Erbrecht


Fall der Anfechtung der Erbausschlagung trotz unterlassener Feststellungen zum Nachlass

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.01.2020 - 3 Wx 167/19 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Stadt D. veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin und teilte den Beteiligten (den 11 Kindern der Erblasserin) mit Schreiben vom 24.07.2013 mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 zugunsten aller Beteiligten wegen unbilliger Härte von einer Kostenersatzforderung Abstand zu nehmen. Gleichzeitig teilte sie mit, dass dies die beteiligten nicht von der Erbschaft befreie und empfahl die Erbschaft auszuschlagen. Die Beteiligten zu 1, 3 und 7 schlugen daraufhin die Erbschaft aus und teilten dabei mit, dass ihnen die Zusammensetzung des Nachlasses nicht bekannt sei.  Am 09.08.2018 teilte der Beteiligte zu 12 mit, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf eines Grundstücks auf € 35.000,00. Die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 erklärten nunmehr die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung. Die Beteiligte zu 1 gab an, angenommen zu haben, dass die bestehenden Verbindlichkeiten den Wert des Grundstücks übersteige; von den Beteiligten zu 3 und 7 wurde geltend gemacht, nichts von dem Grundstück gewusst zu haben. Die Beteiligte zu 1 gab an, sie habe annehmen müssen, der Nachlass sei überschuldet.

 

Im Dezember 2018 beantragte die Beteiligte zu 3 die Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 ausweist. Dieser Antrag wurde vom Nachlassgericht mit Beschluss vom 18.07.2019 zurückgewiesen, da nach seiner Auffassung die Erbausschlagung nicht erfolgreich angefochten worden sei. Gegen diesen Beschluss legten die Beteiligten zu 2, 3 und 8 Beschwerde ein. Nachdem das Nachlassgericht dieser nicht abgeholfen hatte, musste das zuständige OLG entscheiden. Es half der Beschwerde ab.

 

Das OLG ging dabei von einem Anfechtungsgrund in Form eines Eigenschaftsirrtums gem. § 1954 Abs. 1 BGB iVm. § 119 Abs. 2 BGB aus. Zwar würde ein Irrtum über die Größe des Nachlasses grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund darstellen, da nicht der Wert selbst, sondern die wertbildenden Faktoren als Eigenschaften anzusehen seien. Würde eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen, könne dies nicht angefochten werden, wenn sich späterhin wertvolle Nachlassgegenstände herausstellen würden oder ein vorhandener Nachlassgegenstand als wertvoll herausstelle.

 

Allerdings gehöre die Zusammensetzung des Nachlasses zu den Eigenschaften der Erbschaft. Ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass könne daher eine Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft rechtfertigen, wenn es sich dabei um wesentliche Eigenschaften handele. Dies würde bei einem Irrtum zur Frage der Überschuldung angenommen, wenn der Irrtum auf falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder –verbindlichkeiten beruhe, nicht aber bei einer fehlerhaften Einschätzung des Wertes. Wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses eine Fehlvorstellung von dessen Größe habe, sei daher nicht zur Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung berechtigt, da es sich bei der zugrundeliegenden Annahme bzw. Ausschlagung um eine spekulativem bewusst ungesicherte Entscheidung handeln würde.

 

 

Vorliegend hätte sich zwar die Beteiligten 1 bis 3 und 7 nach ihren Ausschlagungserklärungen keine vertieften Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sie mit der Ausschlagung einer ausdrücklichen Empfehlung der Stadt D. gefolgt seien. Auch wenn sich aus dem Schreiben der Stadt ergäbe, dass die Anerkennung einer unbilligen Härte für den Verzicht auf den Kostenerstattungsanspruch auf Angaben der Beteiligten 1, 3, 8 und 11 beruhe, habe für die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 keine Veranlassung bestanden anzunehmen, dass die Empfehlung der Stadt nicht auf einer eigenen (behördlichen) Einschätzung bezüglich einer Überschuldung des Nachlasses beruhe. Damit beruhe die Ausschlagung auf der irrtümlichen Annahme, die Stadt habe eine Überschuldung des Nachlasses festgestellt. Hinzu käme, dass nach den Angaben der Beteiligten zu 3 Erfahrungen über ständige Vollstreckungen bei den Eltern bestanden hätten, weshalb in einem solchen Fall nicht davon gesprochen werden könne, die Entscheidung der Anfechtenden sei auf einer spekulativen, bewusst ungesicherten Grundlage getroffen worden. Der Irrtum sei hier auch kausal.

 

Aus den Gründen:

 

 Tenor

 

Der angefochtene Beschluss wird geändert:

 

Das Nachlassgericht wird angewiesen, auf den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 vom 18. Dezember 2018 den beantragten Erbschein zu erteilen.

 

Beschwerdewert: 35.000,00 €

 

Gründe

 

I.

 

Die Beteiligten zu 1 bis 11 sind die Kinder der Erblasserin.

 

Die Stadt D veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin. Mit Schreiben vom 24. Juli 2013 teilte sie mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 könne zu Gunsten der Beteiligten zu 1 bis 11 eine unbillige Härte anerkannt werden, weswegen von einer Kostenersatzforderung bezüglich der Bestattungskosten abgesehen werde. Weiter heißt es in dem Schreiben:

 

„Da diese unbillige Härte Sie jedoch nicht von der Erbschaft befreit, füge ich diesem Schreiben eine Kopie der Sterbeurkunde Ihrer Mutter bei und empfehle Ihnen das Erbe beim Nachlassgericht ... oder bei dem für Ihren Wohnort zuständigen Nachlassgericht auszuschlagen.“

 

Daraufhin schlugen die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 die Erbschaft aus. Zur Begründung gab die Beteiligte zu 1 an, der Nachlass dürfte überschuldet sein. Die Beteiligte zu 2, 3 und 7 erklärten, die Zusammensetzung des Nachlasses sei ihnen nicht bekannt.

 

Nachdem der Beteiligte zu 12 mit Schreiben vom 9. August 2018 mitgeteilt hatte, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf von Grundeigentum und Begleichung aller Verbindlichkeiten auf ca. 35.000,00 €, erklärten die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärungen. Zur Begründung führten die Beteiligten zu 3 und 7 an, sie hätten nicht gewusst, dass die Erblasserin über Grundeigentum verfügt habe. Die Beteiligte zu 1 machte geltend, sie habe angenommen, dass die Verbindlichkeiten den Wert des Grundeigentums überstiegen. Die Beteiligte zu 2 trug vor, sie habe annehmen müssen, der Nachlass sei überschuldet gewesen.

 

Am 18. Dezember 2018 hat die Beteiligte zu 3 Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge beantragt, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 Anteil ausweist.

 

Der Beteiligte zu 5 ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, die Anfechtungen seien unwirksam. Die ausschlagenden Miterben hätten die Ausschlagung erklärt, ohne überhaupt den Versuch unternommen zu haben, sich über den Nachlasswert zu informieren. Dadurch seien sie das Risiko eingegangen, dass der Nachlasswert höher sei als von ihnen angenommen. Hierin sei kein zur Anfechtung berechtigender Eigenschaftsirrtum zu sehen.

 

Mit Beschluss vom 18. Juli 2019 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag vom 18. Dezember 2018 zurückgewiesen, weil die Erbausschlagungen nicht erfolgreich angefochten worden seien, so dass der Erbschein nicht zu Gunsten sämtlicher im Erbschein aufgeführter Erben erteilt werden könne. Da die Beteiligten zu 2, 3 und 7 angegeben hätten, keine Angaben zum Nachlass machen zu können, könnten sie sich im Nachhinein nicht darauf berufen, sich bezüglich des Wertes geirrt zu haben. Dass das Bürger- und Ordnungsamt der Stadt D mitgeteilt habe, der Nachlass sei überschuldet, lasse sich dem Brief nicht entnehmen. Vielmehr habe sich das Amt allein auf die Angaben der Miterben bezogen. Bezüglich der Beteiligten zu 1 dürfte eine Vermutung der Überschuldung ohne echte Anhaltspunkte nicht ausreichen, um die Ausschlagung der Erbschaft wegen Irrtums anzufechten.

 

Dagegen wenden sich die Beteiligten zu 2 und 8 mit ihren Beschwerden. Die Beteiligte zu 2 macht geltend, da sie keine Auskunft über den Nachlass erhalten habe, habe sie sich auf die Aussage des Bürger- und Ordnungsamts verlassen müssen. Erst aufgrund der Tätigkeit des Beteiligten zu 12 habe sie erfahren, dass die Erblasserin Miteigentümerin einer Immobilie gewesen sei. Der Beteiligte zu 8 macht geltend, er wolle, dass alle im Erbscheinsantrag genannten Personen Erben würden.

 

Die Beteiligte zu 3 hat sich ebenfalls gegen die Entscheidung des Amtsgerichts beschwert und vorgetragen, dem Schreiben des Bürger- und Ordnungsamts sei ein Telefongespräch vorausgegangen, in dem ihr mitgeteilt worden sei, der Nachlass sei überschuldet. Ihre Familie sei immer verschuldet und auf Unterstützung angewiesen gewesen. Gerichtsvollzieher seien „ein und aus“ gegangen. Wegen ständiger Mietschulden hätten sie ca. 14 bis 15mal die Wohnung wechseln müssen. Sie habe deshalb keine Veranlassung gesehen, die Erklärung der Stadt D in Zweifel zu ziehen und sei der Empfehlung, das Erbe auszuschlagen, gefolgt. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2019 hat die Beteiligte zu 3 ihre Beschwerde zurückgenommen, weil sie sich aufgrund einer Erkrankung ihres Ehemannes nicht in der Lage fühle, „einen Prozess zu führen.“

 

Mit weiterem Beschluss vom 19. August 2019 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.

 

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

 

II.

 

Die gem. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 8 ist nach der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gem. § 68 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen.

 

Die Beschwerde ist begründet.

 

Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts haben die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 ihre Ausschlagungserklärungen wirksam angefochten. Ein Anfechtungsgrund in der Form eines Eigenschaftsirrtums gem. § 1954 Abs. 1 i.V.m. § 119 Abs. 2 BGB liegt vor.

 

Allerdings stellt ein Irrtum über die Größe des Nachlasses grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund dar, da nicht der Wert selbst, sondern die wertbildenden Faktoren als Eigenschaften anzusehen sind (Leipold, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1954 Rn. 12). Wer eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen hat, kann dies nicht anfechten, wenn sich später das Vorhandensein eines wertvollen Nachlassgegenstandes herausstellt oder sich ein Nachlassgegenstand als wertvoller herausstellt, als bei der Ausschlagung angenommen wurde (Senat, Beschluss vom 5. September 2008 - I-3 Wx 123/08; BayObLG NJW-RR 1995, 904; Otte, in: Staudinger, BGB; Neubearbeitung 2008, § 1954 Rn. 14). Zu den Eigenschaften der Erbschaft gehört dagegen die Zusammensetzung des Nachlasses, so dass ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass zur Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung berechtigen kann, wenn es sich dabei um eine wesentliche Eigenschaft handelt (vgl. KG OLGZ 1993, 1; Leipold, a.a.O., Rn. 11). Das wird bei einem Irrtum darüber angenommen, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht, sofern der Irrtum auf falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder -verbindlichkeiten beruht, nicht aber auf einer fehlerhaften Einschätzung des Wertes (Senat, ErbR 2015, 91; FamRZ 2011, 1171; OLG Stuttgart FamRZ 2009, 1182; KG NJW-RR 2004, 941; BayObLG NJW 2003, 2016; Leipold, a.a.O., Rn. 13 f.). Daraus folgt zugleich, dass nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag; mit anderen Worten sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer, bewusst ungesicherter, Grundlage getroffen hatte (Senat FGPrax 2019, 273; ZEV 2019, 263; ZEV 2016, 721).

 

Im vorliegenden Fall haben sich die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 ausweislich ihrer Ausschlagungserklärungen zwar keine vertieften Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht. Die Beteiligte zu 1 hat angegeben, der Nachlass dürfte überschuldet sein, während die Beteiligten zu 2, 3 und 7 erklärt haben, die Zusammensetzung des Nachlasses sei ihnen nicht bekannt. Allerdings sind die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 bei der Ausschlagung der Erbschaft einer ausdrücklichen Empfehlung der Stadt D im Schreiben vom 24. Juli 2013 gefolgt. Auch wenn aus dem Text des Schreibens hervorgeht, dass die Anerkennung einer unbilligen Härte auf den Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 beruhte, bestand für die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Empfehlung der Stadt D nicht auf einer eigenen (behördlichen) Einschätzung bezüglich der Überschuldung des Nachlasses beruhte. Die Erbausschlagung der Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 folgte danach der irrtümlichen Annahme, die Stadt D habe eine Überschuldung des Nachlasses festgestellt. Wie die Beschwerdebegründung der Beteiligten zu 3 gezeigt hat, dürfte sich diese Annahme auch mit den Erfahrungen der Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 in ihrer Kinder- und Jugendzeit gedeckt haben, so dass keine Veranlassung bestand, die Empfehlung der Stadt D anzuzweifeln. In einem solchen Fall kann keine Rede davon sein, dass die Anfechtenden ihre Entscheidung auf einer spekulativen, bewusst ungesicherten Grundlage getroffen hätten (vgl. Senat a.a.O.).

 

Der Irrtum der Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 ist kausal für die Erbausschlagung geworden. Es besteht kein Zweifel, dass sie bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles (§ 119 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB) die Ausschlagung nicht erklärt hätten. Die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 haben die Anfechtung fristgerecht erklärt, nämlich binnen sechs Wochen nachdem sie Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erlangt hatten (§ 1954 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Infolge der wirksamen Anfechtungen ist der Erbschein so, wie von der Beteiligten zu 3 beantragt, zu erteilen.

 

III.

 

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

 

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG besteht kein Anlass.

 

Die Wertfestsetzung stützt sich auf §§ 40 Abs. 1 Nr. 2, 61 GNotKG.