Die (kostenfreie) datenschutzrechtliche Erstauskunft versus
Auskunft aus Patientenakte nach § 639g BGB
LG Dresden, Urteil vom 29.05.2020 - 6 O 76/20 -
Kurze Inhaltsangabe:
§ 630g BGB regelt, dass der Patient ein Einsichtsrecht in seine ihn betreffende Patientenakte hat. Nach § 630g Abs. 2 BGB kann er auch gegen Kostenerstattung Abschriften aus der Akte
verlangen. Allerdings ist das LG Dresden der Ansicht, dass bei Verlangen auf Überlassung von Behandlungsunterlagen nicht notwendig ein Kostenerstattungsanspruch des Arztes (oder Krankenhauses)
besteht.
Im Streitfall hatte die klagende Patientin einen Behandlungsfehler des beklagten Krankenhauses geltend gemacht und ging von einem Schmerzensgeldanspruch von € 40.000,00 aus. Unter Verweis nicht
auf § 630g BGB sondern unter Berufung auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) begehrte sie von dem beklagten Krankenhaus unentgeltliche Auskunft über ihre dort gespeicherten
personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen Behandlungsdokumentation im PDF-Format. Das Krankenhaus vertrat die Auffassung, es könne eine Kostenerstattung gem. § 630 Abs. 2 BGB
fordern. Das Landgericht gab der Klage statt; obwohl es die Berufung zugelassen hatte, wurde vom beklagten Krankenhaus kein Rechtsmittel eingelegt.
Das Landgericht nahm an, dass der Klägerin der Anspruch neben der spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB auch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO zustehen würde. Im Rahmen der stationären Behandlung
der Klägerin seien von ihr personenbezogene Daten gespeichert worden. Daraus ergäbe sich der Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Der Umstand, dass die Klägerin den Auskunftsanspruch zur
Geltendmachung zivilrechtlicher Haftungsansprüche erhoben habe, sei nicht entscheidend, da Art 2 Abs. 2 Buchst. a) DSGVO den Anwendungsbereich der Verordnung nur insoweit einschränke, als die
Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Diese Einschränkung läge hier nicht vor. In den Erwägungsgründen (Grund 63) der Einleitung
zur DSGVO sei die Tätigkeit der Beklagten als Gesundheitsdienstleister ausdrücklich benannt.
§ 630g BGB käme auch kein Vorrang gegenüber Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu. Dazu verwies das Landgericht darauf hin, dass eine nationale Regelung nicht eine lex generali bezüglich einer
europarechtlichen Regelung enthalten könne, da die DSGVO (als europarechtliche Regelung) keine Öffnung für abweichende nationale Regelungen enthalte. Damit könne der Auskunftsanspruch statt auf §
630g BGB auch auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO gestützt werden.
Ob eine Deckungsgleichheit zwischen den Ansprüchen aus § 630g BGB du Art. 15 Abs. 3 DSGVO bestünde bedürfe vorliegend deshalb keiner Klärung, da das Krankenhaus bisher noch keinerlei Auskünfte
erteilt habe. Ob mithin nicht personenbezogene Daten, die in den Behandlungsunterlagen enthalten seien, nicht vom Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst seien, könne auf sich
beruhen.
Das beklagte Krankenhaus habe daher die begehrte Erstauskunft von der Übernahme von Kosten (in Höhe von € 5,90 zuzüglich Versandkosten) abhängig machen dürfen. Art. 15 Abs. 3 DSGVO sähe (anders
als § 630g BGB) keinen Kostenanspruch des Auskunftspflichtigen für eine Erstauskunft vor.
Dass eine Übersendung im PDF-Format nicht möglich sei, sei von dem beklagten Krankenhaus nicht eingewandt worden, wobei es sich dabei auch um ein gängiges elektronisches Format iSv. Art. 15 Abs.
3 DSGVO handele.
Aus den Gründen:
Tenor
1.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine unentgeltliche Auskunft über die über die Klägerin bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen
Behandlungsdokumentationen im pdf-Format für den Behandlungszeitraum ab 01.09.2019 zu erteilen.
2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500,00 EUR abwenden, wenn die Klägerin nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
geleistet hat.
4.
Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht Auskunftsansprüche gegenüber der Beklagten bezüglich einer Behandlung im Krankenhaus der Beklagten durch unentgeltliche Übermittlung der Behandlungsunterlagen im pdf-Format
geltend.
Die am … geborene Klägerin war in stationärer Behandlung bei der Klinik der Beklagten … .
Die Klägerin forderte mit Anwaltsschreiben vom 03.12.2019 unter Verweis auf Art. 15 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; nachfolgen nur: DSGVO) die Beklagte
zur unentgeltlichen Auskunft über die bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten auf (Anlage K 2). Dem Anwaltsschreiben war eine Anwaltsvollmacht beigefügt (Anlage B 1). Mit Schreiben vom
05.12.2019 lehnte die Beklagte eine Übersendung ohne Kostenübernahmeerklärung ab (Anlage K 3). Mit weiterem Schreiben vom 09.01.2020 beharrte sie auf dieser Rechtsansicht und verwies darauf, dass
eine Übersendung der Unterlagen auf einem Datenträger für 5,90 EUR zuzüglich Versandkosten möglich sei (Anlage B 2).
Die Klägerin trägt vor, dass im Rahmen der stationären Behandlung bei der Beklagten Behandlungsfehler begangen worden seien, die zu einer Beeinträchtigung ihrer Sehfähigkeit geführt hätten.
Insoweit geht sie von einem Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 40.000,00 EUR! mindestens aus. Ihr stehe der entsprechende Auskunftsanspruch zu. Ein Verweis auf eine Kostenübernahme sei nicht
gerechtfertigt. Die Vollmacht umfasse auch die Geltendmachung von Ansprüchen entsprechend Artikel 15 Abs. 3 DSGVO. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch sei daher begründet.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine unentgeltliche Auskunft über die über die Klägerin bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen
Behandlungsdokumentation im pdf-Format für den Behandlungszeitraum ab 01.09.2019 zu erteilen.
Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
Der Auskunftsanspruch sei zu unbestimmt. Eine Behandlung sei entgegen dem Antrag nicht schon …, sondern erst ab … erfolgt. Eine ordnungsgemäße Vollmacht zur Geltendmachung von Ansprüchen nach der
DSGVO sei dem Anwaltsschreiben vom 03.12.2019 nicht beigefügt gewesen. Die DSGVO sei vorliegend nicht anwendbar. Ein Auskunftsanspruch bestehe daher nur nach § 630 g BGB unter
Übernahme der Kosten, wozu sich die Klägerin gerade nicht bereiterklärt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht der Auskunftsanspruch im geltend gemachten Umfang nach Art 15 Abs. 3 DSGVO zu. Der Klägerin steht als Patientin neben der
spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB auch ein Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO gegenüber der Beklagten zu. Die Klägerin befand sich vom … bis … bei der Beklagten
in stationärer Behandlung. Im Rahmen dieser Behandlung sind personenbezogene Daten der Klägerin gespeichert worden. Eine Übersendung der Behandlungsdokumentation ist bisher nicht erfolgt.
1.
Der Klägerin steht nach Art 15 Abs. 3 DSGVO ein Anspruch gegen die Beklagte zu. Der Anwendungsbereich der DGSVO ist bei der Speicherung im Rahmen der Gesundheitsbehandlung erhobenen Daten
erfüllt. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, für welchen Zweck (hier zivilrechtliche Haftungsansprüche) der Auskunftsanspruch geltend gemacht wird. Art 2
Abs. 2f Buchstabe a) DGSVO schränkt den Anwendungsbereich der Verordnung nur insoweit ein, als dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in den
Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Die Verarbeitung erfolgt im Rahmen der Tätigkeit der Beklagten als Gesundheitsdienstleister, die ausdrücklich in dem Erwägungsgrund (63) der Einleitung
des DGSVO genannt sind. Die Anwendbarkeit der DGSVO ist mithin gegeben (vgl, Prof. Dr. Cornelius/Spitz in: Auskunfts- und Einsichtnahmerechte von Patienten im digitalisierten
Gesundheitswesen; GesR 2019, 69ff.).
2.
Die Regelung des § 630 g BGB hat nicht Vorrang vor den Bestimmungen des Art. 15 Abs. 3 DSGVO.
Ein Vorrangverhältnis als lex spezialis kann eine Reglung auf nationaler Ebene bezüglich einer europarechtlichen Regelung nicht enthalten. Die DSGVO sieht eine Öffnung für anderslautende
nationale Regelungen nicht vor. Mithin ist einem Auskunftsverlangen., welches statt auf § 630 g BGB auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO gestützt wird, vollumfänglich zu entsprechen.
Inwieweit eine vollständige Deckungsgleichheit der beiden Anspruchsgrundlagen im Einzelfall nicht gegeben sein kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung, da unstreitig eine Auskunft bisher
nicht erfolgt ist. Es kann daher vorliegend dahingestellt bleiben, inwieweit gegebenenfalls nicht personenbezogene Daten, die ebenfalls in der Behandlungsdokumentation enthalten sind, nicht vom
Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst wären (vgl. Prof. Dr. Cornelius/Spitz a.a.O.).
3.
Die Beklagte ist vorgerichtlich ordnungsgemäß zur Abgabe der Auskunft aufgefordert worden. Soweit sich die Beklagte darauf bezieht, dass die Vollmacht und Prozessvollmacht (Anlage B 1) keine
datenschutzrechtlichen Ansprüche umfasse, kann dem nicht gefolgt werden. Auch von der Beklagten wird nicht in Abrede gestellt, dass Auskunftsansprüche zur Vorbereitung einer etwaigen
Haftungsklage von der Prozessvollmacht umfasst sind. Dann aber ist unerheblich auf welche Anspruchsgrundlage diese prozessvorbereitenden Ansprüche gestützt werden.
4.
Soweit in vorgerichtlichen Anwaltsschreiben, wie auch im Klageantrag, ein Zeitraum ab 01.09.2019 benannt wird, steht dies der Geltendmachung nicht entgegen. Beide Parteien gehen übereinstimmend
davon aus, dass eine Behandlung stationär erst im Zeitraum … bis … erfolgt ist. Die Benennung eines früheren Zeitpunktes, ab dem die entsprechenden Unterlagen vorgelegt werden sollen, führt damit
nicht zur Unbestimmtheit des Auskunftsanspruches selbst.
5.
Die Beklagte konnte die Datenübermittlung nicht von der Übernahme von Kosten in Höhe von 5,90 EUR zuzüglich Versandkosten abhängig machen.
Soweit die Klägerin sich auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO zur Begründung ihres Auskunftsanspruchs beruft, ist eine Inanspruchnahme für Kosten der Zusammenstellung und Übersendung der Daten
nicht vorgesehen. Die Erstauskunft ist vielmehr kostenfrei. Dem steht nicht entgegen, dass bei einer Anforderung nach § 630g BGB auch für die Erstauskunft eine Kostentragung
statuiert ist.
Dass eine Übersendung im pdf-Format nicht möglich ist, wird von der Beklagten nicht eingewandt, im Übrigen handelt es sich bei dem pdf-Format um ein gängiges elektronisches Format im Sinne des
Art. 15 Abs. 3 DSGVO.
6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
7.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
8.
Die Berufung war zuzulassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind obergerichtlich bisher nicht geklärt und von grundsätzlicher Bedeutung, da sie über die
Anwendung im vorliegenden Einzelfall hinausgehen.
Zum Streitwertbeschluss:
Der Streitwert des Verfahrens beträgt 6.000.00 EUR. Ergänzend wird hierzu auf die Ausführungen im Beschluss zur vorläufigen Streitwertfestsetzung vom 03.02.2020 Bezug genommen.