Kurze Inhaltsangabe mit Anmerkung:
Wer verteilt muss auch einstecken können – so etwa könnte man die Entscheidung des LG Berlin zusammenfassen, mit der es den Antrag der Grünen Bundestagsabgeordneten Renata Künast auf Zulassung der Auskunft über Bestandsdaten zu bestimmten Seiten auf Facebook gegen deren Betreiber zurückwies.
Ausgangspunkt war ein Post auf Facebook, der auf einen Artikel in der Welt vom 24.05.2015 über Künast („…Politikerin … gerät in Erklärungsnot“) verwies, in welchem im Hinblick auf einen Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin … zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ sowie einer darin benannten Äußerung von Künast während einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus 1986 ausgeführt wurde:
„Während eine grüne Abgeordnete über häusliche Gewalt spricht, stellt ein CDU Abgeordneter die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Doch statt der Rednerin ruft, laut Protokoll, X (Anm.: Künast) dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“ Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay ?“
In dem Post soll der Verfasser nach den landgerichtlichen Entscheidungsgründen daraus neben einem Bild der antragstellenden Politikern die Aussage „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“ gebildet haben.
Die Antragstellerin bestritt nach den Entscheidungsgründen, dass sie Geschlechtsverkehr zwischen Kindern und Erwachsenen billigen würde, solange keine Gewalt im Spiel sei. Sie habe nie Geschlechtsverkehr mit Kindern (mit oder ohne Gewalt) befürwortet, vielmehr mit dem Zwischenruf nur darauf aufmerksam machen wollen, dass der falsche und pauschale Vorwurf in der stattfindenden Debatte im Abgeordnetenhaus keine Bewandtnis habe, da es bei Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen um Gewaltfreiheit gegangen sei. Weiterhin machte sie geltend, dass es sich bei bestimmten verwandten Begriffen um Beleidigungen gehandelt habe.
Das Landgericht stellte demgegenüber darauf ab, dass es sich bei den von der Antragstellerin beanstandeten Tweets um zulässige Meinungsäußerungen handeln würde, die dem Ersuchen auf Gestattung einer Auskunft entgegen stehen würden, § 14 Abs. 3 TMG iVm. § 3 Abs. 3 NetzDG. Es müsste der Tatbestand bestimmter strafrechtlicher Normen erfüllt sein und zudem dürften die Inhalte nicht gerechtfertigt sein.
Bei den beanstandeten Äußerungen würde es sich um Meinungsäußerungen, nicht um Tatsachenbehauptungen handeln. Eine Tatsachenbehauptung läge nur vor, wenn sie mit den Mitteln des Beweises überprüfbar sei. Danach könne auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruhe, eine Tatsachenbehauptung sein, wenn durch sie bei dem Adressaten der Eindruck eines konkreten, lediglich in einer Wertung eingekleideten Vorgangs entstünde. Würden Tatsachenbehauptung und Wertung zusammenwirken, sei der Text grundsätzlich insgesamt von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit) erfasst. Würde die Äußerung im Rahmen der Vermengung von Tatsachen und Meinung geprägt durch eine Stellungnahme, eines Dafürhaltens oder Meinens, sei sie als Werturteil und Meinungsäußerung insgesamt vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung geschützt, ohne dass eine isolierte Betrachtung stattfinden dürfe (BGH, Urteil vom 30.01.1996 - VI ZR 386/94 -).
Der Einfluss des Grundrechts würde verkannt, wenn der Äußerung ein Sinn gegeben würde, den sie objektiv nicht habe oder wenn ihr bei mehreren möglichen Deutungen eine Auslegung gegeben werde, ohne die anderen möglichen Auslegungen überzeugend auszuschließen. Verkannt würde das Grundrecht auch, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft würde, mit der Folge, dass sie am Grundrechtsschutz nicht teilnehmen würde (BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88 -). Stünde die Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung, könne nicht von Schmähung ausgegangen werden. Das gelte allenfalls dann nicht, wenn der diffamierende Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang nur als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine, was z.B. bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein könnte( BVerfG, Beschluss vom 05.12.2008 - 1 BvR 1318/07 -). Allerdings bleibe dies grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt; bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liege Schmähkritik nur ausnahmsweise vor.
Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen seien Reaktionen auf den Post eines Dritten auf Facebook (deren Betreiberin die Antragsgegnerin ist) gewesen. Der Post würde den Einwurf der Antragstellerin zitieren und so würdigen, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen würde. Auch wenn die Antragstellerin ihren Einwurf anders verstanden wissen will, würde er doch von der Öffentlichkeit als Zustimmung zu dem benannten Gesetzesentwurf der Grünen im Landtag von NRW verstanden. Wenn aber die Ausübung von Sex mit Kindern nur noch unter Strafe gestellt werden solle, wenn Gewalt im Spiel sei, hieße dies zum einen, dass es gewaltfreien Sex mit Kindern gäbe, zum anderen, dass er ohne Ausübung von körperlicher oder psychischer Gewalt toleriert würde. Nichts anderes würde in dem Post im zweiten Halbsatz („ist Sex mit Kindern doch ganz ok“) zum Ausdruck gebracht.
Die Reaktionen auf diesen Post seien zulässige Meinungsäußerungen. Sie seien zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin, die jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Entscheidung keine öffentliche Berichtigung oder Klarstellung vorgenommen habe, habe sich aber mit ihrem Zwischenruf zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit den Widerstand der Bevölkerung provoziert. Zudem müssten Politiker in stärkerem Maße Kritik hinnehmen als Privatpersonen (OLG Köln, Urteil vom 09.12.2014 - 15 U 148/14 -). Da damit alle Kommentare einen Sachbezug hätten, würden sie keine Diffamierung und damit keine Beleidigung nach § 185 BGB darstellen. Das gelte so für
- eine in ein Bild von Starwars eingefügte Äußerung „Knatter sie doch mal einer so wichtig durch, bis sie wieder normal wird!“ (das sei zwar geschmacklos, jedoch eine mit dem Stilmittel der Polemik angewandte sachliche Kritik, bei der es nicht um die Diffamierung der Person gehen würde und die Antragstellerin würde auch nicht zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht)
Anmerkung: Die Abgrenzung von (Formal-) Beleidigung und Schmähkritik zu (noch) zulässiger Meinungsäußerung ist im Einzelfall schwierig. Richtig hat das Landgericht vom Ansatz her getrennt zwischen einer rein privaten Fehde und einer Auseinandersetzung mit einer öffentlich interessierenden Frage, wobei sicherlich auch beachtlich ist, dass sich hier zunächst die Antragstellerin selbst äußerte und ihre Äußerung dann Gegenstand der weiteren, von ihr beanstandeten Tweets war. Wer, wie hier die Antragstellerin, im öffentlichen Leben steht, muss (zumal bei Bundestagsdebatten) hinnehmen, dass eventuell unbedachte Bemerkungen oder auch nur entsprechende Zwischenrufe Gegenstand einer Auslegung sind, die nicht notwendig dem entsprechen müssen, was tatsächlich gemeint war; es wäre an der Antragstellerin gewesen, statt evtl. unbedacht einen Zwischenruf zu machen (von dessen Auslegung sie sich nicht einmal öffentlich distanzierte), zunächst die gewählten Worte in ihrer Tragweite zu überdenken und erst dann auszusprechen. Wenn als Reaktion auf die (jedenfalls mögliche) Auslegung der Äußerung eines Politikers eine teils „überzeichnende“ Kritik erfolgt, die vom Grundsatz her für sich auch Schmähungen und Formalbeleidigungen enthält, so ist bei der Wertung richtigerweise (wie vom LG Berlin angenommen) auf den Kontext abzustellen: Ist die Kritik ausgerichtet auf die Äußerung, ist eine zulässige Meinungsäußerung solange anzunehmen, solange sie noch den Kernbereich der angegriffenen Äußerung betrifft und nicht darüber hinaus geht. Hier liegt die Schwierigkeit der (tatrichterlichen) Würdigung.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Der Antrag auf Anordnung der Zulässigkeit der Auskunftserteilung wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Verfahrenswert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Gestattung einer Auskunft über Daten mehrerer Nutzer der Beteiligten.
Die Antragstellerin ist eine bekannte Politikerin. Die Beteiligte betreibt die Internetplattform www. ....com, bei der die Nutzer die Möglichkeit haben, Textbeiträge, Fotos und Videos zu veröffentlichen.
Auf dieser Plattform stellten Unbekannte die auf den Seiten 4 bis 22 der Antragsschrift (Bl. 4 bis 22 d.A.) wiedergegebenen Äußerungen ein, welche auf einen Post Bezug nehmen, der seinerseits ein Foto und ein Zitat der Antragsteller aus einem Online-Artikel in der Welt vom 24.05.2015 unter der Überschrift „...-Politikerin ... gerät in Erklärungsnot“ (vgl. Bl. 20 bis 23 der Akte 27 O 433/19) aufgreift. Aufhänger dieses Artikels ist ein Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin von .../... zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ und einer darin aufgeführten Äußerung der Antragstellerin während einer Debatte des Berliner Abgeordnetenhauses im Jahres 1986. In dem hier maßgeblichen Absatz des „...-Beitrages“ heißt es:
„Während eine ... Abgeordnete über häusliche Gewalt spricht, stellt ein ...-Abgeordneter die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der ...n in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Doch statt der Rednerin ruft, laut Protokoll, Renate ... dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“ Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“
Hieraus hat der Post neben der Abbildung der Antragstellerin die Äußerungen gemacht „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“
Die Antragstellerin trägt vor, dass ihr ein Anspruch auf Gestattung der Auskunft über die Daten derjenigen Nutzer zustehe, die die streitgegenständlichen Äußerungen ins Netz gestellt hätten, da die betreffenden Äußerungen die Tatbestände der §§ 185 ff. StGB erfüllen würden. Es handele sich um unwahre Tatsachenbehauptungen, die wider besseres Wissen geäußert worden seien und geeignet seien, sie verächtlich zu machen. Es sei unwahr, dass sie Geschlechtsverkehr zwischen Kindern und Erwachsenen billigen würde, solange keine Gewalt im Spiel sei. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Geschlechtsverkehr mit Kindern – ganz gleich ob mit oder ohne Gewalt – befürwortet. Sie habe mit ihrem Zwischenruf darauf aufmerksam machen wollen, dass der falsche und pauschale Vorwurf des ...-Abgeordneten für die gerade stattfindende Debatte über häusliche Gewalt überhaupt keine Bewandtnis gehabt habe, da es bei dem Beschluss der ...n in Nordrhein-Westfalen um Gewaltfreiheit gegangen sei.
Weiterhin handele es sich bei Worten wie „Stück Scheisse“, „Krank im Kopf“, „altes ...s Drecksschwein“, „Geisteskrank“, „kranke Frau“, „Schlampe“, „Gehirn Amputiert“, Drecks Fotze“, „Sondermüll“, „Alte perverse Dreckssau“ um Beleidigungen. Die Äußerungen seien Paradebeispiele der sogenannten „Hatespeech“, die in einem Shitstorm auf sie niedergeprasselt seien.
Die Antragstellerin beantragt,
der Beteiligten zu gestatten, ihr Auskunft zu erteilen über die Bestandsdaten der auf der Plattform www. ....com unter den Nutzernamen
1. „...“, URL: https://www.... |
a. IP-Adressen, die von den Nutzern für das Hochladen der unter den Benutzernamen abrufbaren Beiträge verwendet wurden, nebst genauem Zeit des Hochladens unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunden und Zeitzone (Uploadzeitpunkt) |
b. Namen der Nutzer |
c. E-Mail-Adresse der Nutzer |
d. IP Adresse, die von den Nutzern zuletzt für einen Zugriff auf Ihre Benutzerkonten unter den oben aufgeführten Nutzernamen verwendet wurde, nebst genauen Zeitpunkt des Zugriffs unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunden und Zeitzone (Zugriffszeitpunkt). |
Die Beteiligte begehrt die Zurückweisung des Antrages und trägt vor:
Der geltend gemachte Anspruch auf Gestattung der Auskunft bestehe nicht. Sämtliche der in den inkriminierten Tweets enthaltenen Äußerungen würden zulässige Meinungsäußerungen darstellen. Außerdem könne nur Auskunft über IP-Adressen verlangt werden, die für den Upload der streitgegenständlichen Beiträge verwendet worden seien.
Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Gemäß § 14 Abs. 3 TMG darf der Diensteanbieter Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtwidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. Nach § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte solche, die den Tatbestand der §§ 86, 86 a, 89 a, 91, 100 a, 111, 126, 129 bis 129 b, 130, 131, 140, 166, 184 b in Verbindung mit 184 d, 185 bis 187, 201 a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuches erfüllen und nicht gerechtfertigt sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die von der Antragstellerin angeführten Äußerungen auf www.facebook.com stellen sich sämtlich als Meinungsäußerungen dar. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist. Auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, wird grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Werturteil und Meinungsäußerung in vollem Umfang vom genannten Grundrecht geschützt. Im Fall einer derart engen Verknüpfung der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung darf der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird (BGH NJW 1996, 1131, 1133 m. w. Nachw.).
Der Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit wird verkannt, wenn der Verurteilung eine Äußerung zugrundegelegt wird, die so nicht gefallen ist, wenn ihr ein Sinn gegeben wird, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat oder wenn ihr unter mehreren objektiv möglichen Deutungen eine Auslegung gegeben wird, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ferner verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft ist mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 m. w. Nachw.). Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Sachauseinandersetzung steht. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht erfordern damit regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2005 - 1 BvR 1917/04 -, juris, Rn. 22). Hiervon kann allenfalls ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 - 1 BvR 1318/07 -, juris, Rn. 16). Bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liegt Schmähkritik nur ausnahmsweise vor; sie bleibt grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Februar 2019 – 1 BvR 1954/17 –, Rn. 11, juris). Der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen endet erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung wird nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst (BVerfG a. a. O.).
Nach diesen Grundsätzen gilt hier folgendes:
Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen sind sämtlichst Reaktionen auf den Post, den ein Dritter auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Social-Media-Plattform eingestellt hat. Dieser Post zitiert einen von der Antragstellerin getätigten Einwurf und würdigt diesen so, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Auch wenn die Antragstellerin ihren Einwurf anders verstanden wissen will, wird der knappe, die Zwischenfrage des ...-Abgeordneten korrigierende Einwurf, wie dies der Online-Artikel der Welt vom 24.05.2015 zeigt, von der Öffentlichkeit als Zustimmung zu dem Gesetzesentwurf der Landtagsfraktion der ...n in NRW wahrgenommen. Soll aber die Ausübung von Sex mit Kindern nur noch dann unter Strafe gestellt werden, wenn Gewalt im Spiel ist, heißt dies zum einen, dass es gewaltfreien Sex mit Kindern gibt und, dass er ohne Ausübung von körperlicher und psychischer Gewalt toleriert wird. Nichts anderes drückt der zweite Halbsatz in dem Post „ist der Sex mit Kindern doch ganz ok“ aus. Die Antragstellerin muss sich daher die gesamte Äußerung des ersten Satzes des Post zurechnen lassen.
Bei den Reaktionen hierauf handelt es sich sämtlichst um zulässige Meinungsäußerungen. Sie sind zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin selbst hat sich aber mit ihrem Zwischenruf, den sie bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt hat, zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert. Zudem muss sie als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 09. Dezember 2014 – I-15 U 148/14 –, Rn. 33, juris).
Da alle Kommentare einen Sachbezug haben, stellen sie keine Diffamierungen der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
(1)
Die in ein Bild von Starwars eingefügte Äußerung „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“ ist eine sicherlich geschmacklose Kritik, die mit dem Stilmittel der Polemik sachliche Kritik übt. Es geht dem Äußernden erkennbar nicht darum, die Antragstellerin als Person zu diffamieren, sondern an der von ihr getätigten Äußerung Kritik zu üben. Es liegt daher keine Beleidigung nach § 185 StGB vor. Die Antragstellerin wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht.
(2)
Die Äußerung „Wurde diese „Dame“ vielleicht als Kind ein wenig viel gef... und hat dabei etwas von ihren Verstand eingebüßt. ...“ stellt wiederum eine polemische und überspitze, aber nicht unzulässige Kritik dar. Denn wie sich aus dem nachfolgenden Satz ergibt, geht es um eine auf die Äußerung der Antragstellerin bezogene Kritik. Dass die Äußerung sexualisiert ist, ist das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas. Eine Diffamierung und damit eine Beleidigung nach § 185 StGB der Antragstellerin lässt sich hieraus nicht ableiten.
(3)
Soweit die Antragstellerin geltend macht, es liege mit „Stück Scheisse“ und „Geisteskranke“ eine Formalbeleidigung vor, steht dem entgegen, dass wie sich aus dem zweiten Satz ergibt eine Auseinandersetzung in der Sache erfolgte, so dass eine Formalbeleidigung ausscheidet (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2017 – 324 O 217/17 –, Rn. 17, juris).
(4)
In der Bezeichnung „Pädophilen-Trulla“ kann eine Beleidigung nach § 185 StGB nicht erblickt werden.
(5)
Die Äußerung „Die alte hat doch einen Dachschaden die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch (brechen)“ steht ebenfalls im Kontext der im Post wiedergegebenen Äußerung. Sie stellt eine Kritik an der Äußerung der Antragstellerin dar und nicht losgelöst von der Äußerung an der Person der Antragstellerin selbst. Daher stellt sich auch diese Äußerung nicht als eine Diffamierung der Antragstellerin und damit als Beleidigung der Antragstellerin gemäß § 185 StGB dar.
(6)
In der auf den Post und damit auf die dort wiedergegebene Äußerung der Antragstellerin bezogene Äußerung „Mensch ... was bis Du Krank im Kopf!!!“ kann eine Beleidigung nach § 185 StGB nicht erblickt werden.
(7)
Auch der Kommentar „Pfui du altes ...s Dreckschwein ..“ steht in unmittelbaren Zusammenhang zu dem Post und nimmt Bezug auf ein Zwischenruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang stellt die Bezeichnung „Dreckschwein“ keine Beleidigung dar.
(8)
Der geschmacklose, polemische und überspitzte Kommentar „Der würde in den Kopf geschi ... War genug Platz da kein Hirn vorhanden war/ist“ bezieht sich erkennbar auf die von der Antragstellerin getätigte Äußerung. Auch er stellt sich daher als sachbezogene Kritik und nicht als Diffamierung und Beleidigung nach § 185 StGB dar.
(9)
Die auf den Post erfolgte Äußerung „Die ist Geisteskrank“ ist eine auf die Äußerung bezogene Kritik und keine Diffamierung der Antragstellerin. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.
(10)
Wie aus den Worten „bei solchen Aussagen´“ deutlich wird, handelt es sich bei der Aussage „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“ um eine auf die im Post bezogene Äußerung bezogene und damit sachbezogene Kritik. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt damit nicht vor.
(11)
Die Bezeichnung der Antragstellerin als krank stellt keine Beleidigung, sondern eine zulässige Meinungsäußerung dar. Der Sachbezug des Kommentars wird durch die Worte „sie weiß nicht mehr was sie redet“ ohne weiteres verdeutlicht.
(12)
Die Äußerung, die sind alle so krank im Kopf, stellt sich ebenfalls als Kritik an ihrer im Post wiedergegebenen Äußerung wieder, auf die dieser Kommentar erfolgte. Eine Beleidigung der Antragstellerin nach § 185 StGB kann hierin nicht erblickt werden.
(13)
Auch in dem Kommentar „Schlampe“ kann eine von der Äußerung im kommentierten Post losgelöste primär auf eine Diffamierung der Person der Antragstellerin und nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielende Äußerung nicht gesehen werden. Vielmehr ist auch dieser Kommentar ein Beitrag in einer Sachauseinandersetzung.
(14)
Gleiches gilt für den Kommentar „Gehirn Amputiert“. Auch dieser stellt sich als Beitrag im Rahmen einer Sachauseinandersetzung dar und zielt nicht primär auf die Diffamierung der Antragstellerin. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.
(15)
Für den Kommentar „Kranke Frau“ gilt das zuvor unter (13) und (14) gesagte.
(16)
Der Kommentar „Drecks Fotze“ bewegt sich haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren. Weil das Thema, mit dem sie vor vielen Jahren durch ihren Zwischenruf an die Öffentlichkeit gegangen ist sich ebenfalls im sexuellen Bereich befindet und die damals von ihr durch den Zwischenruf aus der Sicht der Öffentlichkeit zumindest nicht kritisierte Forderung der Entpönalisierung des gewaltfreien Geschlechtsverkehrs mit Kindern erhebliches Empörungspotential in der Gesellschaft hat, ist die Kammer jedoch der Ansicht, dass die Antragstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss. Dass mit der Aussage allein eine Diffamierung der Antragstellerin beabsichtigt ist, ohne Sachbezug zu der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung ist nicht feststellbar.
Das Bild verdeutlicht die Aussage, ich muss mich gleich übergeben, was der Ausdruck von Ablehnung ist, und sich klar auf die Äußerung bezieht. Eine Beleidigung liegt hier nicht vor.
(17)
Die Äußerung „Die will auch nochmal Kind sein weil sonst keiner an die Eule ran geht!“ ist eine mit dem Stilmittel der Ironie ausgedrückte Kritik an der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung der Antragstellerin. Die Antragstellerin wird entgegen ihrer Meinung in dem Kommentar nicht wirklich zum Objekt sexueller Vorstellungen gemacht. Sicherlich macht sich der Kommentar ein wenig über die Antragstellerin lustig, eine Beleidigung liegt aber nicht vor.
(18)
Die Bezeichnung der Antragstellerin als hohle Nuß, die entsorgt gehört und als Sondermüll, stellt sich als überspitzte Kritik dar. Da sich der Kommentar erkennbar auf die im Post wiedergegebene Äußerung bezieht und damit Sachbezug hat, stellt er sich nicht als diffamierend dar. Eine Beleidigung nach § 185 StGB ist nicht gegeben.
(19)
Der Kommentar „Schlamper“ stellt keine Beleidigung dar. Auf die Ausführungen unter (13) und (14) wird verwiesen.
(20)
Der Kommentar „... du Drecksau“ steht in unmittelbaren Zusammenhang zu dem Post und nimmt Bezug auf den dort wiedergegebenen Zwischenruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang stellt die Äußerung „... du Drecksau“ keine Beleidigung dar, wobei der unbefangene Durchschnittsleser nicht erkennen kann, was der Verfasser mit „...“ hat schreiben wollen. Es kann „verrecke“ sein, wie dies die Antragstellerin meint, zwingend ist dies aber nicht, es kann ebenso gut auch „...el“ sein.
(21)
Der Kommentar „Sie alte perverse Drecksau!!!!! Schon bei dem Gedanken an sex mit Kindern muss das Hirn weglaufen !!!!! Ich glaube, das ist bei den ...n auch so !!!!!“ nimmt Bezug auf die im kommentierten Post wiedergegebene Äußerung der Antragstellerin, an der er Kritik übt. Daher stellt sich die Äußerung Drecksau als ausfallende Kritik dar, jedoch nicht als diffamierend und beleidigend i.S.d. § 185 StGB.
(22)
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin versteht der unbefangene Durchschnittsleser den Kommentar „Sie wollte auch Mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“ nicht dahingehend, dass mit „Pädodreck“ die Antragstellerin bezeichnet wird. Vielmehr bezeichnet dies ihre Äußerung. Die Antragstellerin war diejenige, die sich mit dem Zwischenruf hervortun wollte, eben auch einmal die hellste Kerze sein wollte. Heraus kam „Pädodreck“. Die Bezeichnung „Pädodreck“ stellt sich hiermit als Kritik zu der im Post wiedergegebenen Äußerung dar. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.