Anwaltsrecht und -haftung


Kein Zinsanspruch der Rechtsschutzversicherung gegen Anwalt mangels Vertrags- oder Vertrauensverhältnis

BGH, Urteil vom 23.07.2019 - VI ZR 307/18 -

Kurze Inhaltsangabe

 

Die Klägerin als Rechtsschutzversicherer des Mandanten R. der Beklagten hatte Deckungsschutz für das Klage-, Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erteilt. Der Mandant der Beklagten (und Versicherungsnehmer [VN] der Klägerin) obsiegte schließlich vor dem BGH. Auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Landgerichts zahlte der Prozessgegner eingehend bei der Beklagten Anfang November 2012 die festgesetzten Beträge sowie Zinsen, die die Beklagte Ende November 2012 an den Mandanten R. auszahlte, auch soweit die Klägerin mit Zahlungen für diese Beträge in Vorlage getreten war. Nachdem sich die Klägerin im Juni 2015 bei der Beklagten über den Verfahrensstand informierte und diese die Zahlung an den Mandanten/VN R. mitteilte, forderte sie von dort die Zahlung an. R. zahlte den von der Beklagten an ihn gezahlten Betrag an die Klägerin im August 2015. Mit der Begründung, die Beklagte habe direkt nach Eingang bei ihr den Betrag an die Klägerin weiterleiten müssen, nahm sie diese auf Zahlung von Zinsen für den Zeitraum November 2012 bis August 2015 in Höhe von € 1.081,16 in Anspruch. Das Amtsgericht wies die Klage ab; die von der Klägerin eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Eine vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin wurde vom BGH zurückgewiesen.

 

Der BGH hielt fest, dass die Rechtsschutzversicherung eine Schadensversicherung sei, für die § 86 Abs. 1 S. 1 VVG gelte, derzufolge ein dem VN gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch gegen den Prozessgegner durch die Zahlung durch die Klägerin auf diesen (aufschiebend bedingt mit der Zahlung im Rahmen des Prozesses) auf diese übergeht. Damit sei der Kostenerstattungsanspruch des VN hier auf die Klägerin übergegangen und habe ihr ein Anspruch gegen die Beklagte auf Auskehrung der Zahlungen zugestanden. Die Empfangsberechtigung der Klägerin ergäbe sich aus Gesetz ohne Dispositionsbefugnis des VN. Die Beklagte, die durch die an sie erfolgten Zahlungen der Klägerin über das Bestehen der Rechtsschutzversicherung informier war, habe sich durch die (versehentliche) Weiterleitung der Gelder an R. von ihrer Leistungsverpflichtung gegenüber der Klägerin nicht befreien können.

 

Allerdings bestünde kein Verzinsungsanspruch der Klägerin für den benannten Zeitraum. Dieser setze Verzug nach §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, der mangels einer Mahnung der Klägerin hier nicht vorliege. Durch die Weiterleitung an den Mandanten R. habe aber die Beklagte das Geld nicht für sich verwandt. Anders wäre es nur zu beurteilen, wenn die Beklagte über das Geld wie ein Berechtigter verfügt hätte (z.B. bei einem Geschenk oder Darlehensgewährung an Dritte).  Eine entsprechende Stellung habe sich aber hier die Beklagte nicht angemaßt. Das Übersehen des Forderungsübergangs gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG mache aus der Weiterleitung an den Mandanten keine Eigenverwendung iSv. § 668  BGB.

                                         

 

Ohne den Schuldnerverzug durch Mahnung nach § 286 BGB käme dann nur noch ein deliktischer Anspruch nach § 849 BGB für den Zinsersatz in Betracht. Die Voraussetzungen lägen aber nicht vor, da der allein in Betracht kommende Anspruch nach § 823 BGB  am Fehlen eines Schutzgesetzes scheitere. Insbesondere stelle § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO kein Schutzgesetz dar, der vom Anwalt bei der Behandlung anvertrauter Vermögenswerte die erforderliche Sorgfalt verlange (S. 1) und ferner verlange, dass der Anwalt fremde Gelder unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterleite (S. 2). Im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB sei Voraussetzung, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht habe, vor die die betreffende Norm schützen soll; der Schaden müsse also in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen als auch müsse der Geschädigte zu dem Kreis derjenigen Personen gehören, deren Schutz die Norm bezwecke. Konkretisiert würde dies in § 4 BORA, wobei der Weiterleitung von Fremdgeldern der Vorrang vor deren Verwaltung auf Anderkonten habe. Es handele sich bei der BORA (Berufsordnung) und BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) nicht um Gesetze, sondern um autonomes Satzungsrecht eines Berufsstandes, welches aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus im Allgemeinen die (privat-) rechtliche Beziehung des Rechtsanwalts zu Außenstehenden nicht regeln dürfe. Da die Klägerin Außenstehende sei, scheide § 4 BORA als Schutzgesetz aus.  § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO gebe keinen eindeutigen Hinweis, ob sie eine schützende Funktion für den jeweiligen „Empfangsberechtigten“ habe. Geschützt würden in der BRAO das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft in der Rechtspflege, weshalb es dieses Allgemeininteresse rechtfertige, die rein zivilrechtlichen Pflichten aus einem Anwaltsvertrag als berufsrechtliche Pflichten auszugestalten und deren Verletzung anwaltsgerichtlich zu ahnden. Der Umstand, dass die „Empfangsberechtigten“ als Teil der Allgemeinheit auch auf die Integrität des Anwalts in finanziellen Angelegenheiten vertrauen würden, begründe aber keinen Individualschutz, sondern ebenso wie z.B. die Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO) einen Schutz der Interessen des Mandanten, deren Verletzung zu einem vertraglichen Schadensersatzanspruch und bei gleichzeitiger Verletzung von Strafgesetzen, zu einem deliktischen Anspruch nach § 823 BGB führen würden. Ob § 43a Abs. 5 BRAO auch Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB sei, sei umstritten, könne hier aber dahinstehen; selbst wenn die gesetzgeberische Tendenz zugunsten des Mandanten bestünde, dürfte sie sachlich nicht dem deliktsrechtlichen Schutz gegen eine unverzügliche, aber versehentliche Weiterleitung der Gelder an den falschen - nicht berechtigten – Empfänger umfassen. Es gäbe keine Anhaltspunkte, dass § 43a BRAO dem individuellen Schutz des Rechtsschutzversicherers dienen solle. Mit ihm würde den Anwalt kein Vertrag oder sonstiges Vertrauensverhältnis verbinden.

 

Aus den Gründen

 

Tenor

 

Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 88 des Landgerichts Berlin vom 3. Juli 2018 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

 

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung eines Zinsschadens und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

 

Die Klägerin war der Rechtsschutzversicherer des Mandanten R., den die Beklagte in einer Kapitalanlageangelegenheit rechtlich vertrat. Die Klägerin erteilte R. jeweils Deckungszusagen für das Klage-, das Berufungs- und das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Sie zahlte Gerichtskosten sowie an die Beklagte insgesamt 6.206,41 €. Mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 2012 obsiegte R.; dem Prozessgegner wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Dies wurde der Klägerin im August 2012 mitgeteilt. Auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Landgerichts vom 15. Oktober 2012 zahlte der Prozessgegner auf das Konto der Beklagten Anfang November 2012 insgesamt 7.664,70 € zuzüglich 317,84 € Zinsen. Die Beklagte überwies die Summe (7.982,54 €) Ende November 2012 an R.

 

Im Juni 2015 bat die Klägerin die Beklagte um Mitteilung des Verfahrensstandes. Die Beklagte unterrichtete die Klägerin daraufhin über die Überweisung an R. Auf eine Mahnung der Klägerin gegenüber der Beklagten zahlte R. im August 2015 an die Klägerin insgesamt 7.982,54 €.

 

Die Klägerin hat von der Beklagten Zinszahlungen in Höhe von 1.081,16 € verlangt. Sie meint, die Beklagte hätte die Zahlungen des Prozessgegners auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse spätestens am 20. November 2012 an die Klägerin weiterleiten müssen, so dass ab diesem Zeitpunkt bis zum Zahlungseingang im August 2015 Zinsen aufgelaufen seien.

 

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

 

I.

 

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, vertragliche Ansprüche, auch aus gemäß § 86 VVG übergegangenem Recht, auf Ersatz des Verzögerungsschadens bestünden nicht, weil die Beklagte die Zahlungen des Prozessgegners an R. überwiesen habe, ohne in Schuldnerverzug zu geraten. Es bestehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2, § 849 BGB i.V.m. § 43a Abs. 5 BRAO, § 4 Abs. 2 BORA. Bei den Vorschriften der § 43a Abs. 5 BRAO, § 4 Abs. 2 BORA handle es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Klägerin. Es könne dahinstehen, ob es sich um Schutzgesetze zugunsten des Mandanten handle, denn die Klägerin sei trotz des Anspruchsübergangs gemäß § 86 VVG nicht in die Rechtsstellung des Mandanten R. gerückt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Person des Empfangsberechtigten, an den der Rechtsanwalt gemäß § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO die Fremdgelder weiterzuleiten habe, ausschließlich von dem Mandanten bestimmt werde, der über die Auskehrung der dem Rechtsanwalt anvertrauten Vermögenswerte zu entscheiden habe. Aus dem Vorbringen der Parteien ergebe sich nicht, dass R. die Klägerin als Empfangsberechtigte benannt habe. Durch den Forderungsübergang gemäß § 86 VVG werde ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Rechtsschutzversicherer nicht begründet. Allein der Umstand, dass die Auskehrung nunmehr statt vom Mandanten vom Versicherer gefordert werden könne, intendiere keine besondere Schutzbedürftigkeit der Vermögensinteressen des Versicherers.

 

II.

 

Die Revision ist unbegründet.

 

1. Im Ergebnis zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass ein Anspruch auf Ersatz des Zinsschadens unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286, 288 BGB) nicht in Betracht kommt. Dies liegt allerdings entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht daran, dass die Beklagte die Zahlungen des Prozessgegners auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse, ohne in Schuldnerverzug zu geraten, an R. überwiesen hat. Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 86 Rn. 3). Nach dieser Regelung geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Dem Versicherungsnehmer R. stand mit der Klageerhebung ein aufschiebend bedingter Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner zu (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 1992 - V ZR 108/91, NJW 1992, 2575, juris Rn. 7). Indem die Klägerin auf die am Ende vom Prozessgegner zu tragenden Kosten des Rechtsstreits Zahlungen erbracht hat, hat sie R. im Sinne des § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG einen "Schaden ersetzt." In diesem Umfang ist der Kostenerstattungsanspruch des R. gegen den unterlegenen Prozessgegner auf sie übergegangen. Damit stand der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Auskehrung der vom Prozessgegner auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse geleisteten Zahlungen zu. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei um einen eigenen Anspruch der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 681 Satz 2, 667 BGB) handelte, weil die Geltendmachung und Entgegennahme der Zahlungen auf die Prozesskosten durch die Beklagte im Hinblick auf den Forderungsübergang gemäß § 86 VVG ein objektiv fremdes Geschäft war (so Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, NJW-RR 2008, 696, juris Rn. 43 ff.; Lensing in Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl., § 27 Rechtsschutzversicherung Rn. 111), oder ob zu den gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Versicherer übergegangenen Ansprüchen auch der vertragliche Anspruch des R. gegen die Beklagte auf Herausgabe der Prozesskostenzahlungen aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB gehörte (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2008, 1347, juris Rn. 9; OLG München/LG München I, r+s 1999, 158 f. m. Anm. Kurzka; Schulz, NJW 2010, 1729, 1730). Die nach beiden Begründungen bestehende Verpflichtung der Beklagten, die Zahlungen des Prozessgegners an die Klägerin weiterzuleiten, scheiterte, anders als das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang meint, nicht daran, dass R. die Klägerin nicht als Empfangsberechtigte bestimmt hatte; denn deren Empfangsberechtigung ergibt sich aus dem Gesetz und stand nicht zur Disposition ihres Versicherungsnehmers. Die Beklagte, die aufgrund der seitens der Klägerin erfolgten Zahlungen über das Bestehen der Rechtsschutzversicherung und den Forderungsübergang informiert war, konnte sich nicht gemäß §§ 412, 407 Abs. 1 BGB durch die (versehentliche) Weiterleitung der Gelder an R. von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin befreien.

 

Ein Anspruch auf Verzinsung der Geldschuld der Beklagten gegenüber der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verzugs gemäß § 280 Abs. 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht nur deshalb nicht, weil die Beklagte mangels Mahnung seitens der Klägerin in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von November 2012 bis August 2015 nicht in Verzug geraten ist. Dass die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 BGB, unter denen eine Mahnung ausnahmsweise entbehrlich ist, vorlagen, ist nicht festgestellt und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.

 

2. Entgegen der Auffassung der Revision kann die Klägerin einen verzugs- und verschuldensunabhängigen Zinsanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 668 BGB herleiten. Nach dieser Vorschrift, die gemäß § 681 Satz 2 BGB auch auf den hier in Betracht kommenden Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (s. dazu 1.) anwendbar ist, hat der Beauftragte (bzw. Geschäftsführer) das Geld, das er an den Auftraggeber (bzw. Geschäftsherrn) herauszugeben hat, aber stattdessen für sich verwendet, von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. Mit der versehentlichen Weiterleitung der vom Prozessgegner auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse geleisteten Zahlungen an den Mandanten R. statt an die im Hinblick auf § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG berechtigte klagende Rechtsschutzversicherung hat die Beklagte das Geld indes nicht "für sich" verwendet. Soweit in der Literatur der Anwendungsbereich des § 668 BGB auf die Überlassung von Geld an Dritte erstreckt wird (vgl. MünchKommBGB/Schäfer, 7. Aufl., § 668 Rn. 5; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 668 Rn. 1; Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, Neubearb. 2017, § 668 Rn. 5), kann in einer solchen Überlassung die in dieser Norm vorausgesetzte Verwendung des Geldes durch den Beauftragten bzw. Geschäftsführer "für sich" nur dann gesehen werden, wenn er damit wie ein Berechtigter über das Geld verfügt (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Auflage, § 668 Rn. 2), wie dies beispielsweise bei einem Geschenk oder einer Darlehensgewährung an den Dritten der Fall wäre (vgl. zu diesen Beispielsfällen Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, Neubearb. 2017, § 668 Rn. 6; zur notwendigen subjektiven Komponente einer Verwendung "für sich" vgl. auch BeckOGK-BGB/Riesenhuber, Stand 1.4.2019, § 668 Rn. 9 ff.). Vorliegend hat sich indes die Beklagte zu keinem Zeitpunkt die Stellung eines Berechtigten über das Geld angemaßt. Sie hat vielmehr die Zahlungen des Prozessgegners, die nach den Kostenfestsetzungsbeschlüssen dem Mandanten R. zustanden, an diesen als ihren Auftraggeber und vermeintlichen Empfangsberechtigten überwiesen. Der Umstand, dass sie dabei das Bestehen der Rechtsschutzversicherung und den Forderungsübergang gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übersehen hat, macht aus der Weiterleitung an den Mandanten keine Eigenverwendung im Sinne von § 668 BGB.

 

3. Ohne Erfüllung der Voraussetzungen des Schuldnerverzugs gemäß § 286 BGB ließe sich ein Verzinsungsanspruch nach alledem allenfalls aus § 849 BGB herleiten. Hierzu müsste die Klägerin aber neben dem genannten Anspruch aus § 667 BGB (i.V.m. § 677, § 681 Satz 2 BGB bzw. § 675 BGB, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG) einen deliktsrechtlichen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der von dem Prozessgegner auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse geleisteten Zahlungen haben, woran es vorliegend fehlt. Der insoweit allein in Betracht kommende Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB scheitert daran, dass die Beklagte kein zugunsten der Klägerin bestehendes Schutzgesetz verletzt hat; insbesondere stellt § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO kein Schutzgesetz zugunsten des klagenden Rechtsschutzversicherers dar.

 

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Rechtsnorm ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Es reicht deshalb nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (vgl. nur Senatsurteile vom 13. März 2018 - VI ZR 143/17, BGHZ 218, 96 Rn. 27; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rn. 26; BGH, Urteile vom 13. März 2018 - II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 Rn. 14; vom 27. November 1963 - V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, juris Rn. 1; jeweils mwN). Ein gesetzliches Gebot oder Verbot ist als Schutzgesetz nur geeignet, soweit das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2018 - II ZR 455/17, MDR 2019, 419 Rn. 32; vom 27. November 1963 - V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, juris Rn. 2).

 

Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (Senatsurteil vom 22. Juni 2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rn. 26, 29; BGH, Urteil vom 13. März 2018 - II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 Rn. 14; jeweils mwN).

 

Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt schließlich voraus, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte. Der eingetretene Schaden muss also in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Weiter muss der konkret Geschädigte auch zum Kreis derjenigen Personen gehören, deren Schutz die verletzte Norm bezweckt. Der Geschädigte muss also vom persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein (Senatsurteil vom 9. Dezember 2014 - VI ZR 155/14, VersR 2015, 250 Rn. 10 mwN).

 

b) Gemäß § 43a Abs. 5 BRAO ist der Rechtsanwalt bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet (Satz 1). Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen (Satz 2). Der Umgang mit Fremdgeldern und anderen Vermögenswerten ist in § 4 BORA konkretisiert, wobei der Weiterleitung von Fremdgeldern der Vorrang vor deren Verwaltung auf Anderkonten eingeräumt wird (§ 4 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BORA; Scharmer in Hartung/Scharmer, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 6. Aufl., § 4 BORA Rn. 27 f., § 43a BRAO Rn. 117). Da es sich bei der BORA (Berufsordnung) anders als bei der BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) nicht um ein Gesetz, sondern um autonomes Satzungsrecht eines Berufsstandes handelt, das im Allgemeinen die (privat-)rechtlichen Beziehungen der Rechtsanwälte zu Außenstehenden schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht regeln will und darf, scheidet § 4 BORA als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB aus (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1981 - VI ZR 80/79, VersR 1981, 658, 659, juris Rn. 14, zu einer Berufsordnung für Ärzte). Aber auch § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO ist kein Schutzgesetz zugunsten des Rechtsschutzversicherers.

 

aa) Der Wortlaut des § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO gibt keinen eindeutigen Hinweis, ob der Norm eine den jeweiligen "Empfangsberechtigten" schützende Funktion zukommen und ein etwaiger Verstoß dagegen einen deliktischen Schadensersatzanspruch auslösen soll.

 

bb) Bei Würdigung des Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm kann eine solche schützende Funktion gegenüber dem Rechtsschutzversicherer ausgeschlossen werden.

 

Bei den im ersten Abschnitt des Dritten Teils der Bundesrechtsanwaltsordnung geregelten Pflichten des Rechtsanwalts handelt es sich um berufsrechtliche Pflichten, deren Verletzung berufsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann. Die in § 43a BRAO verankerten berufsrechtlichen Grundpflichten sind von elementarer Bedeutung für den Anwaltsberuf. So sind Unabhängigkeit (§ 43a Abs. 1 BRAO) und Sachlichkeit (§ 43a Abs. 3 BRAO) des Rechtsanwalts für die Erfüllung seiner Aufgabe im System der Rechtspflege und damit für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege selbst unerlässlich (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 12/4993 S. 27). Grundlage des Verbots, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO), sind der Gesetzesbegründung zufolge (aaO) die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung, ferner das Vertrauensverhältnis zum Mandanten. Letzterem dient auch die Pflicht zur Verschwiegenheit in § 43a Abs. 2 BRAO. Die in § 43a Abs. 5 BRAO geregelte Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts beim Umgang mit fremden Vermögenswerten resultiert ausweislich der Gesetzesbegründung "aus dem vertraglichen Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten und der Erwartung in die uneingeschränkte Integrität des Rechtsanwalts in seiner Stellung als Organ der Rechtspflege. Satz 2 enthält zudem eine ausdrückliche Regelung zum berufsgerechten Umgang mit Fremdgeld" (BT-Drucks. 12/4993 S. 28). Geschützt wird das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit zugleich die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft in der Rechtspflege. Dieses Allgemeininteresse rechtfertigt es, die Einhaltung rein zivilrechtlicher Pflichten aus dem Anwaltsvertrag zusätzlich als berufsrechtliche Pflichten auszugestalten und deren Verletzung anwaltsgerichtlich zu ahnden (Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rn. 219; Träger in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 43a Rn. 84 f.). Allein der Umstand, dass die "Empfangsberechtigten" im Sinne von § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO als Teil der Allgemeinheit ebenfalls auf die Integrität des Anwalts in finanziellen Fragen vertrauen, begründet entgegen der Ansicht der Revision noch keinen Individualschutz der Norm zu ihren Gunsten. Neben dem Allgemeininteresse werden durch § 43a Abs. 5 BRAO, ebenso wie etwa durch die Verschwiegenheitspflicht des § 43a Abs. 2 BRAO und die Hinweispflicht des § 49b Abs. 5 BRAO, Interessen des Mandanten geschützt, deren Verletzung zu einem vertraglichen Schadensersatzanspruch und bei gleichzeitiger Verletzung von Strafgesetzen, die Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sind (z.B. §§ 246, 266 StGB), zu einem deliktischen Schadensersatzanspruch führt (vgl. BGH, Urteile vom 24. Mai 2007 - IX ZR 89/06, NJW 2007, 2332 Rn. 17-19; vom 17. Mai 2018 - IX ZR 243/17, NJW 2018, 2319 Rn. 16). Es kann dahinstehen, ob es sich bei § 43a Abs. 5 BRAO um ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Mandanten handelt, dessen Verletzung eine deliktsrechtliche Einstandspflicht nach sich zieht (grundsätzlich verneinend für die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts: Henssler in Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl., § 43 Rn. 36; bejahend für § 43a Abs. 5 BRAO: OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Oktober 2003 - I-24 U 79/03, juris Rn. 132). Selbst wenn eine solche gesetzgeberische Tendenz zugunsten des Mandanten bestünde, dürfte sie sachlich nicht den deliktsrechtlichen Schutz gegen eine unverzügliche, aber versehentliche Weiterleitung der Gelder an den falschen - nicht berechtigten - Empfänger umfassen.

 

Es gibt jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass § 43a BRAO einschließlich dessen Absatz 5 auch dem individuellen Schutz des Rechtsschutzversicherers dienen soll. Mit diesem verbindet den Rechtsanwalt weder ein Vertrag noch sonst ein besonderes Vertrauensverhältnis. Es ist auch nicht erforderlich (vgl. hierzu Senatsurteil vom 22. Juni 2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rn. 29), den aus dem Forderungsübergang des § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG resultierenden Anspruch des Versicherers gegen den Rechtsanwalt auf Weiterleitung von Geldern an ihn als neuen Gläubiger (s.o. 1.) zusätzlich auf eine deliktsrechtliche Grundlage zu stellen.

 

cc) § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO gewährt nach alledem dem Rechtsschutzversicherer weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht deliktsrechtlichen Schutz davor, dass Gelder, die im Hinblick auf den Forderungsübergang des § 86 VVG ihm zustehen, versehentlich an den Mandanten als ursprünglichen Gläubiger ausgekehrt werden (a.A., allerdings ohne Begründung: LG Mönchengladbach, Urteil vom 11. Mai 2010 - 5 S 74/09, juris Rn. 10).

 

4. Darauf, ob, wie die Revisionserwiderung meint, der geltend gemachte Verzinsungsanspruch aus §§ 849, 823 Abs. 2 BGB aus weiteren Gründen versagt werden müsste, kommt es nach alledem nicht an.