Es ist anerkannt, dass § 1004 BGB analog als sogen. quasi-negatorischer Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch für alle deliktisch geschützten Rechtsgüter (mithin auch jenen in § 823 Abs. 1 BGB
genannten) und für die durch ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB abgesicherten Interessenssphären gilt.
§ 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verlangt die Standsicherheit jeder Anlage im Ganzen wie auch in Teilen, und zwar sowohl für die zu errichtende als auch abzureißende Anlage auf dem Grundstück des
Bauherrn wie auch deren Auswirkung auf das Grundstück des Nachbarn. Bauvorschriften mit nachbarschützender Wirkung wie diese sind auch Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB. § 12 Abs. 1 S. 2 BauO
LSA nicht nur bei der Errichtung, sondern auch sondern auch bei dem Abriss eines Gebäudes anzuwenden.
OLG Naumburg, Urteil vom 29.01.2024 - 12 U 75/23 -
Zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld (§ 844 BGB) gegen verschiedene Ärzte, die für das Ableben der Getöteten verantwortlich sein sollen und die ihren allgemeinen
Gerichtsstand an verschiedenen Gerichtsorten haben, bedarf es keiner gerichtlichen Bestimmung des Gerichtsstandes, da nach dem einschlägigen § 32 ZPO (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) die
Verwirklichung eines Merkmals an einem Ort (hier der Orts des Versterbens) für eine Klage gegen alle Streitgenossen ausreichend ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.07.2024 - 11 UH 18/24 -
In der privaten Unfallversicherung entfällt ein Entschädigungsanspruch, wenn die Unfallfolgen minimal waren (hier: Bagatelltrauma), allerdings dann schwerwiegende Folgen (Amputation eines Zehs)
aufgrund einer Vorerkrankung (hier des arteriellen Systems) auftreten, da dann von einer (Mit-) Ursächlichkeit der Vorerkrankung von 100% ausgegangen werden kann (Schätzung nach § 287 ZPO).
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 02.07.2024 - 1 U 19/24a -
Die Klagefrist gegen einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft beträgt einen Monat, § 45 Abs. 1 WEG. Sodann muss die Klage „demnächst“ zugestellt werden, § 167 ZPO.
Zahlt der Kläger nach Anforderung des Gerichtskostenvorschusses diesen rechtzeitig (hinnehmbare Verzögerung bei der Zustellung durch den Kläger bis 14 Tage) ein, hat er alles getan, um seiner
Mitwirkungspflicht zur Zustellung nachzukommen. Lediglich bei Nichtanforderung des Vorschusses besteht eine Nachfragepflicht. Im Übrigen muss er grundsätzlich das gerichtliche Handeln nicht
kontrollieren.
Etwas anderes gilt allerdings in einem Beschlussanfechtungsverfahren in Wohnungseigentumssachen. Zwischen den Miteigentümern einer WEG besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, durch welches
Verhaltenspflichten begründet werden (§ 14 WEG), aus dem sich auch darüberhinausgehende Treue- und Rücksichtnahmepflichten iSv. § 241Abs. 2 BGB ergeben. Die Beschlussfassung nach § 23 Abs. 1 S. 1
WEG ist ein zentrales Element der Willensbildung der WEG zur Regelung ihrer Angelegenheiten und die Ausschlussfrist ist Ausdruck des gesetzgeberischen Anliegens, über die Herstellung von
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die ordnungsgemäße Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums zu gewährleisten.
Deshalb ist der Kläger verpflichtet, einer Untätigkeit des Gerichts im Rahmen der Zustellung entgegenzuwirken. Er hat innerhalb der Frist von einem Jahr nach Ablauf der Anfechtungsfrist (§ 45 S.
2 WEG iVm. § 234 Abs. 3 ZPO) zumindest bei Gericht nach dem Sachstand zu fragen, auch wenn er, so insbesondere durch Zahlung des Gerichtskostenvorschusses, seinen Mitwirkungsverpflichtungen
nachgekommen ist. Unterlässt er dies und kommt es erst danach zur Zustellung, ist die Anfechtungsfrist nicht gewahrt.
Den Parteien und deren Prozessbevollmächtigten obliegt eine Prozessförderungspflicht. Ein schuldhafter Verstoß dagegen durch grobes Verschulden oder in Verschleppungsabsicht rechtfertigt die
Verhängung einer Verzögerungsgebühr, wenn infolge der Handlung ein neuer Termin anberaumt werden muss.
Wird aus prozesstaktischen Gründen ein Termin nicht wahrgenommen und ergeht Versäumnisurteil, gegen welches Einspruch eingelegt wird, und kommt es infolge dessen zu einen neuen Termin, liegt eine
Verzögerung vor. Ein Verschulden iSv. § 38 GKG ist anzunehmen, wenn der Termin nur deshalb nicht vom klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht wahrgenommen wird, da ein Rechtsgutachten in
Auftrag gegeben wurde, welches bis zu dem sieben Monate nach Klageerhebung liegenden Termin noch nicht vorliegt, da darin ein Verstoß gegen die Prozesssförderungspflicht, die eine konzentrierte
Verfahrensführung fordert, liegt.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 30.10.2024 - 21 W 35/24 -
Ein dingliches Vorkaufsrecht zugunsten eines Familiengehörigen geht einem auch zeitlich vorher begründeten Vorkaufsrecht des Mieters nach § 577 BGB vor. Familienangehöriger ist hier auch der
geschiedene Ehegatte.
Dieses dingliche Vorkaufsrecht führt dazu, dass nach § 1098 Abs. 2 BGB iVm. §§ 883 Abs. 2, 888 BGB Verfügungen des Eigentümers zugunsten Dritter dem dinglich Berechtigten gegenüber unwirksam
sind.
Kommt es zu einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen dem Vermieter, dem Alt- und dem Neumieter darüber, dass der Neumieter mit Wirkung für die Zukunft anstelle des Altmieters in den Mietvertrag
mit dem Vermieter eintritt, entstehen mangels entsprechender Regelungen keine Ansprüche zwischen Alt- und Neumieter. Damit kann auch der Neumieter nicht erfolgreich gegen den Altmieter auf
Räumung und Herausgabe klagen. Die Durchsetzung der Vereinbarung erfolgt in den jeweiligen Vertragsverhältnissen: Der Vermieter muss auf Räumung und Herausgabe gegen den Altmieter klagen (§ 546
Abs. 1 BGB), der Neumieter auf Überlassung der Mietsache an sich gegen den Vermieter (§ 535 Abs. 1 BGB).
OLG Dresden, Beschluss vom 08.04.2024 - 5 U 1855/23 -
Einen Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO kann auch ein Scheinbeklagter stellen, da auch ein solcher Anlass zur Verteidigung hat und die Möglichkeit haben muss, sich entsprechend § 269 Abs. 3
S. 2 ZPO bei dem Kläger, der die falsche Zustellung veranlasste, schadlos zu halten.
Nach § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wenn der Anlass zur Einreichung
der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und die Klage daraufhin zurückgenommen wird. Die Klage muss bei ihrer Einreichung zulässig und begründet sein oder jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt
vor ihrer Einreichung zulässig und begründet gewesen sein.
Wird der gesetzliche Vertreter der Beklagten nicht nur irrtümlich falsch bezeichnet und die Klage an den vermeintlichen gesetzlichen Vertreter mit Willen des Klägers zugestellt, ist die Klage
unzulässig. Die Zustellung an eine führungslose GmbH hat an die Gesellschafter zu erfolgen. Ein im Handelsregister gewahrter Wechsel der Gesellschafter vor Einreichung der Klage geht zu Lasten
des Klägers.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.09.2024 - 3 W 8/24 -
Die Krankenkasse ist trotz des bereits im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses stattfindenden Anspruchsübergangs nicht als Geschädigte anzusehen. Der nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf die
Krankenkasse übergehende Anspruch auf Ersatz ihrer geleisteten Behandlungskosten knüpft an die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers („zu erbringen hat“) und nicht an tatsächlich
erbrachte Leistungen an. Dabei kann die Krankenkasse Aufwendungsersatz nur insoweit verlangen, als sie Aufwendungen auf einen Schaden des Versicherten zu erbringen hat.
Die Krankenkasse treffen im Grundsatz die gleichen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast wie den Geschädigten, würde dieser den Schadensersatzanspruch selbst geltend machen.
Sozialrechtliche Anforderungen an das Abrechnungssystem zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen sowie sozialrechtliche Anforderungen an die Datenübermittlung, Prüfung von
Rechnungen und Zahlungspflichten der Krankenkassen rechtfertigen keine Abweichung von den zivilrechtlichen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1
S. 1 SGB X. Ein „Grouper“-Ausdruck, wie sie Krankenhäuser den Krankenkassen überlassen, ist kein wesentliches bzw. starkes Indiz für die Erbringung und/oder Erforderlichkeit der abgerechneten
Leistung des Krankenhauses.
Da die Krankenkasse nicht Geschädigte ist, ist die Rechtsprechung zum sogen. „Werkstattrisiko“ bei Beschädigung einer Sache für Reparatur- und Sachverständigenkosten für Ansprüche der
gesetzlichen Krankenkassen auf Ersatz der Kosten der Heilung nicht übertragbar.
Eine nach Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertigende Gebrauchsüberlassung der Wohnungen an einen Dritten liegt vor, wenn der Dritte aufgrund einer Vereinbarung mit dem Mieter ein
selbständiges Besitzrecht an der Wohnung des Inhalts hat, dass er die Wohnung unter Ausschluss des Mieters nutzen kann, aber auch dann, wenn der Mieter den Dritten für eine längere Zeit in der
Wohnung aufnimmt und der Dritte das Recht hat, die gesamte Wohnung neben oder zusammen mit dem Mieter zu nutzen. Diese Gebrauchsüberlassung (und nicht nur ein Besuch) liegt ab einem Zeitraum von
vier bis sechs Wochen vor.
Eine wirksame Verkündung eines Urteils erfordert, dass dieses im Namen des Volkes durch Vorlesung der vollständigen Abfassung der vollständigen Urteilsformal einschließlich der
Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel, und zwar in
öffentlicher Sitzung, erfolgt (§ 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Dies gilt auch dann, wenn die Gerichtsakte elektronisch geführt wird.
Jedenfalls sind die Mindestanforderungen einzuhalten, mithin dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt ist oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass
und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet werden. Dass kann durch Verfügung des Vorsitzenden (nicht durch die Geschäftsstelle) erfolgen, das Urteil den Parteien zuzustellen.
Leidet das arbeitsgerichtliche Urteil an einem Verkündungsmangel, bleibt das Verfahren bei dem Arbeitsgericht wegen nicht beendeter Instanz anhängig; bei dem übermittelten „Urteil“ handelt es
sich lediglich um ein Scheinurteil. Das Scheinurteil kann mit der Berufung angegriffen werden und ist im Berufungsverfahrens wegen des Mangels aufzuheben und das Verfahren an das Arbeitsgericht
zurückzuverweisen. Wird die unterlasse ordnungsgemäße Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils vom Revisionsgericht festgestellt, hat dieses das Verfahren entgegen § 68 ArbGG an das
Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
Die Gewaltbereitschaft/-tätigkeit eines Mieters rechtfertigt eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung zum Schutz der anderen Hausbewohner, auch wenn den Mieter eine Verantwortlichkeit
für sein Tun nicht trifft. Die untherapierte Alkoholsucht des Mieters ist hier nicht zu seinen Gunsten zu würdigen.
LG Berlin II, Beschluss vom 30.07.2024 - 67 S 190/24 -
Nach § 30 Abs. 1 HGB ist es erforderlich, dass sich die neue Firma von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-,
Partnerschafts- oder Vereinsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheidet.
Dies ist bei „xx Invest“ und „xx Investment“ nicht der Fall. Hat die bestehende Gesellschaft den Rechtsformzusatz GmbH und soll die neue Gesellschaft als UG (haftungsbeschränkt) mit dem
entsprechenden Rechtsformzusatz eingetragen werden, kann offenbleiben, ob dem Rechtformzusatz Unterscheidungskraft zukommt, da z.B. infolge der erforderlichen Thesaurierungspflicht nach § 5a Abs.
3 GmbHG die UG (haftungsbeschränkt auch später als GmbH firmieren kann, ohne dass dann noch die Firma beanstandet werden kann.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 24.05.2024 - 22 W 14/24 -
Im Allgemeinen muss der bei Grün in eine Kreuzung Einfahrende nicht mit Querverkehr rechnen. Allerdings hat er die Pflicht, denjenigen Verkehrsteilnehmern den Vorrang zu gewähren, die aufgrund
vorangegangener Lichtphase der Ampel in die Kreuzung einfuhren und diese noch nicht geräumt haben (Nachzügler). Auch bei Grün hat der Einfahrende mit Nachzüglern zu rechnen und musss
anhaltebereit fahren.
Ist die Sicht für den Einfahrenden nach links beeinträchtigt (hier ein links abbiegender Lkw) gilt die Anhaltebereitschaft auch für den Fall, dass der Nachzügler grob sorgfaltswidrig bei
unzulässigen Fahrspurwechsel den Lkw umfährt, um die Kreuzung zu passieren. Auch wenn dieses Verhalten des Nachzüglers grob sorgfaltswidrig ist, ist es aber nicht so atypisch, dass der
Einfahrende damit nicht hätte rechnen müssen.
Haftung nach § 17 Abs. 1 StVG in Bezug auf den Grad der Sorgfaltspflichtverletzungen nach § 1 Abs. 2 StVO: 2/3 Nachzügler wegen grober Sorgfaltspflichtverletzung, 1/3 Einfahrender wegen einfacher
Sorgfaltspflichtverletzung.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.09.2024 - 3 U 28/24 -
Nach § 346 Abs. 1 BGB sind im Falle eines Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und gezogene Nutzungen herauszugeben. Zu den vom Verkäufer empfangenen Leistungen gehört der
Kaufpreis. Da der Käufer die staatliche Förderung iSv. erst nach Zulassung des Fahrzeuges beantragt und bewilligt erhält wird deutlich, dass Empfänger der Käufer ist, der Verkäufer nur den
Kaufpreis erhält und sich die Rechtsfolgen aus einer z.B. zu kurzen Haltedauer nach den Förderrichtlinien das Verhältnis zwischen dem Käufer und dem Fördergeber betrifft., mithin die Förderung
Teil des vom Käufer zu zahlenden Kaufpreises ist.
OLG Brandenburg, Urt. vom 03.09.2024 - 6 U 79/23 -