Unzulässige Meinungsäußerung einer ehrverletzenden Äußerung
nach Interessensabwägung
OLG Frankfurt, Beschluss vom
15.02.2024 - 16 U 93/23 -
Kurze Inhaltsangabe:
In einem Onlineportal der Verfügungsbeklagten zu 1. war ein Beitrag der Verfügungsbeklagten zu 2. mit der Überschrift „Held*innen der Demokratie? So fördern wir mit unseren Steuergeld
Frauenhass“ veröffentlicht, gegen den sich die Verfügungsklägerin mit einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag dagegen wandte, sie als „Mann“ zu bezeichnen, wenn dies geschehe wie in
der Äußerung in dem Beitrag „Anstatt eine junge Doktorandin zu unterstützen, die seit Monaten attackiert, auf offener Straße verfolgt und sogar
körperlich angegriffen wird, unterstützt die Stiftung lieber einen 60-jährigen Mann, der an der Spitze eines Lobby-Vereins steht und maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist, dem A seit Monaten
ausgesetzt ist“. (Nachfolgend werden die Parteien als Klägerin und Beklagte benannt). Das Landgericht gab einem entsprechenden Verfügungsantrag der Klägerin statt und bestätigte diese nach
Einspruch sodann mit dem angefochtenen Urteil. Das OLG erließ einen Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO, mit dem es darauf hinwies, die Berufung der Beklagten zurückweisen zu wollen. Mit dem
Beschluss vom 14.02.2024 wies das OLG die Berufung zurück.
Sowohl unter Berücksichtigung des Satzes, in dem die Bezeichnung der der Klägerin als Mann erfolgte, wie auch aus dem Gesamtkontext des Beitrages stelle der Beitrag eine Meinungsäußerung dar,
durch die die Klägerin herabgewürdigt würde. Bei der Sinndeutung käme es nicht darauf an, wie der Äußernde seine Aussage verstanden wissen wollte, sondern darauf, wie ein verständiges
Durchschnittspublikum des Publikation unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und Kontextes, der „Eigengesetzlichkeiten“ des jeweiligen Übertragungsmediums sowie der erkennbaren
Begleitumstände der jeweiligen Äußerung verstünde.
Unter Berücksichtigung der Struktur des Satzes und der dort verwandten stilistischen Mittel, in dem die Bezeichnung „Mann“ verwandt würde, enthalte
diese Bezeichnung für den Leser eine herabwürdigende Bedeutung. Der Beitrag enthalte auch eine rhetorische Steigerung der für die Klägerin verwandten Bezeichnung, die in dem Schlusssatz in der
Formulierung „Mann“ gipfele. Die deutliche Herabsetzung würde auch in der Gegenüberstellung der jungen Doktorandin, nach Auffassung der Autorin das Opfer, und dem über 60-jährigen „Mann“ die die
finanzielle Unterstützung durch die Stiftung nicht verdient habe, und in dem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang mit einer Beteiligung am „Frauenhass“ deutlich, da durch die Verwendung des
Begriffs eine deutlich herabsetzende im konkreten Zusammenhang für den Leser vermittelt würde. Das OLG ging auch von einer bewussten Bezeichnung „Mann“ aus, da der Autorin die Lebensgeschichte
und das biologische Geschlecht der der Klägerin ausweislich des Beitrages bekannt gewesen sei.
Das OLG ging von einer Meinungsäußerung bei der streitgegenständlichen Äußerung aus, da es sich um eine einheitliche wertende Zusammenfassung der in dem Beitrag ausgedrückten Kritik an den
Ergebnissen um die Anfeindungen, denen sich A ausgesetzt sehe, handele. Eine Trennung des Satzes in eine zusammenfassende Kritik zum Vorgehen der Stiftung und eine Tatsachenbehauptung über
das biologische Geschlecht der Klägerin sei nicht ersichtlich. Die Bezeichnung „Mann“ sei sowohl grammatikalisch als auch vom Sinngehalt vollständig eingebettet und für den Leser nicht als
eigenständige Äußerung zum Geschlecht der Klägerin erkennbar.
Diese Meinungsäußerung sei unzulässig. Zwar könnten auch scharfe und auch abwertende Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt sein, auch wenn der Betroffene sie ehrverletzend empfinde. Es
sei allerdings bei ehrverletzenden Äußerungen eine Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung der Klägerin als
„Mann“ um einen Eingriff in einen zentralen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handele, was zu Gunsten der Klägerin besonders zu gewichten sei. Mit der Bezeichnung würde ihr ihre seit
Jahrzehnten nach außen gelebte geschlechtliche Identität abgesprochen, was sie nicht hinnehmen müsse.
Aus den Gründen:
Tenor
Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 06.07.2023 - Az. 2-03 O 149/23 - wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsbeklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Bezeichnung der Verfügungsklägerin als „Mann“ in einem auf dem Onlineportal der Beklagten zu 1) am 03.02.2023 veröffentlichten Beitrag der Beklagten
zu 2) mit dem Titel „Held*innen der Demokratie? So fördern wir mit unserem Steuergeld Frauenhass“.
Das Landgericht hat auf Antrag der Verfügungsklägerin vom 03.03.2023 mit Beschluss vom 17.03.2023 es den Verfügungsbeklagten untersagt, die Verfügungsklägerin als „Mann“ zu bezeichnen, wenn dies
geschieht wie in der Äußerung „Anstatt eine junge Doktorandin zu unterstützen, die seit Monaten attackiert, auf offener Straße verfolgt und sogar körperlich angegriffen wird, unterstützt die
Stiftung lieber einen über 60-jährigen Mann, der an der Spitze eines Lobby-Vereins steht und maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist, dem A seit Monaten ausgesetzt ist.“ aus dem
streitgegenständlichen Beitrag.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die einstweilige Verfügung vom 17.03.2023 bestätigt.
Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Hiergegen wenden sich die Verfügungsbeklagten mit ihrer Berufung. Sie machen geltend, dass der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung bereits wegen mangelnder Bestimmtheit unzulässig sei.
Zudem sei das Landgericht rechtfehlerhaft davon ausgegangen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Meinungsäußerung handele. Tatsächlich handele es sich um eine
Tatsachenbehauptung, deren Veröffentlichung auch zulässig sei, weil sie wahr sei. Dabei sei das Landgericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Äußerung untrennbarer
Bestandteil einer Meinungsäußerung sei. Vielmehr sei die streitgegenständliche Bezeichnung als „Mann“ in dem streitgegenständlichen Satz von der weiteren Äußerung zu der Stiftung zu trennen. Der
Satz enthalte zwei unabhängige Aussagen, einmal die Kritik an der Finanzierung eines Rechtsstreits zwischen der Beruf1 A und der Klägerin auf deren Seite und andererseits die Feststellung, dass
es sich bei der Klägerin um einen biologischen Mann handele. Zudem habe das Landgericht zu Unrecht nur auf den einen Satz als Kontext abgestellt und nicht den weiteren Gesamtkontext in dem
Beitrag berücksichtigt. Aus diesem gehe hervor, dass es sich bei der Bezeichnung als „Mann“ um nur eine Beschreibung des biologischen Geschlechts der Verfügungsklägerin handele. Im Hinblick auf
das biologische Geschlecht der Klägerin sei diese Tatsachenbehauptung wahr und hinzunehmen, da sie auch zu keiner schwerwiegenden Stigmatisierung führe. Selbst wenn man darin eine
Meinungsäußerung sehen wollen würde, sei diese entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht unzulässig, denn es habe Umstände zugunsten der Verfügungsklägerin fehlerhaft angenommen und solche
zugunsten der Verfügungsbeklagten hingegen außer Acht gelassen. Insbesondere gehe der Vorwurf einer bewussten Aberkennung der geschlechtlichen Identität der Verfügungsklägerin fehl. Es fehle
bereits an ausreichenden Hinweisen für eine entsprechende Intention der Verfügungsbeklagten. Es fehle insgesamt ein einer hinreichenden Grundlage für eine bewusste Verwendung des Begriffs zur
Herabwürdigung durch die Verfügungsbeklagten. Auch sei die Intensität des Eingriffs für die Verfügungsklägerin nur als gering zu betrachten, weil die Verfügungsklägerin offen mit ihrer
Lebensgeschichte auch im Hinblick auf ihr Geschlecht umgegangen sei. Die personenstandsrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei im Äußerungsrecht entgegen dem Landgericht nicht
anzuwenden. Zudem habe das Landgericht zugunsten der Verfügungsbeklagten nicht hinreichend gewichtet, dass die Äußerung auf einer wahren Tatsachengrundlage beruhe, die Pressefreiheit betroffen
sei und das Recht zum Gegenschlag für die Verfügungsbeklagten bestanden habe. Schließlich sei die Abwägung insgesamt fehlerhaft vorgenommen worden, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung
des Landgerichts vom 22.06.2023 in dem Verfahren zu Az. … in einem vergleichbaren Sachverhalt.
Die Verfügungsklägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt Zurückweisung der Berufung.
II.
Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 06.07.2023 ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen
Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung i.S. des § 546 ZPO zulasten der
Verfügungsbeklagten noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Hierauf hat der Senat mit Hinweisbeschluss vom 21.12.2023 hingewiesen. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Soweit die Verfügungsbeklagten auf den Hinweis Stellung genommen haben, vermag auch
das weitere Vorbringen keine abweichende Entscheidung des Senats zu begründen.
Im Einzelnen:
1. Auch im Lichte des weiteren Vortrags der Berufung stellt die Bezeichnung der Verfügungsklägerin als „Mann“ sowohl unter Berücksichtigung des Satzes, in dem die Äußerung von der Autorin
erfolgt, als unter Beachtung des Gesamtkontexts des Beitrags eine Meinungsäußerung der Autorin dar, durch die Klägerin herabgesetzt wird.
Für die vom Senat vorgenommene Sinndeutung und die Abgrenzung der Äußerungstypen kommt es entgegen der Berufung weder darauf an, wie der Äußernde seine Aussage gemeint hat oder verstanden wissen
wollte, noch darauf, wie der von der Äußerung Betroffene diese subjektiv aufgefasst hat. Abzustellen ist allein auf den Verständnishorizont des unvoreingenommenen und verständigen
Durchschnittspublikums der jeweiligen Publikation, und zwar unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und Kontextes, der „Eigengesetzlichkeiten“ des jeweiligen Übertragungsmediums
sowie der erkennbaren Begleitumstände der jeweiligen Äußerung (vgl. Korte, Praxis des Presserechts, 2. Aufl. § 2 Rn 162 m.w.N.; BGH Urteil vom 10.04.2018, VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861
„Bio-Hühnerställe“; BVerfG Beschluss vom 06.02.2010, 1 BvR 371/04, NJW 2010, 2103 „Ausländer-Rück-Führung“).
Gemessen daran, ist entgegen der Berufung die streitige Motivation der Autorin hinsichtlich der Verwendung der Bezeichnung als „Mann“ unmaßgeblich. Allein maßgeblich ist, wie der Leser diese
Bezeichnung im Kontext versteht. Wie bereits im Beschluss vom 21.12.2023 dargelegt, erhält unter Berücksichtigung der Struktur des Satzes und der dort verwendeten stilistischen Mittel, in dem die
Bezeichnung „Mann“ verwendet wird, für den Leser diese Bezeichnung eine herabwürdigende Bedeutung. Dies wird insbesondere für den Leser bewirkt durch die im Verlauf des Beitrags erfolgte gewisse
rhetorische Steigerung der von der Autorin für die Klägerin verwendeten Bezeichnungen, die in dem Schlusssatz in der Formulierung „Mann“ gipfelt. Durch die überdies in dem Satz erfolgte
Gegenüberstellung der jungen Doktorandin, die nach Auffassung der Autorin das Opfer ist, und dem über 60-jährigen „Mann“, der nach der Auffassung der Autorin die ihm von der Stiftung gewährte
finanzielle Unterstützung nicht verdient hatte, und in den unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang mit einer Beteiligung am „Frauenhass“ gerückt wird, wird eine deutlich herabsetzende Bedeutung
dieses Begriffes im konkreten Zusammenhang für den unvoreingenommenen Leser vermittelt.
Ein bewusster Einsatz der Bezeichnung „Mann“ für die Verfügungsklägerin durch die Autorin darf überdies unabhängig von den obigen Auslegungserwägungen unterstellt werden, da eine versehentliche
Verwendung aufgrund des Umstandes, dass der Autorin die Lebensgeschichte und das biologische Geschlecht der Klägerin ausweislich des Beitrags bekannt war, ausgeschlossen werden kann.
2. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen der Berufung hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine
Meinungsäußerung handelt. Für den verständigen Leser stellt der Satz, in dem die beanstandete Bezeichnung der Verfügungsklägerin als „Mann“ erfolgt, eine einheitliche wertende Zusammenfassung der
in dem Beitrag ausgedrückten Kritik der Autorin an den Ereignissen um die Anfeindungen, denen sich die Beruf1 A ausgesetzt sehe, der damit verbundenen rechtlichen Auseinandersetzung und dem
Umstand der Kostenübernahme der Verteidigungskosten der Verfügungsklägerin durch die Stiftung, dar. Nach dem zugrunde zu legenden Leserverständnis ist die von der Berufung vorgenommene Trennung
des Satzes in eine zusammenfassende Kritik zum Vorgehen der Stiftung und eine Tatsachenbehauptung über das biologische Geschlecht der Verfügungsklägerin nicht ersichtlich. Die Bezeichnung der
Verfügungsklägerin als „Mann“ ist in den Satz sowohl grammatikalisch als auch im Sinngehalt vollständig eingebettet und für den Leser nicht als eigenständige Äußerung zum Geschlecht der Klägerin
erkennbar. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Formulierung dieses Satzes an den Einleitungssatz angelehnt ist mit dem Unterschied, dass in der Einleitung die Verfügungsklägerin als
„Transfrau“ und im Schluss als „Mann“ bezeichnet wird. Das durchaus in Artikeln übliche Aufgreifen des Eingangs im Schlussteil ändert jedoch nichts daran, dass der Satz an sich vom Leser als eine
einheitliche Äußerung verstanden wird. Auch im Einleitungssatz wird die Bezeichnung als „Transfrau“ nicht als eigenständige Tatsachenbehauptung über die Verfügungsklägerin verstanden, sondern
vielmehr als eine begriffliche Umschreibung der Verfügungsklägerin, ohne ihren Namen nennen zu müssen, gleich der dort ebenfalls verwendeten anonymisierten Umschreibung der Beruf1 A als „eine
junge Doktorandin“, um die es als Protogonisten in den von der Autorin im Beitrag kritisierten Ereignissen geht.
3. Diese Meinungsäußerung ist entgegen der Auffassung der Berufung auch unzulässig. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass grundsätzlich auch scharfe und abwertende Äußerungen von der
Meinungsfreiheit geschützt sein können, selbst wenn der Betroffene sie als ehrschmälernd empfindet. Allerdings ist im Rahmen der bei ehrverletzenden Äußerungen vorzunehmenden Gesamtabwägung der
widerstreitenden Interessen vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung der Klägerin als „Mann“ um einen Eingriff in einen zentralen Bereich des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerin handelt, was zu ihren Gunsten besonders zu gewichten ist. Denn mit dieser Bezeichnung wird ihr ihre seit Jahrzehnten nach außen gelebte geschlechtliche
Identität abgesprochen, was von ihr nicht hinzunehmen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 48 Abs. 2, 47 Abs. 1 GKG.