Anwaltsrecht und -haftung


Regressanspruch gegen Anwalt bei auslegungsbedürftigen Vergleich

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

 

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

 

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

 

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

 

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

 

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

 

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

 

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien.

 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

 

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

 

 

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. Oktober 2020 aufgehoben.

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 13. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittel.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

 

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz aufgrund anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch. Die Klägerin ist der private Krankenversicherer des am 5. März 2021 verstorbenen W. (im Folgenden: Versicherungsnehmer). Dieser nahm die Fachärztin für Orthopädie Dr. S. in einem Arzthaftungsprozess wegen eines Aufklärungsfehlers insbesondere auf Schmerzensgeld und Ersatz des Haushaltsführungsschadens, des Verdienstausfalls sowie der Pflegemehr- und Fahrtkosten in Anspruch. In dem Verfahren wurde er durch einen in der Sozietät der Beklagten angestellten Rechtsanwalt vertreten. Am 12. Januar 2011 erging ein Grund- und Teilurteil, durch das dem Versicherungsnehmer ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 € zuerkannt und ausgesprochen wurde, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Weiter wurde festgestellt, dass die beklagte Ärztin verpflichtet ist, dem (dortigen) Kläger alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, welche aus der fehlerhaften Behandlung im Februar 2004 resultieren und soweit der Kläger sie nicht […] gesondert geltend macht, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind beziehungsweise übergehen werden.

 

Nach Eintritt der Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer am 5. November 2012 einen Vergleich, der den Rechtsstreit beendete. Danach hatte die Ärztin an den Versicherungsnehmer weitere 580.000 € zu zahlen. Mit Erfüllung der Zahlungspflicht sollten alle Ansprüche des Versicherungsnehmers aus dem streitbefangenen Behandlungsverhältnis, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind, abgegolten und erledigt sein, seien sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell.

 

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe ihrem Versicherungsnehmer nach Vergleichsschluss erhebliche Behandlungskosten erstattet, für die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs die Ärztin und deren Haftpflichtversicherer nicht in Regress nehmen könne. Der in der Sozietät der Beklagten angestellte Rechtsanwalt habe es schuldhaft versäumt, einen Vorbehalt für zukünftig übergehende Forderungen in den Vergleich aufzunehmen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten auf die Berufung der Klägerin nach deren zuletzt erweiterten Antrag verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wenden sich die Beklagten gegen ihre Verurteilung.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

I.

 

Zur Begründung der Verurteilung der Beklagten hat das Berufungsgericht insbesondere ausgeführt, die Versicherungsleistungen, für die die Klägerin Ersatz begehre, habe sie nicht vor Abschluss des Vergleichs am 5. November 2012 an den Versicherungsnehmer erbracht, so dass ein Forderungsübergang nicht stattgefunden habe und die Ansprüche der Regelung des Abfindungsvergleichs unterfielen. Der Versicherungsnehmer habe wirksam auf die künftigen Ersatzansprüche für Behandlungskosten verzichtet. Diese hätten damit nicht mehr auf die Klägerin übergehen können. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus § 407 Abs. 1, § 412 BGB.

 

II.

 

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Nach dem durch das Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt haben die Beklagten ihnen obliegende Pflichten, die dem Versicherungsnehmer der Klägerin gegenüber bei Abschluss des Vergleichs in dem Arzthaftungsprozess bestanden, zwar verletzt. Ein Schaden ist hierdurch aber nicht verursacht worden. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den geschlossenen Vergleich abgegolten worden.

 

1. Der in der Sozietät der Beklagten angestellte Rechtsanwalt hat die ihm im Zusammenhang mit dem in dem Arzthaftungsprozess abgeschlossenen Abfindungsvergleich obliegenden Pflichten dem Versicherungsnehmer der Klägerin gegenüber verletzt.

 

a) Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2002 - IX ZR 182/00, NJW 2002, 1048, 1049). Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte Entscheidungen in seinen Rechtsangelegenheiten zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - IX ZR 145/05, NJW-RR 2008, 1594 Rn. 14 mwN). Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf Vor- und Nachteile des beabsichtigten Vergleichs hinweisen und im Einzelnen darlegen, welche Gesichtspunkte für und gegen den Abschluss des Vergleichs sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - IX ZR 291/14, NJW 2016, 3430 Rn. 8 mwN). Sieht der Vergleich vor, dass mit dessen Abschluss alle gegenseitigen Forderungen der Parteien erledigt sind (sogenannter Abfindungsvergleich), bestehen für den Auftraggeber besondere Risiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Abgeltung auch auf zukünftige, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses noch unbekannte Schäden erstreckt. Der Rechtsanwalt hat bei Abfindungsvergleichen darauf zu achten, dass tatsächlich alle Ansprüche in den Vergleich einbezogen werden, die abgefunden und erledigt sein sollen (vgl. Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 5. Aufl., § 12 Rn. 49). Wegen der Eigenschaft eines Vergleichs als materiell-rechtlicher Vertrag sind insbesondere auch die Pflichten des Rechtsanwalts bei der Gestaltung von Verträgen zu beachten (vgl. Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl., § 2 Rn. 286). Der Rechtsanwalt hat bei einem Auftrag, der eine Vertragsgestaltung zum Gegenstand hat, den Mandanten über die rechtliche Tragweite der einzelnen Klauseln aufzuklären (vgl. Vill, aaO Rn. 325). Aufgabe des Rechtsanwalts, der mit einer Rechtsgestaltung beauftragt ist, ist es ferner, schon durch die Wortwahl seiner Erklärung Klarheit zu schaffen. Der Rechtsanwalt darf es regelmäßig gar nicht erst dazu kommen lassen, dass der Wortlaut eines Vertrags zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648, 2650). Ein Auslegungsrisiko muss ein juristischer Fachberater nach Möglichkeit vermeiden. Den sichersten Weg hält er daher nur ein, wenn seine Erklärung unmissverständlich ist (vgl. Vill, aaO Rn. 326). Dazu gehört die zutreffende Verwendung der einschlägigen Fachausdrücke (vgl. BGH, aaO).

 

b) Der Wortlaut des in dem Arzthaftungsprozess geschlossenen Vergleichs ist für sich betrachtet eindeutig. Danach sind alle Ansprüche des Versicherungsnehmers aus dem streitbefangenen Behandlungsverhältnis, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind, abgegolten und erledigt, seien sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Der Wortlaut bezieht sich dabei auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem aus dem streitbefangenen Behandlungsverhältnis zustehen (können) und nicht auf Dritte übergegangen sind. Damit werden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden, von dem Vergleich erfasst. Ferner erfasst wird der Anspruch des Versicherungsnehmers auf den Ersatz von Heilbehandlungskosten, die aufgrund der Schädigung angefallen und nicht auf Dritte übergegangen sind oder noch anfallen werden. Denn auch dieser Anspruch entstammt dem streitbefangenen Behandlungsverhältnis.

 

c) Zweifel an einem so weitgehenden Regelungsinhalt des Vergleichs ergeben sich jedoch aus dem Umstand, dass der Versicherungsnehmer mit seiner Klage keinen Anspruch auf den Ersatz von Heilbehandlungskosten gegen die Ärztin geltend gemacht hat. Vielmehr hat der Versicherungsnehmer in dem Arzthaftungsprozess lediglich den Ersatz für von ihm geleistete Zuzahlungen, also für Zahlungen, die ihm nicht durch die Klägerin erstattet worden sind, verlangt. Nachdem Sinn und Zweck des Vergleichs aber die Beendigung des Rechtsstreits war, ergibt sich aus den dort streitgegenständlichen Ansprüchen die Auslegungsbedürftigkeit des nach seinem Wortlaut umfassenden Vergleichs (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982 - IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41, 46 mwN) hinsichtlich dessen Tragweite (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2003 - IX ZR 353/99, NJW 2003, 1036, 1037 f).

 

Ferner ist zu berücksichtigen, dass mit dem in dem Arzthaftungsprozess ergangenen Grund- und Teilurteil festgestellt wurde, dass die beklagte Ärztin verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, welche aus der fehlerhaften Behandlung im Februar 2004 resultieren und soweit der (dortige) Kläger sie nicht […] gesondert geltend macht, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind beziehungsweise übergehen werden. Dagegen wurde in dem nachfolgend geschlossenen Vergleich hinsichtlich des Vorbehalts eine andere Formulierung ("soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind") gewählt.

 

d) Der Umstand, dass die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert wurde, begründet die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des in der Sozietät der Beklagten angestellten Rechtsanwalts zu der Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsschlusses. Denn es sind Auslegungszweifel über den rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien und damit Rechtsstreitigkeiten gerade zu vermeiden (vgl. Fahrendorf/Mennemeyer/Fahrendorf, Die Haftung des Rechtsanwalts, 10. Aufl., Kap. 2 Rn. 224).

Der Haftpflichtversicherer der Ärztin hat der Klägerin gegenüber die Auffassung vertreten, dass die durch sie geltend gemachte Forderung auf Erstattung der Behandlungskosten des Versicherungsnehmers für das Jahr 2013 aus übergegangenem Recht durch den Vergleich abgegolten sei. Jedenfalls insoweit hat sich ein Auslegungsrisiko auch verwirklicht.

 

e) Der Einwand der Revision, es sei nicht die Aufgabe des in der Sozietät der Beklagten angestellten Rechtsanwalts gewesen, bei dem Vergleichsschluss auch die Interessen der Klägerin zu wahren, geht fehl, denn die Pflicht zum Abschluss eines nach seinem Regelungsinhalt eindeutigen Vergleichs bestand zugunsten des Versicherungsnehmers und dessen Interesse, die Tragweite des Vergleichs einschätzen zu können. Darüber hinaus hatte der beratende Rechtsanwalt davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer nach dem zugrundeliegenden Vertrag über die private Krankenversicherung möglicherweise gehalten war, einen Forderungsübergang nach § 67 VVG aF nicht zu beeinträchtigen. Denn nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung (MB/KK 2009) besteht, unbeschadet des gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 86 VVG nF/§ 67 VVG aF, die Verpflichtung des Versicherungsnehmers, Ersatzansprüche gegen Dritte an den Versicherer schriftlich abzutreten. Der in der Sozietät der Beklagten angestellte Rechtsanwalt hätte im Rahmen der Vertretung bei dem Vergleichsschluss diese Obliegenheit des Versicherungsnehmers bedenken und wahren müssen.

 

2. Dem Versicherungsnehmer ist jedoch durch die Pflichtverletzung des in der Sozietät der Beklagten angestellten Rechtsanwalts der geltend gemachte Schaden eines Anspruchsverlusts nicht entstanden. Der Vergleich ist dahin auszulegen, dass die Abgeltungsklausel den Anspruch des Versicherungsnehmers auf den Ersatz von Heilbehandlungskosten nicht mitumfasst.

 

a) Die Auslegung von Individualvereinbarungen ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dessen Auslegung unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Überprüfung im Hinblick darauf, ob gesetzliche Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2020 - VI ZR 316/19, NJW 2020, 2113 Rn. 11 mwN). Leidet die tatrichterliche Auslegung an solchen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, bindet sie das Revisionsgericht nicht. Bei der Auslegung sind in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Weiter gilt das Gebot der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung und der Berücksichtigung des durch die Parteien beabsichtigten Zwecks des Vertrags (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2017 - I ZR 6/16, NJW-RR 2018, 222 Rn. 32 mwN). Nichts Anderes gilt für die Auslegung von Vergleichen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 - XII ZR 19/01, NJW 2003, 1734).

 

b) Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Versicherungsnehmer habe durch den Abschluss des Vergleichs nach dessen eindeutigem Wortlaut auf sämtliche Ansprüche gegen die Schädigerin verzichtet, soweit diese nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Denn sie beruht auf der Annahme, aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Vergleichs komme eine abweichende Auslegung nicht in Betracht. Die Würdigung ist zwar nicht wortsinnwidrig, berücksichtigt jedoch nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien. Darüber hinaus verstößt sie gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung.

 

aa) Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt machte der Versicherungsnehmer mit seiner Klage gegen die Ärztin keine Ansprüche aus Heilbehandlung geltend, für welche die Klägerin Leistungen erbracht hatte oder zu erbringen gehabt hätte. So sind in dem Arzthaftungsprozess insbesondere ein Schmerzensgeld und ein Ersatz des Haushaltsführungsschadens, des Verdienstausfalls sowie der Pflegemehr- und Fahrtkosten geltend gemacht worden; Heilbehandlungskosten sind nicht gefordert worden. Auch im Rahmen der das Verfahren begleitenden Vergleichsverhandlungen hat der Versicherungsnehmer Heilbehandlungskosten nicht beansprucht. Im Mittelpunkt der Verhandlungen standen vielmehr insbesondere der Haushaltsführungsschaden und der Verdienstausfall. Mit Blick auf das insoweit gesehene Erfordernis einer Beweisaufnahme und einer weitergehenden Sachaufklärung hat das Oberlandesgericht den Parteien einen Vergleichsvorschlag mit einem Zahlbetrag in Höhe von 500.000 € unterbreitet, dem die Parteien zunächst nicht nähergetreten sind. Nach Erlass des Grund- und Teilurteils vom 12. Januar 2011 hat der Versicherungsnehmer zu dem eingetretenen Schaden weiter vortragen lassen. Eine Gesamtberechnung der durch den Versicherungsnehmer mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzansprüche belief sich nach Angaben der Beklagten in dem Arzthaftungsprozess auf einen Betrag in Höhe von etwa 660.000 €. Auch hierbei sind Heilbehandlungskosten nicht berücksichtigt worden. Nachfolgend schlossen die Parteien des Arzthaftungsprozesses den streitgegenständlichen Vergleich. Dass mit dem Vergleich auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten, liegt unter diesen Umständen fern. Zwar gibt es, worauf das Berufungsgericht mit Recht hinweist, weder einen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich Vergleiche immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halten. Der Abschluss eines Vergleichs ermöglicht es, den Regelungsgehalt individuell zu vereinbaren. Andererseits gibt es, was das Berufungsgericht außer Acht lässt, auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass Vergleiche stets alle denkbaren Ansprüche abschließend regeln.

 

bb) Die Würdigung des Berufungsgerichts berücksichtigt auch nicht ausreichend den übereinstimmenden Regelungswillen der Beteiligten. Sowohl der Klageantrag als auch der Urteilstenor im Vorprozess nahmen von der Ersatzpflicht der Schädigerin Ansprüche aus, die auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts stimmen die Parteien darin überein, dass über diesen Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als privater Krankenversicherer des Geschädigten künftig übergehen sollten. Dass die Beteiligten beim Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis der von der Abgeltung ausgenommenen Ansprüche gehabt hätten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten die am Vergleich Beteiligten sich darin einig waren, dass künftig übergehende Ansprüche auf Ersatz von Heilbehandlungskosten nicht mit dem Vergleich abgegolten sein sollten. Dies lässt das Berufungsgericht außer Betracht. Die auf den Willen der Parteien verweisende gesetzliche Auslegungsregel in § 133 BGB verbietet es aber, eine rechtsgeschäftliche Regelung gegen den tatsächlichen oder den erklärten Willen einer Partei nach rein objektiven Gesichtspunkten auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2009 - LwZR 11/08, NJW-RR 2009, 1714 Rn. 17 mwN). Besteht ein übereinstimmender Wille der Parteien, so ist dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat. Das übereinstimmend Gewollte hat den Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung; falsa demonstratio non nocet (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2001 - V ZR 65/01, NJW 2002, 1038, 1039 mwN).

 

cc) Schließlich berücksichtigt das Berufungsgericht die bestehende Interessenlage nicht hinreichend. Geboten ist insoweit eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung; im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 78/89, BGHZ 109, 19, 22 mwN). Dem Berufungsurteil ist indes lediglich zu entnehmen, dass es dem regelmäßigen Interesse der Seite des Schädigers entspreche, alle Ansprüche abschließend reguliert zu sehen. Demgegenüber bezieht das Berufungsgericht das Interesse des Geschädigten in die Auslegung nicht mit ein. Insoweit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer der Klägerin mit dem Vergleich nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie das Berufungsgericht selbst festgestellt hat. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber der Klägerin als seinem privaten Krankenversicherer verletzen wollte. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einerseits dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arzthaftungsprozess und andererseits dem Vergleich jeweils ein Vorbehalt zu entnehmen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien solche Ansprüche ausnehmen sollte, die auf die Klägerin als privaten Krankenversicherer künftig übergehen, war durch den Versicherungsnehmer der Klägerin gerade nicht beabsichtigt, die von einem Vergleich auszunehmenden Ansprüche Dritter dem Vergleich zu unterwerfen.

 

c) Da keine weiteren Tatsachenfeststellungen zu treffen sind, kann der erkennende Senat den Vergleich vom 5. November 2012 selbst auslegen. Aus den dargelegten Gründen erstreckt sich die Abgeltungsklausel des Vergleichs nicht auf künftig entstehende, auf Dritte übergehende Ansprüche auf Erstattung von Heilbehandlungskosten.

 

III.

 

 

Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).