Arbeitsrecht


Kopftuchverbot wegen Kundenkontakt sachlich gerechtfertigt ?

EuGH, Urteil vom 14.03.2017 – C-157/15 -

Kurze Inhaltsangabe mit Anmerkung:

 

Darf eine weibliche Mitarbeiterin ein Kopftuch, gar eine Burka o.ä. tragen oder kann dies vom Arbeitgeber untersagt werden ? Nun musste sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Zusammenhang mit der Vorlagefrage eines belgischen Gerichts mit der Frage auseinandersetzen, ob das Verbot des Arbeitgebers gegenüber einer Muslimin, ein Kopftuch zu tragen, gegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) verstößt.

 

Nach den Ausführungen des EuGH basiert die Richtlinie auf den Grundgedanken der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Sie diene der „Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“.

 

Die Geschäftsleitung der Arbeitgeberin habe der muslimischen Mitarbeiterin, die angekündigt hatte, künftig ein Kopftuch zu tragen, mitgeteilt, dass es verboten sei,  „am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“. Mit seiner Vorlagefrage will das belgische Gericht vom EuGH wissen, ob ein Verstoß gegen die o.g. Richtlinie vorliegt, wenn das Verbot auf eine interne Regelung in dem Unternehmen zurückzuführen wäre, wonach das sichtbare Tragen jeden politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verboten sei.

 

Der EuGH weist darauf hin, dass möglicherweise die Anwendung dieser internen Regelung dazu führen könnte, dass ein Verstoß gegen die Richtlinie vorläge, wenn nämlich diese Neutralitätsregelung eine Religion oder Weltanschauung besonders tangiert. Dies zu prüfen sei Sache des Ausgangsgerichts.

 

Allerdings würde die Bejahung durch das Ausgangsgericht noch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung führen, wenn sie durch ein „rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung angemessen und erforderlich wären“.

 

Geht es darum, dass dem Kunden gegenüber eine entsprechende Neutralität zum Ausdruck gebracht werden soll, würde dieses Ziel der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta unterliegen, insbesondere dann, wenn das Verbot nur bei Kundenkontakten angewandt würde. Diese Auslegung sei auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 9 EMRK bestätigt.

 

Allerdings hält es der EuGH für erforderlich, dass der Arbeitgeber jedenfalls prüfen müsse, ob der aus religiösen Gründen das Kopftuch tragenden Mitarbeiterin nicht auch ein Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt zu Kunden zugewiesen werden könne.

 

Anmerkung: Die Entscheidung hangelt sich sichtbar an den vorgegebenen Widersprüchen zwischen der garantierten unternehmerischer Freiheit und einem Diskriminierungsverbot wegen einer Weltanschauung einer Arbeitnehmerin entlang. Er versucht eine Abgrenzung. Dabei stellt er auf den Außenkontakt des Unternehmens ab. Ist aber die unternehmerische Freiheit in Bezug auf den Kundenkontakt und eine hier gewollte bestimmte Reputation gewollt, kann auch schon die „Erlaubnis“, außerhalb eines Kunden-(sicht-)-Kontaktes Kopftücher als Glaubensbekundung zu tragen, dieser Reputation schaden. Darüber hinaus ist auch unverständlich, weshalb das Kopftuchverbot (bzw. das Verbot, politische, philosophische oder religiöse Zeichen zu tragen) bei einem Kundenkontakt erfolgen kann, im übrigen aber die äußerliche Bekundung nicht verhindert werden darf, also z.B. andere Mitarbeiter, die sich hier durch die offene Bekundung ebenso wie Kunden beeinträchtigt fühlen, dies hinnehmen müssen. Geht man davon aus, dass die Weltanschauung Privatsache ist, so kann es keine Diskriminierung darstellen, wenn prinzipiell die offene Bekundung durch entsprechende „Zeichen“ untersagt wird.

 

 

Die Entscheidung des EuGH kann z.B. auch von Bedeutung bei Kindergärten sein, soweit dort Erzieherinnen das Tragen des Kopftuches verboten wird. Voraussetzung wäre aber eine allgemeine Weisung, keine sichtbaren Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zu tragen. 

 

Aus den Gründen:

Tenor

Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Gründe

Urteil

        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Samira Achbita sowie dem Centrum voor gelijkheid van kansen en voor racismebestrijding (Zentrum für Chancengleichheit und Bekämpfung des Rassismus, im Folgenden: Centrum) auf der einen Seite und der G4S Secure Solutions NV (im Folgenden: G4S), einem Unternehmen mit Sitz in Belgien, auf der anderen Seite wegen des von G4S ihren Arbeitnehmern erteilten Verbots, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen oder jeglichen sich daraus ergebenden Ritus zum Ausdruck zu bringen.

 Rechtlicher Rahmen

  Richtlinie 2000/78

        Die Erwägungsgründe 1 und 4 der Richtlinie 2000/78 lauten:

„(1)      Nach Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.

(4)      Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht; dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im VN-Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. Das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation untersagt Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf.

…“

        Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

        Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)      [D]iese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich …

(5)      Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“

        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

…“

 Belgisches Recht

        Die Wet ter bestrijding van discriminatie en tot wijziging van de wet van 15 februari 1993 tot oprichting van een Centrum voor gelijkheid van kansen en voor racismebestrijding (Gesetz zur Bekämpfung der Diskriminierung und zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Februar 1993 zur Schaffung eines Zentrums für Chancengleichheit und Bekämpfung des Rassismus) vom 25. Februar 2003 (Belgisch Staatsblad vom 17. März 2003, S. 12844) dient u. a. zur Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2000/78.

        Art. 2 § 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine unterschiedliche Behandlung, die nicht sachlich und angemessen gerechtfertigt wird, unmittelbar auf dem Geschlecht, einer sogenannten Rasse, der Hautfarbe, der Herkunft, der nationalen oder ethnischen Abstammung, der sexuellen Ausrichtung, dem Zivilstand, der Geburt, dem Vermögen, dem Alter, dem Glauben oder der Weltanschauung, dem heutigen oder zukünftigen Gesundheitszustand, einer Behinderung oder einer körperlichen Eigenschaft beruht.“

        Art. 2 § 2 des Gesetzes sieht vor:

„Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren als solche eine schädliche Auswirkung auf Personen haben, für die einer der in § 1 angeführten Diskriminierungsgründe gilt, es sei denn, diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren werden sachlich und angemessen gerechtfertigt.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

      G4S ist ein privates Unternehmen, das für Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor u. a. Rezeptions- und Empfangsdienste erbringt.

      Am 12. Februar 2003 trat Frau Achbita, die muslimischen Glaubens ist, mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag als Rezeptionistin in den Dienst von G4S. Bei G4S galt zu dieser Zeit eine ungeschriebene Regel, wonach Arbeitnehmer am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen tragen durften.

      Im April 2006 kündigte Frau Achbita ihren Vorgesetzten an, dass sie beabsichtige, künftig während der Arbeitszeiten das islamische Kopftuch zu tragen.

      Die Geschäftsleitung von G4S antwortete Frau Achbita auf diese Ankündigung, dass das Tragen eines Kopftuchs nicht geduldet werde, da das sichtbare Tragen politischer, philosophischer oder religiöser Zeichen der von G4S angestrebten Neutralität widerspreche.

      Nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit teilte Frau Achbita ihrem Arbeitgeber am 12. Mai 2006 mit, dass sie am 15. Mai ihre Arbeit wieder aufnehmen und das islamische Kopftuch tragen werde.

      Der Betriebsrat von G4S billigte am 29. Mai 2006 eine Anpassung der Arbeitsordnung, die am 13. Juni 2006 in Kraft trat und wie folgt lautete: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“

      Am 12. Juni 2006 wurde Frau Achbita aufgrund ihrer festen Absicht, als Muslima am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen, entlassen. Sie erhielt eine Entlassungsabfindung in Höhe von drei Monatsgehältern, und ihr wurden die auf der Grundlage des Arbeitsvertrags erworbenen Vergünstigungen ausbezahlt.

      Nachdem die Klage von Frau Achbita gegen ihre Entlassung von der Arbeidsrechtbank te Antwerpen (Arbeitsgericht Antwerpen, Belgien) abgewiesen worden war, legte sie gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel beim Arbeidshof te Antwerpen (Arbeitsgerichtshof Antwerpen, Belgien) ein. Dieses Rechtsmittel wurde u. a. mit der Begründung zurückgewiesen, die Entlassung sei nicht als ungerechtfertigt anzusehen, da das allgemeine Verbot, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zu tragen, nicht zu einer unmittelbaren Diskriminierung geführt habe und auch keine mittelbare Diskriminierung oder Verletzung der persönlichen Freiheit oder der Religionsfreiheit ersichtlich sei.

      Zum Fehlen einer unmittelbaren Diskriminierung führte der Arbeidshof te Antwerpen (Arbeitsgerichtshof Antwerpen) im Einzelnen aus, Frau Achbita sei unstreitig nicht wegen ihres muslimischen Glaubens entlassen worden, sondern deshalb, weil sie die feste Absicht gehabt habe, diesen Glauben während der Arbeitszeit sichtbar durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs zu bekennen. Die Bestimmung der Arbeitsordnung, gegen die Frau Achbita verstoßen habe, habe allgemeine Geltung, da sie jedem Arbeitnehmer das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbiete. Nichts deute darauf hin, dass sich G4S gegenüber einem anderen Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation, insbesondere gegenüber einem Arbeitnehmer mit anderen religiösen oder philosophischen Überzeugungen, der sich beharrlich geweigert hätte, dieses Verbot einzuhalten, entgegenkommender verhalten hätte.

      Der Arbeidshof te Antwerpen (Arbeitsgerichtshof Antwerpen) wies das Vorbringen, das bei G4S geltende Verbot, sichtbare Zeichen religiöser oder philosophischer Überzeugungen zu tragen, sei schon für sich genommen eine unmittelbare Diskriminierung von Frau Achbita als Gläubige, mit der Begründung zurück, da dieses Verbot nicht nur das Tragen von Zeichen religiöser Überzeugungen betreffe, sondern auch das Tragen von Zeichen philosophischer Überzeugungen, stehe es im Einklang mit dem Schutzkriterium der Richtlinie 2000/78, in der von „Religion oder Weltanschauung“ die Rede sei.

      Zur Stützung ihrer Kassationsbeschwerde macht Frau Achbita u. a. geltend, dass der Arbeidshof te Antwerpen (Arbeitsgerichtshof Antwerpen) die Begriffe „unmittelbare Diskriminierung“ und „mittelbare Diskriminierung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 verkannt habe, indem er davon ausgegangen sei, dass die religiöse Überzeugung, auf die sich das von G4S aufgestellte Verbot gründe, ein neutrales Kriterium sei, und dieses Verbot mit der Begründung, es richte sich nicht gegen eine bestimmte religiöse Überzeugung und treffe alle Arbeitnehmer, nicht als Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die ein islamisches Kopftuch trügen, und solchen, die keines trügen, angesehen habe.

      Unter diesen Umständen hat der Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 so auszulegen, dass das Verbot, als Muslima am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wenn die beim Arbeitgeber bestehende Regel es allen Arbeitnehmern verbietet, am Arbeitsplatz äußere Zeichen politischer, philosophischer und religiöser Überzeugungen zu tragen?

 Zur Vorlagefrage

      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die allgemein das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, eine durch diese Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung darstellt.

      Erstens besteht nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 ihr Zweck in der Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

      Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 „bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 [dieser Richtlinie] genannten Gründe geben darf“. In Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie heißt es, dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne ihres Art. 2 Abs. 1 vorliegt, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 genannten Gründe, darunter die Religion, in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt.

      Der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 verwendete Begriff der Religion wird in dieser Richtlinie nicht definiert.

      Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 hat der Unionsgesetzgeber jedoch auf die Grundrechte Bezug genommen, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) gewährleistet sind. Die EMRK sieht in ihrem Art. 9 vor, dass jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat, wobei dieses Recht u. a. die Freiheit umfasst, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.

      Der Unionsgesetzgeber hat im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 außerdem auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Bezug genommen. Zu den Rechten, die sich aus diesen gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben und die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) bekräftigt wurden, gehört das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit. Es umfasst nach dieser Bestimmung die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. Wie sich aus den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) ergibt, entspricht das in Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierte Recht dem durch Art. 9 EMRK garantierten Recht, und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta hat es die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieses.

      Da die EMRK und in der Folge die Charta dem Begriff der Religion eine weite Bedeutung beilegen und darunter auch die Freiheit der Personen, ihre Religion zu bekennen, fassen, ist davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2000/78 den gleichen Ansatz verfolgen wollte, so dass der Begriff der Religion in Art. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er sowohl das „forum internum“, d. h. den Umstand, Überzeugungen zu haben, als auch das „forum externum“, d. h. die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit, umfasst.

      Zweitens ist zu klären, ob sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden internen Regel eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer wegen ihrer Religion oder ihrer Weltanschauung ergibt und – wenn ja – ob diese Ungleichbehandlung eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellt.

      Im vorliegenden Fall bezieht sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel auf das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen und gilt damit unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen. Daher ist davon auszugehen, dass nach dieser Regel alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleich behandelt werden, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt.

      Den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist insoweit nicht zu entnehmen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel auf Frau Achbita anders angewandt worden wäre als auf jeden anderen Arbeitnehmer.

      Daher ist im Ergebnis festzustellen, dass eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine unmittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 begründet.

      Allerdings hindert nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass das vorlegende Gericht eine Frage unter Bezugnahme nur auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material und insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. u. a. Urteil vom 12. Februar 2015, Oil Trading Poland, C-349/13, EU:C:2015:84, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

      Im vorliegenden Fall ist nicht ausgeschlossen, dass das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 begründet, wenn sich erweist – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.

      Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 würde eine solche Ungleichbehandlung jedoch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung im Sinne ihres Art. 2 Abs. 2 Buchst. b führen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären.

      Insoweit ist festzustellen, dass es zwar letztlich Sache des allein für die Beurteilung des Sachverhalts zuständigen nationalen Gerichts ist, darüber zu befinden, ob und inwieweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel diesen Anforderungen genügt, doch ist der Gerichtshof, der dem nationalen Richter in sachdienlicher Weise zu antworten hat, befugt, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der ihm unterbreiteten schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die es dem nationalen Richter ermöglichen, über den konkreten bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden.

      Erstens ist zur Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels darauf hinzuweisen, dass der Wille, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, philosophischen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, als rechtmäßig anzusehen ist.

      Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta anerkannt ist, und ist grundsätzlich rechtmäßig, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Arbeitnehmer einbezieht, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen.

      Die Auslegung, dass die Verfolgung eines solchen Ziels innerhalb bestimmter Grenzen eine Beschränkung der Religionsfreiheit erlaubt, wird im Übrigen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 9 EMRK bestätigt (Urteil des EGMR vom 15. Januar 2013, Eweida u. a. gegen Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2013:0115JUD004842010, Rn. 94).

      Zweitens ist zur Angemessenheit einer internen Regel wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden festzustellen, dass das Verbot für Arbeitnehmer, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen sichtbar zu tragen, zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität geeignet ist, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, EU:C:2009:141, Rn. 55, und vom 12. Januar 2010, Petersen, C-341/08, EU:C:2010:4, Rn. 53).

 

     Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob G4S vor der Entlassung von Frau Achbita für ihre Beschäftigten mit Kundenkontakt eine allgemeine und undifferenzierte Politik des Verbots eingeführt hatte, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen sichtbar zu tragen.

 

     Drittens ist in Bezug auf die Erforderlichkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verbots zu prüfen, ob es sich auf das unbedingt Erforderliche beschränkt. Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob sich das Verbot des sichtbaren Tragens jedes Zeichens oder Kleidungsstücks, das mit einem religiösen Glauben oder einer politischen oder philosophischen Überzeugung in Verbindung gebracht werden kann, nur an die mit Kunden in Kontakt tretenden Arbeitnehmer von G4S richtet. Ist dies der Fall, ist das Verbot als für die Erreichung des verfolgten Ziels unbedingt erforderlich anzusehen.

     Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der Weigerung einer Arbeitnehmerin wie Frau Achbita, im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit bei Kunden von G4S auf das Tragen des islamischen Kopftuchs zu verzichten, vom vorlegenden Gericht zu prüfen, ob es G4S, unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Zwänge und ohne eine zusätzliche Belastung tragen zu müssen, möglich gewesen wäre, ihr in Anbetracht dieser Weigerung einen Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt mit Kunden anzubieten, statt sie zu entlassen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in Anbetracht aller Umstände, die sich aus den Akten ergeben, den beiderseitigen Interessen Rechnung zu tragen und die Beschränkungen der in Rede stehenden Freiheiten auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen.

     Nach alledem ist die Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten:

–        Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

–        Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

 Kosten

     Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.