Darlegung
und Beweisangebot für Abweichung mündlicher Beratung von Prospekt
BGH, Beschluss vom 23.03.2021 -
II ZR 5/20 -
Der Kläger beteiligte sich im März 2005 an einen in Form einer GmbH & Co. KG geführten geschlossenen Schiffsfonds, bei dem die beklagten zu 1 und 2 die Gründungskommanditisten, die Beklagte
zu 3 die Treuhänderin war. Mit seiner Klage begehrte er Zahlung von € 85.500,00 zuzüglich Nebenforderungen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus seiner Beteiligung. U.a. machte er eine den
Beklagten zurechenbare nicht anlagegerechte Beratung durch den Zeugen S. geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hob der BGH das Urteil des
Berufungsgerichts (Hanseatisches OLG Hamburg) auf und wies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Die Zurückweisung beruhte darauf, dass nach Ansicht des BGH
das OLG das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 GG) verletzt habe, indem es nicht den Berater (den zeugen S.) und die vom Kläger benannte Ehefrau des Klägers zu einer vom Kläger behaupteten
und dazu benannten, vom Prospekt abweichenden Beratung als Zeugen vernahm.
Das OLG habe die Auffassung vertreten, der Kläger habe dazu widersprüchlich und damit nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. So habe er schriftsätzlich vorgetragen, der Prospekt sei bei dem
Anlagegespräch mit dem Berater durchgeblättert worden, andrerseits, der Berater habe die Anlage als sicher und für die Altersvorsorge geeignet dargestellt. Das Landgericht habe den Kläger im
Termin darauf hingewiesen, dass doch zumindest die Lektüre des Prospekts erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Beraters hätten wecken können, da der Prospekt auf die
unternehmerische Natur der Beteiligung verwies und damit verbundene erhebliche Risiken. Der Kläger habe dazu (auch im Berufungsverfahren) keine Ausführungen gemacht.
Nach Auffassung des BGH stellte sich die Nichtberücksichtigung der Beweisangebote als entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs dar, Art. 104 GG, § 544 Abs. 9 ZPO.
Würde ein Beweisangebot, welches erheblich ist, ohne Stütze im Prozessrecht abgelehnt verstoße dies gegen Art. 103 GG. Dies sei auch dann der Fall, wenn die fehlende Berücksichtigung des
Beweisangebots darauf beruhe, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei stelle. In diesem Fall verschließe sich das Gericht dem Umstand, dass
eine Partei ihrer Darlegungslast schon dann genüge, wenn sie Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden
erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 22.06.2009 - II ZR 143/08 -). Garde dieser Anforderung habe aber der Vortrag des Klägers zu abweichenden Angaben des Beraters genügt. Dabei berücksichtigte
der BGH den Umstand, dass das OLG offen ließ, ob die Beklagten für eine nicht anlagegerechte Beratung durch den Berater haften würden (weshalb dies für das Revisionsverfahren zu unterstellen
ist).
Auch könne nicht darauf abgestellt werden, dass der Kläger nicht auf den Hinweis einer angeblichen Widersprüchlichkeit reagiert habe. Darauf hätte er nicht eingehen müssen. Genügt der Vortrag den
Anforderungen an die Substantiierung könne Vortrag zu weiteren Einzeltatsache nicht verlang werden; das Gericht müsse nur in die Lage versetzt werden zu entscheiden, ob aufgrund des tatsächlichen
Vorbringens die gesetzlichen Voraussetzungen für das geltend gemachte Recht vorliegen.
Das Landgericht und ihm folgend das OLG hätten die Substantiierungsanforderungen überspannt. Auch wenn in dem Prospekt eine Aufklärung des Beitrittsinteressenten (hier zu Risiken) erfolgte,
schließe dies nicht aus, unzutreffende (davon abweichende) Angaben des Vermittlers dem Gründungsgesellschafter zuzurechnen. Die zutreffenden Angaben und Aufklärung im Prospekt stelle sich nicht
als Freibrief dar, Risiken hiervon abweichend darzustellen und ein Bild zu zeichnen, welches die Hinweise im Prospekt für die Entscheidung des Anlegers entwerte oder mindere (u.a. BGH, Urteil vom
06.11.2018 – II ZR 57&16 -). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägers, obwohl er mit dem Berater gemeinschaftlich den Prospekt durchblätterte, den davon abweichenden Angaben des
Vermittlers vertraut habe. Ein Anleger, der die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse des Beraters oder Vermittlers in Anspruch nehme, würde den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen dieser
Person, die diese ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreite, ein besonderes Gewicht beimessen, gegenüber dem Prospektangaben, die in der Regel allgemein gehalten und mit Fachbegriffen
versehen seien, in den Hintergrund treten würden (BGH, Urteil vom 14.04.2011 - III ZR 27/10 -).
Damit war das Urteil aufzuheben, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei Erhebung der angebotenen Beweise anders entscheiden hätte.
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 12. Dezember 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis zu 110.000 €
Gründe
I. Der Kläger beteiligte sich am 31. März 2005 nach vorhergehender Beratung als Treuhandkommanditist mit 100.000 € zzgl. 3 % Agio an der "M." GmbH & Co. KG, einem geschlossenen
Schiffsfonds. Die Beklagten zu 1 und 2 sind Gründungskommanditistinnen der Beteiligungsgesellschaft, die Beklagte zu 1 ist die Treuhänderin.
Der Kläger hat von den Beklagten die Zahlung von 85.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus der Beteiligung an der Fondsgesellschaft, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten,
die Freistellung von allen Verpflichtungen aus der Beteiligung, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Neben zahlreichen
Prospektfehlern behauptet der Kläger eine nicht anlagegerechte Beratung des Zeugen S., die sich die Beklagten zurechnen lassen müssten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt
hat, indem es den Berater und die Ehefrau des Klägers nicht zu der behaupteten, vom Prospekt abweichenden mündlichen Beratung als Zeugen vernommen hat.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass keine Anhaltpunkte dafür bestünden, dass die fehlerfreien Prospektangaben durch Erklärungen im Rahmen des vor der Zeichnung der
Beteiligung am 29. März 2005 geführten Gesprächs mit dem Berater S. entwertet worden seien.
Dazu habe der Kläger erstinstanzlich widersprüchlich und damit nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Er habe schriftsätzlich ausgeführt, der Prospekt sei im Rahmen des Anlagegesprächs
gemeinsam mit dem Berater durchgeblättert worden und habe andererseits angegeben, der Berater habe die Anlage als sicher und für die Altersvorsorge geeignet dargestellt. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung habe das Landgericht zu bedenken gegeben, dass die Lektüre des Prospekts beim Kläger mindestens erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der behaupteten Aussagen des Beraters geweckt
haben könnte, da der Prospekt die unternehmerische Natur der Beteiligung und die damit verbundenen erheblichen Risiken deutlich herausstelle. Weder in dem Termin noch im Rahmen der eingeräumten
Schriftsatzfrist habe der Kläger dazu indes erläuternde Ausführungen gemacht, so dass das Landgericht zu Recht davon abgesehen habe, den Berater und die Ehefrau des Klägers als Zeugen zu
vernehmen. Auch in der Berufung habe sich der Kläger darauf beschränkt, den erstinstanzlichen Vortrag nur zu wiederholen.
2. Das Berufungsgericht hat damit in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 544 Abs. 9 ZPO).
Die Ablehnung der vom Kläger durch Vernehmung des Beraters sowie seiner Ehefrau angebotenen Beweise findet im Prozessrecht keine Stütze.
a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 65, 305, 307;
69, 141, 144; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010- VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10; Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 4). Das gilt auch dann, wenn die
Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat. Es verschließt sich in einem
solchen Fall der Erkenntnis, dass eine Partei ihrer Darlegungslast schon dann genügt, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht
als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2009 - II ZR 143/08, NJW 2009, 2598 Rn. 2).
b) Diesen Anforderungen genügte der Vortrag des Klägers zu von den zutreffenden Prospekthinweisen abweichenden Aussagen des Beraters bei dem Beratungsgespräch. Er hat vorgetragen, der
Berater habe die Beteiligung an dem geschlossenen Schiffsfonds als sicher und für die Altersvorsorge geeignet beschrieben, was den Prospektangaben zuwiderlief. Da das Berufungsgericht die Frage
offenlässt, ob die Beklagten für eine etwaige nicht anlagegerechte Beratung durch den Berater hafteten, genügte der Vortrag, um in Verbindung mit den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren
Sinn den Anspruch als entstanden erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rn. 37; Urteil vom 14. Mai 2012 - II ZR 69/12, ZIP 2012, 1289 Rn. 11; Urteil
vom 1. März 2011 - II ZR 16/10, ZIP 2011, 957 Rn. 7).
c) Das Urteil erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil der Kläger auf die angebliche Widersprüchlichkeit seines Vortrags hingewiesen worden ist und dieser dazu keine Stellung
mehr genommen hat. Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der Kläger zu weitergehenden Erläuterungen nicht verpflichtet.
Genügt das Parteivorbringen den Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, ZIP 2007,
1524 Rn. 8). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend
gemachten Rechts vorliegen (BGH, Urteil vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 16).
Insoweit hat schon das Landgericht und ihm folgend das Berufungsgericht die Substantiierungsanforderungen überspannt. Die Verwendung eines Prospekts zur Aufklärung der Beitrittsinteressenten
schließt es nicht aus, unzutreffende Angaben des Vermittlers dem Gründungsgesellschafter zuzurechnen. Vermittelt der Prospekt hinreichende Aufklärung, ist dies kein Freibrief, Risiken abweichend
hiervon darzustellen und mit Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt für die Entscheidung des Anlegers entwertet oder mindert (BGH, Urteil vom 6. November 2018 - II ZR
57/16, ZIP 2019, 22 Rn. 16; Urteil vom 17. April 2018 - II ZR 265/16, ZIP 2018, 1130 Rn. 27; Urteil vom 4. Juli 2017 - II ZR 358/16, ZIP 2017, 1664 Rn. 11; Urteil vom 14. Mai 2012 - II ZR 69/12,
ZIP 2012, 1289 Rn. 12; Urteil vom 12. Juli 2007 - III ZR 83/06, ZIP 2007, 1866 Rn. 10 für den Anlagevermittler; Urteil vom 19. November 2009 - III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rn. 24; Urteil vom 19.
Juni 2008 - III ZR 159/07, juris Rn. 7 für den Anlageberater).
Auch wenn - wie hier - der Kläger selbst vorträgt, den Prospekt gemeinsam mit dem Berater durchgeblättert zu haben, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auf die davon abweichenden
mündlichen Erklärungen des Vermittlers vertraut hat. Der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nimmt,
misst den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Beraters oder Vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die notwendig allgemein
gehaltenen und mit zahlreichen Fachbegriffen versehenen Prospektangaben treten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 - III ZR 27/10, NJW-RR 2011, 1139
Rn. 7; Urteil vom 22. Juli 2010 - III ZR 203/09,NJW-RR 2010, 1623 Rn. 15).
III. Auf dieser Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht die Entscheidung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach der Erhebung der
angebotenen Beweise anders entschieden hätte.