen. Der Hang unterhalb des Gebäudes befinde sich daher weiterhin in Bewegung. Der Statiker F. halte es für dringend erforderlich, die von ihm bereits 2014 aufgeführten Maßnahmen zur Sicherung der Standfestigkeit der Böschung durchzuführen.

 

Nicht nachvollziehbar sei, dass das Landgericht aus alledem keinen Beseitigungs- bzw. Ausgleichsanspruch des Klägers gemäß § 1004 BGB habe erkennen können. Die Beklagte habe ihr gewaltiges Industrieareal abgerissen und auf die Warnung des Baugrundgutachters und des involvierten Statikers nicht geachtet und dabei die ausdrücklich geforderten Maßnahmen zur Sicherung der Standsicherheit nicht erfüllt. Die Beklagte sei auch Verursacherin der mangelhaften Standsicherheit. Sie hafte daher auf die beantragte Maßnahme.

 

Der Kläger beantragt:

Das angefochtene und am 6. April 2023 verkündete und dem Kläger am 17. April 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts Magdeburg mit der Geschäfts-Nr. 11 O 1386/20 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die notwendigen Sicherungsmaßnahmen zugunsten des Grundstücks W. 3 in B., Flur 58, Flurstück 1000 vorzunehmen, die erforderlich geworden sind durch die Abbruchmaßnahmen der Beklagten auf dem tiefer gelegenen Nachbargrundstück (W. 1 in B., Gemarkung B., Flur 58, Flurstück 1001), um insbesondere die dadurch beeinträchtigte Standsicherheit der auf ihr befindlichen Gebäude des Klägers dauerhaft zu gewährleisten;

sowie die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger die außergerichtliche Geschäftsgebühr in Höhe von 1.229,75 € zzgl. 8 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (6. Oktober 2020) zu zahlen.

Hilfsweise beantragt der Kläger,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

 

II.

 

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache vorläufig Erfolg.

 

1.

 

Die Beklagte erhebt allerdings ohne Erfolg den Einwand der fehlenden Sachbefugnis des Klägers nach § 265 Abs. 3 ZPO.

 

Zwar hat der Kläger sein – aus seiner Sicht beeinträchtigtes – Grundstück an seinen Sohn M. E. und J. S. verkauft, wobei diese am 29. November 2022, also lange nach Rechtshängigkeit, als neue Eigentümer in das Grundbuch von B. Blatt 10652 (Bl. 32 II) eingetragen worden sind.

 

Die Veräußerung hat allerdings nach § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf den Prozess keinen Einfluss. Maßgebend für die Anwendung von § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist nämlich § 266 Abs. 1 ZPO. Darin ist eine Sonderregelung für die Veräußerung von Grundstücken während eines anhängigen Rechtsstreits enthalten, die der Bestimmung in § 265 Abs. 2 ZPO vorgeht. Sie erfasst nach einhelliger Auffassung auch Streitigkeiten über nachbarrechtliche Rechte und Pflichten, wie sie sich zum Beispiel aus § 906 BGB ergeben. Das hat seinen Grund darin, dass in diesem Fall "bildlich gesprochen das Grundstück als das berechtigte oder verpflichtete Subjekt und der jeweilige Eigentümer nur als dessen Vertreter erscheint." So liegen die Dinge im Anwendungsbereich von § 906 BGB. Nach Abs. 1 der Vorschrift müssen die Einwirkungen, die gegebenenfalls nach § 1004 Abs. 1 BGB abgewehrt werden können, auf einer bestimmten Nutzung oder auf dem eigentumsbeeinträchtigenden Zustand eines Grundstücks beruhen. Anders ist es, wenn die Einwirkungen auf einer Handlung beruhen, die damit nichts zu tun hat. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand einen Stein auf ein Nachbargrundstück wirft oder als Straßenmusikant den Anlieger störende Geräusche erzeugt. Derartige Einwirkungen fallen nicht unter § 906 BGB. Macht der Rechtsnachfolger des veräußernden Grundstückseigentümers von seiner Berechtigung, den Rechtsstreit zu übernehmen, keinen Gebrauch und ist er mangels Antrags des Prozessgegners auch nicht zur Übernahme verpflichtet (§ 266 Abs. 1 ZPO), führt der Rechtsvorgänger den Rechtsstreit nach § 265 Abs. 2 ZPO weiter (z. B. BGH, Urteil vom 15. Februar 2008 – V ZR 222/06, zitiert nach Juris).

 

Im Übrigen kann der Beklagte gemäß § 265 Abs. 3 ZPO nur dann ausnahmsweise einwenden, dass der Kläger seine Sachbefugnis verloren habe, wenn der Rechtsnachfolger gemäß § 325 Abs. 2 ZPO die Streitsache gutgläubig im Hinblick auf die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits erworben hat. Von einem gutgläubigen Erwerb kann hier allerdings keine Rede sein. Denn die Erwerber kannten ausweislich Ziffer 3 des Kaufvertrages vom 29. September 2022 (Bl. 48 II) durchaus den vorliegenden Prozess.

 

2.

 

In der Sache hat die zulässige Berufung des Klägers insoweit vorläufigen Erfolg, als das angefochtene Urteil auf seinen Hilfsantrag aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist, weil das Verfahren des ersten Rechtszuges an einem wesentlichen Mangel leidet, aufgrund dessen eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

                                        

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, denn das Landgericht hat seine Entscheidung auf einen nur unzureichend aufgeklärten Sachverhalt gestützt und dabei unter Verletzung des Anspruchs der Klägers auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dessen Beweisangebot zu dem von der Beklagten bestrittenen Zusammenhang zwischen dem Abriss von Gebäuden durch die Beklagte bzw. ihres Unterlassens zureichender Sicherungsmaßnahmen und der gefährdeten Standsicherheit der Gebäude des Klägers übergangen, die Behauptung des Klägers vielmehr ohne Beweisaufnahme zugunsten der Beklagten verneint.      

 

a.

 

Der Kläger kann allerdings nicht allein auf der Grundlage des § 1004 BGB, wie von ihm im Berufungsverfahren betont, die eingeklagten Sicherungsmaßnahmen verlangen.

 

Im Bereich des Nachbarrechts reicht dies nicht aus. Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich zwar grundsätzlich gegen die von einem Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen, die sein Eigentum beeinträchtigen, zur Wehr setzen (§ 1004 BGB). Inhalt und Umfang dieses Anspruchs im Einzelnen ergeben sich aber aus der gesetzlichen Regelung des Nachbarrechts, das durch einen Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen der Nachbarn gekennzeichnet ist und sich nicht nur als Bundesrecht im BGB findet (§§ 906 ff BGB), sondern auch in den die allgemeinen nachbarrechtlichen Bestimmungen ändernden und ergänzenden Rechtsvorschriften enthalten ist, die nach Art. 1 Abs. 2, Art. 65, 124 Satz 1 EGBGB dem Landesgesetzgeber vorbehalten sind (BGH, Urteil vom 12. November 1999 – V ZR 229/98, zitiert nach Juris). Der Eigentümer darf also mit seinem Grundstück nach Belieben verfahren, auch wenn dies nachteilige Auswirkungen auf das Nachbargrundstück hat, solange ihm das Nachbarrecht seine Handlung nicht verbietet (z. B. BGH, Urteil vom 29. Juni 2012 – V ZR 97/11, zitiert nach Juris). Nach diesen Grundsätzen des Bundesgerichtshofs kann der Senat also nicht der abweichenden Auffassung folgen, dass der Abriss eines Gebäudes ohne die erforderliche Abstützung des Nachbargebäudes eine Eigentumsbeeinträchtigung ist, deren Beseitigung nach § 1004 BGB verlangt werden kann (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 6. September 2004 – 16 U 211/03 betr. Abriss einer Doppelhaushälfte; Fritzsche, in: BeckOK BGB, Stand 1. August 2023, Rdn. 39 f. zu § 1004 BGB).

 

b.

 

Die Kammer hat auch zutreffend verschiedene Anspruchsgrundlagen geprüft und verneint, was von der Berufung nicht angegriffen wird:

 

Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch aus § 1004 BGB in Verbindung mit § 922 BGB verneint, weil die Beklagte keine Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB abgerissen hat. Es hat außerdem eine analoge Anwendung des § 922 Satz 3 BGB zutreffend abgelehnt (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23. Dezember 2010 – 2 U 79/10, zitiert nach Juris, zu Grenzwänden in geschlossener Bebauung).

 

Zutreffend hat die Kammer einen Anspruch aus § 1004 BGB in Verbindung mit § 906 BGB verneint, weil es an Einwirkungen (unwägbare Stoffe) im Sinne dieser Vorschrift fehlt.

 

Einen Anspruch aus § 10 Abs. 3 NbG LSA hat die Kammer zu Recht verneint, weil sich die Vorschrift nur auf eine Nachbarwand im Sinne von § 5 Abs. 1 NbG LSA bzw. auf einen Anbau an eine solche Nachbarwand bezieht. Die inzwischen abgerissene Außenwand hatte allerdings nicht die Eigenschaft einer Nachbarwand, also einer auf der Grundstücksgrenze stehenden Wand.

 

Außerdem hat das Landgericht überzeugend festgestellt, dass der Kläger gegen die Beklagte auch keinen Anspruch aus § 15 NbG LSA in Verbindung mit § 10 Abs. 3 NbG LSA hat, weil die abgerissene Wand lange vor dem Inkrafttreten des Nachbarschaftsgesetzes errichtet worden ist (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23. Dezember 2010 – 2 U 79/10, zitiert nach Juris).

 

c.

 

Zu Recht hat die Kammer auch einen Anspruch aus § 1004 BGB in Verbindung mit § 909 BGB verneint, weil das Grundstück der Beklagten nicht vertieft worden ist.

 

Zwar stellt der Kläger mit der Berufung abermals darauf ab, dass die Beklagte mehrere 11 bis 13 Meter hohe Gebäude abgerissen hat, so dass die in ca. sechs Meter Höhe an einer steilen Böschung mit einer Neigung von fast 90 Grad befindlichen Fundamente der Gebäude des Klägers freigelegt worden sind. Dies ist allerdings keine Vertiefung im Sinne des § 909 BGB. Nach dieser Vorschrift darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist. Die Entfernung von aufstehenden Gebäuden stellt aber keine Vertiefung im Sinne von § 909 BGB dar; denn eine solche setzt – bezogen auf das Grundstück des Beklagten – eine Senkung des Bodenniveaus voraus und umfasst nicht die Entfernung oberirdischer Gebäudeteile (z. B. BGH, Urteil vom 29. Juni 2012 – V ZR 97/11, zitiert nach Juris). Dass hier Boden abgetragen worden sei, behauptet der Kläger nicht.

 

Auch kommt eine analoge Anwendung des § 909 BGB nicht in Betracht. Der Abriss von Gebäuden ist nicht einer Vertiefung gleichzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2012 – V ZR 97/11, zitiert nach Juris, zum Entfernen einer Mauer).

 

d.

 

Schließlich lässt sich der Anspruch des Klägers auch nicht aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten, das die Kammer nicht geprüft hat.

 

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 29. Juni 2012 – V ZR 97/11, zitiert nach Juris) hat für den vergleichbaren Fall, dass der Nachbar das Unterlassen des Abrisses einer sein eigenes Grundstück abstützenden Mauer verlangt, ausgeführt, dass die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn nach ständiger Rechtsprechung des Senats insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren haben. Zwar ist auch auf sie der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden; daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammengefasst werden. Eine daraus folgende selbständige Verpflichtung ist aber mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden. Das Rechtsinstitut darf insbesondere nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Ein Ausnahmefall, der eine Unterlassungsverpflichtung rechtfertigen könnte, wird allein durch die „faktische Stützungsfunktion“ der Mauer nicht begründet. Andernfalls würde der Beklagten eine zeitlich unbeschränkte und verursacherunabhängige Pflicht zur Absicherung des Grundstücks des Klägers auferlegt. Das verkehrte die gesetzliche Zuordnung von nachbarlichen Rechten und Pflichten in ihr Gegenteil. Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis kann nur die Pflicht zu einer Ankündigung derartiger Abrissarbeiten hergeleitet werden, die so rechtzeitig erfolgen muss, dass sie den Grundstücksnachbarn in die Lage versetzt, vorher eigene Stützungsmaßnahmen zu treffen; nur in diesem eingeschränkten Rahmen kann sich eine Unterlassungspflicht ergeben (vgl. BGH, a.a.O.).

 

e.

 

Es ist allerdings noch offen, ob der Kläger gegen die Beklagte aus § 1004 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA Anspruch auf Vornahme der notwendigen Sicherungsmaßnahmen hat, um die Standsicherheit der Gebäude des Klägers dauerhaft zu gewährleisten.

 

aa.

 

Dabei ist § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

 

Anerkannt ist, dass § 1004 BGB analog als sog quasi-negatorischer Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch für alle deliktisch geschützten Rechtsgüter (insbesondere die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Güter) und für die durch ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB abgesicherten Interessenssphären gilt (z. B. Thole, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2023, Rdn. 7 zu § 1004 BGB; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. September 1996 – V ZR 335/95, zitiert nach Juris).

 

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA muss jede Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein. Die Forderung nach der Standsicherheit von baulichen Anlagen ist eine Grundforderung und stellt eine Konkretisierung der Generalklausel des § 3 BauO LSA dar. Gemäß § 3 Abs. 1 BauO LSA sind Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Als Standsicherheit bezeichnet werden kann die Eigenschaft einer baulichen Anlage, die die vorgesehene Beanspruchung der baulichen Anlage gewährleistet, ohne dass derart starke physische Veränderungen an der baulichen Anlage entstehen können, die eine Gefährdung bedeuten würden, insbesondere eine Einsturzgefahr hervorrufen könnte, die Leben oder Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden würde. In den Begriff der Standsicherheit müssen außer dem Tragwerk selbst weitere Faktoren einbezogen werden, insbesondere ist der Baugrund für die Standsicherheit von Bedeutung. […] § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA bestimmt ferner, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden darf. Beim Nachweis der Standsicherheit müssen alle baulichen Anlagen berücksichtigt werden, auf die durch die bauliche Maßnahme Einwirkungen ausgeübt werden, insbesondere auch Nachbargebäude. […] Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA hat nachbarschützende Wirkung. Entsteht durch ein Bauvorhaben, das dieser Vorschrift nicht entspricht, eine Gefahr für geschützte Rechtsgüter eines Nachbarn, kann sich daraus für den Nachbarn ein Anspruch auf ordnungsrechtliches Einschreiten ergeben (vgl. OVG Magdeburg, Urteil vom 18. Februar 2015 – 2 L 22/13, Rz. 49 ff., zitiert nach Juris).

 

Bebauungsvorschriften, die nachbarschützenden Charakter besitzen, stellen gleichzeitig Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, etwa über die zulässige Geschosszahl, über Abstandsflächen, über Höhenbeschränkungen oder über die Tragfähigkeit des Baugrundes und die Standsicherheit baulicher Anlagen (z. B. Spindler, in: BeckOGK, Stand 1. Dezember 2023, Rdn. 284 zu § 823 BGB; vgl. auch das Bayerische Oberste Landesgericht, Urteil vom 15. November 1999 – 1Z RR 187/98, zitiert nach Juris, zu Art. 13 S. 3 BayBO).

 

bb.

 

Zu Recht hat die Kammer angenommen, dass die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA nicht nur für die Errichtung, sondern – wie im vorliegenden Fall in Rede stehend – auch für den Abriss eines Gebäudes gilt. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO LSA muss eine bauliche Anlage im Ganzen und in ihren Teilen für sich allein standsicher sein, wobei die Standsicherheit anderer Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke nicht gefährdet werden darf. Die Vorschrift gilt daher vordergründig für bauliche Anlagen. Dessen ungeachtet folgt aus der Systematik der Regelungen der BauO LSA ihre Anwendung auch auf den Abriss einer baulichen Anlage.

 

Für die Beseitigung baulicher Anlagen gilt nämlich nach § 3 Abs. 4 BauO LSA in der vorliegend auf einen Abriss im Herbst 2013 anwendbaren, in der vom 10. September 2013 bis zum 14. Oktober 2016 geltenden Fassung die Vorschrift des § 3 Abs. 1 BauO LSA entsprechend bzw. sinngemäß (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 22. Juli 2013 – 2 M 82/13, Rz. 20, zitiert nach Juris). Insofern kann der Zustand eines Grundstücks nach dem Abbruch eines Gebäudes also gegen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA verstoßen, wonach Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Hat der Abriss einer baulichen Anlage aber die Anforderungen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 BauO LSA einzuhalten, gilt für den Abriss einer baulichen Anlage – nicht anders als für deren Errichtung – auch die Konkretisierung dieser Generalklausel in der Vorschrift über die Standsicherheit in § 12 Abs. 1 BauO LSA.

 

cc.

 

Nicht aufgeklärt ist allerdings bislang, ob die Standsicherheit der Gebäude des Klägers bzw. die Tragfähigkeit seines Grundstücks gefährdet ist, und zwar gerade durch den seinerzeitigen Abriss der Gebäude der Beklagten.

 

Hierzu ist die Kammer auf das Bestreiten der klägerischen Behauptung durch die Beklagte verfahrensfehlerhaft zu der Feststellung gelangt, dass der Abriss des Gebäudes der Beklagten sowohl die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers als auch die Tragfähigkeit seines Grundstücks nicht unmittelbar gefährde.

 

Die Kammer hat ihre Feststellung allein unter Bezugnahme auf privatgutachterliche Stellungnahmen getroffen, die der Kläger in diesem Verfahren vorgelegt hat. Die Kammer hat nämlich hierbei zugrunde gelegt die Ausführungen des Dipl.-Geologen G. in seiner Stellungnahme zur Standsicherheit der Böschung am ehemaligen Technikgebäude vom 4. März 2014 für die Prüfgesellschaft für Straßen- und Tiefbau mbH & Co. KG (K 3, Anlagenband), die Ausführungen der Ingenieure F. und K. in ihrer Stellungnahme „Maßnahmen zur Einhaltung der Standsicherheit“ vom 29. April 2014 (K 4, Anlagenband) sowie die Ausführungen des Ingenieurs F. in seiner Baustatischen Stellungnahme vom 22. November 2019 (K 6, Anlagenband) und in seinem „Nachtrag zur Baustatischen Stellungnahme vom 29. April 2014“ vom 12. November 2021 (K 14, Anlagenband).

 

Insofern hat die Kammer – soweit ersichtlich ohne eigene sachverständige Expertise – über die unter den Parteien streitige Behauptung des Klägers entschieden, dass die Beklagte den Abriss ihrer Gebäude durchgeführt habe, ohne anschließend für eine zureichende Standsicherheit der Gebäude des Klägers zu sorgen bzw. die Tragfähigkeit des Baugrundes des Klägers sicherzustellen, obwohl hierüber Beweis durch Einholung des gebotenen und von dem Kläger auch schriftsätzlich angebotenen gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu erheben gewesen wäre.

 

3.

 

Der festgestellte Verfahrensmangel rechtfertigt die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, da aufgrund dieses Versäumnisses eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht sicher zu erwarten ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2018 – III ZR 105/17, zitiert nach Juris). Den nach § 538 Abs. 2 Satz 1, 2.Hs. ZPO erforderlichen Antrag auf Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht hat der Kläger gestellt. Unter Abwägung aller Umstände ist im Streitfall die Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges sachdienlich.

 

Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO und der eigenen Sachentscheidung nach § 538 Abs. 1 ZPO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. Die Aufhebung und Zurückverweisung wegen einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme ist allerdings auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz voraussichtlich zu größeren Nachteilen führt als die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz (z. B. BGH, Urteil vom 20. Juli 2011 – IV ZR 291/10, zitiert nach Juris).

Der Senat übt das ihm eingeräumte Ermessen im vorliegenden Fall dahin aus, wegen des aufgezeigten Verfahrensfehlers keine eigene Sachentscheidung zu treffen, sondern das Verfahren unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Bei der Abwägung zwischen Selbstentscheidung und Aufhebung und Zurückverweisung muss berücksichtigt werden, dass es gerade Aufgabe der ersten Instanz ist, die zur (Schluss-) Entscheidung in einem Verfahren erforderlichen Beweise schon im ersten Rechtszug zu erheben. Grundsätzlich ist zu verhindern, dass die tatsächlichen Grundlagen für die Entscheidung des Berufungsgerichts erst im zweiten Rechtszug geschaffen werden müssen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. Dezember 2015 – 2 UF 40/15, zitiert nach Juris). Hier hat der festgestellte Verfahrensverstoß zur Folge, dass eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens notwendig wird. Eine Zurückverweisung an das Erstgericht erscheint daher ausnahmsweise gerechtfertigt.

 

Die Zurückverweisung ist damit, auch wenn sie zur Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führen mag, vorliegend gleichwohl als sachdienlich anzusehen, weil allein der Gesichtspunkt der Prozessökonomie die Erhebung der notwendigen Beweise durch das Berufungsgericht nicht rechtfertigt. Den Parteien würde damit eine Tatsacheninstanz genommen. Die Zurückverweisung dient aber auch dem Interesse der Parteien an der Erhaltung einer Überprüfungsmöglichkeit durch die Berufungsinstanz, da nach der Neufassung des § 513 ZPO keine umfassende zweite Tatsacheninstanz mehr eröffnet ist, sondern in erster Linie eine Fehlerprüfung stattfindet. Der Kläger hat durch seinen Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung signalisiert, dass er auf eine Erhaltung der ersten Instanz als Tatsacheninstanz Wert legt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 20. März 2019 – 1 U 71/18, zitiert nach Juris).

 

III.

 

Aufhebende und zurückverweisende Berufungsurteile sind gem. § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, weil aus ihnen insoweit die Vollstreckung betrieben werden kann, als erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils das Vollstreckungsorgan gem. §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nötigt, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffene Maßnahmen aufzuheben (z. B. Heßler, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl., Rdn. 59 zu § 538 ZPO). Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

 

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).