Kommentar

Studium/Ausbildung: Kosten als vorweggenommene Werbungskosten

von RA Niehus


1. Hier geht es um die Frage der Absetzbarkeit von Kosten, obwohl (noch) keine Einnahmen vorliegen. Solche Kosten entstehen beim Studium, auch bei bestimmten Ausbildungen (z.B. Pilot). Da sie der künftigen Einkunftserzielung dienen, sollte man meinen, dass auch bereits zum Zeitpunkt des Anfalls der Kosten diese als Werbungskosten festgehalten werden können um bei späterer Erzielung von Einkünften aus diesem Bereich die Kosten steuermindernd geltend zu machen.

 

2. Schon im Jahre 2002 hatte der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass Aufwendungen für eine Bildungsmaßnahme, die beruflich veranlasst ist, Werbungskosten sein können, wobei es nicht darauf ankommt, ob ein neuer Beruf, ein erstmaliger oder ein anderer Beruf ausgeübt würde. Vielmehr sei es ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf im weitesten Sinne fördern (Urteil vom 4.12.2002 – VI R 120/01; so auch vom 17.12.2002 – VI R 137/01 – und vom 22.7.2003 – VI R 50/02 -). An diese Entscheidungen knüpfte der BFH im Urteil vom 26.7.2006 – VI R 63/05 – an und führte u.a. aus:

 

„Erzielt der Steuerpflichtige noch keine Einnahmen, können vorab entstandene Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes vorliegen. Sie können auch bei einer erstmaligen Berufsausbildung anzuerkennen sein. Der Senat hat mit Urteil vom 20. Juli 2006 VI R 26/05 (DStR 2006, 1546) entschieden, dass die Kosten für ein im Anschluss an das Abitur durchgeführtes Hochschulstudium vorab entstandene Werbungskosten sein können. Zur Begründung im Einzelnen wird auf diese Entscheidung verwiesen. „

 

Nachdem sich - verständlicherweise - viele darauf beriefen, machte die Finanzverwaltung eine Rechtsänderung geltend, wonach gem. § 12 Nr. 5 EStG 2007 - vorbehaltlich des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2007 - Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag abgezogen werden dürften.

 

Der BFH trat dem nicht bei. In seinen Entscheidungen vom 28.7.2011 – VI R 7/10 – und – VI R 38/10 als auch in weiteren Entscheidungen ließ er die Geltendmachung der Aufwendungen zu.

 

Der Gesetzgeber, der zwar aus den aufgrund der Ausbildung späterhin erzielten Einnahmen für sich Steuern generieren will, reagierte. Mit dem Betreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG) vom 13.12.2011 (BGBL I 2011, 2592) wurde in den §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 EStG der Abzug von Ausbildungs-/Studienkosten als vorweggenommene Werbungskosten ausdrücklich ausgeschlossen. Aber nicht nur das. Es wurde eine Rückwirkung auf den Veranlagungszeitraum 2004 mit aufgenommen.

 

3. Beim FG Baden-Württemberg ist bereits ein Musterverfahren anhängig (- 10 K 4245/11 -).

 

Viele anhängige Verfahren, die teilweise in Ansehung von anhängigen Revisionsverfahren ausgesetzt waren und nach den benannten Entscheidungen nun an sich zugunsten der Steuerpflichtigen hätten beendet werden können, sind von dieser gesetzgeberischen Regelung betroffen. Eine gesetzgeberische Regelung, die verfassungswidrig ist. Der Kläger des benannten Musterverfahrens verlangt von daher auch zu recht, dass das Finanzgericht die Frage frühzeitig dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegt.

 

Unabhängig von der rechtlichen Bewertung des Vorgehens des Gesetzgebers ist die politische Dimension des Verhaltens des Gesetzgebers = Bundestag = Volksvertretung brisant, macht doch hier dieser Gesetzgeber (neuerlich) deutlich, dass er bei ihm nicht genehmen fiskalischen Entscheidungen der Gerichte bereit ist, rückwirkend seinen Willen zum Nachteil der vom ihm „Vertretenen“ durchzusetzen. Es ist ein Machtspiel zwischen Kaiser und Volk, bei dem der Kaiser zeigt, was sein ist. Hier bekommen jüngere Bürger schnell hautnah mit, wie der Staat „funktioniert“….

 

Und es ist auch unabhängig von rechtlichen Erwägungen weder bildungspolitisch noch volkswirtschaftlich verständlich. Da gibt es die Schulpflicht, eine Lehr- und Lernmittelfreiheit, wird dies alles durch öffentliche Gelder (vgl. BAFöG) gefördert; wenn aber aufgrund privater Initiative seinen späteren Beruf im Ausbildungsbereich (wie z.B. Studium) finanziert, dann wird dies nicht nur nicht gefördert, sondern derjenige bleibt auch im wahrsten Sinne des Wortes endgültig nach dem Willen des Gesetzgebers auf den Kosten „sitzen“. Gerade wenn aber der Bildungsbereich in Deutschland nach vorne gehen soll, muss auch die Möglichkeit gegeben werden, die Kosten für die spezielle Ausbildung für den angestrebten Beruf zumindest als vorweggenommene Werbungskosten geltend machen zu können. Denn die Berufsausbildung ist sowohl im Sinne der bildungspolitischen vorangegangenen Aktivität als auch volkswirtschaftlich erstrebenswert.

 

Schlimm ist, dass neben diesen „Vernunftsargumenten“ sich der Staat (und hierunter verstehe ich nicht die Volksgemeinschaft sondern lediglich die Legislative) auch grob rechtswidrig verhält, jedenfalls soweit er seiner gesetzlichen Regelung Rückwirkung zukommen lassen will.

 

Zu unterscheiden sind echte und unechte Rückwirkung. Von einer echten Rückwirkung, die immer verfassungswidrig ist (BVerfGE 125, 104, 135), spricht man, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Die Änderung von gesetzlichen Regelungen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum unterfallen der Kategorie der unechten Rückwirkung, wenn die steuerliche Berücksichtigung erst im laufenden oder gar zukünftigen Veranlagungszeitraum liegt (BVerfG 127, 1).

 

Es ist schon zweifelhaft, ob man hier von einer unechten Rückwirkung ausgehen kann. So ist es möglich, dass der Steuerpflichtige eine Einkommensteererklärung in einem zurückliegendem Veranlagungszeitraum (ab 2004 bis jedenfalls 2010) eingereicht hat, nur um sich die Werbungskosten als vorab entstandene Werbungskosten feststellen zu lassen. Dann läge zwar die mögliche Auswirkung dieser Festsetzung erst in der Zukunft (wenn dem ein positives Einkommen gegenüberstehen würde), die steuerliche Berücksichtigung als negativer Aufwand und die damit verbundene steuerliche Feststellung läge aber in der Vergangenheit. In diesem Fall müsste wohl zwingend von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen werden.

 

Aber auch wenn man hier eine Fernwirkung annehmen wollte und von einer unechten Rückwirkung ausginge, wäre die Verfassungswidrigkeit zu bejahen. Der Gesetzgeber hat in einem solchen Fall dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz hinreichend Rechnung zu tragen; er muss also die Interessen der Allgemeinheit (die mit der Regelung verfolgt werden müssen) mit dem Vertrauen des Einzelnen auf Fortgeltung der Rechtslage abwägen (so schon BVerfGE 30, 392, 404).

 

In dem ersten Entwurf des BeitrRLUmsG waren die Änderungen noch nicht vorgesehen (vgl. BR-Drucks 253/11 vom 6.5.2011). Erstmals in der BT-Drucks 17/7469 wird die Änderung der Normen des EStG genannt. Und dort wird von einer „Klarstellung“ gesprochen (unter „B. Lösung“). Es fehlt jegliche weitere Begründung für die Änderung, hier insbesondere die Rückwirkung, noch lässt sich gar eine notwendige Abwägung der Interessen entnehmen. Die Verfassungswidrigkeit ist damit auch immanent. Denn eine „Klarstellung“ lässt keinesfalls erkennen, weshalb hier eine Rückwirkung geboten sein könnte.

 

4. Allen Betroffenen ist anzuraten, die Verfahren weiter zu betreiben resp. Aussetzung bis zum Ausgang des eingangs benannten Musterverfahrens zu beantragen.

 

5. Wir sind an einem entsprechenden Verfahren (vor dem FG Baden-Württenbeerg) beteiligt. Sachbearbeitend ist der Verfasser dieses Kommentars.